Beiträge von Leonie im Thema „Tugend und Depression“

    Aber das Leiden ist real – und das weiß jeder.

    Tja - klar. Aber was ist mit "real" gemeint?


    Das buddhistische Konzept fragt nach den Bedingungen/Ursachen von Leiden - dukkha - und kommt zum Ergebnis, es ist "Durst". Tanha - . Auch "real" ist bedingt - nämlich vom "irreal" oder Wahn, wie es in manchen Übersetzungen heißt.

    Dieses "reale" Leiden ist eine Einbildung, die aber natürlich auch "real" ist. Jeder, der sich schon mal was ehrlich eingebildet hat, weiß, was es dann bedeutet, wenn man dies erkennt und aus der Einbildung erwacht - es ist wie mit dem Glauben.


    Wenn dieses Leiden nicht leer wäre, gäbe es keinen Weg zum Erlöschen.

    Na ja, die Symptome sind real, das Leiden ist auch real.

    Selbst wenn die gesamte Erinnerung nicht der Wahrheit entspricht, bedeutet das nicht, dass das innere Trauma als Erlebnis, als Erfahrung, nicht stattgefunden hat.

    Andernfalls wäre das ein Hohn und eine Verspottung der Menschlichkeit.

    Du hast mich vielleicht nicht verstanden.


    Wenn mir jemand sagt, er fühle sich mies, habe eine Depression, seit längerem, dann zweifle ich das nicht an. Ich frage nach den Möglichkeiten zu helfen.

    Der Punkt ist nicht der, ob Erfahrung und Trauma statt gefunden haben, sondern ob eine Identifikation hilft, dies festzuhalten oder ob es besser ist loszulassen. Manchmal dauert es Jahre, aber es führt ja kein Weg daran vorbei das was Vergangen ist, auch zu verabschieden. Du weißt ja, dass eben genau das Leiden bedeutet: Vergänglichkeit nicht anzunehmen, Festhalten wollen, an dem was war.

    Erfahrung ist bedingt durch Bewusstsein - und die Spuren der Erfahrung verlaufen im Sand - wie Vögel, die im Flug keine Spur hinterlassen.


    Das Thema der False Memory ist vor allem für Therapeuten von Bedeutung, die manchmal nicht die nötige Distanz zum Patienten haben und die dazu dann neigen, alles zu glauben, was da erzählt wird in der Therapie.

    Wilfred R. Bion hat auf dieses Problem des Therapeuten in seinen Schriften häufig hingewiesen.

    Alles meistens nur erfunden und erdichtet…

    Ich weiß nicht wie Du so etwas behaupten kannst…

    Psychologie: Wie lassen sich falsche Erinnerungen enttarnen? - FernUniversität in Hagen


    https://bvvp.de/wp-content/uploads/2023/12/20231211_Die-False-Memory-Debatte-oder-Besonderheiten-der-Erinnerung_Interview-Langfassung_public.pdf


    Irren ist eben menschlich - nur wenn es bezüglich einer Straftat geschieht, ist die Falschaussage oder falsche Erinnerung auch eine Straftat.

    Psychologie war ursprünglich eine Geisteswissenschaft, ringt seit her mit ihrer Wissenschaftlichkeit und wird auf Rezept gegeben. 😄

    Nö.

    Psychologie hat sich als Nebenzweig der Medizin entwickelt und zwar im 19. Jh.

    Zitat

    Die Gründung des ersten psychologischen Instituts in Deutschland 1879 durch Wilhelm Wundt, ebenfalls in Leipzig, stand auch in einem engen Zusammenhang mit der Medizin. Kraepelin, der Begründer der modernen Psychiatrie, hatte dort an dem Institut ein Jahr gearbeitet und in einem sogenannten Arbeitsversuch einen Leistungstest entwicket, der heute noch als “Pauli-Test” benutzt wird. Bedeutender sind die Arbeiten von Kraepelin aus dem Jahre 1892 über die Beeinflussung einfachster psychischer Vorgänge durch einige Arzneimittel. Es handelte sich dabei um pharmakopsychologische Untersuchungen, die den Einfluß bestimmter chemischer Substanzen auf das Seelenleben deutlich machen sollten.

    hier


    Auf Rezept wird da auch nichts gegeben - evtl Psychopharmaka - aber es gibt die Möglichkeit der Überweisung durch einen Hausarzt oder man zahlt seine Therapie selbst.


    Philosophische Verbindungen gibt es natürlich, da das Menschenbild hier ja seine Begründungen hat. Die "Seele" ist ja was aus dem Platonismus kommt, aber die Studien Humes sind da wieder sehr dem buddhistischen Konzept angenähert.


    Wissenschaftlich hat die Psychologie ziemliche Schwierigkeiten die Wirksamkeit und Evidenz ihrer Interventionen nach zu weisen - da ist dann eben ziemlich viel Glaubenssache. So gesehen hat die Psychologie auch ihre Wurzeln in der Theologie - bzw. in der Seelenkunde der Religionen.

    Es geht aber nur deshalb um Wissenschaftlichkeit, weil die Krankenkassen die Behandlungen bezahlen sollen und diese Leistungen auf Evidenz basieren sollen.


    Dass da sehr vieles auf Glaube und Gutgläubigkeit beruht und es um Autorität geht ist das auch die wesentliche Schwäche dieser Art von Heilkunst. Es ist aber auch so, wenn jemand am Ertrinken ist und nicht Schwimmen kann oder ins Meer gefallen ist, dann braucht es einen Rettungsring - und evtl. jemand der die Fähigkeit hat, einen da wieder raus zu ziehen. Meistens reicht es, wenn ein guter Freund oder eine gute Freundin für einen da ist.


    Die buddhistische Praxis ist da auf dieser Ebene des "guten Freundes" angesiedelt.


    Noch ein Hinweis auf die Problematik der Erinnerung - da ist vieles "erfunden" oder erdichtet, da das Gehirn sich eine plausible Geschichte bastelt, um seinen jetzigen Zustand rational zu begründen.

    Schlimm sind dann solche Fälle, die der "False Memory Verein" bearbeitet.

    False Memory Deutschland - Aufklärung und Beratung zu falschen Erinnerungen an sexuellen Missbrauch

    Ich denke es ist naheliegend dieses Konzept, das sich an einen einzelnen Menschen wendet auf die globale Menschheit zu übertragen.

    Wir thematisieren in den Staaten zunehmend Depressionen und daneben aber auch eine ausufernde Event-und Reisekultur, die sich natürlich auf die wohlhabenden Schichten bezieht. Den Ärmeren fehlt es hingegen am Nötigsten - außerdem können wir durch die sozialen Medien und die weiteren Medien jedes Ereignis wahrnehmen, sei es in China, im Outback Australiens, sei es in irgendeinem Zoo. Es gibt daher keine "Flucht" als Möglichkeit, keine Ausflucht oder Ausrede - wir werden laufend mit den Folgen unseres Handelns konfrontiert - und außerdem erfahren wir auch von der Monstrosität "des" Menschen, d.h. wir erfahren, was in den Menschen steckt. Damit verliert vieles seinen Ausnahme- oder Einmaligkeitscharakter.

    Also sind wir jetzt in einem Entwicklungsstadium, in dem wir immer mehr dem Geschehen oder den Ereignissen ausgeliefert sind. Und auch die wenigen, die meinen sie hätten da das Heft in der Hand, erkennen dass sie auch in einem Netz gefangen sind.

    Verzweifelte Tech-Fuzzies, wie Thiel oder Mask sehen noch Hoffnung im Mars oder in einem Zukunftsprojekt wie AI/KI ----

    das sind aber Irrtümer und sie kommen so auch nicht aus dem Netz - lediglich der Tod bietet sich als Option. Daher liegt auch hier die größte Gefahr - einer Zerstörung durch Massenvernichtung.

    Wenn man also Gier und Hass nicht mehr ausleben kann, weil die Objekte auf die Subjekte zurückfallen, kommt es zu Niedergang und wildem Ausleben.

    Der Klimawandel mit seinen Ereignissen ist da eine Hilfe, denn er zeigt schon, wo es lang gehen muss - doch während die einen am Verlust von Angehörigen und Besitz verzweifeln, erkennen andere, dass ein einfaches Leben und der Rückbau der Welt möglich und sehr befriedigend ist.

    Allerdings ist es viel Arbeit den ganzen Kram, der sich über die Zeit angesammelt hat, wieder umweltfreundlich los zu werden.

    Zitat

    Aber man wird ja nicht wirklich moralisch und auch nicht tugendhaft sondern bildet sich das nur ein, oder?


    Ich denke, von außen wie innen ist das manchmal nicht zu unterscheiden. Der Geist ist da schon sehr einfallsreich.

    Ich habe hier in diesem thread nicht alles gelesen, will aber doch was ergänzen, weil mir die buddhistischen Konzepte hier fehlen.


    In AN X. 61-62 geht es um das Bedingte Entstehen und da heißt es - die Bedingungen für die Unwissenheit (Verblendung) sind die fünf Hemmnisse - die nivaranas.

    Und weiter heißt es, dass die fünf Hemmnisse durch den dreifachen üblen Wandel (Gedanken, Worte, Werke) ernährt werden.

    Anguttara Nikaya X.61-70

    Daraus ergibt sich der Zusammenhang von Tugend und z.B. Depression, wie Krishnamurti das leider etwas überheblich formuliert hat. Es ist ein ganz normaler Verlauf des "spirituellen" Lebens, dass jemand, der sich von der Welt zurückzieht und sich in dieser Welt nicht mehr auslebt oder austobt, es zu geistigen Problemen kommt. So wie jemand sich in den Bergen verirren kann, in schlechtes Wetter gerät und dann abstürzt oder gerettet werden muss.


    Die fünf Hemmnisse sind -

    1. Sensual desire (kamacchanda), Gier

    2. Ill-will (byapada), Hass

    3. Sloth and torpor (thina-middha), Verblendung 1

    4. Restlessness and worry (uddhacca-kukkucca), Verblendung 2

    5. Skeptical doubt (vicikiccha). Verblendung 3



    https://www.insightmeditationcenter.org/wp-content/uploads/articles/FiveHindrancesQuotes-1.pdf


    Kamacchanda und byapada sind durch Subjekt-Objekt-Beziehung bestimmt. Subjekt (Ich) und Objekt (die Dinge) stehen sich gegenüber - wie bei einem Spiegel. Wenn die Objekt-Subjekt-Beziehung als illusionär erkannt wird und verschwindet - dann treten die anderen Hemmnisse stärker hervor oder werden überhaupt erst wahrgenommen.

    Hier sind nun Subjekt und Objekt identisch und das "Drama" spielt sich im Innen ab - d.h. die vorherigen Projektionen sind nun zurück gespiegelt in den Anfang und das verbleibende Ich-Bewusstsein kann hier nichts mehr machen - es muss die Prozesse geschehen lassen und falls das nicht ausgehalten werden kann, dann nimmt man eben entsprechende Mittel oder Therapien. Das sind recht gefährliche Lebensphasen und da kann auch keiner eine Vorhersage geben, wie es denn ausgeht.

    Die Übung des Zen ist auch eine Übung des Sich-Aushaltens. Das Aushalten von Hoffnungslosigkeit, von Perspektivlosigkeit, von Verlust oder das Aushalten von Angst und Panik, Aufregung bzw. Erregung begleiten diese Praxis.


    Und wie ich mit dem Hinweis auf Bernd Golz, Der Innenspiegel,

    https://www.dhamma-dana.de/files/Dhamma%20Dana/Buchcover/Autoren_A-Z/golz-bernd/Golz,%20Bernd%20-%20Der%20Innenspiegel.pdf

    versuchte zu erklären, ist auch diese Spiegelung als leer zu erkennen und zu dem Punkt zu kommen, wo Erwachen als Verlust , als das Abfallen von Körper-Geist, erkannt wird, wo der Geist sich selbst erkennt.

    Dann verschwindet auch der letzte Rest - der skeptische Zweifel.


    Diese Erfahrung gibt es in allen spirituellen Wegen und im christlichen ist das als Akedia bekannt. Es ist keine Depression, sondern Überdruss, wobei es recht viele Übereinstimmungen gibt.