Beiträge von Sven im Thema „"Der Buddhismus steht der Welt gleichgültig gegenüber"“

    accinca:

    Je nach dem Anhaften auch die Ich-illusion. Anhaften gibt es immer auch im Schlaft
    andernfalls jeder der schläft ein Heiliger wäre.


    Im traumlosen Schlaf bin ich mir keines Ichs bewusst und habe damit auch keines, da genau diese herausragende Merkmale der Ich-Prozesse ist (Sie weiß, dass sie weiß und kann sich auch daran erinnern). Vielleicht sprechen wir ja von verschiedenen Dingen.


    Ein Gleichsetzen von Anhaften und diesen geistigen Prozessen, die ein Ich-Erzeugen, kann ich auch nicht feststellen. Anhaften wird erst daraus, wenn ich zu den Prozessen, die das Ich erzeugen sage: "Dies ist mein Ich!" Und genau diese Vorstellung gilt es abzulegen.


    Wer zeitweilig ohne Anhaften ist, ist nicht gleich ein Heiliger. Wenn ich jemanden etwas schenke und mich über seine Freude mitfreue, gibt es momentan keinerlei Anhaften.
    Aber wie ich weiß, postulierst du hier ein ominöses Grundgefühl (wahrscheinlich ein Relikt aus der Debes-Schule), wo sich das Anhaften subtil verstecken kann.


    Dies gibt bei mir nicht. Wenn ich echte Mitfreude empfinde, ist es unmöglich gleichzeitig anzuhaften. Dadurch bin ich natürlich nicht gleich ein Heiliger.


    Gruß
    Sven

    accinca:


    Wie schon gesagt, ich will sie dir nicht wegnehmen deine Illusion. Die
    Illusion willst du behalten aber die Ich-Illusion soll weg sein oder die
    Illusion mit vom Ich soll weg sein aber andere Illusionen sollen bleiben.
    - solche Wünsche (Illusionen) kann der Mensch haben.


    Das ist quatsch. Dann müsste ich ja jeden Abend vor dem Schlafengehen zittern, wenn die Ich-Illusion während des traumlosen Schlafes verlischt.
    Es ist vielmehr so, dass das Ich während des Schlafes nicht benötigt wird und deshalb vom Geist abgeschaltet wird. Sie wird übrigens oft auch am Tage abgeschaltet. Mit den Ressourcen wird im Allgemeinen effizient umgegangen.


    Es müssen folgenden Dinge unterscheiden werden:
    1. Der phsychische Prozess, der das Ich erzeugt. (Dies ist hauptsächlich dieser rekursive Vorgang: "Ich weiß, dass ich weiß." Diesen Prozess muss man nicht verhindern)
    2. Die daraus resultierende Vorstellung es handele sich um eine Seele, einen Kern, einen Akteur, der Kontrolliert und von dem die Handlungen ausgehen (Dies ist zu durchschauen und wird dadurch auch abgelegt).


    Für mich handelt es sich eigentlich nur um eine Korrektur eines frühkindlichen leidenschaffenden Fehlurteils (zur Zeit als sich das Ich ausbildete).
    Da das Kleinkind noch nicht über die geistigen Fähigkeiten eines Erwachsenen verfügt, kam es zur Bildung der Selbst-Illusion (die Illusion ein Kontrolleur, von dem die Handlungen ausgehen, zu sein.)
    Zwar lässt sich dies intellektuell als nichtig durchschauen, es muss aber zusätzlich auf die geistige Stufe vor der Ich-Bildung zurückgegangen werden, um den damaligen Fehler beheben zu können.
    Dies passiert mittels Satipatthana. Wir gehen dorthin zurück, wo wir noch nichts (wieder-)erkannt haben (wo wir noch nicht wussten, dass ein Stuhl ein Stuhl ist) und überarbeiten so die frühkindliche Fehlentscheidung ein Selbst/Akteur zu sein.


    Die Satipatthana-Praxis dazu ist ganz einfach. Folgende erkennende geistige Prozesse werden abgeschnitten und die erfahrende Aufmerksamkeit immer wieder auf den Ursprung auf die Herkunft gelegt.
    Dadurch löst sich zuerst die geistige Konstruktion der Welt und zum Schluss auch die geistige Konstruktion des Beobachters auf (dies aber natürlich nur zeitweilig, solange wir die Praxis ausüben).


    Gruß
    Sven

    Mari0n:


    Das Erkennen und "Durchdringen" meiner Vorstellung von "Selbst" und "Ich" würde ich nicht unbedingt als intellektuelles Verstehen bezeichnen, genau so wie das Erkennen von "Nicht-Ich". Zwar hat beides auch eine philosophische Komponente, aber das Entscheidende findet durch Introspektion statt: Wie erscheint die Vorstellung von "Ich" und "Selbst" in meinem eigenen Geist ...


    Ich denke, wir liegen nicht so weit auseinander, benutzen quasi nur unterschiedliche Begrifflichkeiten. Die Problem ist nicht die Ich-Funktion, sondern dass sie das Bild eines unveränderlichen Kern (einen Atman) erzeugt!


    Unter intellektuellem Verstehen, verstehe ich das diskursive Nachdenken darüber (dies ist selbstverständlich auch Introspektion).
    Also, indem ich mich frage:
    Ist mein Bewusstsein mein Selbst (Also ist das Bewusstsein der Kontrolleur)?
    Ist es das Gefühl, der Wille, der Körper oder die Wahrnehmung?


    Der Buddha geht das in etwa so z. B. durch: Kann ich sagen, mein Gefühl solle so oder so sein? etc.


    Beim "emotionalen" Verstehen (hierbei handelt es sich auch um Introspektion) ist die Methode aber Satipatthana, welches zu Vipassana (durchschauen) führt. Dabei werden die geistigen Prozesse durch eine Technik beobachtbar gemacht. Dies führt zum Erfahren der allgemeinen Daseinsmerkmale (dazu gehört auch Nicht-Selbst anatta).


    Mari0n:

    Wer meint, dieses "Ich" und "Selbst" sind nur überflüssiger illusorischer Plunder, der sollte sich vielleicht mal mit dissoziativen Identifikationsstörungen auseinander setzen. Meiner Meinung nach sind derartige Geisteszustände weit entfernt von "erwacht".


    Danke für dieses Beispiel. Genauso ist es. Deshalb ist es auch so wichtig zu wissen, dass man dieses Ich keinesfalls auflösen darf, wenn man geistig gesund bleiben möchte!


    Gruß
    Sven

    Mari0n:


    Oder um an Nagarjuna anzuschließen: Man muss erstmal wissen, was das eigentlich ist, was man verneinen will.
    Oder um sinngemäß an einen tibetischen Meister anzuschließen: Ich brauchte ziemlich lange, um mir darüber im Klaren zu werden, was ich eigentlich unter einem "Selbst" oder einem "Ich" verstehe (Durchdringen, Durchschauen). Und dann war es nicht mehr so schwierig, dieses zu verneinen.


    Dies ist zwar der wichtige 1. Schritt, nämlich das intellektuelle Verstehen. Dieser treibt die weitere Forschung voran.


    Der 2. Schritt, nämlich genau zu erkennen, wie im geistigen Prozess diese Illusion geboren wird, muss durch Vipassana häufig erfahren werden, damit die innewohnende Furcht, es können doch ein Selbst existieren, zumindest soweit überwunden wird, dass man die bedingten Phänomene für einen Moment ganz loslassen kann.


    Gruß
    Sven


    Das ist doch jetzt aber genau das gefährliche Verwirrspiel, das so oft gespielt wird.
    Nur solange die Fata Morgana nicht als solche durchschaut wurde, will man das Wasser in ihr trinken. Man möchte doch nicht eine unnütze Täuschung behalten! Die gefährliche Täuschung ist nicht die Fata Morgana selbst, sondern das "für echt halten".


    Ich weiß, dass ich intellektuell nicht an der Ich-Illusion hänge, da ich sie durchschaut habe, aber "emotional" (geschieht durch Vipassana) eben noch nicht.


    Außerdem ist sie selbst nicht immer gleich stark (wenn ich z. B. das Ich-Gefühl jetzt nach 30 Jahre Autofahren mit dem der 1. Fahrstunde vergleiche). Sie scheint also auch eine Funktion bei verschiedenen geistigen Tätigkeiten zu haben, die meine volle Aufmerksamkeit erfordern. Auf die Erfüllung ihrer Funktion möchte ich nicht verzichten, sondern nur auf das Leiden, das durch das Nichtdurchschauen dieser Illusion entsteht. Es gibt keine Notwendigkeit dazu sie "aufzulösen". '(Steht auch so nicht im Palikanon. :D )


    Gruß
    Sven

    accinca:

    Aber natürlich kann man sie auch belassen. Aber ob das
    ein Selbst impliziert oder auch das eine Illusion ist?.......


    Wenn man in einer Fata Morgana eine Wasserquelle sieht. Muss man nicht die Fata Morgana entfernen, sondern "nur" durchschauen, dass es sich nicht um eine echte Wasserquelle, sondern um eine Fata Morgana mit Wasserquelle handelt.


    Genauso ist es mit der Ich-Illusion, die ein Ich erscheinen lässt. Durchschauen reicht vollkommen aus. Man kann dann zwar die Täuschung noch sehen, wird von ihr aber nicht mehr beeinträchtigt. Genausowenig, wie man bei der Fata Morgana Wasser suchen würde, wenn man weiß, dass es sich nur um eine Fata Morgana handelt.


    Gruß
    Sven

    BigR:

    Dass ist doch Haarspalterei, Sven denn wer weiß schon, dass der Jemand/Selbst eine Illusion ist ...


    Da bin ich anderer Meinung. Da, wenn man dies falsch versteht - und das geschieht leider verdammt oft - in "Teufels Küche" kommt. Dass das Selbst eine Illusion ist, ist doch intellektuell, für jemanden, der aufgeschossen ist, gar nicht schwer zu verstehen. Der Buddha gibt doch auch in vielen Lehrreden dazu eine recht einfache Anleitung (u. a. hier http://www.palikanon.com/samyutta/sam22_050.html).


    Zitat

    Dann ist das Selbst nämlich da und es rein vom Glauben oder rein mechanisch zu leugnen kann auch ein Schuss sein der nach hinten los gehen kann. Oder hast Du die Jemand/Selbst Illusion schon überwunden? ;)


    Auch hier muss ich wieder "Haare spalten", da es förmlich nach falschem Verständnis schreit.


    Eine Illusion braucht man weder zu leugnen, noch zu überwindenb(beides impliziert ein Selbst). Eine Ilusion entsteht durch bestimmte Bedingungen. Es reicht sie zu durchschauen. Dass dies an Anfang nur Intellektuell und nicht "emotional" geschieht, reicht völlig aus, um sich vor einem falschem Verständnis des Verlöschens (indem es mit Vernichtung gleichgesetzt wird) zu schützen.


    Gruß
    Sven

    Onda:
    Sven:


    Da diese Momente zuvor alle als Leiden erkannt werden und auch erkannt wird, dass da keine Person existiert, werden auch keine wehrenden Momente mehr im Geiste entstehen.


    wehrenden?
    währenden?


    Gemeint war "wehrenden" im Sinne von Abwehren, da der Fragesteller dies schrieb:

    Zitat

    Die meisten werden sich doch wohl gegen solche Gedankengänge wehren ...


    Gruß
    Sven

    BigR:

    Wie kann also jemand den Wunsch haben zu verlöschen, zu verwehen wenn er gar nicht weiß was das heißt? Die meisten werden sich doch wohl gegen solche Gedankengänge wehren oder wie seht ihr das?


    Schon die Frage ist eigentlich falsch oder zumindest so gestellt, falsch zu verstehen. Es gibt den zwar Wunsch vom Leiden frei zu sein, aber niemanden, der diesen hat!


    Es verlöscht kein Jemand/Selbst. Dieser Jemand/Selbst ist nur eine Illusion. Das Verlöschen oder Vernichten eines Selbst schießt über das Ziel hinaus und ist falsche Ansicht.


    Was verlischt ist Folgendes (verlischt der Reihe nach):
    1. Geistige Momente die unheilsame Karma-Folgen haben (also "Zustände", die Gier, Hass oder Verblendung enthalten).
    2. Andere geistige Momente die Karma-Folgen haben (heilsames Karma, Arhats erzeugen überhaupt keine Karma-Folgen mehr.)
    3. Und schlußendlich Geisteszustände, die Karma-Folgen selbst sind (nach dem physischen Tod des Arhats).


    Da diese Momente zuvor alle als Leiden erkannt werden und auch erkannt wird, dass da keine Person existiert, werden auch keine wehrenden Momente mehr im Geiste entstehen.


    Gruß
    Sven

    Bishafu_2:

    :D Wenn du beide Einstellungen miteinander verbindest, bist du schon ziemlich gut!


    Dann ist mir lieber schlecht. Ich vertrete keine dieser beiden Einstellungen, sondern stehe dem Leben zwar kritisch gegenüber, mag es aber doch nicht so bewerten.


    Immerhin gibt es u. a. dieses Staunen (das überhaupt etwas ist) und ich möchte kein Urteil darüber bilden müssen, ob nicht allein nur dieses Staunen schon alles Leid rechtfertigt.


    Gruß
    Sven

    Onda:

    Und in 3 und 4 geht es dann darum, dass und wie dukkha zu überwinden ist. Wer dukkha überwunden hat, ist & wirkt gleichwohl noch "in der Welt"

    Zitat


    Noch, bis er stirbt und damit völlig verlischt. Es werden keine neuen Karmaresultate erzeugt, die ein weiteres Werden ("sein in der Welt") erzeugen könnten, aber Restresultate werden noch "abgetragen". Wie das HJolz eines Feuer, das gerade noch brannte und jetzt verloschen ist, noch nachglüt.


    Zumindest um zum Thema zurückzukommen ist der Unterschied doch so:


    Für den Christen ist es ein Geschenk Gottes in der Welt zu sein.
    Für den Buddhisten wäre es besser, wenn er erst gar nicht geboren wäre.



    Gruß
    Sven

    Onda:
    Sven:


    Wenn mit Welt - und davon gehe ich aus - der Samsara gemeint ist, steht der "Buddhismus" ihm sogar ablehnend gegenüber, da dieser nur Leid bedeutet.

    Ist das nicht ein etwas schlichtes Bild, das du da vom Buddhismus zeichnest? Samsara schlecht - Nirwana gut?


    Zuerst einmal heißt das übrigens nicht, dass ich das auch so sehe!


    Wenn ich die 4 Edlen Wahrheiten als Ausgang nehme, ist dies so. Die 1. Wahrheit definiert den Samsara und die 2. Wahrheit die Ursache des Samsara.


    Zitat

    Wenn es Bestandteil der buddhistischen Geistesschulung ist, Aversionen und Anhaften zu überwinden, so wäre es doch widersinnig, Samsara "ablehnend" gegenüber zu stehen. Oder?


    Die Ursache von Samsara ist Anhaften. Ohne Anhaften letztendlich kein Samsara, keine Welt mehr (diese hört dann auf). Letztendlich ist dies aber auch abhängig vom Begriff "ablehnen". Natürlich sollte man Leiden (gelichbedeutend mit Samsara) ablehnen, aber nicht so, dass es ein Anhaften ist.



    Zitat

    Und wie ist es mit dem Mitgefühl? Das sich nur in Samsara (der konventionellen/historischen Wirklichkeit) wirkend entfalten kann?


    Genauso wie man der Folter ablehnend gegenüber steht, aber den Folteropfern hilft.


    Gruß
    Sven

    Bodo:

    Der Buddhismus steht der Welt gleichgültig gegenüber


    Das ist sogar nur sehr sacht ausgedrückt.


    Wenn mit Welt - und davon gehe ich aus - der Samsara gemeint ist, steht der "Buddhismus" ihm sogar ablehnend gegenüber, da dieser nur Leid bedeutet.
    Das ist unvereinbar mit der christlichen Lehre, wonach die Welt eine Schöpfung Gottes ist und gut sei.


    Schwierig ist aber auch die grundsätzliche Sicht der Welt/Samsara. Im Buddhismus ist sie ein sich ständig ändernder Prozess (es existiert kein Sein, sondern abhängig vom Fokus z. B. nur ein ewiges Sterben).


    Gruß
    Sven