Reinheit in der Dzogchen / Mahamudra-Sichtweise

  • kilaya:

    Ich vermute, so weit wie mein Verständnis von Zen als jemand, der es nicht praktiziert, geht, dass man den Sprung von Zen zu Dzogchen (oder umgekehrt) relativ leicht machen kann. Den Unterbau von Tantra usw. wird man dabei aber wohl eher ignorieren wollen.


    Wobei aus tantrischer Sichtweise Tantra auch die Ebene von Dzogchen oder Mahamudra einschließt:
    Rein kann nämlich auch als leer verstanden werden. Wenn man als Tantra Praktizierender versucht, zwischen zwei formalen Sitzungen, die "reine", "absolute" oder "tantrische" Ebene aufrechtzuerhalten und alle Phänomene als leer von inhärenter Existenz sieht (wie eine Illusion) dann ist diese Ebene vergleichbar mit der von Dzogchen/ Mahamudra. Auf dieser absoluten Ebene muss auch nichts mehr transformiert werden, da alle Phänomene leer sind. Diese Sichtweise zwischen den formalen Sitzungen aufrechtzuerhalten dürfte ähnlich schwer sein wie im Dzogchen oder im Mahamudra. Daher beginnt man im Tantra bei jeder Sadhana auch immer wieder neu.

  • Die Unterschiede sind teilweise nur subtil und natürlich sind Tantra und Sichtweise eng verwoben. Je nach Linie oder Schule auf verschiedene Weise. Man kann dann eine Unterscheidung daran festmachen, ob man davon ausgeht, dass man sich von einer "unreinen" zu einer "reinen" Sichtweise transformiert, oder ob die es Methode an sich ist, alles als rein zu erleben, auch das, was man scheinbar noch nicht als rein erlebt. Es lässt sich natürlich kombinieren, was in den meisten Schulen empfohlen wird. Da wird dann gesagt: es gibt nicht die höchte Methode, die höchste Methode ist in jedem Augenblick die, die gerade hilft. Und dazu gehört auch Vermeidung. Man kann es dann über die Sicht wieder integrieren, indem man sagt: "auch meine Unfähigkeit die Situation in höchstmöglicher Weise zu sehen und mein Bedürnis, mich von der Störung fern zu halten ist Ausdruck ursprünglicher Erleuchtung."


    kilaya

  • kilaya:

    Der frühe radikale Dzogchen für den Longchenpa steht, ist glaube ich nicht mehr so verbreitet. Die Nyingma-Linie mit einer lebendigen Dzogchen-Übertragung gibt es natürlich noch. Suchst Du denn eine Übertragungslinie für Praxis? Radikales Dzogchen kann man ja durchaus - wenn man einmal eine Referenzerfahrung hat - bis zu einem gewissen Grad auch alleine im Alltag praktizieren.


    kilaya


    was meinst du hier mit der Formulierung "bis zu einem gewissen Grad"? Kann man nicht einfach radikales Dzogchen alleine praktizieren?

  • Man kann das tun, die Frage ist dann aber, wie erfolgreich man mit der Umsetzung und Selbstwahrnehmung ist. Ich formuliere das lieber etwas vorsichtig, weil es doch in unserer heutigen komplexen Umwelt schwieriger ist, als auf einem einsamen Berg in Gesellschaft von ein paar Yaks und Ziegen.


    kilaya

  • kilaya:

    Selbstwahrnehmung .


    gegenseitige Reflektion ist dann schon etwas. Wenn denn kein legitimierter Meister das unterstützt. Soweit ich es mitbekommen habe, ist ja grade das, die Unterstützung eines legitimierten Meisters für Leute die Longchempa in die Hand nehmen und keinen Stufenweg gehen, eher schwer zu bekommen. Oder gar nicht zu bekommen?

  • Ich selbst finde es hilfreich, mich an keinen Meister zu binden, aber mich für die Inspiration vieler Meister zu öffnen (egal ob legitimiert oder nicht). Statt mich an einen bestimmten Lehrer zu binden oder mich in irgendwelche "dieser oder jener ist der Echte / Falsche" Streitereien zu verwickeln, kann ich so Segen und Inspiration aus vielen Quellen beziehen.


    kilaya

  • Ist bei mir auch so. Das ist so stark, dass etwas anderes gar nicht geht. Bisher jedenfalls nicht. Weil das, was dahinter steht eben zu mir durch viele Menschen spricht. Da kann mein kleines Ego- Menschlein gar nichts zu sagen. Das wird woanders entschieden, so kommt mir das vor.

  • Prinzipiell stimme ich Dir zu. Also in bezug auf die warnenden Worte.


    Ich meinte mit dem "legitimiert oder nicht" zwei Dinge:


    • Erstens schützt eine offizielle Legitimation in keinster Weise davor, dass ein Lehrer vielleicht doch murks macht. In irgendeiner der vielfältigen Weisen in denen das möglich ist.
    • Zweitens kann ich einen Menschen als "Lehrer" oder Inspiration empfinden - sei es für einen begrenzten, überschaubaren (spirituellen) Themenbereich - der überhaupt keine Legitimation hat und vielleicht noch nicht mal in irgeneiner Weise lehrt. Das muss auch kein Buddhist sein.


    Es gibt ja die Methode, im Guru Yoga, alles, was passiert als Belehrung oder Segen des eigenen Guru zu sehen, als würde dieser das nur für einen selbst manifestieren. Richtig verstanden führt das zur Aktivierung des "inneren Lehrers".


    Das meine ich noch nicht einmal: geht man mit dem Leben so um, als sei es selbst der Lehrer, sieht man in der Begegnung mit jedem Menschen ein Potential sich zu spiegeln, zu entwickeln (auch und gerade bei den "Arschlöchern") usw. dann ist das auch eine Art Guru-Yoga - nur ohne personifizierten Guru.


    Um aber den "geheimen Lehrer" zu verwirklichen, im Prinzip ein Synonym dafür, sich nicht auf die Erscheinungswelt zu beziehen, sondern direkt auf die darunter liegende Leerheit und Klarheit, muss man diese Ebene erstmal kennen gelernt haben. Das geht nur sehr sehr sehr selten auf eigene Faust, selbst wenn man passende Bücher z.B. von Longchenpa gelesen hat. Zu irgendeinem Zeitpunkt braucht man die Inspiration von einem Meister, der das verwirklicht hat. (Verwirklicht, nicht nur verstanden) Man muss halt nur nicht zwangsläufig an diesem kleben bleiben, man kann auch dankbar weitergehen.


    Das war meine Sicht in etwas ausführlicher, einfach mein Blickwinkel aus meiner Erfahrung heraus. Die kann man teilen, muss man aber nicht ;)


    kilaya

  • Sprite:

    Denn auch in der Meister - Schüler Beziehung liegt eine Falle, besonders im buddhistischen Kontext (Anhaftung).


    Solange die Position eines Meister so sehr politisiert und institutionalisiert ist wie im tibetischen Buddhismus taucht leider immer wieder die Frage auf: würde der Lama gegen die weltlichen Interessen seiner Linie handeln und einen Schüler, der zu sehr anhaftet auch mal wegschicken? In sehr kleinen Sanghas scheint mir die Gefahr besonders gross zu sein, dass man sich abkapselt und versucht, die die da sind zu binden. Auf der anderen Seite kann es auch mal notwendig sein, die Anhaftung der Schüler zu nutzen damit sie eine Praxis konsequent durchziehen und beenden. Denn bei einigen Leuten besteht ja die Gefahr, sich immer wenn es "interessant" wird, einen anderen Lehrer zu suchen und eine neue Praxis anzufangen. Das gehört durchaus zu den "geschickten Mitteln" die (eigentlich nicht heilsamen) Gefühle zu nutzen und so die Ganzheit des Bewusstseins zu transformieren. Die Entscheidung des Lehrers, ob er jemanden bindet oder weiter schickt sollte im Idealfall nur den Interessen des Schülers dienen, nicht denen des Lehrers oder seiner Linie. Ist das Angebot authentisch und fundiert, wird sich auch so immer eine Basis an Leuten finden, die "den Laden am Laufen halten".


    kilaya