Thomas Metzinger - "Minimal Phenomenal Experience" in der Meditation

  • Ich bin auf einen Vorlesung von Thomas Metzinger zu dem Thema "Minimal Phenomenal Experience" (MPE) gestoßen. Er stellt dort ein Forschungsprojekt vor, das darauf abzielt, ein minimales Modell bewusster Erfahrung zu entwickeln. Dazu untersucht er subjektive Erfahrungen in der Meditation, die als Erfahrungen eines "reinen Bewusstseins" charakterisiert werden. Er nimmt in seinem Vortrag Bezug auf verschiedene buddhistische Traditionen und neurowissenschaftlichen Forschungen zu den neuronalen Korrelaten von Bewusstseinszuständen.


    Der Vortrag ist sehr akademisch und wurde vor einem philosophischen Fachpublikum an der Universität Lund gehalten.


    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Externer Inhalt www.youtube.com
    Inhalte von externen Seiten werden ohne deine Zustimmung nicht automatisch geladen und angezeigt.
    Durch die Aktivierung der externen Inhalte erklärst du dich damit einverstanden, dass personenbezogene Daten an Drittplattformen übermittelt werden. Mehr Informationen dazu haben wir in unserer Datenschutzerklärung zur Verfügung gestellt.


    Ich frage mich, ob man mit einem solchen Fragebogen, wie Metzinger und seine Forschungsgruppe ihn entwickelt haben, wirklich einen guten methodischen Zugang zu der meditativen Erfahrung bekommt. Oder wären andere Zugänge denkbar?


    Die eher qualitativen Beschreibungen der Erfahrungen in dem Freitext finde ich sehr spannend. Metzinger räumt aber auch ein, dass die Beschreibungen sehr wahrscheinlich stark durch "theoretisches" Vorwissen, das die Teilnehmer durch Bücher oder Meditationslehrer erworben haben sowie durch Glaubensüberzeugungen geprägt und überformt sind. Gibt es vielleicht eine Möglichkeit diese Verzerrungen oder Kontaminierung der Erfahrungsbeschreibungen zu minimieren?


    Hier noch der Link zur Seite des Forschungsprojekts mit weiteren Ressourcen (Texte, Vorträge): https://www.philosophie.fb05.u…ereiche/theoretische/mpe/

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Den Fragebogen aus dem Forschungsprojekt (Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.)kann man auf der Seite des Projekts runterladen. Also ich täte mir da in der Beantwortung einiger Fragen schon eher schwer.

    Man kann um seine Erfahrung "reinen Bewusstseins" zu charakterisieren auf einem Kontinuum von 0 bis 100 angeben wie sehr bestimmte Charakteristika auf die Erfahrung zutreffen.Insgesamt ist der aber schon sehr ausgefeilt und durchdacht habe ich den Eindruck.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • In der Einleitung / Anleitung zum Fragebogen heißt es:


    Zitat

    Beim vorliegenden Fragebogen geht es um alle Erlebniszustände, in denen ein Gewahrsein des Gewahrseins selbst oder ein Bewusstsein des Bewusstseins selbst auftritt. Wir wollen also das subjektive Erleben der „Bewusstheit als solcher“ erfassen. Manchmal werden diese Zustände auch als „reines Gewahrsein“ oder „reines Bewusstsein“ bezeichnet.


    Es geht uns dabei nicht in erster Linie um mystische Erlebnisse oder dramatische spirituelle Gipfelerfahrungen, sondern vielmehr um alle Zustände, die durch eine Erlebnisqualität des„reinen Gewahrseins“ oder der „Bewusstheit selbst“ charakterisiert sind. Das bedeutet, dass in uns – unabhängig von dem Vorhandensein oder Nicht-Vorhandensein andererBewusstseinsinhalte – auch ein „Gewahrsein des Gewahrseins“ entstanden ist, dass also die Qualität der „Bewusstheit“ selbst noch einmal klar und deutlich erlebt wird

    Es geht also um eine Art selbstreflexiver Bewusstheit, aber eben gerade kein Selbstbewusstsein. Vielleicht könnte man auch von einer Wahrnehmung der "Natur des Geistes" sprechen?


    Weiter steht in der Einleitung, das solche Erfahrungen in verschiedenen Praktiken gemacht werden können, darunter:


    Als sechs notwendige Bedingungen einer Erfahrung des "reinen Bewusstseins" nennt Metzinger (Minimal phenomenal experience. Meditation, tonic alertness, and the phenomenology of“pure” consciousness, S.7):


    • Wakefulness (Wachheit)
    • low-complexity (Einfachheit)
    • self-luminosity (Eigen-Leuchtkraft)
    • introspective availibility (Zugänglichkeit durch Innenschau)
    • Epistemicity (Qualität von Vertrauen und Wissen ohne Subjekt / Objekt-Struktur)
    • transparency / opacity (Spektrum von Undurchsichtigkeit und Transparenz)

    Die notwendigen Kriterien verstehe ich zum Teil noch nicht so ganz, insbesondere Self-Luminosity und Epistemicity erscheinen mir erstmal eher rätselhaft. Auch Transparenz und Undurchsichtigkeit finde ich in dem Zusammenhang keine besonders intuitiv zugängliche Beschreibung.


    In Bezug auf die ersten beiden Kriterien, Wachheit und Einfachheit, macht Metzinger eine Typologie auf. Bei angenommener maximaler Wachheit könnte man Erfahrungen anhand unterschiedlicher Grade von Einfachheit unterscheiden (also maximale, hohe und keine Einfachheit der Erfahrung). Wobei er mit Einfachheit vor allem eine negative Definition meint. Die Abwesenheit von sinnlicher Wahrnehmung eines Objekts, von motorischer Aktivität, von zeitlicher Erfahrung, von symbolischen oder nicht-symbolischen Denkprozessen, von Selbstlokalisierung in Raum und Zeit und von der Erfahrung von absichtsvoller Handlung.


    Bei maximaler Einfachheit und maximaler Wachheit spricht Metzinger von Full-Absorption Episodes, die er explizit auch mit der jhana praxis in Verbindung bringt. Im Gegensatz zu mystischen Erfahrungen spricht er der Minimal Phenomenal Experience aufgrund ihrer Inhaltslosigkeit die Qualitäten "fundamental unity, certainty about objective reference, paradoxicality, and bliss/beatitude/joy" ab. Ich habe mich nun gefragt wie es verstanden werden kann, dass in der Erfahrung mit meditativer Klarheit und Ruhe in der z.B. in der jhana Praxis ja durchaus auch Erfahrung von Freude und Glückseligkeit in der Literatur erwähnt werden. z.B. hier


    Bitte melde dich an, um diesen Anhang zu sehen.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

    Einmal editiert, zuletzt von Maha ()

  • Korrektur: Metzinger spricht full absorption episodes nur die letzten drei Eigenschaften aus der Aufzählung ab. Demnach ist fundamental unity ( grundlegende Einheit) nach Metzinger durchaus als zutreffende Eigenschaft der minimalen phänomenologischen Erfahrung in full absorption episodes anzusehen. Aber aufgrund der maximalen Einfachheit, sprich Inhaltslosigkeit, dürften dann auch keine Freude oder Glück erfahren werden. Hier nochmal der genau Wortlaut aus dem oben zitierten Text (S.14):

    Zitat

    Extrovertive mysticism exhibits four clusters of phenomenological features – fundamental unity, certainty about objective reference[...], paradoxicality, and bliss/beatitude/joy – the last three of which do not seem to correspond to the ineffable contentlessness of full-absorption episodes.

    Es wird ja aber häufig über die Erfahrung von Freude und Glück in meditativen Vertiefungen berichtet. Das bekommen ich noch nicht so ganz zusammen.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

  • Nützt alles nichts, Mabli , Du musst das wohl nachlesen. MN 39.

    Ja, danke für den Hinweis auf das Sutra. Wenn ich mich richtig erinnere, lehrt Ayya Khema, dass die Freude, die in den ersten Jhanas empfunden wird, wesentlich dabei hilft, die Hindernisse zu überwinden oder zumindest zu reduzieren. Das leuchtet ein, da das Erleben von Freude sicher motivierend wirkt, Zweifel zerstreut und helfen kann den Geist zu stabilisieren.


    Mich wundert nur, dass Metzinger das bei der Beschreibung der minimalen Erfahrung komplett beiseite lässt und kann mir das nur so erklären, dass er nicht den Weg zu diesem Zustand hin untersucht in seiner ganzen prozesshaften Dynamik, sondern den Zustand und seine Charakteristika schon sehr stark abstrahiert auffasst.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte