Während die Strömung des Theravada auf dem Standpunkt der Dualität der Welt beharrt, behauptet der Mahayana-Buddhismus, dass alles letztendlich eins sei.
Buddha selber soll sich zu diesem Thema nie geäußert haben. So lassen sich angeblich im Pali-Kanon keinerlei Stellen finden, die den einen oder anderen Standpunkt erhärten oder ablehnen, weder explizit noch implizit. Denn Buddhas Lehre ist ein rein pragmatischer, an den Alltagserfahrungen ausgerichteter und nicht auf Spekulationen gründender Erlösungsansatz.
Vgl. Bhikkhu Bodhi, siehe http://bit.ly/oaSQNQ, im 6. Absatz: „The teaching of the Buddha as found in the Pali Canon...“
Steigt man trotz allem in die Diskussion um die Dualität oder Nicht-Dualität der Welt ein, so sollte man sich an ein wichtiges buddhistische Konzept erinnern: Nämlich das des „sowohl-als-auch“.
So weist der Zen-Philosoph Byung-Chul Han in seinem Buch „Philosophie des Zen-Buddhimsus, Reclam-Verlag“ auf einen wichtigen Aspekt der Leerheit hin: Nämlich, dass die Leerheit zwar allen Dingen gemeinsam ist, und alle Dinge somit untereinander verbunden sind und ineinander aufgehen. Dies bedeutet aber nicht, dass jedes einzelne Ding seine Identität, seine Unterscheidung zu anderen Dingen, verliert.
Nach Han ist die Identität eines jeden Dinges nach außen hin geschlossen, nach innen jedoch offen. Die Leerheit einer Identität ist nicht ein alles auflösender, alles miteinander vermengender Aspekt. Du und ich sind gleich, aber zugleich bin ich ich und du bist du. Keiner zwingt sich dem anderen auf, jeder belässt jeden so wie er ist, und doch sind wir alle gleich. Han nennt dies die „archaische Freundlichkeit“ oder "Ur-Freundlichkeit", die der Welt inne wohnt.*
Folgt man dieser Ansicht, ist die Natur der Welt eben kein „entweder-oder“, sondern ein „sowohl-als-auch“. Mahayana und Theravada wären demnach zwei zulässige Fahrzeuge, um letztlich denselben Weg zu befahren. Denn beide betrachten nur zwei extreme Aspekte ein und derselben Welt.
Man kann sich also durchaus intellektuell vom Mahayana angesprochen fühlen und in der Praxis dem Theravada folgen. Ein sehr schönes Beispiel des Sowohl-als-auch...
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*Dieser von Han herausgearbeitete Aspekt der Leerheit findet sich auch im Herz-Sutra wieder: „Form ist Leere, und Leere ist Form“ und, obwohl in seinem Buch nie explizit erwähnt, kann davon ausgehen, dass sich Han von diesem Sutra hat inspirieren lassen.