Beiträge von Sôhei

    Jojo:


    Zum Einen sind wir uns in der Regel nicht dessen bewusst, wie stark unser Körperzustand unser Denken - sei es begrifflich oder sonstwie - determiniert. Beispiel: Dieselbe Situation wird für uns völlig unterschiedliche Bedeutung haben, je nachdem ob wir entspannt oder verspannt sind. Wenn wir verspannt sind, ohne das zu merken (was die Norm ist), entsteht daraus in der Regel Fehlwahrnehmung, Fehlbeurteilung, und auf Dauer ein unangemessenes Weltbild, ein Set von unangemessenen Handlungsmustern. Solange das nicht übermäßig dysfunktional ist, fällt uns das überhaupt nicht auf. Wir halten das für normal, und nennen es Charakter oder Persönlichkeit.
    Dies vollständig zu durchschauen ist einer der wichtigsten Zwecke der Übung. Und das kann Jahre und Jahrzehnte dauern. Dass man diese Übung (in vitro) auch in komplexere Situationen (in vivo) übertragen will und soll, ist irgendwie klar. Wenn man mit der in-vitro-Übung aber zu früh aufhört, macht man sich was vor. Die interessante Frage ist nun: wann ist zu früh?


    Hmm, sorry, aber da bin ich definitv anderer Ansicht. Hier entsteht bei mir der Eindruck, dass du das Sitzen zu einer Art Körperarbeit hochstilisieren tust. Sitzen im Seiza oder Lotossitz ist natürlich eine körperliche Arbeit; aber es gibt m.M.n. viele bessere Methoden, um mit dem Körper zu arbeiten. Rein körperlich würde ich behaupten, gibt bloßes Sitzen wirklich nicht so viel her. (Und ich kenne wirklich viele Körpermethoden, praktisch und theoretisch.)


    Auch erscheint mir deine Unterscheidung zwischen Gedanken und sensorischer Ebene doch problematisch. So als ob es ein unmittelbares sensorisches Bewusstsein gäbe, unabhängig oder frei vom Geist/den Gedanken im Kopf. Ich würde jetzt mal eher vermuten, dass auch wenn du dich ganz in deinem zwickenden Knie oder wo immer fühlst: es sind trotzdem deine Gedanken vom Knie und wie es zwickt.


    Schließlich schreibst du:

    Jojo:

    Wenn man das lange und sorgfältig genug übt, kommt man auch zu der Identität von emotionaler Pein und physischer Pein, und schließlich zu der Ursache-Wirkungs-Beziehung zwischen Gedanken und Körper.


    Das knüpft ja jetzt doch wieder an das an, was ich im anderen Thread hinterfragt hatte, die Sache mit der "Anstrenung an der Basis körperlicher Schmerzen". Für das Sitzen, vielleicht; aber ich glaube nicht mal da ausschließlich. Und wie gefragt: wo ist die Anstrengung deinerseits, wenn die eine Kastanie auf den Kopf fällt, wenn du Kopfweh hast, wenn du vielleicht eine Erkrankung mit Schmerzen hast etc.?

    Jojo:


    Mein Fazit bleibt also: Nach allem, was ich aus Eurer Diskussion verstanden habe, postuliert Huineng lediglich, dass eine formalisierte Praxis ohne rechte Aufmerksamkeit zwecklos ist, und dass sich die Praxis nicht auf die formalisierte Praxis beschränkt.


    Was nunmal nichts anderes heißt, als dass es viele Wege gibt. Von nur-Sitzen, über viel-Sitzen bis wenig-Sitzen oder auch gar-nicht-Sitzen ist alles möglich. Alles kann funktionieren, und umgekehrt funktioniert weder das eine noch das andere automatisch. Das ist doch eine ganze Menge, was Huineng da einräumt.


    Ja, kann sein, dass er nicht aus einem der Chan-Texte stammt. Ganz nur a la Doris ist er aber glaube ich auch nicht; das Sprüchlein (mit Abwandlungen: essen, gehen, schlafen, sch.. etc.) kenne ich glaube schon seit zwanzig Jahren. Google liefert auch alle möglichen Treffer und Varianten; leider nur (auf die Schnelle) keine Quelle :)

    Jojo:


    Letztlich geht es beim Sitzen wohl um das, was Doris zusammengefasst hat. Man kann auch Nur-Stehen üben, oder Nur-Liegen. Entscheidend ist, dass man für eine gewisse Zeit aufhört, das zu tun, was ich "ausweichen" nenne. Dann passiert das, was ich den Aquarium-Effekt nenne: Wenn ein paar Fische in einem großen Ozean herumschwimmen, bemerkt man sie wahrscheinlich nicht. Wenn dieselben Fische in einem Aquarium herumschwimmen, bemerkt man sie sehr gut. In unbewegtem Zustand funktionieren die Körpergrenzen wie die Wände eines Aquariums. Man bemerkt die inneren Impulse sehr viel deutlicher, und dann kann man halt damit "arbeiten", bzw. eben nicht "arbeiten", sondern jede Aktivität zu einem Ende kommen lassen, bis das Aquarium leer ist.


    Ja, nur geht das eben genauso in Bewegung. Vom gleichmäßigen Gehen bis zum flotten Joggen. Innere Impulse wahrnehmen können ist keine Frage von Ruhe oder Bewegung, sondern von der inneren Ausrichtung und Bereitschaft dazu. Durch langes Sitzen lernst du davon abgesehen nur noch eines mehr: langes Sitzen.
    Meiner Meinung/Erfahrung nach.

    Stimme da Diamant in vielen Punkten zu.


    Weder Lotossitz noch Seiza tun den Knien wirklich gut. Natürlich gibt es individuelle Unterschiede, und natürlich ist der Rahmen bei den meisten erstmal ausbaubar, wenn der Körper an sich besser organisiert ist. Aber für den Körper gibt es ganz zweifellos bessere Methoden.


    Regelmäßiges bzw. langfristiges (Monate und Jahre) langes Sitzen (bedeutet für mich: ab 30 Minuten aufwärts, mehrmals täglich) als Notwendigkeit für irgendwelche Entwicklungsprozesse anzusehen halte ich ebenfalls für einen fatalen Irrtum (zumal für einen, der m.M.n. im Grunde null-komma-null mit den Schriften in Einklang ist bzw. durch diese gestützt werden kann). Definitv passiert dabei was, aber ich denke in erster Linie baut es ein Selbstbild eher auf als ab.


    Wenn es zu einer Methode Überwindung bedarf, weil sie Schmerzen bereitet, dann ist die Methode schlecht oder schlecht angewendet. D.h. nicht, dass es auf dem Weg nicht auch mal wehtun darf (ja vielleicht sogar muss). Aber so ist das wie eine viel zu große Tablette die man täglich runterwürgt, obwohl man dasselbe auch als Tropfen haben könnte. Weil man das aber nicht weiß oder glaubt, fängt man dann an das unnötige Runterwürgen der Tablette selbst zu einem eigenständigen und bedeutungsvollen Aspekt zu erheben.


    Und noch was: Ich behaupte, niemand sitzt wirklich unbewegt. Es sei denn er ist tot, aber dann fällt er um oder ist festgeschnallt. Ansonsten bewegt sich schon mal der Bauch bei der Atmung, und es bewegt sich das Herz und das Blut etc. Letztlich wird der ganze Körper ständig durch Mikrobewegungen ausgeglichen und stabilisiert. Mit unbewegt sitzen ist da nichts.


    Deiner Meinung nach; wie gesagt, jeder muss schauen wie er klarkommt.
    Die ganzen Verallgemeinerungen und Generalisierungen die du gebrauchst sind aber schon eher ein Indiz dafür, dass etwas nicht mehr ganz richtig im Sinne von vernünftig läuft. Übersteigerter Erlösungswunsch halt.


    Wie du meinst. Ich halte das für eine sehr getrübte und eingeengte Sicht der Wirklichkeit, aber jeder muss nach seiner Facon glücklich werden.

    accinca:

    Sicher einer der am meisten verbreiteten falschen Ansichten auf der Welt.
    Jeder Süchtige kann sich einreden es sei Begehren nicht mehr durch Begehren abhängig zu sein.
    Das ist wie wenn sich ein Egoist einreden würde es sei doch egoistisch nicht egoistisch zu sein.
    Solche falsche Vorstellungen durch die der Geist betäubt wird sind wohl so alt wie die Welt.


    Also das extreme Verlangen nach völligem Triebversiegen ist was? Gesund, heilsam, normal, natürlich?
    Aber ein ausgeglichenes Verlangen nach Essen, Partnerschaft, Freundschaft, Geselligkeit, Vergnügen ist ungesund, unheilsam, unnormal?

    accinca:


    Druck kommt niemals durch Entsagung zustande sondern durch triebhafte Begierden.
    Entsagung ist ja nichts anderes als dem Druck der Begierden nicht mehr nachzugeben.


    Wie zum Beispiel die triebhafte Begierde nach Befreiung. Basierend auf der Illusion, dass die Welt der Sinne zutiefst leidverhaftet ist und deshalb gemieden werden müsse, um in irgendwelchen reinen und klaren Gefilden des Geistes ruhig zu verweilen.


    Entsagung löst keine Probleme, die aus überbordenden Begierden entstehen; es unterdrückt sie bestenfalls für eine gewisse Zeit.
    Der unmäßige Wunsch nach Befreiung und Erlösung wird nicht dadurch gestillt, dass man immer mehr praktiziert, sondern nur durch die Erkenntnis, dass der Wunsch selbst eine Verirrung des Geistes ist, der sich weigert zu akzeptieren, dass das eigene Leben und das Leben an sich nie gänzlich in der Kontrolle des Menschen liegen.

    Angeregt durch den Ego-Thread hat sich mir die Frage gestellt, wie ich Koans im Blick auf andere Fragen und Probleme einordnen könnte.


    Spontan fallen mir ein:


    1) Sachfragen (z.B. "Was ist die Hauptstadt von Deutschland?" "Wie hoch ist der Mt. Everest?")
    2) Mathematische Fragestellungen und Probleme.
    3) Scherzfragen


    Ein Koan gehört wohl nicht zu diesen drei Gruppen.


    4) Konzeptfragen, Idee-Fragen, philosophische Fragen etc., z.B.: "Was ist das Gute?" "Welches ist die beste Staatsform?" "Was ist der Sinn des Lebens?"


    Hierzu würde ich auch die Koan-Arbeit zählen. Als ein Nachdenken über und in-sich-Einwirken lassen bestimmter Konzepte und Ideen, möglichst durchdringend, existenziell (d.h. nicht nur abstrakt, sondern sich selbst und das eigene Leben & Handeln einbeziehend).


    Wie sind eure Ansichten dazu? Würdet ihr für das Koan und die Koan-Arbeit eine eigene Gruppe eröffnen, oder es auch hier unterbringen?

    Tai:
    Sôhei:

    Zumindest nicht präzise oder klar in dem Sinne, dass sie auch für einen Außenstehenden nachvollziehbar ist.


    Du sagst es! Genau deshalb geht es ja darum, die Antwort klar zu verwirklichen, nicht aber darum, sie von außen her nachzuvollziehen.


    _()_
    Tai


    Hmm, vielleicht willst du nicht drauf eingehen, vielleicht verstehst du auch nicht worum es mir geht.


    Wie soll den eine klare Verwirklichung vonstatten gehen, wenn sie nicht in der Form und nicht im Inhalt liegt?
    Das klingt mir doch sehr nach Beliebigkeit.

    Tai:


    Ich will mich jetzt nicht am Begriff "präzis" aufhängen, ich verwende ihn hier im Sinne von "genau, klar bestimmt". Gemeint ist, dass ein Koan jeweils eine klare Frage impliziert, auf die es eine klare Antwort gibt und es keineswegs, wie keks weiter oben ausgeführt hat, quasi egal sei, was man antworte, solange es "ohne Grübelei" geschehe, da "jede Antwort richtig und alle Antworten gleich" seien.
    Tai


    Hallo Tai,


    gut, aber genau das war ja der Punkt, den ich in meiner Antwort versucht habe herauszustellen. Wenn die Klarheit von Frage und Antwort nicht darin besteht, dass man einfach nur zwei passende Puzzleteilchen zusammensteckt (egal was sie zeigen), aber auch nicht im diskursiv-begrifflichen Inhalt, dann scheint es mir in der Tat prinzipiell egal, wie die Antwort lautet - denn dann geht es gar nicht um den Inhalt der Worte im Koan und Dokusan, sondern eben um die Beziehung von Lehrer und Schüler sowie die Entwicklung mit Bestätigung, welche aber eben nicht präzise ist. Zumindest nicht präzise oder klar in dem Sinne, dass sie auch für einen Außenstehenden nachvollziehbar ist. Oder doch? Maximal würde sich das Ganze dann etwa auf dem Level der Bewertung eines Deutschaufsatzes durch einen Lehrer bewegen - natürlich gibt es gewisse Kriterien, anhand denen der Lehrer seine Beurteilung fest- und nachvollziehbar macht; aber es bleibt ein ziemlicher Interpretationsspielraum (der durchaus vier Notenstufen ausmachen kann).


    Tai:


    Dass man von dem, was man tut, besser überzeugt sein sollte, ist doch selbstverständlich und gilt sicher für alles, was in jeder wie auch immer gearteten Tradition wann auch immer vollzogen wird.
    Tai


    Hmm, das geht etwas an dem vorbei was ich gesagt habe, oder wie ich es gemeint habe (ich denke du beziehst das auf meinen Satz mit der Selbstzuschreibung). Um z.B. Chemie zu lernen und gute Noten zu bekommen, musst du aber keineswegs von Chemie überzeugt sein oder daran glauben. Überzeugtsein ist bestimmt oftmals hilfreich beim Lernen (wenn es nicht in Dogmatismus abgleitet - "Ausgleich der fünf Kräfte" bietet sich da an). Aber hier ging es mir ja auch darum, ob das Ergebnis, in dem Fall einer Koan-Bearbeitung, welches ja im Zusammenhang mit sonst nicht weiter überprüfbaren Einsichten und Erleuchtungsstufen steht, auch noch eine andere Dimension aufweist als die, welche ihm die Beteiligten selbst beimessen.


    Hallo Tai,
    danke für deine ausführliche Antwort.
    Wirklich weiter hilft sie mir aber nur recht begrenzt. So wie ich deine Antwort verstehe, sind da zwei Komponenten im Spiel:


    a) Die schriftliche Tradition, d.h. es gibt bestimmte "korrekte" Antworten auf bestimmte Fragen. Was dann ja auch zu Büchern geführt hat, in denen diese Antworten gesammelt wurden. Dabei könnte man zwar von präzise sprechen, allerdings wäre das ein reiner Formalismus (im Sinne von: auf Frage x73 passt Antwort y28 etc.).


    b) Die Beziehung zwischen Lehrer und Schüler einschließlich des "Bestätigen". Aber was daran präzise sein soll, kann ich nicht erkennen. Letzten Endes basiert das ja komplett auf dem Glauben und der Selbstzuschreibung beider Akteure an das, was sie da tun.


    Damit will ich jetzt keineswegs Chan/Zen und oder die Koan-Tradition schlecht machen; ich denke das Ganze bewirkt natürlich etwas, und die zum Einsatz kommenden Mittel (Sitzen, Koan, Dokusan etc.) sind funktionierende Bestandteile davon. Aber präzise ist das meiner Meinung nach nicht.

    (Was ja okay ist. Die abendländische Pädagogik betreibt seit etwa 30 Jahren einen enormen Aufwand, um besser zu verstehen, was genau in Lehr-, Lern- und Bildungsprozessen abläuft und wie diese verbessert werden können. Und von präzisen Einsichten ist man da im Grunde genommen auch Lichtjahre entfernt. Man kann rudimentäre Faktoren isolieren, die sich förderlich im Gesamtprozess auswirken: aber eine echte Methode zum Erfolg gibt es nicht.)

    Tai:

    Koanfragen sind präzise Fragen, die eine präzise Antwort implizieren. Dass diese Antwort nicht durch intellektuelles Verstehen bzw. in Form von begrifflichem Denken gefunden werden kann, steht auf einem anderen Blatt.
    Tai


    Hmm, inwiefern sind denn die Fragen und Antworten eines Koans präzise? V.a. wenn man den begrifflich-intellektuellen Sinn weglässt?

    Punk:
    diamant:

    Worum geht es im Buddha-Dharma nach Zen: Dass man sich im Klaren darüber ist, was in einem vor sich geht, wie Gedanken und Gefühle entstehen, und wie man sich "Vorstellungen" macht


    Dann wäre Zen lediglich ordinäre Psychoanalyse. Ich denke Menschen genügen sich nicht als einsame "Soheit". Sie haben den Drang zu transzendieren, zu glauben Teil eines grösseren Ganzen zu sein.


    Jepp, vielen Menschen mag das nicht reichen. Aber ist dem Drang nach Transzendenz nachgeben und zu glauben, Teil eines größeren Ganzen zu sein deiner Ansicht nach etwas, worum es im Zen oder im Buddhismus überhaupt geht?

    Sherab Yönten:

    Ego, Ich und Selbst: Sind diese drei Begriffe aus buddhistischer Sicht ein und dasselbe oder gibt es da Unterschiede und wenn ja welche Unterschiede sind es ?


    Hy Sherab,


    streng genommen ist in der Fragestellung schon ein nicht unwichtiger Fehler versteckt: alle drei Begriffe sind ja gar keine buddhistischen Begriffe. Es gibt aber natürlich Sanskrit-Begrifflichkeiten im Hinduismus und Buddhismus, welche wir für gewöhnlich mit diesen Begriffen wiedergeben.
    Aber jeder Begriff - egal ob Lateinisch, Griechisch oder Sanskrit - ist für sich alleine genommen leer und nichtssagend. Jeder Begriff hat eine Etymologie (die meisten Begriffe, manche sagen sogar alle, gehen auf Eindrücke der fünf Sinne zurück), eine Geschichte seiner pragmatischen Verwendung, und verschiedene maßgebliche Definitonen durch Gelehrte unterschiedlicher Schulrichtungen.
    Kurzum, die Frage ob sie ein und dasselbe sind ist nicht zu beantworten, da weder die deutschen/eingedeutschten Begriffe, noch die buddhistischen Gegenüber jemals eindeutig bestimmt worden sind oder bestimmbar wären.
    Was möglich ist, ist den Umfang des Wissens darüber zu erweitern, sowie klarere Abgrenzungen zu erkennen.

    Mirco:


    Wenn es gut läuft, wird ja gut hingeschaut. Lust gilt es durch Einsicht und Weisheit zu überwinden.
    Richtig ausführt, soll es nach diese Praxis keine sexuelle Lust mehr geben. Jedenfalls steigt die Wahrscheinlichkeit enorm, schätz ich mal.
    Herzliche Grüße


    Ich wiederum denke, das kann zu allem möglichen führen; ansich ist das nämlich ziemlich sinnfrei. Nicht umsonst muss man ja extra immer "Widerlich! Widerlich!" als Gedanken dazurichten (Vis.Mag.). Es handelt dabei eben keineswegs um einen inhärenten Zusammenhang, sondern um eine selbstverpasste Gehirnwäsche. Natürlich kann das auch gegen zu starkes Anhaften helfen, gesund und natürlich ist es m.M.n. aber nicht. Wenn man dann am Ende meint, man wäre besonders einsichtig, weil man den Körper als widerlich erkannt hat, ist man nur genauso verirrt wie jemand, der den Körper als das einzig Wertvolle betrachtet.

    Ich versuche mal ein bisschen zusammenzufassen:


    1)
    Einige hier empfinden die Enthaltsamkeit als förderlich, andere nicht; d.h. die gemachten Erfahrungen bzw. deren Deutung unterscheiden sich.


    2)
    Eine empirischer Studie oder logisch/rational/argumentative Begründung für das Postulat: "Enthaltsamkeit fördert heilsame meditative Versenkung (oder so ähnlich)." fehlt bislang und ist in dieser Tragweite wohl kaum möglich. Die notwendigen Vorarbeiten (Fragebogen, Operationalisierung der Begrifflichkeiten, etc.) wären extrem aufwendig. Studien zur Wirksamkeit von Meditation allein sind ja schon ein umstrittenes Thema.


    3)
    Es gibt die Sichtweise eines formalen Theravada-Buddhismus (was nicht unbedingt das sein muss, was der Buddha lehrte oder wie er sich gewünscht hat, dass sein Erbe weitergetragen wird), dass Enthaltsamkeit eine Notwendigkeit für die völlige Befreiung/Nibbana ist.
    Diese Sichtweise wird v.a. mit Textstellen unterlegt, in denen zur Enthaltsamkeit aufgefordert wird; oder in denen auf die unheilsame Wirkung von Sinnenlust verwiesen wird. Das ist im Rahmen des Theravada-Buddhismus eine wie ich finde durchaus ernstzunehmende Sichtweise, ja vielleicht tatsächlich die einzig mögliche.


    4)
    Zwei Probleme die im Zusammenhang mit dem Thema m.M.n. zu kurz kommen sind:


    a) Der Zeitpunkt und die Dauer der Enthaltsamkeit. Auch bei Akzeptanz der Theravada-Sichtweise einer Notwendigkeit der Enthaltsamkeit wäre zu fragen: wann, bzw. ab wann, ist es richtig enthaltsam zu leben? Wenn wir Enthaltsamkeit als Folge einer Triebversiegung sehen, dann ist es ja gerade widersinnig, die Wirkung zur Ursache machen zu wollen. Richtig wäre dann eine Praxis des achtfachen Pfades, welche zu einer immer geringeren Lust führt, und in einer völligen Enthaltsamkeit resultiert. Aber selbst der aktive Entschluss zur Enthaltsamkeit kann ja zu verschiedenen Zeiten erfolgen. Ich denke hier an das vier-Lebensstadien-Modell des Hinduismus; d.h. aktive Enthaltsamkeit erst in einem fortgeschrittenen Alter. Wer ordiniert muss halt die Enthaltsamkeit geloben egal wie alt er dabei ist; aber für die anderen gibt es ja die auch Möglichkeit zwischen 20 und 80 (oder so), d.h. die Enthaltsamkeit zum richtigen Zeitpunkt in den Weg zu integrieren.


    b) Das zweite Manko ist die Beschränkung auf die reine Enthaltsamkeit an sich. Denn davon abgesehen sind es doch v.a. die lüsternen Gedanken, welche einen vielleicht Unheilsames tun oder Leiden zufügen lassen, bei der Meditation ablenken etc., welche die Sexualität in Verruf bringen. Aber die Gedanken verschwinden ja nicht mit dem Verzicht auf Sex, wie z.B. die Berichte über im Schlaf eijakulierende Mönche bezeugen, oder die ständige Warnung vor der "lustvollen Gestalt der Frau". D.h. die simple Zwangs-Enthaltsamkeit löst wohl in den wenigsten Fällen irgendetwas, was mit Trieben und Lust zu tun hat. Hier gälte es viel genauer und sorgfältiger hinzuschauen.

    Hallo Mirco,


    du fragst nicht nach Grundlagenwissen, sondern konkreten Forschungsergebnissen. Wenn du aber ein wenig Grundlagenwissen hättest, würdest du verstehen, wo die Probleme mit den hier zum Teil geäußerten Behauptungen liegen. Dazu braucht es gar keine Forschung.
    Und nochmal: deine Erfahrungen sind deine Erfahrungen. Aber wenn du daraus ableitest, dass sie allgemeine Gültigkeit infolge einer zugrundeligenden Gesetzmäßigkeit besitzen ist das solange ein Glaube, bis Begründungen erfolgen.


    Die Ausgangsfragestellung ist auch völlig diffus, ebenso wie die Antworten. Um überhaupt mal auch nur in die Richtung von etwas brauchbarem zu kommen, könnte man mit einer Umfrage im Forum beginnen:


    Sexuelle Enthaltsamkeit = kein Sex und keine Selbstbefriedigung
    Beobachtungszeitraum: 15 Tage
    Gedanken an Sex: viel/wenig/mehr/weniger
    Andere Aktivitäten (Sport): mehr/weniger
    Essen: mehr/weniger
    Empfinden bei der Meditation: gleich/besser/schlechter
    In Partnerschaft lebend: ja/nein
    Alter:


    etc. etc. Das ist jetzt nur mal aus den Fingern rausgeschrieben, da einen brauchbaren Fragekatalog zu erstellen kostet viel Zeit; ebenso wie die Auswertung. Und je aussagekräftiger es werden soll, desto geringer der Geltungsbereich. Also nix mit "Enthaltsamkeit ist gut oder schlecht."

    nibbuti:


    für Leute mit viel Staub auf den Augen liegen solche Aussagen bar jeder Überprüfbarkeit
    Grüße


    Ah, ein Klassiker: Ich kann es zwar argumentativ nicht begründen, und sehen oder zeigen kann man es auch nicht, aber es stimmt trotzdem. Und wer es nicht glaubt oder andere Erfahrungen gemacht hat, hat den Dhamma eben falsch verstanden oder noch ´zuviel Staub auf den Augen´.

    Elliot:
    Sôhei:


    Doch, genau deshalb dienen die Erfahrungen christlicher Priester, die im Zölibat leben, aber die angenehmen Verweilungen hier und jetzt nicht kennen, nicht zum Vergleich.
    Elliot


    Aha. Und was willst du mit diesem ominösen Satz und dem Zitat sagen?
    Sorry, muss spekulieren, da du ja nicht schreibst worum es dir geht: Können christliche Priester/Mönche an und für sich nicht diese von dir angeführten Verweilungen erreichen? Oder hat jeder enthaltsam Lebende, egal ob Christ oder Buddhist, der unzufrieden mit der Enthaltsamkeit ist, diese Verweilungen nicht erfahren? Oder endet mit einer Erfahrung dieser Verweilungen jegliches sexuelle Verlangen ein für allemal? Oder oder oder? Was willst du sagen?

    mukti:

    Falls du Notwendigkeit in Bezug zur Befreiung meinst - oder nenne es Erwachen, Erlösung, Erleuchtung - dann ist es natürlich nicht absurd, jede Art von Trieb, oder Sinnesbefriedigung, nicht zu ergreifen. Andernfalls versteht man überhaupt nicht worum es dabei geht. Das funktioniert halt nur mit gleichzeitiger intensiver Praxis, weil es dann zu einem höheren Glück und Erkennen kommt, das Sinnesbefriedigung uninteressant werden lässt. Verdrängung ist nicht anzuraten, und diese Art Enthaltsamkeit ist z.B. als Laie auch nicht gefordert.


    Schon wieder, "man". Du magst ja eine Vorstellung von Erwachen etc. zu haben, für die das zutrifft. Richtig müsste dein Satz dann aber lauten: "Dann versteht man überhaupt nicht, worum es mir bei meiner Vorstellung von Erwachen etc." geht.
    Nimmst du noch Nahrung zu dir? Dann wird das aber nix mit deinem Erwachen. Denn Hunger ist ein Trieb, den darf man dann wohl nicht ergreifen...
    Auch hier finde ich wieder deine Rigorosheit beängstigend: "jede Art von Trieb, Sinnesbefriedigung, nicht zu ergreifen." Sollte nicht weises Erwägen auch ein Teil des Dhamma sein? Warum immer dieses totalitären Aussagen? Verweigerst du dir und Menschen die dir nahestehen ärztliche Hilfe? Weil, ist ja ein Trieb der dahintersteckt... Warum nicht gleich Schluss machen? Ach so ja, dann kommt ja die böse Wiedergeburt.