Bevor ein so großes Projekt initiiert werden konnte, führten die Forscher, immer über den Zeitraum von einer Woche, mehrere Schulungsprogramme für Meditationsanfänger durch, die über altruistische Liebe und Empathie meditierten. Diese Vorstudie konnte bereits aufzeigen, dass die meisten Empathie beim Anblick des Leids eines anderen Menschen empfinden können und dass dieses Leid systematisch mit ausschließlich negativen Gefühlen wie Schmerz, Hilflosigkeit, Ängstigung und Entmutigung verbunden wird. Die neuronale „Signatur“ der Empathie ähnelt der von negativen Empfindungen. Allgemein ist bekannt, dass der bei Empathie mit dem Schmerz eines Anderen aktivierte Bereich des neuronalen Netzes (vordere Inselregion und Gürtelwindung), auch bei eigenem Schmerzerleben reagiert.
Tania Singer und ihre Kolleginnen haben etwa 100 Themen auf zwei Gruppen aufgeteilt. Eine Gruppe meditierte über Liebe und Mitgefühl, eine andere über Empathie. Die ersten Ergebnisse zeigten am Ende einer Meditationswoche über altruistische Liebe und Mitgefühl, dass die Probanden eine sehr viel positivere und liebevollere Wahrnehmung bei Videoauszügen mit leidenden Menschen zeigten. „Positiv“ bedeutet aber nicht, dass die Probanden das Leiden als annehmbar empfanden, sondern dass sie mit konstruktiven Geisteszuständen wie Mut, mütterlicher Liebe und Hilfsbereitschaft reagierten und nicht mit negativen Geisteszuständen, wie Hilflosigkeit, Abwehr, Entmutigung und Vermeidung.⁸
Darüber hinaus wurde Empathie nicht mehr systematisch mit einer negativen und störenden Wahrnehmung fremden Leids verbunden. Diese Veränderung wurde auf die Tatsache zurückgeführt, dass die Probanden zugewandte Empfindungen für den Nächsten für alle Situationen geübt hatten. Sie waren so in der Lage, dem Anderen in einer schwierigen Situation mit Liebe und Mitgefühl zu begegnen und Resilienz angesichts des Leidens des Anderen zu entwickeln. Normalerweise findet Resilienz beim Patienten statt; nach der Definition von Boris Cyrulnik handelt es sich dabei um die Fähigkeit zu überleben und ein Trauma zu überwinden, indem innere Ressourcen aktiviert werden.⁹ Unter Resilienz verstehen wir hier, die Fähigkeit des Probanden, sein ursprüngliches Hilflosigkeitsgefühl zu überwinden und es durch aktive Anteilnahme und Mitgefühl zu ersetzen. Die Daten der gemessenen Hirnaktivitäten bei den Probanden haben ebenfalls gezeigt, dass das Areal des neuronalen Netzes für das Verbundenheitsgefühl und das Mitgefühl aktiviert war, was in der Gruppe, die nur über Empathie meditierte, nicht der Fall war. […]