Buddhaghosa:
Also verstehst du, Simo, hier "und wieweit auch immer dieses Gebiet reicht, soweit hat er es leibhaftig verwirklicht" als Meisterschaft der jhana? Dies ist sicherlich eine Möglichkeit diese Stelle zu intepretieren. Kannst du dies noch weiter untermauern? Bisher bin ich mir noch nicht sicher, wie du zu diesem Schluß gekommen bist.
Hallo Florian,
ich habe mir verschiedene Suttas angesehen (MN 6.1; 70.1, SN 12.68; 12.70; 48.53; AN 4.87, 4.90; 6.46; 8.72;9.43; 9.45; 10.9. (ich liste Auszüge unten auf) in denen der Ausdruck "kāyena phusitvā viharati" - "er verweilt mit dem Körper erlangt/berührt/durchdrungen habend " vorkommt.
Als interessant habe ich drei Stellen gefunden, welche diesen Ausdruck in einem anderen Kontext, als dem der 8 Vertiefungen vortragen (in deren Kontext immer nur gesagt wird, dass jemand sie mit dem Körper entweder durchdrungen oder nicht durchdrungen hat) und das sind: SN 12.68, 48.53 und AN 6.46. Hier die betreffenden Stellen:
SN 12.68:
Gerade so, Verehrter, wie wenn da am Wege durch eine Wildnis ein Brunnen [212] wäre. Es wäre da aber kein Wasserkrug mit einem Seil. Und es käme da ein Mann herbei, von Hitze gequält, von Hitze erschöpft, ermüdet, lechzend, durstig. Der erblickte den Brunnen, und er wüsste auch es ist Wasser drinnen; aber er vermöchte es doch nicht mit dem Körper zu berühren.
48.53:
"Und ferner noch, ihr Mönche, erkennt ein übender Mönch die fünf Fahigkeiten. Zwar ist er darüber, was ihr Ausgang ist, was ihr Höchstes ist, was ihre Früchte sind, was ihr Endziel ist, noch ohne leibhaftige Erfahrung, aber weise durchbohrend sieht er sie. Auch das ist, ihr Mönche, ein Standpunkt, auf Grund dessen ein übender Mönch, der noch auf der Stufe des Übenden steht, erkennen kann: 'Ich bin ein Übender'."
AN 6.46:
Darum, ihr Brüder, soll man also bestrebt sein: 'Obzwar wir selber gesetzeseifrig sind, wollen wir dennoch den sich vertiefenden Mönchen unser Lob spenden.' Und warum? Weil man, ihr Brüder, in der Welt gar selten solch außerordentliche Menschen antrifft, die das Todlose Element (amatam dhātum; d.i. Nibbāna) leibhaftig erfahren haben.
Daraus wird m.E. deutlich, dass damit ein Umstand bezeichnet wird, in dem Jemand eine Sache (Vertiefungen, Wasser in einem Brunnen, die fünf Fähigkeiten, Nibbāna,) zwar in gewisser Weise kennt aber es nicht vollkommen in jeder Hinsicht verwirklicht hat, er ist dessen nicht "leibhaftig" - was in meinen Augen eine gute Wiedergabe für kāyena phusitvā ist. Ein weiterer Anklang ist, dass etwas (nicht) jetzt in diesem Leben, "mit diesem Körper" stattgefunden hat, was eine weitere Bedeutungsschattierung zum vorhergehenden hinzufügt. Eine einfache Analogie wäre z.b. zwischen einem "Braungurt" im Karate und einem "Schwarzgurt" im Karate. Der Braungurt weiß, was der Schwarzgurt kann und was dessen Zustände sind, weil er sie selbst in gewisser Weise kennt, aber er hat sie nicht "leibhaftig" erlangt, wie der Schwarzgurt.
Ich habe Wen's Studie zum "sukkhavipassaka" nicht gelesen bin mit aber bewusst, dass dies in der Theravada-Tradition so gesehen wird. In meinen Augen ist das allerdings nicht kanonisch und kann nur in den Kanon hineingelesen werden, z.B. in das Susima Sutta. Dass aber auch der paññavimutto nicht gänzlich ohne Jhana Erfahrung ist, wenngleich er auch nicht alle 8 Jhanas "leibhaftig" im oberen Sinne verwirklicht hat, habe ich versucht oben aufzuzeigen. Das heißt aber nicht, dass er sie nicht erlangen könnte, wenn er es wollte, da ihm die Triebe allerdings schon versiegt sind, hat er wohl kein Bedürfnis mehr danach.
Buddhaghosa:
ich habe hier ja schon immer die Meinung vertreten, dass man, wenn man offen an die Sache herangeht, im Buddhismus, Theravada, Palikanon, Suttanta etc. mit Widersprüchlichkeiten leben muss
z.B. der Wiederspruch zw. MN70 und AN 9.43 entsteht nicht, wenn man sich nicht auf Ausschließlichkeiten festlegt.
Man erlaube mir noch ein paar ganz persönliche Gedanken, für die ich keine ausgefeilte Argumentation habe:
Der Glaube an einen "sukkhavipassaka" könnte mit dem Aufkommen des Abhidhamma entstanden sein, dessen ausgefeilte Kategorisierungen und Schematisierungen vor allem die intellektuelleren Gemüter angesprochen haben dürfte. Als der Buddhismus erstarkte und sich mehr und mehr auch im diskursiven Austausch mit andern Philosophien Indiens befand erlangte wohl auch der Abhidhamma ein entsprechend großes Prestige und man versuchte, dies auch durch die Suttas zu untermauern, wodurch unweigerlich Wiedersprüche entstanden, da ein "sukkhavipassaka" wohl keine Idee des frühen Buddhismus war. Das sind natürlich nur Spekulationen.
Lasst mich wissen, was ihr denkt.
Liebe Grüße.