Ist es nicht viel eher möglich überhaupt nichts zu begehren als ewig zu leben? Ich finde schon.
Natürlich, wenn du es so ausdrückst, dann würde ich zustimmen. Nur ich denke, einen wichtigen Teil hast du Schlitzohr weggelassen:
Die Erfahrung des ewigen Lebens macht kein Sterblicher, die Erfahrung etwas nicht zu begehren macht jeder
Das ist korrekt, jedoch steht das "Endziel" (davon reden wir ja) in einem andauernden Zustand des Nichtbegehrens bzw. der totalen Auslöschung. Dies bedeutet, dass es unmöglich ist (da verlöscht), dass es Begehren auch nur der kleinsten Art geben kann. Dies halte ich für unrealistisch und genau diese Erfahrung macht eben keiner.
Fazit: Die Erfahrung des Himmelreichs und die Erfahrung der vollständigen Verlöschung macht keiner (im doppelten Sinne ). Darum sind für mich beide Zustände Wunschdenken. Ich würde sogar noch zusätzlich sagen, dass der Buddhist in einer misslicheren Lage als der Christ ist, weil er, wie du ja sagst, weiß, wie sich Nichtbegehren anfühlt...
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Mit "überhaupt nichts zu begehren" war natürlich gemeint dass es auch ein andauernder Zustand ist, das Verlöschen des Begehrens. Deshalb habe ich das als buddhistisches Ziel ja auch mit dem christlichen Ziel des ewigen Lebens verglichen und die Frage gestellt welches realistischer erscheint.
Vom ewigen Leben kann man kein Stückchen erfahren, es ist eine Erfahrung die man sich zur Gänze nach dem Tod erhofft. Nicht-Begehren ist dagegen ein bekannter Zustand. Z.B.wenn jemand völlig frei ist von einer Leidenschaft, die einem anderen schwer zu schaffen macht.
Aber Glück als ein wunschloser Zustand ist auch bekannt, wenn ein Wunsch in Erfüllung geht. Freilich dauert der Zustand nicht lange an:
Zitat Wonach du sehnlich ausgeschaut,
Es wurde dir beschieden.
Du triumphierst und jubelst laut:
„Jetzt hab ich endlich Frieden!“
Ach, Freundchen, rede nicht so wild,
Bezähme deine Zunge!
Ein jeder Wunsch, wenn er erfüllt,
Kriegt augenblicklich Junge.
Wilhelm Busch
Wenn also kein Wunsch mehr vorhanden ist, tritt dieser Frieden ein. Da ist es doch naheliegend dass der wunschlose Zustand an sich erstrebenswert ist, um aus diesem Kreislauf Wunsch/Erfüllung - Wunsch/Erfüllung usw. herauszukommen. Dazu ist der achtfache Pfad da, sich schrittweise von den begehrten Objekten loszulösen.
Wie gesagt ist das für mich weit mehr nachvollziehbar als ein ewiges Leben bei Gott oder in einem Himmel, nicht nur theoretisch sondern mit jeder Loslösung erfährt man eine Erleichterung und Befreiung, Grund genug so weiterzumachen. Es ist auch nicht ungewöhnlich dass man dann und wann einen Zustand restlosen Glücks hat, wo alle Wünsche schweigen.
Etwas davon hat Schopenhauer so ausgedrückt:
Zitat Alles Wollen entspringt aus Bedürfniß, also aus Mangel, also aus Leiden. Diesem macht die Erfüllung ein Ende; jedoch gegen einen Wunsch, der erfüllt wird, bleiben wenigstens zehn versagt: ferner, das Begehren dauert lange, die Forderungen gehen ins Unendliche; die Erfüllung ist kurz und kärglich gemessen. Sogar aber ist die endliche Befriedigung selbst nur scheinbar: der erfüllte Wunsch macht gleich einem neuen Platz: jener ist ein erkannter, dieser noch ein unerkannter Irrthum. Dauernde, nicht mehr weichende Befriedigung kann kein erlangtes Objekt des Wollens geben: sondern es gleicht immer nur dem Almosen, das dem Bettler zugeworfen, sein Leben heute fristet, um seine Quaal auf Morgen zu verlängern. - Darum nun, solange unser Bewußtseyn von unserm Willen erfüllt ist, solange wir dem Drange der Wünsche, mit seinem steten Hoffen und Fürchten, hingegeben sind, solange wir Subjekt des Wollens sind, wird uns nimmermehr dauerndes Glück, noch Ruhe. Ob wir jagen, oder fliehen, Unheil fürchten, oder nach Genuß streben, ist im Wesentlichen einerlei: die Sorge für den stets fordernden Willen, gleichviel in welcher Gestalt, erfüllt und bewegt fortdauernd das Bewußtseyn; ohne Ruhe aber ist durchaus kein wahres Wohlseyn möglich. So liegt das Subjekt des Wollens beständig auf dem drehenden Rade des Ixion, schöpft immer im Siebe der Danaiden, ist der ewig schmachtende Tantalus.
Wann aber äußerer Anlaß, oder innere Stimmung, uns plötzlich aus dem endlosen Strome des Wollens heraushebt, die Erkenntniß dem Sklavendienste des Willens entreißt, die Aufmerksamkeit nun nicht mehr auf die Motive des Wollens gerichtet wird, sondern die Dinge frei von ihrer Beziehung auf den Willen auffaßt, also ohne Interesse, ohne Subjektivität, rein objektiv sie betrachtet, ihnen ganz hingegeben, sofern sie bloß Vorstellungen, nicht sofern sie Motive sind: dann ist die auf jenem ersten Wege des Wollens immer gesuchte, aber immer entfliehende Ruhe mit einem Male von selbst eingetreten, und uns ist völlig wohl. Es ist der schmerzenslose Zustand, den Epikuros als das höchste Gut und als den Zustand der Götter pries: denn wir sind, für jenen Augenblick, des schnöden Willensdranges entledigt, wir feiern den Sabbath der Zuchthausarbeit des Wollens, das Rad des Ixion steht still.
WWWV.1, 3.38
Also erscheint mir das buddhistische Ziel des Erlöschens von Begehren realistischer als bei einem Gott- und Seelenglauben von Zweifeln geplagt zu werden, ob es etwas so gänzlich unbekanntes überhaupt gibt. Da sehe ich auch einen Unterschied zwischen Religion (Glaube) und Philosophie (Weisheit).
So jetzt hab ich nochmal versucht es zu erklären, besser kann ich es wahrscheinlich nicht.