Beiträge von Leonie im Thema „Über Viktor Frankl, Gedanken zur Zenpraxis, zum Thema „freier Wille“ und über die vier großen Gelübde“

    Honin

    Hier gibt es noch ein Ton-Dokument von Viktor Frankl.

    Landsberger Zeitgeschichte: Tondokument - Viktor Frankl


    Nun zu deinen Fragen:


    Zitat

    Wer oder was trug und trägt eigentlich die Verantwortung, für das was tgl. noch immer auf der Welt, in irgendeiner Form passiert?


    Warum ist der Mensch so grausam und warum auch auf der anderen Seite wieder so hilfreich, wie es sich schon oft in Krisenzeiten gezeigt hat?


    Warum ist der Eine so und die Andere so?


    Und woher kommt das alles?


    Unabhängig davon ob es sich definiere lässt oder nicht, was ist es, woher kommt es, warum, wieso, weshalb?


    Gibt es einen „Willen zur freien Wahl“ oder nicht?


    Und was ist dann mit dieser Welt, die wir einmal geschmeckt haben?


    Wo ist der Ochse dann?


    Im Rinzai Zen werden auch Fragen gestellt - auch solche Fragen nach dem Sinn, der Schuld/Verantwortung, und nach dem warum - und da wirst du dann mit deiner Frage auf das Kissen zurück geschickt und sollst die Antwort das nächste Mal vorbei bringen. Nächste Woche oder eben zum nächsten Sesshin, jedenfalls im nächsten Dokusan. Nehmen wir mal die Frage "Woher kommt das alles?

    Das sind ja Koan - Fragen, die aus der Tiefe kommen - wie die Frage Buddhas nach dem Leiden, den Ursachen des Leidens und dem Weg, der zum Auflösen des Leidens führt.

    Und die Bodhisattva Gelübde kommen aus dieser Quelle.


    In einem Teisho zum ersten Bodhisattva-Gelübde shujo muhen seigando heißt es:

    Zitat

    Angesichts der Unermesslichkeit des Bodhisattva-Gelübdes ist es wichtig zu verstehen, dass es in Wirklichkeit niemanden zu retten gibt. Das ist die tiefe Unterweisung des Diamant-sutras. Es gibt in der buddhistischen Unterweisung widersinnige Dinge, aber diese Paradoxe haben eine befreiende Wirkung. Wenn wir nicht verstehen, dass es kein Wesen zu retten gibt, können wir uns unendlich schuldig fühlen, was unseren Gleichmut stören kann, denn diese riesige und fast unendliche Aufgabe, alle Wesen zu retten, ist eine Quelle des Leidens für den Bodhisattva. Ein Bodhisattva leidet nicht mehr aufgrund seines Egos, sondern aus Mitgefühl. Um dieses Leiden aus Zuneigung zu lindern, braucht der Bodhisattva Weisheit. Er erinnert sich, dass es wegen des Nicht-Egos, wegen der Leerheit kein Wesen und kein Ego zu retten gibt. Alle Wesen sind bereits gerettet oder befreit, denn sie sind Leerheit, sie sind ohne Ego.

    Das Erste der grossen Gelübte des Bodhisattva - ABZE - Association Bouddhiste Zen d'Europe

    Das Ego, dessen Quelle der Durst ist, versiegt mit diesem. Die empirische Person, der puggala, verschwindet nicht notwendig mit ihm - wenn seine Motivation nicht länger eine egoistische oder gemischte ist, sondern eine rein altruistische (selbst-lose). Ein nicht-egoistisches Ego mag ein Widerspruch in sich sein, doch für die Sinne eines gewöhnlichen Menschen ist da kein Unterschied. Das sieht aus wie ein Ego, hört und fühlt sich an wie eines, riecht und schmeckt wie eines. Was lehrte da eigentlich 45 Jahre lang den Dharma?

    Ob da dann einer sich als selbstloser Bodhisattva glaubt und damit als empirische Person den Dharma lehrt, ist hier nicht von Belang - aber die Frage, was da einer 45 Jahre gelehrt hatte, oder was da den Dharma gelehrt hatte, beantwortet das Diamant-Sutra in Abschnitt 7. In Abschnitt 25 wird auch darauf verwiesen, dass es keine Wesen zu retten gibt - die Bodhisattva-Gelübde also im Licht des Diamant-Sutras keineswegs eine Aufgabe für altruistische Geister sind.


    Aber es ging hier, nur mal zur Erinnerung - um den Punkt: das Ego zu nutzen, nicht abschneiden. Der Gegensatz ist ja eine ulkige Konstruktion und unterstellt, man könne da was abschneiden und da wäre es dann doch besser man nutzt dieses Ding.

    Vom Nutzen zu reden ist dann aber auch wieder eine instrumentelle Sichtweise und wer nutzt denn da wen oder was?


    Der Pali-Kanon ist hingegen recht eindeutig, was das Ich oder Ego anbetrifft. Man wendet sich ab.

    Samyutta Nikaya 22.51-60

    Zitat

    18.-22. "Daher, o Mönche: was es irgend an Körperlichkeit gibt - an Gefühl - an Wahrnehmung - an Gestaltungen - an Bewußtsein gibt, sei es vergangen, künftig oder gegenwärtig, eigen oder fremd, grob oder fein, gewöhnlich oder edel, fern oder nahe - von jeder Körperlichkeit - jedem Gefühl - jeder Wahrnehmung - allen Gestaltungen - jedem Bewußtsein gilt: 'Dies ist nicht mein, das bin ich nicht, das ist nicht mein Selbst!' So hat man dies der Wirklichkeit gemäß mit rechter Weisheit zu betrachten.


    23. So erkennend, o Mönche, wendet sich der erfahrene, edle Jünger von der Körperlichkeit ab, er wendet sich ab vom Gefühl, er wendet sich ab von der Wahrnehmung, er wendet sich ab von den Gestaltungen, er wendet sich ab vom Bewußtsein. Abgewandt wird er entsüchtet. Durch die Entsüchtung wird er befreit. Im Befreiten ist die Erkenntnis: 'Befreit bin ich. Versiegt ist die Geburt, vollendet der Heilige Wandel, getan das Werk, nichts Weiteres nach diesem hier' - so erkennt er."

    Das Ego nutzen, nicht abschneiden

    Darum ging es. Und Igor07 - da gebe ich dir völlig recht,für den normalen Menschen gibt es keine oder sehr wenige Optionen - deshalb machen sie ja das, was so ansteht und stecken den Kopf in den Sand.


    Man kann auch sagen "Den Arm nutzen, nicht abschneiden" - aber der Arm gehört mir nicht und er ist nicht ich, denn er ist nicht "mein" Arm, sondern nur ein Arm. Er lässt sich eben auch nicht einfach so nutzen. Und was dann, wenn er nutzlos geworden ist? Soll er dann abgeschnitten werden?

    Auch das Ego bin nicht ich und es gehört mir nicht und es ist nicht "mein" Ego. Doch sollte es auf keinen Fall unterschätzt werden. Es ist mein Lehrer. Es lehrt mich Wachsamkeit, Vorsicht und Demut.

    In meiner Arbeit mit Demenzkranken habe ich festgestellt, dass es nicht reicht wenn nur der Körper Durst hat. Wenn das Ich nix meldet, dann trocknet der Körper aus.

    Der Körper braucht dann natürlich auch die mentalen Funktionen, wie Wille, damit sich das Bedürfnis äußern kann. Oder es braucht Beine, Arme etc. und andere körperliche Funktionen, damit überhaupt was getrunken werden kann. Daher braucht es sogar einen anderen, der z.B. eine Infusion setzen kann, um Flüssigkeit intravenös zuzuführen. Oder der darauf achtet, dass die zu Pflegenden ausreichend trinken, weil das Durstgefühl schwindet. Es ist eben ein recht komplexes Phänomen, nama-rupa - das Körperlich-Geistige.

    Das "ich" ist, wie auch das "Du" eine identifizierende Vorstellung von einer körperlich-geistigen Einheit, die aber nicht eigenständig IST oder aus sich selbst heraus lebt. Gerade wegen diese fehlenden Eigenständigkeit und diesem Angewiesensein hinsichtlich der Bedürfnisse und seiner Befriedigung, d.h. ich brauche für "mein" Glück das Glück der anderen, hat diese Ich-Vorstellung eine wichtige Funktion, denn sie dient dem Zweck, zwischen heilsamen und unheilsamen Ansichten, Willen und Taten zu unterscheiden und so dem Pfad angemessen zu folgen, bis es dann fallen gelassen werden kann. So lässt sich dann aber auch erkennen, was heilsam und was unheilsam ist und welche Menschen zu meiden sind und welche als Freunde geeignet sind.

    Zusammengefasst: es gibt das Körperlich-Geistige als funktioneller Prozess und eine Verbindung beider über das Bewusstsein, also eine Erfahrung von Ich, Mein, Selbst (mein Körper, mein Wille, meine Taten, meine Gedanken etc.) und das Ich-Bewusstsein (oder Ego) ist dann eine Instanz, die durch den Pfad und z.B. die Achtsamkeitsübungen sich entfalten kann und die Bedingungszusammenhänge soweit erkennt, dass es das Ich als Illusion enttarnen kann und sieht, dass alles nur ein sich wechselseitig bedingender Prozess in einem gesamten Gefüge ist.

    Solange das Ich mit Überlebensgedanken befasst ist, wird es seine Selbst-Vorstellungen pflegen und sich gegen diesen Prozess auch wehren.

    Klar, man braucht die Ego-Strukturen im Alltag , einfach um zu überleben.

    Das braucht niemand. Aber es kommt dann doch hin und wieder Angst auf oder Wut, Ärger oder was auch immer. Und dann kann es sein, dass man doch in alte Muster zurück fällt. Doch dann erkennt man sie und greift sich ans Hirn - .

    Wie du schon aus dem Kernholz zitiert hast - in diesen Situationen, die Buddha aufgezählt hat, Krankheit, Alter, Sterben, mit Unlieben zusammen sein, mit Lieben getrennt sein, entsteht dukkha durch das Ergreifen bzw. Identifikation als Mein oder Mir. Dabei ist einfach nur der Körper durstig und will Wasser trinken.

    Es gibt kein Ego. Aber es gibt die (falsche) Vorstellung von Ich, Mein und Selbst - und diese falsche Vorstellung wird genährt durch die fünf skandhas - Körper, Wahrnehmung, Gefühl, Bewusstsein, Geistobjekte (sankhara) . In MN 9 wird gezeigt, dass Gier, Hass und Unwissenheit es sind, die diese Illusion am Leben erhalten und daher ist es Unsinn, wenn man meint, man könne die Illusion nutzen, um Illusion zu beenden. Unwissenheit wird dadurch nur aufrecht erhalten.


    Zitat

    70. "Und was sind die Triebe, was ist der Ursprung der Triebe, was ist das Aufhören der Triebe, was ist der Weg, der zum Aufhören der Triebe führt? Es gibt drei Triebe: den Sinnestrieb, den Werdenstrieb und den Unwissenheitstrieb [10]. Mit dem Ursprung von Unwissenheit ist der Ursprung der Triebe. Mit dem Aufhören von Unwissenheit ist das Aufhören der Triebe. Der Weg, der zum Aufhören der Triebe führt, ist eben dieser Edle Achtfache Pfad; nämlich Richtige Ansicht, Richtige Absicht, Richtige Rede, Richtiges Handeln, Richtige Lebensweise, Richtige Anstrengung, Richtige Achtsamkeit, Richtige Konzentration."

    71. "Wenn ein edler Schüler so die Triebe verstanden hat, den Ursprung der Triebe, das Aufhören der Triebe, und den Weg, der zum Aufhören der Triebe führt, dann gibt er die Neigung zur Begierde vollständig auf, er vernichtet die Neigung zur Abneigung, er rottet die Neigung zur Ansicht und zum Dünkel 'Ich bin' aus, und indem er die Triebe aufgibt und wahres Wissen erweckt, macht er Dukkha hier und jetzt ein Ende. Auch auf jene Weise ist ein edler Schüler einer mit Richtiger Ansicht, dessen Ansicht geradlinig ist, der vollkommene Zuversicht in Bezug auf das Dhamma hat und bei diesem wahren Dhamma angelangt ist."

    Majjhima Nikāya 9