Wie entstehen Erfahrungen bei der Meditation?

  • Hallo,


    immer wieder liest man davon, dass viele Dinge nicht intellektuell erfassbar sind, sondern durch Erfahrung z.B. bei der Meditation. Nun versuche ich bei der Meditation Achtsamkeit zu üben. Gedanken lässt man ja wie Wolken am Himmel ziehen und versucht mit dem Atem als Anker stets keinen Gedanken nachzugehen. Nun frage ich mich, wie dann diese Erfahrung zustande kommt? Kommt sie tatsächlich während der Meditationsübung oder ist es generell und somit jenseits von einzelnen Übungen zu verstehen? Denn wenn ich eine Einsicht hätte, so würde ich dieser ja bei der Meditation nicht nachgehen, sondern sie ziehen lassen. Somit stelle ich es mir schwer vor, eine Erfahrung während der Meditation zu haben.


    Danke!

  • Hi & willkommen Loslassen.


    Eine Erfahrung kommt während die Erfahrung auftritt zustande. Eine Einsicht, die aufgrund einer solchen Erfahrung aufkommt, entsteht beim Aufarbeiten der Erfahrung meist im Nachhinein.


    Was die Achtsamkeit angeht, das wird oft mit Nichtdenken oder Gedanken-ziehen-lassen verwechselt. Der Buddha lehrte richtige (samma) Achtsamkeit basiert auf vier Dingen: Körper, Gefühle, Gemütszustand & Geistobjekte (Gedanken). Er lehrte nicht Achtsamkeit basiert auf Vergesslichkeit.


    Grüße


    Trage nicht das Weltgetöse in die stille Einsamkeit
    Such den Wald, daß er Dich löse von der Krankheit unsrer Zeit.

  • nibbuti:


    Eine Einsicht, die aufgrund einer solchen Erfahrung aufkommt, entsteht beim Aufarbeiten der Erfahrung meist im Nachhinein.


    Dies gibt es auch, aber dann ist meiner Ansicht nach die Einsicht nicht mehr intuitiv. Gerade die Hellblickserkenntnisse steigen unmittelbar auf ohne Aufarbeitung. Ganz wie Buddha sagt: Zuerst entsteht die Wahrnehmung, dann die Erkenntnis. Dennoch stimme ich nibbuti teilweise zu, da es wichtig ist, über die Erkenntnisse nachträglich noch einmal zu reflektieren.


    Gruß
    Florian

  • Eine spannende Frage - hat mich auch immer interessiert. Man könnte darauf wie immer antworten "finde es selbst heraus". Andererseits ist es keine Geheimlehre. In der Buddhismus-Ecke des Buchladens findet man zahlreiche Erklärungen großer Meditationslehrer, von Theravada bis Vajrayana, von Medizinern bis Psychologen.


    Die spirituelle Antwort (neben diversen wissenschaftlichen) für mich ist zur Zeit: über die Meditation erfahre etwas über die Natur des Geistes. Bedeutet: mir wurde mit der Zeit klarer, dass hinter meinen Gedanken und Emotionen noch etwas anderes ist. Manche sprechen hier vom Beobachter. Etwas in mir, das die Gedanken und Emotionen beobachtet, wie sie kommen und gehen ohne selbst Teil davon zu sein. Das ist an sich natürlich auch ein Gedanke. Aber es hat auch niemand verboten, während der Meditation Gedanken über das gerade Erlebte zu haben. Und hinterher sowieso.


    Je mehr ich den Beobachter bemerkte, desto mehr empfand ich eine ungewohnte Ruhe und Gelassenheit. Ich bekam zum ersten Mal eine Idee davon, dass mein Wesenskern nicht der Gedankenschwall ist, den ich bei der Meditation beobachten kann. Sondern etwas, das ohne meine Bewertungen existiert. Da ich nicht erleuchtet bin, kann ich nur ahnen, dass dieser Teil von mir jenes Ego-lose Selbst ist, das letztlich auch Leid überwindet. Das hätte man mir vorher sagen kann, ich hätte es intellektuell verstanden. Aber es zu erfahren ist etwas anderes.


    Der wissenschaftliche Ansatz ist umfangreich, ich kenne da nur Ausschnitte. Neue Nervenbahnen werden entwickelt, die normalerweise kurze Leitung zwischen äußeren reizen und emotionaler Reaktion wird verlängert. Das unterstützt mindestens mal die Aussage, dass die Einsicht beim Meditieren Zeit braucht. Denn auch die neuen Nervenverknüpfungen brauchen Zeit um sich zu festigen.

  • Loslassen:

    Hallo,


    immer wieder liest man davon, dass viele Dinge nicht intellektuell erfassbar sind, sondern durch Erfahrung z.B. bei der Meditation. Nun versuche ich bei der Meditation Achtsamkeit zu üben. Gedanken lässt man ja wie Wolken am Himmel ziehen und versucht mit dem Atem als Anker stets keinen Gedanken nachzugehen. Nun frage ich mich, wie dann diese Erfahrung zustande kommt? Kommt sie tatsächlich während der Meditationsübung oder ist es generell und somit jenseits von einzelnen Übungen zu verstehen? Denn wenn ich eine Einsicht hätte, so würde ich dieser ja bei der Meditation nicht nachgehen, sondern sie ziehen lassen. Somit stelle ich es mir schwer vor, eine Erfahrung während der Meditation zu haben.


    Danke!


    Erfahrungen bei der Meditation entstehen durch Meditation.
    Lies weniger und meditier mehr.


    Zitat

    ...Somit stelle ich es mir schwer vor, eine Erfahrung während der Meditation zu haben. ...


    Dann stelle es dir nicht vor, dann wird es schon einfacher.


    Möchtest du meditieren oder möchtest du Erfahrungen machen? Und wenn du Erfahrungen machen möchtest, welche denn?


    Hab doch einfach Geduld und meditier einfach.

  • Hallo Loslassen,
    wenn Du Erfahrungen machen möchtest, wirst Du sie sicher versäumen, weil diese ungebeten kommen und nur, wenn es im Geist ganz still ist. Dazu braucht es nicht einmal die üblicherweise verstandene Meditation. Ich hatte für mich wichtige Einsichten während der Arbeit im Büro, weil ich hochkonzentriert gearbeitet hatte, dann z. B. zum Kopierer ging und auf die Kopien wartete - und plötzlich war ich sie da. Ein anderes Mal beim stundenlangen Einsortieren umfangreicher Post :lol: .


    Es ist ähnlich wie mit dem Träumen. Kannst Du bestimmen, was Du träumst? Hat jemand noch nie seine eigenen Träume erinnert, wie willst Du ihm erklären, wie das funktioniert? Und wenn Du es kannst, meinst Du, er begreift es, ohne selbst je geträumt zu haben?
    Ich vermute in meiner laienhaften Kenntnis, dass wir eben nur Zugang zu bestimmten Gehirnbereichen bekommen, wenn die Grenzen dazu durch Hingabe geöffnet sind. Also immer wieder loslassen, hingeben, aufgeben, aushalten unangenehmer Gefühle, innehalten, reflektieren usw. - das ist mein Tipp.
    _()_ Monika

  • Buddhaghosa:

    Gerade die Hellblickserkenntnisse steigen unmittelbar auf ohne Aufarbeitung.


    Hi Florian, was meinst Du mit "Hellblickserkenntnisse" ?

  • Ji'un Ken:
    Loslassen:

    Hab doch einfach Geduld und meditier einfach.


    Das mache ich auf jeden Fall lieber Ji'un Ken. Ich war nur eben neugierig, wie es bei anderen hier ist. Aber dann befolge ich deinen Rat, übe ich mich in Geduld und übe weiter...

  • Hallo Matthias,

    Matthias65:
    Buddhaghosa:

    Gerade die Hellblickserkenntnisse steigen unmittelbar auf ohne Aufarbeitung.


    Hi Florian, was meinst Du mit "Hellblickserkenntnisse" ?


    Hellblick ist eine der deutschen Übersetzungen von vipassana. Und in der Satipatthana-Meditation soll der Hellblick (vipassana) entfaltet (bhavana) werden. Diese Entfaltung geschieht entlang der Hellblickserkenntnisse (vipassana nana). Sie gehen zurück auf das Rathavinita Sutta und wurden dann in verschiedenen Schriften, z.B. Patisambhidhamagga, Vimuttimagga etc., detaillierter beschrieben. Dem Knochen wurde Fleisch beigegeben.


    Einen Überblick über die Darstellung in verschiedenen Werken und wie sie mit den vipassana jhana korrelieren findest du hier: http://tsurezuregusa.de/bilder…dhi-and-vipassananana.PNG . Eine inhaltliche Erläuterung hier: http://palikanon.com/wtb/visuddhi.html


    Gruß
    Florian

  • Buddhaghosa:

    Hellblick ist eine der deutschen Übersetzungen von vipassana.


    Hach, da bin ich aber froh über diese Formulierung. Hat mich dahin gebracht, mir das Wort noch mal genau anzuschauen.


    Dabei habe ich eine von der Allgemeinheit vermutlich etwas abweichende Herangehensweise, die Bedeutung eines Wortes heraus zu stellen.


    Denn, fast gleichgültig welche Bedeutungen für die Teile des Wortes vorgeschlagen sind, mich interessiert nur ihre ursprüngliche Herkunft. Aller meistens bestätigen mir diese meine Intuition. Dabei bin ich zu Zeit zwar noch an die Hinweise aus den Wörterbüchern gebunden, die sind aber recht ausführlich auf diesem Gebiet, wie ich finde.



    vipassana entstand aus vi + passati


    - passati -


    • sehen & wahrnehmen, beobachten (vedisch paśyati & *spaśati)
    • sehen (avestisch spasyeiti)
    • betrachten (griechisch ske/ptomai)
    • schauen (lateinisch species)
    • spähen (althochdeutsch spehon)



    Da gibt's für mich jetzt keine Besonderheiten in Bezug auf den Begriff 'Hellblick'.


    Das Aha-Erlebnis kam für mich bei der Herkunft von vi.



    - vi - (Vorsilbe)


    Vorsilbe der Trennung und erweiterung, in der originalen Bedeutung von entzwei,
    auseinander, semantisch eng verwandt zum lateinischen dis-- und deutschen ver--


    • basierend auf 'zwei' (indogermanisch *ṷi)
    • im Sinne von Dualität oder Trennung (deutsch "ent--zwei"),
    • vergleichend dazu:

      • getrennt (sanskrit viṣu)
      • persönlich (wrtl. getrennt) (griechisch idios)
      • beide (sanskrit u--bhau)
      • teilen, trennen (sanksrit *ṷidh, wie im lateinischen dīvido)


    • zweite Komposition in

      • weiter, ferner (sanskrit vitara)
      • gegen (gothisch wipra)
      • wider (deutsch)


    Vipassana ist dadurch für mich zu 'dem anderen (erlaubten) Zustand' geworden,
    der Zweite, andere Zustand, in welchem man Unterscheidend schaut,
    unterscheidend betrachtet, getrennt, unverbunden
    im Gegensatz zum Zustand von sam-ā-dhi (in geeinter/gleicher Weise) oder sama-adhi (gleich-angeglichen).


    Klingt verworren?


    Reicht ja, wenn ich Spaß habe :) -


    Gruß,
    Mirco