Hallo,
mir fällt immer wieder auf, wie gerne wir einander kritisieren. Dies passt und nicht und jenes finden wir unmöglich. Fehler werden nach- und hinterhergetragen bis zum Sankt Nimmerleinstag. Geschmack, Verhalten, Denken usw. – an allem finden wir etwas auszusetzen.
Wir heften unserem Gegenüber unsere Urteile und negativen Emotionen an das Revers, wie ein Abzeichen und können nicht loslassen.
Abneigung, Abneigung, Abneigung, wohin das Auge blickt.
Warum fällt es so schwer, in dem was jemand sagt und tut einfach nur eine Momentaufnahme zu sehen, von einem Wesen auf dem Weg zur Buddhaschaft? Wer sich ein kleines bisschen mit dem Buddhadharma beschäftigt hat, muss doch wissen, dass jemand nicht "so ist". Es gibt keine festen Eigenschaften, Attribute.
In Wahrheit sind wir doch alle bemüht, nur nicht immer auf der gleichen Wegstrecke. Statt aufeinander herabzusehen und an uns herum zu zupfen, wäre es doch viel schöner, wir würden uns angewöhnen uns liebevoll zu betrachten und zu sehen, dass sich jeder von uns nur darum bemüht Mensch zu sein. So wie er es in diesem Moment in dieser Angelegenheit eben kann. Es heißt im Mahayana, wir sollten uns vergegenwärtigen, dass jedes Wesen einmal unsere Mutter gewesen ist. Ich möchte einen weiteren Blickwinkel hinzufügen, nämlich, dass jedes Wesen einmal unser Kind gewesen ist. Wie wollen wir als Kind behandelt werden, wie behandeln wir Kinder? Was würde es an unserem Verhalten ändern, wenn wir in jedem das schützenswerte und entwicklungsfähige Wesen sähen, das es ist, unabhängig davon, was sich gerade zeigt? Wann kapieren wir endlich, dass wir lauter Buddhas vor uns haben?
Ich sehe meine Lehrer an wie sie uns behandeln, wie sie uns betrachten. Da sehe ich weder Kritiksucht, noch Mäkelei, keine Vorwürfe, kein Nachtragen ... Sie schnappen nicht aufgeregt nach Luft und rufen "Skandal! Skandal!", sondern besänftigen und vermitteln einfach nur das Gefühl des Angenommen-Werdens. Da fühle ich mich durch und durch geliebt. Und was ist der Effekt? Ich verspüre den Wunsch umso stärker, das freizulegen, was sie an mir wahrnehmen. Und weiter noch, ich will dies anderen ebenso zukommen lassen.
Woran ist der Fortschritt, den Menschen auf dem Weg machen zu ermessen? Anhand von Wissen, Meditationserfahrungen und so was? Oder daran, wie er seinen Mitwesen begegnet, welche Achtung er vor ihnen hat, wie liebevoll er sie betrachtet?
Zu guter letzt: wen kritisieren wir eigentlich, wenn wir kritisieren? Was zeigt sich darin?
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