Beiträge von Sudhana im Thema „Wiedergeburt“

    Zitat

    Ein Selbst hervortreten zu lassen, um die unzähligen Dinge in [permanenter] Praxis zu verwirklichen (shushō), ist Täuschung, denn das Hervortreten der unzähligen Dinge und ihr praktizierendes Verwirklichen des Selbst ist Erleuchtung. Erwachte sind jene, die umfassend die Täuschung erleuchten; gewöhnliche fühlende Wesen sind jene, die umfassend inmitten der Erleuchtung Täuschung unterliegen. Darüber hinaus gibt es Personen, die Erleuchtung über Erleuchtung erlangen und wiederum Personen, die sich inmitten der Täuschung täuschen. Wenn Erwachte wirklich Erwachte sind, dann besteht für sie kein Grund, sich ihrer selbst als Erwachte bewusst zu sein. Trotzdem sind sie verwirklichte Erwachte, die Erwachen verwirklichen.


    (Dōgen Zenji, Shōbōgenzō Genjōkōan)

    Wenn ich mal was einwerfen darf - atman ist zwar als Buhmann immer beliebt, Thorsten Hallscheidt , aber hier geht es doch eher um nitya bzw. um anitya als eines der trilakṣaṇa, der drei primären Merkmale des Seins. Die sich natürlich alle drei wechselseitig bedingen, was aber kein Grund ist, um die Ecke zu denken. Insbesondere in den Abhidharmas der Sthaviravada-Ableger hat man im Zusammenhang mit anitya viel Hirnschmalz damit verschwendet, darüber zu spekulieren, wie lange ein dharma (ich übersetze es mal mit 'Seinsmoment') existiert Anders formuliert: wie groß bzw. wie klein das geringste Zeitquantum ist. Das wäre dann der 'gegenwärtige Moment' - und dieser ist selbstredend bedingt durch den vorangegangenen Moment - der freilich nicht gegenwärtig, sondern schon unwiderruflich vergangen ist. So, wie der folgende Moment zwar vollständig durch den gegenwärtigen bedingt sein wird, aber eben nur Potential ist, Noch-nicht-Sein. Real seiend ist allein der gegenwärtige Moment - alles andere ist nur prapañca, entfaltete Vorstellung.


    Das Problem dieser Sichtweise (dṛṣṭi) liegt in der Prämisse, man könne Zeit vollständig quantifizieren - tatsächlich funktioniert dies nur in einem vogegebenen Definitionsraum. Die Definition ist die unüberwindliche Grenze der Quantifizierung; sie schließt das nicht zu Quantifizierende aus.


    Dōgen Zenji ging diese Frage an, indem er Zeit und Sein als Wechselbegiffe in eins setzte. Das ist die folgerichtige Konsequenz der anitya-Doktrin: 'Sein [ist] Zeit' (uji) bedeutet, dass Sein dynamisch ist. Letzlich bzw. vollständig ist es weder räumlich noch zeitlich zu quantifizieren; diese Methode hat unüberwindliche Grenzwerte, weil sie ein statisches Sein voraussetzt - und damit letzlich auch eine teil- und quantifizierbare Substanz. Da sind wir dann auch beim atman ...

    Wenn ich mal kurz dazwischengrätschen darf - ich sehe das, Helmut , weitgehend so wie Du. Wobei ich das hier:

    Der Tod eines Lebewesen bewirkt deshalb das Entstehen eines zukünftigen Lebewesen.

    - allerdings für eine unzulässige Verengung halte. Der Tod eines Lebewesens bewirkt eigentlich recht wenig, gemessen an dem, was es vor dem Tod bewirkt hat. Es war das karma, das aktive Handeln dieses Lebewesens, das etwas bewirkt hat und über seinen Tod hinaus weiterwirkt. Es hat mitgewirkt an den Bedingungen, unter denen zukünftige Lebewesen erscheinen, existieren und vergehen.


    Ich störe mich etwas an dieser angeblichen 1-zu-1-Beziehung zwischen "einem Lebewesen" und "einem zukünftigen Lebewesen". Das lässt sich auch rational nicht nachvollziehen. Ich übersehe dabei nicht, dass eine solche Glaubensannahme motivierend insbesondere für die ethische Praxis (3., 4. und 5. Aspekt des achtfachen Pfades) ist. Mit zunehmender Vertiefung der 'vier unermesslichen Geisteshaltungen' (shi muryōshin, catvāri-apramānāṇi / catasso appamaññāyo oder brahmavihāra) entfällt allerdings zunehmend die Notwendigkeit (um nicht zu sagen 'der Sinn') einer solchen Motivation.


    In den Sutten betont Buddha im Übrigen recht häufig, dass zum einen die empirische Person (pudgala) ausschließlich aus den fünf Aggregaten des Ergreifens (pañca upādānaskandhāh) besteht und zum anderen, dass keiner dieser skandhāh von einem Leben in ein anderes überginge. Wo sollte da eine 1-zu-1-Beziehung anknüpfen?

    Es wäre Mal interessant, inwieweit diejenigen die das Konzept Wiedergeburt kritisch sehen wirklich der Auffassung sind

    dass der Tod des Individuums ein Ausweg aus Dukkha ist oder diese Auffassung weit von sich weisen.

    Natürlich ist der "Tod des Individuums" ein Ausweg aus Duhkha. Wenn man mal ignoriert, dass ein bloßes Konzept nicht geboren wird und nicht stirbt. Im Zen, dem Du Dich ja zuordnest, lernt man in diesem Sinn sitzend zu sterben. Das Individuum loslassen, "das Selbst vergessen", wie es Dogen beschreibt. Wird dann ein Individuum wieder ergriffen, ist auch duhkha wieder da - aber auch ein anderes Konzept von 'Individuum' und von 'duhkha'. Ist es dasselbe Individuum wie vor dem Tod auf dem Kissen oder ein anderes? Weder noch. Ist das ein anderer Tod als der im üblichen Verständnis? Ja, weil da zusätzlich endgültig die Form zerfällt, der rupaskandha. Dann kann beim Ergreifen eines Individuums nicht mehr auf diese Form zurückgegriffen werden.


    Konzepte wie 'Individuum' werden ergriffen und im Tod losgelassen. Was nichts daran ändert, dass diese Konzepte auf Samsara (selbst ein Konzept) gestaltend wirken - heilsam oder unheilsam. Die Frage "wer gestaltet für wen" richtet sich mit dem 'wer' und 'wen' also auf ein imaginäres Konzept, sie geht an der Wirklichkeit vorbei. Die Frage sollte vielmehr sein, ob - und wenn, wie - gestaltet wird. Karmische Aktivität. Dafür gibt es auch Konzepte, 'relative Wahrheiten'. Was qualifiziert nun eine 'relative Wahrheit' als 'wahr'? Einzig, dass sie zu effektiver Aktion führt; effektiv im Sinne des Mittleren Weges. Wenn Glaube an eine Wiedergeburt in diesem Sinn effektiv ist, dann ist 'Wiedergeburt' auch eine relative Wahrheit.


    Ein Problem (auch solcher Diskussionen wie dieser hier) besteht freilich darin, dass die Qualifizierung von 'wahr' auf diese Weise (die auf Dignāga zurückgeht) unterschiedliche relative Wahrheiten zulässt, die nicht notwendig widerspruchsfrei miteinander sind. Das ist der Ansatzpunkt doxografischer Systeme, wie sie vor allem die Gelugpa in Tibet und Tiantai / Tendai in China schufen. Da werden dann diese relativen Wahrheiten hinsichtlich ihrer potentiellen Effektivität (ihrer 'Reichweite' auf dem Weg) in Hierarchien klassifiziert.


    Dies wiederum sollte man nicht mit einer 'Wertskala' verwechseln. Es geht vielmehr um ein möglichst vielfältiges Angebot. Womit wir wieder bei 'Individuen' wären. Die sind auch sehr vielfältig - jedem Topf seinen Deckel ... Grundsätzlich sind jedoch alle diese relativen Wahrheiten 'Sichtweisen', 'Weltanschauungen' (Drsti) - sie müssen (und können) alle losgelassen werden. Das ist die "Spitze des 100 Fuß hohen Mastes" (Mumonkan 46), die Grenze relativer Wahrheiten. Und das ist noch kein Erwachen ...

    Zitat

    Wir denken, dass die relative [Wahrheit] eine Erkenntnis ist, durch die oder in der die Wirklichkeit verborgen ist; all dies ist wahr, aber es ist nicht letztendlich wahr.

    Jñānagarbha, Satyadvayavibhaṅga, Kārikā 15

    Ich habe den Eindruck, daß dieser Faden sich im Kreis dreht und es tut mir leid ihn ausgelöst zu haben.

    Mach Dir keinen Kopf deswegen. Das ist jedes Mal so bei diesem Thema.

    Ich hatte es genau umgekehrt verstanden, denn cinnamon schrieb: "Anscheinend ist MN117 infiltriert von Abidhamma-Terminologie".

    Würde also bedeuten, daß M117 vom Abidhamma beeinflußt ist, was mir unwahrscheinlich erscheint, da es jüngeren Datums ist.

    Aber vielleicht habe ich es falsch verstanden :?

    Wie ich schon angemerkt hatte, lässt sich für die Sutten des Palikanon kein einheitliches Alter ansetzen. Auch wenn der Abhidharma / Abhidhamma generell eine jüngere Textschicht ist als der Suttapitaka, so gab wohl doch Überschneidungen / Wechselwirkungen. Ein Prozess, der erst mit der schriftlichen Fixierung und Kanonisierung der Texte endete.


    Ob MN.117 nun Abhidharma-Terminologie enthält, vermag ich nicht beurteilen, so tiefgehend sind meine Kenntnisse da nicht. Jedenfalls geht die 'Tendenz' bei solchen Eingriffen in die überlieferten Texte natürlich dahin, die Lehre konsistenter zu machen und die Studierenden vor Missverständnissen zu bewahren. Konsistenz - genauer eine konsistente Exegese der überlieferten Lehrreden - ist eben auch das Anliegen des Abhidhamma (und das der Abhidharmas anderer Schulen).

    Verstehe ich dich richtig, dass du meinst, wenn einer der khandhas ohne den anderen weiterbestehen würde, für dich dieses khandha mit einem atman gleichzusetzen wäre?

    Nicht ganz, wobei ich da auch unscharf formuliert habe. Keiner der khandhah existiert 'für sich', sie bedingen sich wechselseitig. Speziell ein 'für sich', also quasi losgelöst von den anderen khandah existierender viññānakhandha wäre ein atta / jīva - Konzept.


    Recht aufschlussreich hinsichtlich der wechselseitigen Bedingtheit der khandhah scheint mir da insbesondere das Mahātaṇhāsaṅkhaya Sutta M.38 sein, dessen Lektüre (zumindest des ersten Abschnitts) ich insbesondere Hajobo ans Herz legen möchte. Passt auch (insbes. 8. Abschnitt) zu Deiner abschließenden Frage, die ich hier nicht zitiere.

    Das finde ich nicht plausibel. Denn 1) bin ich grundsätzlich fähig einen gefühlsneutralen Zustand herbeizuführen. Die anderen khandhas lösen sich dabei aber nicht auf.

    Praktizierst Du vedanānupassana*? Das nennt sich adukkha-m-asukhā vedanā, in etwa 'Leid-und-freudefreies Gefühl'. Gefühle (vedanā) werden als angenehm, unangenehm und neutral (weder/noch) klassifiziert. Ein neutraler vedanākhandha ist also genauso wenig 'aufgelöst' wie die anderen, sondern weiter in Funktion, auch wenn er keine Anreize für den saññānakhandha produziert, also gewissermaßen 'unter der Wahrnehmungsschwelle' bleibt.

    *für Nicht-Theravadin: einer der vier Pfeiler der Achtsamkeit, satipațțhāna.

    Und 2) beschreibt der Buddha über die letzteren Jhanas ebenfalls wie sich die Wahrnehmung auflöst. Aber auch mit der Auflösung der Wahrnehmung, besteht Form weiter. Sonst wäre sein Körper ja leblos aufgefunden worden nach den Jhanas.

    Ich nehme an, Du sprichst hier vom 8-er System der jhānas. Die 'letzteren' (5-8) werden ausdrücklich als 'formlos' bezeichnet. Die Wahrnehmung wird da auch nicht aufgelöst - es wird lediglich keine Form mehr wahrgenommen. Was auch erklärt, warum der Körper das überlebt. Das 8. jhāna ist dann zwar eine Stufe, wo die Wahrnehmung endet - aber auch die Nichtwahrnehmung. Nennt sich dann auch das 'Gebiet von Weder-Wahrnehmung-noch-Nichtwahrnehmung', nevasaññā-nāsaññāyatana.

    Soweit ich weiß, ist mit Weiterexistenz jener Vorgang gemeint, der mit dem körperlichen Tod einsetzt, wenn der Körper sich in seine Bestandteile auflöst und der Geist (Bewußtsein) seinen eigenen Weg geht.

    Woher weißt du das?


    Findest du es richtig, Leonie, in einem buddh Forum Zweifel an ebenjenen eindeutigen Erklärungen Buddhas zu sähen?

    Mach mal halblang. Ein "Geist (Bewusstsein)", der/das "seinen eigenen Weg geht" - mithin ein von den anderen skandhaḥ nicht bedingter skandha - ist nichts anders als ein atman. Bewusstsein ist direkt bedingt durch saṁskāra und bedingt seinerseits direkt nāmarūpa; ein unabhängig / nicht-bedingt existierendes Bewusstsein widerspricht nicht nur der anātman - Lehre sondern stünde auch außerhalb des Konditionalnexus pratītya-samutpāda / paṭicca-samuppāda.


    Statt persönliche Angriffe zu starten (was hier nicht so gerne gesehen wird) wäre es sicherlich sinnvoller, Du würdest die angeblich "eindeutigen Erklärungen" zitieren. Vielleicht sind sie ja nicht ganz so eindeutig, wie Du meinst. Nicht zufällig diskutieren wir hier gerade über unterschiedliche hermeneutische Level.


    cinnamon : Danke für die Verlinkung der Texte von Bhante Thanissaro und Bhante Anālayo. Habe es bislang nur überflogen, aber das ist ein ziemlich gutes Beispiel für die von mir erwähnten doxografischen Probleme / Widersprüche, die nicht nur mit dem Abhidhamma, sondern auch mit den hier nachgewiesenen redaktionellen Eingriffen in (mündlich) überlieferte Sutten gelöst oder doch gemildert werden sollten. Dabei sind mehrere Aspekte interessant - die allerdings in der Forschung schon seit vielen Jahrzehnten bekannt sind: die Sutten des Palikanon sind nicht (zumindest nicht ausschließlich) vox ipsissima Gautama Buddhas, also buddhavacana (wörtliche Rede Buddhas) im engeren Sinn. Vielmehr gibt es im Palikanon zeitliche Strata, also Texte unterschiedlichen Alters. Und die im Palikanon überlieferten Texte sind keineswegs immer die ältesten Versionen, wenn man sie mit denen des 'nördlichen Kanon' vergleicht. Was 'Frühbuddhismus' zunächst zu einer anspruchsvollen philologischen Aufgabe macht (das konnte ich mir jetzt nicht verkneifen :)...).


    MN.117 scheint mir auch ein Text zu sein, an dem das Aṣṭasāhasrikā Prajñāpāramitā Sūtra (der vermutlich älteste Prajñāpāramitā-Text) anknüpft - insbesondere an dem Hinweis, dass 'Rechte Sicht' auf dem Weg Buddhas vorangeht. Im Aṣṭasāhasrikā wird verdeutlicht, was konkret 'Rechte Sicht' ist: hier geht prajñāpāramitā allen anderen pāramitā voran. Den praktischen Ansatz, auf den MN.117 verweist, nämlich die eigene Sicht auf den Grad ihrer 'Rechtheit' nach dem Kriterium der āsava zu prüfen, halte ich für sinnvoll, wenn auch nicht einfach umzusetzen - das erfordert ein hohes Maß kritischer Selbstinspektion.

    Danke, für Deinen Einwurf, Leonie . Ich erlaube mir nur zwei ergänzende philologische Anmerkungen.

    Deshalb sieht Dogen Körper-Geist als untrennbare Einheit.

    Das ist nicht nur bei Dōgen so ;). Shinjin 身心 ist nichts anderes als eine Übersetzung von namarupa (nur, dass da zuerst rupa, dann nama kommt) - alternativ zu myōshiki 名色, wörtl. 'Name(und)Form'. Also die Pañca upadānaskandhāḥ, die fünf Aggregate des Ergreifens.

    Bewusstsein ist im Buddhismus ein die Körperlichkeit und Geistigkeit verbindende Gruppe.

    Nicht generell. Im Abhidhamma / Abhidharma ist das sicherlich so, wobei das Bewusstsein da differenziert wird in sensuelle Bewusstseine und ein 'Begriffsbewusstsein'. Das sind die Quellen der Kognition - sinnliche Erfahrung (pratyakṣa) einerseits und Schlussfolgern (anumāna) andererseits.


    Ich bin jetzt mit dem Abhidhamma nur recht oberflächlich vertraut, aber nach meinem Eindruck wird da das klassische Geist-Körper-Problem einfach ignoriert. Es wird sehr tiefgehend analysiert, WIE das Ergreifen vor sich geht - die Frage, WAS da neben einem illusionären Ich noch ergriffen wird, spielt keine Rolle. Das ist metaphysische Sparsamkeit im Sinne Buddhas - es bringt nichts, sich darüber den Kopf zu zerbrechen.


    Mit der mahāyānischen Cittamātra - Philosophie ist es nun wiederum so, dass da 'Körperlichkeit' reine Vorstellung ist, ein mentales Konstrukt. Wie der Name (Nur-Geist) schon sagt, ist Körperlichkeit eben auch nur Geist. Der hermeneutische Ansatz ist ein monistischer Idealismus.

    Ich will das mit den 'zwei Wahrheiten' mal aufgreifen - wobei es da allerdings einen großen Unterschied zwischen der im Theravada üblichen Auffassung dieses Konzepts und der (auf Nāgārjuna zurückgehenden, insbes. MMK 24.8-11) des Mahāyāna gibt. Grob gesagt fallen nach erster Auffassung die Sutten - also Reden vor Zuhörern mit z.T. sehr unterschiedlicher Auffassungsgabe* - in die Kategorie 'verhüllte Wahrheit', in der sich Buddha konventioneller Sprache bediente, um sich seinen Zuhörern verständlich zu machen. Es geht dabei weniger darum, dem Publikum 'Wahrheiten' zu erzählen als darum, sie zu einer heilsamen Praxis anzuleiten. Die 'Wahrheit im höchsten Sinn' hingegen wird im Abhidharma dargelegt - nicht zufällig ist das eine nicht gerade leicht verständliche Darlegung. Im Mahāyāna wird hingegen geltend gemacht, 'Wahrheit im höchsten Sinn' entziehe sich jeglichem sprachlichen Ausdruck**. Kommunizierbar ist ausschließlich 'verhüllte Wahrheit'.


    Grundsätzlich geht es bei diesem Konzept der 'zwei Wahrheiten' um ein doxographisches Problem - nämlich widersprüchliche Aussagen in den überlieferten Texten. Auf solch einen Widerspruch hat ja cinnamon verwiesen - und genau dieser Verweis kommt unweigerlich bei Diskussionen dieses Themas.


    *Weswegen die 'Adressaten' der Lehrrede idR auch zu Beginn angegeben werden. Es macht da schon einen Unterschied, ob das Publikum Bhikkus sind, Nigrantha, Brahmanen, Könige und reiche Kaufleute oder 'einfache' Leute ohne große spirituelle oder philosophische Bildung (wie z.B. die Kalamer) ...

    **Zumindest jedem konventionell verständlichen, was z.B. auf Kōan nicht zutrifft.

    Allerdings, wenn nach dem Tod alles aus und vorbei wäre

    Da habe ich ja auch gar nicht behauptet. Es ist nicht "alles" aus und vorbei, sondern lediglich die Existenz dessen, was sich irrtümlich für ein unabhängig existierendes Selbst, ein 'Ich' gehalten hat. Eben weil das eine falsche Sichtweise ist, konkret ātmadṛṣṭi - eine Sichtweise, die ein atman / atta postuliert. Genau deswegen lehrt der Buddhismus auch keine Wiedergeburt, wie es Hindus oder Jaina tun - weil ein nichtexistentes atman / atta natürlich auch nicht wiedergeboren werden kann. Es gibt lediglich einen permanenten Wandlungsprozess - anitya / anicca. Einen leidhaften. Samsara oder Shōji, wie es im Zen genannt wird, Geburt-und-Tod. Und das hört mit der Auflösung einer Skandha-Kombination nicht auf, erst mit dem Ende von upādāna, 'Ergreifen'. Und es ist nun einmal kein 'Ich', das ergreift, sondern das Ergreifen selbst wird für ein 'Ich' gehalten.

    Naja, ohne Pali-Kenntnisse ist unsereins auf Übersetzungen angewiesen :) Angesichts der Unmenge an "Wiedererscheinen nach dem Tode" und ähnlichen in den Sutren müsste schon sehr, sehr viel dazugedichtet oder falsch übersetzt worden sein.

    Ach Leute - lest doch einfach mal die im Ausgangsposting verlinkten Sutten.


    'Geburt' ist ein physischer Vorgang. Der Begriff 'Wiedergeburt' (oder Reinkarnation, wörtl. 'Wieder-Fleisch-Werden') impliziert oder suggeriert, dass etwas wieder - mithin mindestens zwei Mal - geboren werden kann. "Das indische Konzept von Wiedergeburt" ( Helmut ) heisst dann auch so: punarjāti, Wiedergeburt. Nur ist das eben kein buddhistisches Konzept, sondern eines, das Buddha verworfen hat. Im buddhistischen Modell wechselseitig bedingten Entstehens (pratītyasamutpāda) gibt es zwar jāti, die Geburt, aber eben kein punarjāti. Jāti , der Geburt, geht in diesem Modell bhava voran - das Werden. Und da gibt es dann auch ein Wiederwerden, punarbhava. Nämlich das Wiederwerden von duḥkha - in Form von Geburt (jāti), Verfall und Tod (jarāmaraṇa) - und nicht von irgendeiner personalen Existenz. Letzteres ist ātmadṛṣṭi, die falsche Sichtweise eines Selbst - und selbst tiefste Ursache des pratītyasamutpāda: Unwissen, avidyā. Wer da nur "Wiedergeburt" versteht, der "hat sich im gewaltigen Netz des Begehrens, in der Fußangel des Begehrens verfangen."


    Ihr werdet sterben und seid dann ein für allemal tot, findet Euch damit ab. Und kümmert Euch besser darum, was Ihr zukünftig Geborenen hinterlasst, als Bedingungen ihrer Existenz zwischen Geburt und Tod. Da kann es dann auch helfen, sich diese zukünftig Geborenen als Wiedergeburten von einem selbst vorzustellen. Muss aber nicht sein ...

    Ursache und Wirkung müssen zur gleichen Klasse / Art gehören. Materie und Bewusstsein sind aber zwei verschiedene Klassen von Phänomenen. Deshalb gehen Materie und Bewusstsein nicht ineinander über. Das bedeutet, dass Bewusstsein nicht aus Materie entsteht und deshalb auch nicht durch die Verschmelzung der materiellen Keimzellen bei der Empfängnis entstehen kann.


    Das Bewusstsein, das wir haben, hat aber eine Ursache. Wenn es nicht aus Materie entsteht, kann es nur aus vorherigen Bewusstseinsmomenten entstehen. Deshalb kann das Bewusstsein, dass in die Verschmelzung der Keimzellen bei der Empfängnis eintritt wiederum nur Bewusstsein zur Ursache haben.

    Nun ja. Madhyamaka ist das nun wirklich nicht. Diese Theorie stammt von Dharmakīrti, aus seinem Pramāṇavārttika (6./7. Jhdt.). Dharmakīrti beschäftigte sich vor allem mit Logik und Epistomologie. Die Ableitung ist natürlich logisch, aber sie beruht auf einer logisch nicht begründbaren Annahme - einem strikten Dualismus von Geist und Materie. Dass ein Bewusstsein "in die Verschmelzung der Keimzellen bei der Empfängnis eintritt" ist nicht logisch (und auch bis heute nicht empirisch nachweisbar), sondern blanke Spekulation.


    Hinzu kommt, dass er hier den klassischen buddhistischen Konditionalismus zu einfacher Kausalität simplifiziert. Selbst, wenn man dies als Grundlage einer logisch gültigen Aussage akzeptiert, stellt sich bezüglich der zwei laut Dharmakīrti getrennten Kausalitätsketten (einer geistigen und einer materiellen) immer noch die Frage nach der Beziehung zwischen Ursache und Wirkung - insbesondere der zwischen "Bewusstseinsmomenten". Auf jeden Fall sind Ursache und Wirkung in unserer Wahrnehmung zwar temporal verknüpft, aber ohne Identität (A ist Ursache von B heisst ja nicht A=B).


    Nāgārjuna / Ryūju (um auf Madhyamaka / Sanron zurückzukommen) hat da mE schon etwas tiefer hingeschaut. Ganz einfach zu finden, MMK 1.1:

    Zitat

    Nirgends und niemals findet man Dinge, entstanden aus sich, aus anderem,

    aus sich und anderem zusammen, ohne Grund (d.i. weder aus sich noch aus anderem).


    na svato nāpi parato na dvābhyāṃ nāpy ahetutaḥ |

    utpannā jātu vidyante bhāvāḥ kva cana ke cana||