Kundenrezesion von Dr. Thomas Lautwein "Lautwein"
Die zunehmende Verbreitung des tibetischen Buddhismus im Westen hat auch zu einer verstärkten Auseinandersetzung mit den Lehren und Praktiken des tantrischen Buddhismus (Vajrayana) geführt. Insbesondere die Rolle der Frau steht dabei im Mittelpunkt der Diskussion, bei der dem buddhistischen Tantra entweder extreme Frauenfeindlichkeit (Trimondi, Campbell) oder im Gegenteil geradezu feministische Züge bescheinigt wurden.
Peter Gäng, der schon 1981 und 1988 zwei wichtige Tantras übersetzt hat, hält beide Bewertungen für zu einseitig. In seinem Buch versucht er, eine kritische Darstellung der tantrischen Inhalte und Methoden zu geben, die sich ausschließlich auf indische Quellentexte stützt. Seinen Entschluss, sich nicht auf die tibetische Überlieferung zu beziehen, begründet er damit, dass die Tibeter nur einen Teil der indischen Überlieferung übernahmen, ihn an tibetische Gegebenheiten anpassten, die Rolle des Gurus überbetonten und sich zu sehr in Ritualismus und Magie verstrickten (S. 24-28). Gäng hingegen möchte durch eine psychologische Lektüre der indischen Urtexte den ursprünglichen Impuls der Tantras freilegen. Er konzentriert sich dabei auf Texte, die im tibetischen System zur Klasse des Maha-Anuttara-Yoga-Tantra gezählt werden.
Zunächst gibt Gäng eine gedrängte Darstellung buddhistischer Grundlehren (Kap. 2), um dann zu zeigen, wie sich aus der Theorie, dass auch das Negative ein unvollkommener Ausdruck der Buddhanatur sei, und dem meditativen Nachvollzug der Erleuchtung des Buddha die tantrische Meditationspraxis entfaltet. Eindrucksvoll weist Gäng nach, dass diese ursprünglich anarchisch war und dass den 4 brahma-viharas eine Schlüsselrolle für den Zugang darstellen (Kap. 3). Anschließend skizziert Gäng (Kap. 4) die Geschichte des Vajrayana in Indien, die Entstehung von Vater- und Mutter-Tantra sowie der 4 "Tantra-Klassen".
Im zweiten Teil seiner Untersuchung (Kap. 5-7) analysiert Gäng Grundelemente der tantrischen Meditation, die er als mythisches Drama begreift, bei dem archaische unbewusste Inhalte angesprochen werden. Anhand des Guhyasamaja-Tantras werden die Grundelemente des Mandalas (5 Ur-Buddhas, 4 Elemente, Palast usw.) und die Funktion der Mantras dargestellt, wobei Gäng das Übergewicht männlicher Gottheiten kritisiert und auf die Gefahr hinweist, eine allzu ritualistische Ausgestaltung der Mandala-Meditation führe wieder zu einer Spaltung in eine ritualkundige Priesterkaste (Lamas) und ignorante Laien. Anschließend behandelt Gäng unter dem Titel "Männlich und weiblich" die tantrische Auffassung der Sexualität, die sagenumwobene "Karma-Mudra" und die Lehren über den subtilen Energiekörper, der in der sog. "Vollendungsstufe" ja eine große Rolle spielt. Die Entfachung des "inneren Feuers" (Candali") deutet er als Reintegration der Weiblichkeit, Läuterung der Gier und als "Verbrennen" der fünf Skandhas und der Ich-Illusion.
Schließlich kommt Gäng auch auf den wohl düstersten Aspekt des Tantrismus zu sprechen, nämlich den Umgang mit Hass und Magie. Dabei kommt er zu dem Schluss, dass Texte, in denen vom magischen Töten die Rede ist, nicht Anleitung zum realen Mord sind, sondern den eigenen Hass in seiner ganzen Destruktivität erleben lassen sollen, um ihn dadurch zu überwinden. Dennoch hat die tantrische Magie ein Doppelgesicht: Sie ist nicht nur Selbsterfahrung, sondern auch Realitätsgestaltung, und daher anfällig für Missbrauch, wie die Geschichte zeigt.
Gängs Buch ist insgesamt gesehen eine einfühlsame, authentische Darstellung der tantrischen Gedankenwelt. Manches, vor allem die psychologischen Interpretationen, wird man noch kritisch diskutieren müssen, aber insbesondere Tantra-Praktizierenden kann es wertvolle Anregungen zur Reflexion geben. Nicht empfehlen kann man es hingegen Lesern, die sich bisher noch wenig mit Buddhismus beschäftigt haben. Dass es nicht als Anleitung zur Meditation geeignet ist, betont der Autor selbst (S. 13).