Wo immer es zu Streitgesprächen kommt, bleibt etwas unbestritten.
Angenommen, du disputierst mit mir. Wenn du mich schlägst und ich dir unterliege, muss das dann heißen, dass du wirklich recht hast und ich wirklich unrecht habe? Schlage ich dich und du unterliegst mir, habe ich dann wirklich recht und du hast wirklich unrecht? Hat einer von uns recht, und der andere hat unrecht? Oder haben beide von uns recht oder beide unrecht? Weder du noch ich können das wissen, und andere tappen noch mehr im Dunkeln. Wen sollen wir um einen Schiedsspruch bitten? Sollen wir jemanden Fragen, der deiner Meinung ist? Da er deiner Meinung ist, wie könnte er fair entscheiden? Sollen wir jemanden fragen, der meiner Meinung ist? Da er meiner Meinung ist, wie könnte er fair entscheiden? Soll jemand die Angelegenheit entscheiden, der mit uns beiden nicht übereinstimmt? Wie könnte er entscheiden, wenn er mit keinem von uns übereinstimmt? Soll jemand die Angelegenheit entscheiden, der mit uns beiden übereinstimmt? Wie könnte er entscheiden, wenn er mit uns beiden übereinstimmt? Wenn nun also du noch ich, noch eine andere Person in der Lage sind zu entscheiden - sollen wir auf noch jemand anderen warten?
Ob nun die abwechselnden Bedingungen eines Disputs einander bedingen oder nicht, man kann sie im Rahmen der Natur harmonisieren und ihnen gestatten, ihren jeweiligen überschwänglichen Gedankengängen freien Lauf zu lassen und ihre Lebensspanne auszuschöpfen. Was soll "harmonisieren im Rahmen der Natur" bedeuten? Ich würde sagen: "Richtig mag Nichtrichtig sein, So mag Nichtso sein. Wenn Richtig wirklich richtig wäre, dann wäre Richtig klar von Nichtrichtig unterscheidbar, und es gäbe keinen Disput. Wenn So wirklich so wäre, dann wäre So klar von Nichtso zu unterscheiden, und es gäbe keinen Disput. Vergiss, wie viele Jahre eine Lebensspanne ausmachen, vergiss Rechtschaffenheit. Wenn ihr im Reich der Unendlichkeit umherschweift, dann werdet ihr im Reich der Unendlichkeit wohnen."
Zhuangzi, Das Buch der Spontanität, Kapitel 2 Über die Gleichheit der Dinge, aus Abschnitt 9 und 12.