Mālunkyaputta
Nicht alle, die dem Buddha-Orden als Bhikkhus beitraten, waren so ernst und eifrig, wie sie hätten sein sollen. Ein solcher, etwas lässiger Bhikkhu scheint, wenigstens in seiner Jugend, Mālunkyaputta gewesen zu sein. Statt rechte Einsicht im Sinne der Buddha-Lehre zu pflegen, spekulierte er gern über unlösbare Fragen.
Wie Fausts Schüler Wagner meinte er "Zwar weiß ich viel, doch möcht' ich alles wissen", und belästigte Buddha mit Fragen, wie: ob die Welt einen Anfang in der Zeit gehabt habe, ob sie räumlich unendlich oder endlich sei, ob Leib und Seele - im Indischen heißt es: Leben und Leib - ein und dasselbe oder zwei verschiedene Dinge seien, ob der vollkommen Erlöste, der Heilige, nach dem Tode lebe oder nicht.
Buddha wies diese Fragen ab mit der Begründung, daß die Beschäftigung mit solchen Grübeleien nicht förderlich sei für ein reines Leben und für das Streben nach dem Nirvana. Wenn man sich auf diese Fragen einließe, könnte man darüber endlos diskutieren, ohne zu einem Ergebnis zu kommen.
Buddha erklärte ihm das durch ein Gleichnis: Ein Mann wird von einem vergifteten Pfeil getroffen, seine Freunde und Verwandten rufen einen heilkundigen Arzt herbei, aber der Verwundete will sich den Pfeil nicht herausziehen lassen, solange er nicht weiß, wer den Pfeil abgeschossen hat, zu welcher Kaste der Schütze gehört, wie er heißt, woher er stammt, wie groß er ist, welche Hautfarbe er hat, wo er wohnt, von welcher Art der Bogen, die Sehne, der Schaft und die Federn des Pfeils sind, und noch vieles andere. Dieser Mann würde sterben, bevor ihm alle Fragen beantwortet wären. (M 63)
In einer anderen Unterredung mit Buddha zeigte sich, daß Mālunkyaputta die Worte Buddhas ungenau gelernt hatte. Auf die Frage nach den fünf an die Sinnenwelt bindenden Fesseln antwortete er: "Es sind der Wahn, daß die Person das Ich sei; Zweifelsucht; der Irrglaube an die Wirksamkeit ritueller Gebräuche und Sakramente für die Erlösung; Trieb zur Sinnenlust; mißgünstige Gesinnung." Buddha hielt ihm entgegen, daß die Gegner erwidern könnten: Wenn das wirklich die Fesseln wären, dann würde ein Säugling von allen Fesseln frei sein, denn ein Säugling wisse nichts von Person und Ich, er habe keine Zweifel, kenne keine rituellen Gebräuche, keine Sinnenlust und keine Mißgunst. Mālunkyaputta habe nicht gut aufgepaßt und nicht gemerkt, worauf es ankomme. Nicht die Dinge, die er genannt habe, seien die Fesseln, sondern der Hang oder die Neigung dazu.
Diesen Hang oder diese Neigung habe schon, wenn auch unbewußt, ein Säugling ebenso wie jeder erwachsene Weltling, der die Buddha-Lehre nicht verstanden hat. Um sich von den Fesseln zu befreien, genüge es also nicht, jene falschen Ansichten und schlechten Gesinnungen abzulegen, sondern man müsse den Hang, die Neigung dazu vollständig ausrotten. (M 64)
Erst in vorgerücktem Alter wurde Mālunkyaputta ernster und strebsamer. Als er dann den Meister noch einmal um Belehrung bat, wollte Buddha ihn zunächst abweisen, weil er sich jetzt den jüngeren Bhikkhus widmen müsse; so alte wie Mālunkyaputta hätten lange genug Gelegenheit gehabt, die Lehre zu erlernen. Auf seine nochmalige Bitte gab Buddha ihm aber doch eine kurze Unterweisung, in der er auf seine frühere Begehrlichkeit anspielte. Diese, sagte Buddha, müsse man ganz aufgeben, wenn man auf dem Wege zum Heil vorwärts kommen wolle. (A.IV.254) Nach einem anderen Bericht (S.35.95) gab ihm Buddha bei dieser Gelegenheit eine andere, tiefere Belehrung; er sagte: "Möchtest du nicht Sichtbares, das du noch nicht gesehen hast, sehen oder Töne, die du noch nicht gehört hast, hören oder Düfte, die du noch nicht gerochen hast, riechen oder Säfte, die du noch nicht geschmeckt hast, schmecken oder Tastbares, das du noch nicht betastet hast, betasten oder Vorstellungen, die du noch nicht gedacht hast, denken?" - "Nein, Herr!" - "Dann soll dir auch bei den Dingen, die du gesehen, gehört, gedacht und erkannt hast, Gesehenes nur als Gesehenes, Gehörtes nur als Gehörtes, Gedachtes nur als Gedachtes, Erkanntes nur als Erkanntes gelten. Wenn du es so hältst, dann bist du nicht dabei beteiligt; wenn du nicht dabei beteiligt bist, dann bist du weder in dieser noch in jener Welt noch zwischen beiden. Dies ist das Ende des Übels."
Darauf sprach Mālunkyaputta: "Den Sinn dieser kurzen Belehrung verstehe ich so:
Wer eine Form sieht und das Angenehme
Beachtet, hat Besonnenheit vergessen;
Von Leidenschaft getrübt nimmt er es wahr,
Er haftet dran und ist von ihr besessen.
Verschiedene Gefühle steigen auf
Und wachsen an, die aus der Form geboren;
Teils ist er zugeneigt, teils abgeneigt,
Und die Vernunft geht ihm dabei verloren.
Auf diese Art häuft er nur Leiden an.
"Fern von Nirvana" heißt ein solcher Mann.
Wer einen Ton hört und das Angenehme . . .
Wer einen Duft riecht und das Angenehme . . .
Wer einen Saft schmeckt und das Angenehme . . .
Wer Körper tastet und das Angenehme . . .
Wer sich ein Ding denkt und das Angenehme . . .
Und wachsen an, die aus dem Ton geboren, . . .
Und wachsen an, die aus dem Duft geboren, . . .
Und wachsen an, die aus dem Saft geboren, . . .
Und wachsen an, aus Tastbarem geboren, . . .
Und wachsen an, aus Vorstellung geboren, . . .
Er findet nicht Gefallen an der Form;
Hat er gesehen, bleibt er doch besonnen.
Er nimmt sie wahr und haftet nicht daran;
Der Leidenschaftlichkeit ist er entronnen.
Auch wenn er eine Form gesehen hat
Und dem Gefühl sich dabei hingegeben,
Er wirft es ab und sammelt es nicht an;
So wird er trotzdem stets besonnen leben.
Auf diese Art häuft er kein Leiden an.
"Nirvana nahe" heißt ein solcher Mann.
Er findet nicht Gefallen an dem Ton, . . .
an dem Duft, . . .
an dem Saft, . . .
am Getast, . . .
am Begriff, ...
Auch wenn er einen Ton vernommen,
einen Duft gerochen, einen Saft gekostet,
Körperform betastet hat ...
Auch wenn er eine Vorstellung gedacht hat
Und dem Gefühl sich dabei hingegeben, .. .
"So verstehe ich den Sinn." - "Gut, Mālunkyaputta, du hast die kurze Belehrung richtig verstanden."
Buddha wiederholte Mālunkyaputtas Lied und fuhr fort: "So ist der Sinn meiner kurzen Belehrung zu verstehen."
Mālunkyaputta stand auf und ging weg, lebte dann einsam, zurückgezogen, unermüdlich und selbstbeherrscht und erreichte bald die Heiligkeit.
http://www.palikanon.com/buddhbib/07budjng/budjng10.htm