Viele (wenn nicht die meisten) 'spirituellen' Traditionen nutzen solche idR verschriftlicht tradierten Regelungen teils als Vorschule / Propädeutik für die Regelung des Denkens, teils als begleitendes und unterstützendens Werkzeug bei solch einem Unternehmen.
Ich habe einmal ein Interview mit jemandem gelesen, der den temporären, völligen Zölibat als enorm starke Praxis beschrieb, dass da sehr starke Energien zu wirken begannen. Aber auch betonte, dass es nach der Übungsperiode genug war.
Aber er hat den Zölibat bzw seine Sexualität dabei eben auch bewusst genutzt, er hat es nicht verleugnet und nicht versucht, es zu unterdrücken, es als etwas schlechtes beurteilt, nicht versucht, davon loszukommen.
Ja, das ist ein wichtiger Punkt. Diese Verbindung von Sexualität mit Schuld hat in einer hierzulande bekannteren religiösen Institution schon genug Unheil angerichtet, die mit diesem Instrument - nicht notwendig, aber auch - jede Menge geistige Krüppel produzierte. Auch etliche körperliche - Selbstkastration war bis zur offiziellen Ächtung durch Rom im 3. Jahrhundert bei manchen christlichen Gemeinschaften in Mode, was allerdings unvermeidlich zu Nachwuchsproblemen führte. Die folgten schlicht Origenes' *robuster* Auslegung von Mt 19,12:
Zitat Denn es ist so: Manche sind von Geburt an zur Ehe unfähig, manche sind von den Menschen dazu gemacht und manche haben sich selbst dazu gemacht - um des Himmelreiches willen. Wer das erfassen kann, der erfasse es.
*
Woraufhin der (heute bei einschlägigen Esoterikern wieder beliebte) Origenes als Nächstes spontan ein Messer erfasst haben soll. Heute sind solch ungesunde Methoden (alleine schon die Infektionsgefahr!!!) glücklicherweise nicht mehr in Mode; selbst im Zen begnügt man sich zumindest theoretisch maximal mit einem abgeschnittenen Arm als Eintrittskarte.
Schon der temporäre Verzicht auf das Ausleben sexueller Antriebe kann uns einiges über Gier (lobha) lehren und was für Auswüchse diese 'Wurzel'des Unheilsamen' (akuśala-mūla - eine von drei) in und mit uns treiben will und kann. Das hilft dann auch beim Lernen, damit umzugehen.
Vor allem lernt man, diese kleśa zu erkennen und zu durchschauen - und damit (hoffentlich) auch zu kontrollieren. Damit hat sich dann der Zweck zölibatärer Praxis auch schon erfüllt. Es ist bezeichnend, dass in manchen Ländern mit einer Kultur, in der der Buddhismus tief verwurzelt ist, ein temporäres Zölibat (in Folge einer Ordination)** für viele männliche Jugendliche Teil ihres 'coming of age' ist - ein Lernprozess auch in Bezug auf Sexualität. Ist allemal sinnvoller als Wehrdienst.
*Einheitsübersetzung. 'Vorlage' dieser befremdlich anmutenden Praxis war wohl eher der kleinasiatische Kybele-Kult, dessen Priester die Selbstkastration praktizierten.
**Anders als bei christlichen Ordinationen können die buddhistischen Gelöbnisse jederzeit ganz oder teilweise 'zurückgegeben' werden, ohne dass dies zu sozialen Sanktionen führt.