OT Visualisieren...Tulkus & Co.

  • Simo:

    Er war der einzige, der die Rolle des Dalai Lama nicht annahm.... :doubt:


    Was dann, ohne provozieren oder herabsetzen zu wollen, gleich die Frage aufwirft: Warum nicht? War er zu dumm dafür oder zu schlau? War er der "Falsche"? Falsch ausgesucht oder hat er sich nur falsch gefühlt in der Position?


    Ich weiß, ist zig Jahrhunderte her. Zuverlässige Antworten dürfte es heute kaum mehr geben. Aber wie gehen die "Tibeter" mit solchen Fragen um? Werden sie weitestgehend ignoriert? Ist es der "kalte, westliche Geist" der solche Fragen stellt und dem "gläubigen" Tibeter stellen sie sich nicht? Wenn ja, warum nicht? Aus Bequemlichkeit? Aus Respekt? Aus Sorge um nicht bediente Vorstellungen?


    Mit wirklichem Interesse


    Bambus

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Bambus:

    Ich weiß, ist zig Jahrhunderte her. Zuverlässige Antworten dürfte es heute kaum mehr geben. Aber wie gehen die "Tibeter" mit solchen Fragen um? Werden sie weitestgehend ignoriert? Ist es der "kalte, westliche Geist" der solche Fragen stellt und dem "gläubigen" Tibeter stellen sie sich nicht? Wenn ja, warum nicht? Aus Bequemlichkeit? Aus Respekt? Aus Sorge um nicht bediente Vorstellungen?


    Zum DL kann ich mangels Wissen keine Stellung beziehen, aber vom Karmapa-Konflikt hast du ja bestimmt auch schon gehört. Diesen Konflikt ignoriere ich nicht, er trägt ja auch noch zum Konflikt zwischen Kagyüpas und Gelugpas bei. Ich weiß, dass es ihn gibt. Ein Buch dazu habe ich angefangen zu lesen, aber halb gelesen weg gelegt. Ich nehme ein Hauen und Stechen der einzelnen Protagonisten sehr wohl wahr. Dabei geht es eindeutig um Macht und Geld. In meinen Augen spicht das Verhalten der Beteiligten nun nicht gerade für buddhistische Tugend.


    Mit diesen Sachverhalten kann ich mich nun lang und breit beschäftigen oder mich ganz einfach auf die Lehre beziehen, meine Praxis machen und das Verhalten der Beteiligten einfach nur beobachten. Letzteres ziehe ich vor. Was einen Tai Situ Rinpoche dazu bringt eine Sangha zu spalten, werde ich sowieso nie nachvollziehen können. Er müsste doch genau wissen wohin die Gier nach Geld führt. Aber das kann doch nun wirklich nicht meine Sorge sein.


    Die 1:1 Übertragung des tibetischen Systems nach Europa funktioniert nicht, denn wir haben hier einen anderen kulturellen Hintergrund. Was da zur Zeit an Kleinkrieg zwischen den Linien statt findet, halte ich so mehr oder weniger für "Geburtsschmerzen" eines neuen tibetischen Buddhismus außerhalb Tibets.

  • Liebe Syia,


    vielen Dank für Deine Antwort.


    Du hast Recht, der Karmapakonflikt zeigt das Problem ganz aktuell. Und um so gravierender weil der Karmapa im Vahrayana ja eine Person/Stellung/Sinnbild ist auf das auch in der Praxis meditiert wird. Meines Wissens nach werden aktuell noch keine Meditationen auf den 17. Karmapa, egal wer, gemacht. Im Diamantweg ist aber die 16. Karmapameditation tägliche Praxis, in allen Kagyulinien ist die 8. Karmapameditation gängig. Und wer weiß, vielleicht gibt es auch einmal eine 17. Karmapameditation. Die auf den 16. hat er selber ausgegeben, wer sagt das einer der 17. das nicht auch macht? Ich weiß, es wird nicht auf die Person, sondern auf die durch ihn ausgedrückte Qualität (Aspekt) meditiert. Dies zu trennen fällt aber nicht immer leicht. Breite Schichten der tibetischen Bevölkerung, Exil oder nicht, verehren z.B. das Bild des Dalai Lamas wie eine Heiligenbild. Das könnte man jetzt als Volksbuddhismus abtun. Das der "chinesische" 17. Karmapa aktuell als potentieller, weltlicher, Nachfolger des aktuellen Dalai Lamas aufgebaut wird bringt diesen Konflikt auch zu den Kagyus.


    Die Frage ist also durchaus relevant welcher oder ob vielleicht sogar beide von ihnen authentisch ist. Spätestens wenn es um Praxis geht wird das wichtig. Oder man akzeptiert, wissentlich, dass der eigene eventuell kein Tulku ist, oder eine große Zahl Menschen des anderen auf einen "Bettler mit kaiserlichen Kleidern" praktiziert.


    Das führt wieder zu meiner Frage: Wie wichtig sind solche Dinge? Wenn sie unwichtig sind, warum werden sie dann so hoch gehalten? Sind sie nur für den "intelligenten/wissenden/fortgeschrittenen" unwichtig, und für die "breite Masse" wichtig? Die Gefahr von Missbrauch einer solchen autoritären Macht sehen wir jetzt in diesem Augenblick im Karmapakinflikt mittels der rein politischen Interessen nicht nur der Chinesen. Ist ein solch wackeliges Fundament nicht mehr Gefahr als Nutzen in einer Welt die mehr hinterfragt als es vor Jahrhunderten üblich war?


    Ist in einen "modernern" tibetischen Buddhismus das Tulkusystem überholt? Ist tibetischer Buddhismus, speziell Vajrayana, überhaupt möglich ohne ein Tulkusystem?

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Laut dem Nachwort der Liebeslieder hatte er kein Interesse am Mönchsein, lehnte es ab, das Mönchsgelübde abzulegen, und er hatte kein Interesse an Regierungsgeschäften.
    Er mochte Frauen, Bogenschiessen, Alkohol, Luxus.
    "Nach seinem persönlichen Ethos zog er den offenen Bruch mit dem klösterlichen Normen dem verdeckten, Zölibat vortäuschenden Leben vor. Er wollte lieber ehrlicher Laie als falscher Mönch sein."
    Und er lebte auch nicht lang. Ob er, wie unter Dalai Lamas üblich, ermordet wurde, ist allerdings nicht ganz sicher, wenn auch recht wahrscheinlich.


    Die Streit zwischen den drei Karmapas dagegen (der für mich nix mit dem 6. Dalai Lama zu tun hat) zeigt für mich erst einmal, daß es auch im Buddhismus sehr schnell vorwiegend um Macht geht. Auch sogenannte hohe Bodhisattvas benehmen schlimmer als Kindergartenkinder. Ich finde diese ganzen Tai Situs und Sharmapas sollte man einfach ignorieren. Aus meiner Sicht wirft es auch ein interessantes Licht wohin Praxis führt oder auch nicht.
    Für mich auch ein Grund, das Lehrer-Schüler-Prinzip in Frage zu stellen, und die frage zu stellen, wo Praxis (und welche Praxis) eher zu Egoismus und Selbstgerechtigkeit führt.
    Aber für mich wahr dieser Streit ein großer Augenöffner. Was man einmal für sich als falsch erkannt hat, kann man leicht fallen lassen.


    Aber gehört nicht zum Thema visualisieren. Ich fand nur den Hinweis des Dalai Lama interessant, das das, was natürlich in seinem Herzen ist, immer auch von selbst erscheint, wogegen das künstlich visualisierte auch für einen Dalai Lama nicht so recht funktioniert.

  • Bambus:

    Die Frage ist also durchaus relevant welcher oder ob vielleicht sogar beide von ihnen authentisch ist. Spätestens wenn es um Praxis geht wird das wichtig. Oder man akzeptiert, wissentlich, dass der eigene eventuell kein Tulku ist, oder eine große Zahl Menschen des anderen auf einen "Bettler mit kaiserlichen Kleidern" praktiziert.


    Um diese Frage für mich zu klären, habe ich mich genauer mit diesem Konflikt befasst. Da wir eine Übertragungslinie sind, kann ich nur denjenigen als 17. Karmapa akzeptieren, der auch die nötigen Übertragungen von Shamarpa erhalten hat. Der andere Karmapa ist in meinen Augen nur eine bedauernswerte politische Marionette. Daher kann ich ganz zwanglos auf den 17. Karmapa meditieren.


    Aber das ist nur meine ganz persönliche Ansicht, gebildet aus der Untersuchung der mir zur Verfügung stehenden Informationen.


    Zitat


    Das führt wieder zu meiner Frage: Wie wichtig sind solche Dinge? Wenn sie unwichtig sind, warum werden sie dann so hoch gehalten? Sind sie nur für den "intelligenten/wissenden/fortgeschrittenen" unwichtig, und für die "breite Masse" wichtig? Die Gefahr von Missbrauch einer solchen autoritären Macht sehen wir jetzt in diesem Augenblick im Karmapakinflikt mittels der rein politischen Interessen nicht nur der Chinesen. Ist ein solch wackeliges Fundament nicht mehr Gefahr als Nutzen in einer Welt die mehr hinterfragt als es vor Jahrhunderten üblich war?


    Ist in einen "modernern" tibetischen Buddhismus das Tulkusystem überholt? Ist tibetischer Buddhismus, speziell Vajrayana, überhaupt möglich ohne ein Tulkusystem?


    Ja, denn das Tulku-System wurde ja erst durch den ersten Karmapa "eingeführt" und später von den anderen Schulen übernommen. Wenn ich mir anschaue, wer als Tulku anerkannt wird, dann gibt es da eine auffällige Häufung in einigen Adelsfamilien. Als Westler hat man da sehr schnell den Eindruck, dass da ganz viel gemauschelt wird.


    Aber auch das kann ich relativ einfach akzeptieren, solange gewährleistet wird, dass diese "Tulkus" vernünftig ausgebildet werden. Letztendlich suche ich einen gut ausgebildeten Lehrer, der mich unterrichtet.

  • Syia:

    Aber auch das kann ich relativ einfach akzeptieren, solange gewährleistet wird, dass diese "Tulkus" vernünftig ausgebildet werden. Letztendlich suche ich einen gut ausgebildeten Lehrer, der mich unterrichtet.


    Womit dann aber die Unterscheidung zwischen einem Tulku und einem "normalen" Menschen weg fällt...

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.


  • Lieber Bambus,


    die Karmapa-Krise ist ein sehr gutes Beispiel dafür, dass das Tulku Sytem innerhalb Tibets sehr gut funktionierte, außerhalb davon aber eher fragwürdig erscheint. Ich bin kein Freund dieses Systems, muss ich sagen. In Tibet wurden solche Fragen, wenn sie denn aufkamen, eher ignoriert - sie passten nicht in den Masterplan. Der 6. Dalai Lama ist so ein Beispiel. Die damals aktuelle Lage nach so viele Jahrhunderten zu rekonstruieren dürfte allein schon aufgrund mangelnder Quellen schwierig sein. Zu der Karmapa-Meditation lässt sich sagen, dass hier nicht nur die (vermeintlichen) Qualitäten des Lamas entscheidend sind, sondern auch die Hingabe des Schülers, durch die sich ein innerer Wandel und das Vermehren der zwei Ansammlungen vollzieht. "Segen" ist nicht zuletzt stark von der Hingabe, dem Vertrauen und der Einstellung des Schülers abhängig.

    Kein "Ich" - keine Probleme.

  • Zitat

    Die Frage ist also durchaus relevant welcher oder ob vielleicht sogar beide von ihnen authentisch ist. Spätestens wenn es um Praxis geht wird das wichtig. Oder man akzeptiert, wissentlich, dass der eigene eventuell kein Tulku ist, oder eine große Zahl Menschen des anderen auf einen "Bettler mit kaiserlichen Kleidern" praktiziert.


    Das erscheint einem nur so lange als wichtig, solange man nicht das Wesen dieser Meditation und die Natur des Geistes erfasst hat.
    Es gibt doch die schöne Sutra mit dem Sohn, der der Mutter einen Hundezahn statt eines Zahns des Buddha mitbringt, und diese so lange auf den Hundezahn meditiert, bis sie erleuchtet ist.
    Alles worauf es ankommt ist die eigene Haltung. Das Äußere ist unwichtig. Auch, wenn man auf den "richtigen Karmapa" meditiert, kann man es komplett falsch machen und ein Depp sein.
    Die Leute fragen immer, wo sie einen guten Lehrer finden und woran sie ihn erkennen. Sie wollen die "beste Meditationsuniversität" besuchen, nur die exklusivsten Lehrer haben – die wenigsten fragen sich, ob sie gute Schüler sind, ob sie einen so guten Lehrer überhaupt schon verdienen, ob sie schon Grundlagen genug geübt und verstanden haben um die Zeit eines großen Meistern vergeuden zu dürfen. Niemand würde mit einem Durchschnitt von 3,7 eine Eliteuniversität und dort gleich das Doktorandenseminar besuchen wollen, aber für den Buddhadharma meinen die meisten schon am Anfang für die höchsten Dinge gerüstet zu sein.


    Tai Situ spaltet die Sangha? Es sind diejenigen, die sich auf Streitereien einlassen, die den Lamas hierin folgen, die die Sangha spalten. Es sind diejenigen, die dem "Richtigen" folgen wollen, statt einfach weiter zu meditieren und die Streitereien zu ignorieren. Das regelt sich alles von alleine. Ist es nicht eine der wesentlichen Lehren des Dharma, sich aus den Händeln rauszuhalten? Aber das geht ja nicht: Man braucht ja den "richtigen Karmapa", die richtigen Lehrer, die richtige Mütze, die Herzperle, die Urkunden … So haben alle schön weiterhin Öl ins Feuer gegossen, jeder mit einer besonders wichtigen Aufgabe beseelt. Ich sehe das heute als ein richtig schönes Theater, das uns da vorgespielt wurde, geradezu ein Mysterienspiel – wer will, kann daraus sehr viel lernen.
    Eine Lehre, die ich daraus ziehen konnte, war diejenige, die ich oben erwähnte: Nicht auf den Lehrer kommt es an, sondern auf den Schüler. Wer einen Heiligen als Lehrer haben möchte, begibt sich in Gefahr, sich in Händel zu verstricken, sich der Kritiksucht hinzugeben statt den Blick auf die eigene Praxis zu konzentrieren. Ist wie in der Liebe: Wer den perfekten Partner sucht, wird nie fündig und gerät stets an die "Falschen".


    Vielleicht ist diese Frage eher für den tibetischen "Volksbuddhismus" wichtig, weil es sich um eine politische Rolle handelt. Kein Volk möchte eine Marionette vorgesetzt bekommen. Aber das würde auf den "chinesischen" Karmapa wohl auch nicht mehr zutreffen.


    Liebe Grüße
    Doris

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Bambus:

    Womit dann aber die Unterscheidung zwischen einem Tulku und einem "normalen" Menschen weg fällt...


    Absolut. Aber vielleicht habe ich als Westler sowieso Schwierigkeiten den Xten Tulku in einer Familie als Tulku zu sehen.


    Für meine Praxis brauche ich wie gesagt einen guten Lehrer. Von der "Anbetung" eines Tulkus kann ich nichts lernen. Das ist mir sehr fremd. Auch mit dem 17.Karmapa konnte ich mich erst in der Meditation arrangieren, als er schon älter war und unterrichtet hat.

  • Syia:

    Da wir eine Übertragungslinie sind, kann ich nur denjenigen als 17. Karmapa akzeptieren, der auch die nötigen Übertragungen von Shamarpa erhalten hat. Der andere Karmapa ist in meinen Augen nur eine bedauernswerte politische Marionette. Daher kann ich ganz zwanglos auf den 17. Karmapa meditieren.


    Hallo Syia, noch mal eine Verständnisfrage: Warum spielt der Shamarpa dabei eine solch große Rolle ? Ist er für die Kagyus das was für die Gelugs der Panchen Lama ist ?

  • UNd nun noch mehr offtopic:
    Doris hat da ein paar sehr gute Punkte angesprochen. Dem kann ich nur zustimmen.


    Im Dezember 2012 waren beide Karmapas nacheinander innerhalb weniger Tage in Bodhgaya. Ich hatte das Glück auch dort sein zu können. Mich haben beide Karmapas sehr positiv überrascht. Ich bin von beiden überzeugt, mich haben beide sehr beeinflußt und ich weiß, dass ich viel von ihnen lernen kann und konnte. Ob man sich nun auf Grund seiner Gruppenzugehöhrigkeit oder wegen anderer Faktoren mehr zu dem einen hingezogen fühlt oder zu dem anderen, mag eine Sache des persönlichen Geschmacks sein. Beide sind unter 35 und jetzt schon so umwerfende Persönlichkeiten.
    Und ja auch ich fühlte mich zu dem einen mehr hingezogen als zu dem anderen, vielleicht mag es wiedersprüchlich sein, aber für mich funktioniert das Tulku-System.
    Im Westen tendiert man leicht zu dem "Schwarz oder Weiß"-Denken. Es muss aber nicht der eine Schwarz und der andere Weiß sein. Vielleicht gibt es ja die Möglichkeit das beide zu wählenden Gegenstände Weiß sind , oder das beide zu wählenden Gegenstände Schwarz sind, oder beide weder Schwarz noch Weiß , also vielleicht bunt oder garkeine Farbe haben...
    Viellcht ist ja auch tibetischer Buddhismus und Theravada Buddhismus autentischer "echter" Buddhismus?

  • Soweit ich weiß ja. Sharmapa und Karmapa erkennen sich wohl gegenseitig. Wobei der Panchen Lama bei uns ja schon wieder eine weitere Krise ist. Aber hier ging es eigentlich ums visualisieren und das ganze wird furchtbar Offtopic.

    Wenn sich die ganze Welt ändert müssen wir auch die Veränderung der Menschen anerkennen. Behandle einen Menschen seinem Wesen und nicht deiner Erinnerung entsprechend. Jetzt

  • Doris Rasevic-Benz:

    Alles worauf es ankommt ist die eigene Haltung. Das Äußere ist unwichtig.


    Man erkennt hier, denke ich, wieder einmal dass die verschiedenen buddhistischen Schulen gar nicht so verschieden sind wie es gerade hier im Forum oft den Anschein hat. Ab einem bestimmten Punkt werden all die Äußerlichkeiten unwichtig und man findet dahin (zurück) wo man tatsächlich etwas bewegen (oder es gerade lassen) kann - das Hier und Jetzt und der eigene Geist.


    Doris Rasevic-Benz:

    Alles worauf es ankommt ist die eigene Haltung. Das Äußere ist unwichtig.


    Und doch ist der tibetische Buddhismus der mit dem größten "Drumherum". Diese Diskrepanz verstehe ich nicht.

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Bambus:

    Und doch ist der tibetische Buddhismus der mit dem größten "Drumherum"


    Hallo Bambus, das hängt wohl auch davon ab bei welchem Lehrer Du bist. Für Dagayab Rinpoche ist die Arbeit am eigenen Geist das wichtigste.


    Ein kleines Drumherum (wie z.B. Opfergaben, Rituale u.s.w.) gibt es ja auch im Theravada. Was genau ist für Dich das "größte Drumherum" ?

  • Soviel ich weiß, hatten die Karmapas 4 gleichberechtigte Linienhalter: Tai Situ, Sharmapa, Jamgön Kongtrul und Tshurphu Gyeltshab.


    Aber insgesamt zum Tulku-System: Mir klingt das immer sehr nach der Idee einer persönlichen Wiedergeburt. Und das gibt es doch im Buddhismus nicht.
    Wenn ich mich recht erinnere wurde es aus politischen Gründen eingeführt, nicht aus religiösen. Und es gibt es auch nur innerhalb des tibetischen Buddhismus. Selbst im außertibetischem Vajrayana nicht.
    Mir kommt das so vor wie auch der Adel als ein Überbleibsel aus der Zeit des Feudalismus.
    Die Gelugpas wählen z.B. ihr Oberhaupt. Es geht also auch anders.
    (Ob es so etwas wie Oberhaupt überhaupt braucht, ist eine andere Frage. Bei den Nyingmas ging es lange Zeit ohne, sie haben eigentlich nur eins, weil der Dalai Lama einen Hauptvertreter der Nyingmas haben wollte.
    Auch im Theravada kommt man ohne Oberhäupter aus. Im Shin- und Zen-Buddhismus gibt es zwar Oberhäupter, aber sie spielen keine größere Rolle. Viele Praktizierende wissen nicht mal ihre Namen.)

  • Bambus:

    Und doch ist der tibetische Buddhismus der mit dem größten "Drumherum". Diese Diskrepanz verstehe ich nicht.


    Ja, wir haben es hübsch bunt. Aber für die eigentliche Praxis ist diese ganze Farbenpracht eher unerheblich.

  • Am Tulku-System finde ich gut, dass uns so eigentlich nie die Meister ausgehen. Die Zahl bleibt konstant oder wächst und sie erhalten eine sehr gute Ausbildung. Besser als die der gewöhnlichen Mönche, da sie ja schon als kleine Kinder ausgebildet werden. Dass sie deshalb wenig oder keine Zeit mit ihren Eltern verbringen können, finde ich auch sehr traurig.
    Gleichzeitig: Wenn es Tulkus gibt dann wäre es egal ob man sie erkennt, anerkennt oder inthonisiert. Ein Tulku würde nicht sagen: Ich ignoriere meine Gelübde zu helfen und zu lehren und komme nicht wieder, weil die Regierung entschieden hat, dass es mich garnicht gibt. Ich wurde auch irgendwann geboren ohne, dass es jemand anerkannt hat und wenn die Tulkus wirklich wegen ihrem unglaublich guten Karma ihre Wiedergeburt bestimmen dürfen dann machen die im nächsten Leben schon ihren Weg ohne, dass sie jemand an der Hand nimmt und ihnen den Kopf tätschelt. Vielleicht ist die Anerkennung für einen Tulku sogar schädlich. Des Stolzes wegen meine ich.


    Zusammengefasst:
    Das Tulku-System würde quasi auch ohne Tulkus funktionieren indem man Kinder ausbildet und so große Meister bekommt. Gleichzeitig würde es Tulkus ohne Tulku-System geben, nur müssten sie viel mehr nach Lehren suchen und könnten erst spät selber lehren. Tulku-System mit echten Tulkus optimiert das ganze für mich nur.

    Wenn sich die ganze Welt ändert müssen wir auch die Veränderung der Menschen anerkennen. Behandle einen Menschen seinem Wesen und nicht deiner Erinnerung entsprechend. Jetzt

  • Zitat

    Und doch ist der tibetische Buddhismus der mit dem größten "Drumherum". Diese Diskrepanz verstehe ich nicht.


    Das ist nur auf dem ersten Blick eine Diskrepanz.
    Zuerst dürfen wir nicht vergessen, in welcher Kultur der Dharma dort eine Heimat fand.
    Alles was "er" vorfand wurde integriert, neue Bilder und Ausdrucksweisen kamen hinzu usw. Eine in meinen Augen pluralistische Kultur, wie sie in unserer demokratischen Gesellschaft auch herrscht.


    Als ich mich ein wenig intensiver (und ich meine jetzt nicht kulturhistorisch) mit den ganzen Darstellungen befasst hatte, erkannte ich für mich, dass die Welt der Darstellungen und Gegenstände nicht vielfältiger ist als die "reale" Welt. In jedem Gegenstand, in jeder Abbildung ist die Weisheit des gesamten Dharma enthalten. Wenn ich in der Gompa sitze und mich umschaue, wenn ich eine Damaru in der Hand halte oder mit einer Glocke spiele, dann ist da alles enthalten, was den Dharma ausmacht.


    Ich habe einmal einen richtiggehenden Overkill von Dharma bekommen beim Umblicken und Hinsehen in der Gompa. Dann war es klar. Alles ist Dharma. Alles ist geistentsprungen. Ich wurde so massiv damit konfrontiert, dass der winzige Türspalt, der in mir gerade geöffnet war, mit aller Gewalt geweitet wurde.
    Natürlich kann das auch in der freien Natur geschehen. Aber ich sehe das so: Allmählich wird man vertrauter mit der Symbolik und ihrem Inhalt. Es ist so eine Art optisches Mantra, das man mit der Zeit lernt. Dies erfolgt durch die Beschäftigung und die Belehrungen auch auf der inhaltlichen Ebene. Ohne dafür selbst aktiv sein zu müssen – dafür gibt es verbales Mantra und anderes – setzt man sich dem optischen Mantra aus. Die natürliche Umgebung ist nicht so aufgeladen mit Bedeutung wie die eines Tempels. Es kann also hilfreicher sein.
    Für mich ist das ein Kennzeichen des Vajrayana, der "multisensorische Ansatz". Körper, Rede, Geist – und dazu gehören nun mal auch sämtliche Sinne und auch die Bewegung. Letzteres z.B. sind Niederwerfungen, Umrundungen, Drehen einer Gebetsmühle. Es wird der Geruchssinn angesprochen, z.B. über den Weihrauch. Das Gehör, z.B. über Glocken, Mantra, Gesänge, Rezitation, Trommeln, Trompeten, die Haptik, z.B. durch die Mala, das Halten der Ritualgegenstände, die Motorik … Nichts wird ausgenommen, da alles auch zusammengehört – letztendlich entsteht es im Geist.


    Liebe Grüße
    Doris

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Doris Rasevic-Benz:

    Allmählich wird man vertrauter mit der Symbolik und ihrem Inhalt.


    Liebe Doris, siehst Du denn auch eine Symbolik im tibetischen Tulkusystem ? Und wenn ja welche ?

  • [quote='Sigitta']Das Tulku-System würde quasi auch ohne Tulkus funktionieren indem man Kinder ausbildet und so große Meister bekommt.[/quot


    Der Knackpunkt ist doch der, dass halt nicht irgendwelche Kinder ausgebildet werden, sondern dass es wohl bestimmte Zeichen des verstorbenen Meisters gibt, die darauf hindeuten wo genau die nächste Reinkarnation zu finden ist. Wie die Deutung dieser Zeichen funktioniert, wissen wir hier im Westen nicht. Und weil wir es nicht wissen hinterfragen wir es halt, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen :lol:

  • Matthias65:


    Der Knackpunkt ist doch der, dass halt nicht irgendwelche Kinder ausgebildet werden, sondern dass es wohl bestimmte Zeichen des verstorbenen Meisters gibt, die darauf hindeuten wo genau die nächste Reinkarnation zu finden ist. Wie die Deutung dieser Zeichen funktioniert, wissen wir hier im Westen nicht. Und weil wir es nicht wissen hinterfragen wir es halt, ohne jemals zu einem Ergebnis zu kommen :lol:


    Es wird z.B. daruf geachtet, ob es vor, während oder kurz nach der Geburt irgendwelche Vorzeichen wie Regenbögen, Blumenblüte im Winter etc. gab. Dann werden den Kindern verschiedene Gebrauchsgegenstände ihrer vorherigen Inkarnation gezeigt. Wird zielsicher ein vermeintlich bekanntes Objekt gegriffen, gilt dies als Zeichen der Wiedererkennung dieses Objektes.


    Einige Tulkus hinterlassen auch vor ihrem Ableben Schriftstücke mit genauen Instruktionen, wo ihre nächste Inkarnation zu finden sein wird.

    Einmal editiert, zuletzt von Syia ()

  • Lieber Matthias,


    ich bin nicht maßgeblich, versuche das System nur zu verstehen …
    Für mich ist es nicht irrationaler als eine demokratische Wahl oder eine Auswahl nach Prüfungsnoten.
    Es geht doch wohl darum, dass bestimmte Stellen optimal besetzt werden. Lehrer brauchen Nachfolger, Klöster brauchen Äbte usw.
    Hier werden (im optimalen Fall) Kinder erwählt, die wohl auch familiär aus einem Haus kommen, das einen guten Ruf genießt (soweit ich weiß, sind nicht alle Tulkus in hocherrschaftlichen Familien geboren worden). Man denkt sich dabei vielleicht, dass es auch auf den "Stall" ankommt, aus dem jemand kommt, wie Vater und Mutter so sind … (Die Forschung heute weiß, dass selbst die Stimmung der Mutter während der Schwangerschaft für die Entwicklung eines Kindes später wichtig ist – nur mal so als Beispiel).
    Das Kind kommt dann in das Kloster und so weit ich weiß, kümmern sich die Mönche sehr liebevoll um das Kind. Ich las, dass manchmal auch die Mutter sogar eine Zeit lang in der Nähe ist. Das Kind bekommt viel Zuwendung und schon sehr bald eine gründliche Ausbildung. Das ist wohl nicht ganz verkehrt, finde ich. Es wächst in die Situation hinein, bekommt eine Menge Vorbilder. Sicher ist das keine perfekte Lösung, aber ist sie schlechter? Gewissheit gibt es niemals, ob jemand den Anforderungen auch gerecht werden kann, aber die Grundlagen werden hierbei schon früh geschaffen.
    Ob das Ganze ohne die Einwilligung des Kindes vonstatten geht, weiß ich nicht. In den Geschichten über Tulkus habe ich das noch nie gelesen. Ob ein Kind das überreissen kann, weiß ich auch nicht.
    Für die Leute in der Gegend und zu den Zeiten war das normal, und deshalb können wir uns schwer ein Urteil darüber bilden. Es gab auch in unserer Kultur so was ähnliches, Knaben und Mädchen wurden zur Erziehung an die Höfe und in befreundete Familien geschickt.


    Wenn ich also resümiere:
    Man sucht für eine Nachfolge einen geeigneten Kandidaten. Da es sich dabei auch um eine spirituelle Nachfolge handelt, nicht um einen Museumskurator :D , liegt es nahe, mit der Erziehung so früh wie möglich zu beginnen. Die Auswahl erfolgt nach Kriterien, die wir womöglich auch treffen, z.B. Herkunft, und nach Intuition (das sind für mich die Orakel usw.). Ich spreche vom Idealfall, ohne Berücksichtigung politischer Motive.
    Die Kinder werden in allen Bereichen nach bestem Wissen und gründlich auf ihr Amt vorbereitet und es wird schon sehr früh damit begonnen.


    Ich finde das hat was. Jetzt spreche ich als Handwerkers-Tochter. Diese Mentalität ist mir auch von Kindesbeinen an eingebrannt und hat mir viel ermöglicht. Ich bin da so mitgewachsen. Seit Menschengedenken läuft das eigentlich so, schon die Kleinsten wachsen in ihre späteren Aufgaben hinein. Aber natürlich denken die Menschen in Europa heute anders und leben einen anderen Stil, auch was die Berufswahl angeht. Ich möchte mir jedoch kein Urteil darüber bilden, ob das nun besser oder schlechter ist.


    Liebe Grüße
    Doris

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • Liebe Doris,


    das liest sich alles recht pragmatisch - was mir sehr sympahtisch ist :) - aber die Frage bleibt ob dass Tulkusystem dem von ihm selber gesetzten Anspruch gerecht werden kann: Ein hoch Verwirklichter wird bewusst wiedergeboren. Wenn dem uneingeschränkt so wäre gäbe es keinen 6. Dalai Lama der nicht Dalai Lama sein wollte und auch keine mehreren 17. Karmapas. Weil die, die sie ausgesucht haben, selber Tulkus sind, und damit eigentlich so verwirklicht sein sollten dass politische oder finanzielle Motive für sie nicht mehr relevant sind. In einer perfekten "Tulkuwelt" gibt es eindeutige Hinweise auf die nächste Wiedergeburt die eigentlich gar nicht notwendig sein sollten weil die Linienhalter eh zielsicher und unfehlbar die rechte Reinkarnation (bewusst dieses Wort) finden. In der Praxis ist das nicht der Fall. Das stellt die Frage: sind Tulkus wirklich so verwirklicht wie sie laut Anspruch des Systems sein sollten? Oder ist das eine einzige große Vorstellungsblase, historisch gewachsen?


    Das sagt jetzt nichts über die Qualitäten von Tulku xy aus. Die können ja durch die gute Erziehung und noch Glück dabei das sie von Geburt aus Persönlichkeiten sind, hervorragende Lehrer abgeben. Dazu bedarf es aber keiner "bewussten Wiedergeburt" oder "Verwirklichungsgrad" sondern eben nur Glück in der Wahl und gute Erziehung.


    Der Tulku als Wiederkehr eines verstorbenen Meisters "im Geiste" hat durchaus etwas für sich. Die Vermischung mit einem Verwirklichungsgrad und der personellen, bewussten Wiedergeburt macht die Sache für mich fragwürdig.


    Und wenn die ganze Frage nicht wichtig ist, weil Tulkus nur ein historisch gewachsenes Mosaiksteinchen im großen "bunten Drumherum" des tibetischen Buddhismus ist - welche Mosaiksteinchen sind dann noch Wert zu hinterfragt zu werden? Da kann man schnell das Kinde mit dem Bad ausschütten, aber ganz im Dreckwasser schmoren sollte man es dann doch nicht lassen.

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Ich denke, dass das Tulku-System Fehler braucht. Den Praktizierenden muss vorgelebt werden, dass Missgunst und Neid nur außerhalb Samsaras ganz überwunden werden können. Ein perfektes Tulku-System birgt das Risiko, dass die Praktizierenden eine perfekte kleine Welt innerhalb Samsaras sehen in der man frei von Geistesgiften ist und trotzdem seinen tollen Körper mit seinen ganzen sinnlichen Freuden behalten kann. Dann würde das Tulku-System fast den Deva-Bereich vorleben und idealisieren.

    Wenn sich die ganze Welt ändert müssen wir auch die Veränderung der Menschen anerkennen. Behandle einen Menschen seinem Wesen und nicht deiner Erinnerung entsprechend. Jetzt