ZitatAlles anzeigen10. BÁHIYO
So hab ich's vernommen: Einstmals weilte der Erhabene in Sávatthí im Kloster Anáthapindikos. Zu der Zeit hielt sich der Báhiyer Dáruciriyo in Suppáraka am Gestade des Ozeans auf. Er war hochgeschätzt, anerkannt, stand in hohem Ansehen, genoß Achtung, wurde verehrt, man erwies ihm Aufmerksamkeit und er erhielt seinen Unterhalt an Kleidung, Almosenspeise, Lagerstatt und Arznei im Fall der Krankheit. Da kam dem Báhiyer Dáruciriyo, als er in abgeschiedener Besinnung weilte, folgendes in den Sinn: "Von denen, die in der Welt Geheilte sind oder den Weg zum Heilsstand betreten haben - ob ich wohl einer von ihnen bin?" - Eine mitempfindende Gottheit, die früher mit dem Báhiyer Dáruciriyo verwandt gewesen und auf sein Heil bedacht war, erkannte mit dem Gemüt die Erwägung des Báhiyers Dáruciriyo, begab sich zu dem Báhiyer Dáruciriyo und sprach zu ihm: "Weder bist du ein Geheilter, Báhiyer, noch hast du den Weg betreten, der zum Heilsstand führt. Der Weg, den du gehst, ist keiner, auf dem du geheilt werden oder den Weg zum Heilsstand betreten könntest." - "Aber wer ist denn 1n der Welt mit ihren Gottheiten ein Geheilter oder hat den Weg zum Heilsstand betreten?" - "1m Norden Indiens liegt eine Stadt namens Sávatthí, Báhiyer. Dort weilt jetzt der Erhabene, Geheilte, Vollkommen Erwachte. Dieser Erhabene, Báhiyer, ist geheilt und zeigt den Weg zum Heilsstand." Da brach der Báhiyer Dáruciriyo, ergriffen von den Worten jener Gottheit, auf der Stelle von Suppáraka auf und durcheilte in einer einzigen Nacht die ganze Strecke nach Sávatthí. Dort traf der Báhiyer Dáruciriyo im Jetahain ein, wo der Erhabene weilte. Zu jener Zeit gingen viele Mönche im Freien auf und ab. Der Báhiyer Dáruciriyo ging zu den Mönchen hin und sprach: "Ihr Herren, wo weilt jetzt der Erhabene, der Geheilte, Vollkommen Erwachte? Ich bin gekommen, um diesen Erhabenen, Geheilten, Vollkommen Erwachten zu besuchen." - "Der Erhabene ist zu den Häusern um Almosenspeise gegangen, Báhiyer."
Da stürmte der Báhiyer Dáruciriyo aus dem Jetahain nach Sávatthí und sah dort den Erhabenen auf dem Almosengang dahinwandeln, befriedend anzuschauen, mit gestillten Sinnen, mit gestilltem Geist, auf dem Gipfel der Beherrschtheit und Ruhe, gebändigt, behütet, ein gewaltiges Wesen, vom Frieden gelenkt. Als er ihn erblickt hatte, begab er sich zum Erhabenen, fiel ihm zu Füßen und sprach: "Möge mich der Erhabene die Wahrheit lehren, möge mir der Erhabene die Lehre zeigen, dass es mir lange zum Segen und zum Wohl gereiche!" Auf diese Worte sprach der Erhabene zu dem Báhiyer Dáruciriyo: "Es ist jetzt nicht die rechte Gelegenheit Báhiyer, ich bin gerade auf dem Almosengang zu den Häusern." - Aber ein zweites Mal sprach der Báhiyer Dáruciriyo den Erhabenen an: "Es ist aber schwer zu erkennen, Herr, was im Leben des Erhabenen und in meinem Leben dazwischenkommen kann. Möge mich der Erhabene die Wahrheit lehren, möge mir der Erhabene die Lehre zeigen, dass es mir lange zum Segen und zum Wohl gereiche!" Auf diese Worte wiederholte der Erhabene: "Es ist jetzt nicht die rechte Gelegenheit, Báhiyer, ich bin gerade auf dem Almosengang zu den Häusern." Aber ein drittes Mal wurde der Báhiyer Dáruciriyo beim Erhabenen vorstellig: "Es ist aber schwer zu erkennen, Herr, was im Leben des Erhabenen und in meinem Leben dazwischenkommen kann. Möge mich der Erhabene die Wahrheit lehren, möge mir der Erhabene die Lehre zeigen, dass es mir lange zum Segen und zum Wohl gereiche!" - "Was das angeht, Báhiyer, kannst du dich so üben: 'Gesehenes gelte dir nur als Gesehenes, Gehörtes nur als Gehörtes, sinnlich Erfahrenes nur als sinnlich Erfahrenes, Erkanntes nur als Erkanntes.' So kannst du dich üben, Báhiyer. Wenn dir Gesehenes nur als Gesehenes, Gehörtes nur als Gehörtes gelten wird sinnlich Erfahrenes nur als sinnlich Erfahrenes, Erkanntes nur als Erkanntes, dann, bist 'du' nicht 'dort' Báhiyer, dann ist 'das' nicht 'deine' Sache, dann Báhiyer, bist 'du' weder 'hier' noch 'jenseits' noch 'dazwischen': Das eben ist das Ende des Leidens." Als der Báhiyer Dáruciriyo vom Erhabenen diese kurze Lehrdarlegung erhalten hatte, wurde sein Herz ohne Anhangen von Beeinflussung frei. Nachdem der Erhabene dem Báhiyer Dáruciriyo diese kurze Lehrdarlegung gegeben hatte, ging er fort. Kurz danach griff eine Kuh, die ein junges Kalb hatte, den Báhiyer Dáruciriyo an und brachte ihn ums Leben. Als der Erhabene den Almosengang nach Sávatthí beendet hatte und nach dem Mahl mit vielen Mönchen aus der Stadt zurückkehrte, sah er, dass der Báhiyer Dáruciriyo ums Leben gekommen war. Da sprach er zu den Mönchen: "Mönche, nehmt den Leichnam des Báhiyers Dáruciriyo, legt ihn auf eine Bahre, tragt ihn fort, verbrennt ihn und errichtet ihm eine Stupa, einer eurer Mitwanderer zum Höchsten hat die Lebenszeit beendet." - "Ja, Herr", sprachen die Mönche, legten den Leichnam des Báhiyers Dáruciriyo auf eine Bahre, trugen ihn fort, verbrannten ihn und errichteten ihm eine Stupa. Darauf begaben sie sich zum Erhabenen, grüßten ihn ehrerbietig und setzten sich seitwärts. Seitwärts sitzend sprachen die Mönche zum Erhabenen: "Eingeäschert ist der Leichnam des Báhiyers Dáruciriyo, eine Stupa ist ihm errichtet. Welches ist sein weiterer Weg, welches seine Wiedergeburt?" - "Mönche, weise war der Báhiyer Dáruciriyo, der Lehre ist er lehrgemäß nachgefolgt, er hat mir bei der Lehre keine Mühe gemacht: vollkommen erloschen ist der Báhiyer Dáruciriyo. "
Aus diesem Anlaß tat der Erhabene aus seiner Schau folgenden Ausspruch:
"Wo Wasser Erde, Feuer, Luft
nicht irgend Boden linden kann,
da geben keine Sterne Licht,
und eine Sonne leuchtet nicht,
und auch ein Mond gibt keinen Schein:
Es ist dort keine Dunkelheit.
Denn wenn ein Weiser aus sich selbst
im Schweigen sehend wurde, heil,
ist er von Form, Formlosigkeit,
von Wohl und Wehe ganz gelöst."
Udana I.10 - Übersetzung von Fritz Schäfer.
Die Udanas sind doch wirklich eine wunderbare Sammlung.
Liebe Grüße.