Beiträge von itune

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    Da spricht deine Bevorzugung und Anlehnung.


    Natürlich, Morpho. Ich liebe allerdings auch die Einsamkeit und Abgeschiedenheit. Wir können aber heute wissen, was möglich ist, wenn man sie praktiziert, wir haben die zahlreichen "Vorbilder". Und in der Welt von heute ist m. E. eben nicht Rückzug angesagt, sondern aktive Teilhabe. Wir sind eine Informationsgesellschaft in schnellem Wandel, und wenn man nach zehn Jahren Bergleben zurückkäme, müsste man sich vlt. mit Fragen von Klonen und künstlicher Intelligenz beschäftigen und würde mit Sicherheit so alt aussehen, wie manche Palikanon-Anhänger, wenn sie sich mit aktuellen ethischen Fragen auseinandersetzen. Da meines Erachtens wahrscheinlich ist, dass "Verstehen" (satori) sowieso zur Hinwendung an andere führt, darf man von Anfang an das Bodhisattva-Ideal in den Vordergrund stellen - im Wissen einer lediglich möglichen Annäherung, ohne Vollkommenheit. Und in der nötigen Flexibilität, die die Einsicht in die Leere jeglicher moralischen Ideale hoffentlich gewährt hat. Denn wenn der andere im Mittelpunkt steht, dann sind es nicht mehr nur sechs paramita oder vier brahmavihara.

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    Und was bedeutet das für jemanden, der glaubt, Zenpraxis laufe auf "Gefühlskälte" hinaus, weil immerhin der dritte Patriarch laut Übersetzung eines großen zeitgenössischen Meisters offensichtlich lehrt, man solle nicht lieben?


    Nun noch einmal in Kürze das Wesentliche in meinen Augen. Abgesehen davon, dass außerhalb der Zenszene nur wenige überhaupt das Shinjinmei, zumal in einer Übersetzung von Deshimaru, lesen dürften:


    Ja, die wesentliche Zen-Erfahrung läuft tatsächlich darauf hinaus, dass nicht nur begehrende Liebe, sondern auch Mitempfinden und liebende Güte gleichermaßen leer sind und nichts davon zu wählen (und hier ist eben Zen anders als Theravada oder andere Mahayana-Schulen). Und es ist besser, wenn der Zenübende das gleich kapiert, damit er sich nicht auf einen falschen Weg der Illusionen macht, der nämlich dann darin besteht, sein Leben in Mitempfinden und liebender Güte zu vertrödeln, während er hofft, damit den entscheidenden Durchbruch zu erlangen. Das ist sicher kein schlechtes Leben, vor allem vom Standpunkt der anderen aus, aber nicht Sinn des Zen.


    Insofern schließt sich der Kreis, und es bedarf eben eines Deshimarus, um einen das vor den Latz zu knallen. Es geht nicht darum, dass ein Erwachter gefühlskalt sein muss oder wird, sondern darum, dass man nur in Gefühlskälte erwachen wird. Und erst dadurch gehen einem die Augen auf. Erreicht man diesen Zustand der Abwesenheit jeglicher Liebe nicht, versteht man nicht und verteidigt auf die ein oder andere Art die Gefühlsduseleien, die uns zu Menschen machen.

    Sudhana: Vieles von dem, was Deshimaru lehrte, hat sich für mich bestätigt. Es ist wie mit anderen Lehrern, die ich zustimmend erwähne oder zitiere. Die eigene Erfahrung deckt sich dann offenbar mit derjenigen der Lehrer. Da die eigene Erfahrung irgendwann als "tief" empfunden werden kann, erkennt man ggf. die des anderen als "tief" an. Das bleiben subjektive Kategorien (da es sowieso keine objektiven gibt), aber das ist ein legitimer Vorgang. Es führt in diesem Thread zu weit, betrifft aber sogar Details, die ich zunächst eher als esoterischen Unsinn abtat (z.B. wenn du Hilfe brauchst, bekommst du sie). Deshimaru lehrte das Feintuning der rechten Einstellung (hishiryo), aus der solche Wahrheiten erwachsen können. Er lehrte auch als einer der wenigen das Karma so, wie es funktioniert, vor allem, dass man es "abschneiden" kann (ich erinnere mich, wie eine Schülerin in seinem Gefolge, die von Nishijima später Nachfolge bekam, mir einmal schrieb, das sei aber nicht so einfach, blablabla, aber genau das, wie "einfach" es ist, lehrte Deshimaru treffend). Das Beste an Deshimaru ist im Übrigen, das man ihm nie begegnet sein muss, weil er über die gedruckten Texte präsent ist.


    Was die Lesart von Liebe in einem buddhistischen Text angeht, sei dir das philologische Argument unbenommen. Allerdings scheinst du dich hier wieder bewusst kompliziert auszudrücken. Denn was ich da lese ist, dass der chinesische Text eine westliche Lesart von "Liebe" nicht hergibt. Und das sagte ich ja selbst, wobei ich agape nannte, weil ich davon ausging, dass diese weithin bekannt ist. Mit anderen Worten, ich habe vorausgesetzt, dass ein Buddhist "Liebe" so liest wie ein Buddhist und nicht wie ein Christ. Liebe ist dann selbstsüchtiges Begehren oder besser Anhaften (wie etwa im MPNS). Dass du dies mit "Anhaftung" besser übersetzt siehst - es sind nach diesem Verständnis zulässige Synonyme für mich - scheint ja letztlich sogar Einigkeit bei uns zu bedeuten. Ich könnte auch sagen, dass ich da wieder eine unnötig penible Pfennigfuchserei am Werk sehe. Das liegt daran, dass ich insbesondere bei Zentexten nicht den Eindruck gewann, dass sie Wortglaubereien Vorschub leisten wollen, sondern darauf abzielen, eine Kernaussage zu vermitteln. Diese lautet hier, dass man weder im guten noch im schlechten Sinne, um es salopp zu sagen, anhaften solle (und auch nicht "wählerisch" sein solle). Und das ist nach wie vor etwas überraschend, da die meisten Menschen ein "liebendes" Anhaften für in Ordnung halten.


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    Stattdessen wurde von Morphos und Dir argumentiert, Liebe sei zwangsläufig mit Begehren verbunden.


    Mit Anhaften, das fasst es besser. Schon Zuneigung, die über die Zuneigung zu anderen hinausgeht, reicht aus. Warum sollen wir bei einem buddhistischen Text nun ein paulinisches Weltbild diskutieren? Also muss ich das wieder so lesen, dass wir uns zunächst einig sind. Diese Liebe ist von Sengcan nicht gemeint. Er redet nicht von selbstloser, sich über alles gleichmäßig ausgießende Liebe, die nicht einmal Mutter Theresa gelang, wie wir wissen, und auch nicht jenem Papst, der eine heimliche Lieblingsfreundin hatte. Allerdings gehe ich davon aus, dass Sengcan davon auch deshalb nicht redet, weil er jene selbst-lose Liebe bereits als unmöglich durchschaut hat.


    Dann kommen wir zum entscheidenden Problem. Du meinst, Bodhisattva-Praxis sei ohne die Werte dieser Praxis ja nicht möglich, wozu auch maitri und karuna gehörten, ich übersetze mal mit "liebende Güte" und "Mitgefühl". Und die könne Sengcan wohl kaum ausgeschlossen haben. Aber bei diesen handelt es sich ja dann, wie du selbst sagtest, eher um das, was im Abendland die "universale Liebe" ist. Ich sagte lediglich, dass diese dann aufgehoben ist, wenn man etwa in einer Partnerschaft lebt und einem Menschen besondere Liebe zuteil werden lässt. Abgesehen davon, dass ich niemanden kenne, dem universale Liebe ohne diese Ausnahme möglich ist, halte ich die Tatsache, dass die Menschen Ausnahmen machen, für den Gegenbeweis der universalen Liebe selbst. Das führt zu meiner schon geäußerten These - die hier ganz meiner Erfahrung entspricht -, dass die genannten Werte nur ein unrealistisches Ziel darstellen, dem man sich praktisch annähern kann, mehr nicht. Es ist falsch zu glauben, dass sie existieren, und zwar, weil es sich empirisch widerlegen lässt. Und das ist letztlich auch keine Diskussion um Personen, eben weil es keine Person gibt, die es schafft (ich weise nur gern darauf hin, wenn andere sich in Bezug auf einzelne Lehrer zu schöne Vorstellungen machen). Zum anderen ist es falsch im Abgleich mit dem, worum es im Zen wesentlich geht, wenn man von den Worten - ja, auch diesen Worten Güte und Mitempfinden - wegkommt.


    Wesentlich geht es im Zen um die Erfahrung des Erwachens, die eine Auflösung jenes Ichs bedeutet, das Güte und Mitempfinden registrieren oder ausüben kann. Im Kern dieser Zen-Erfahrung gibt es weder paramita noch klesha noch karma noch brahmavihara noch pattica sammupada. Und ich glaube, dass das Xinxinming auf dieser Erfahrung beruht.


    Auch brahmavihara sind Krücken (wobei das Theravada diese "himmlischen Verweilzustände" ja ebenfalls kennt). Um diese überhaupt irgendwie einschätzen zu können, bedarf es dualistischen Denkens und einer Wertung: Dies ist gleichmütig, jenes nicht usf. Für so etwas ist kein Platz in der Erfahrung von Satori. Aber da nähern wir uns einem Problem, das ja auch die Auseinandersetzung mit anderen Usern hier kennzeichnet. Wenn man an einen "Weg" der Tugend glaubt, mit dem man an den Kern des Zen herankommt, dann denkt man immer von diesen Krücken her und glaubt gewissermaßen an ihre absolute Existenz. Aber wie sieht denn 100%iges Mitempfinden aus? Wie 100%ige liebende Güte? Genau deshalb brachte ich noch den legendären Lebenslauf Sengcans ein. Denn wenn man tatsächlich erwartet, dass es einen kratzt, Güte und Mitempfinden zu leben, dann sollte man annehmen, dass er sich unter Menschen begibt und nicht in die Berge. Das gilt auch für die anderen brahmavihara, Gleichmut und Mitfreude. Oder soll es genügen, dass man sich gleichmütig beregnen lässt und mit Tieren, die nicht mal lachen können, freut? Es hat Sengcan also der Überlieferung nach offenbar nicht gekratzt, in diesem Sinne zu lieben. Jedenfalls nicht als Aufgabe, der er sich hätte stellen müssen. Sengcan kannte auch nicht das heute so populäre Verständnis des Bodhisattvaweges. Alles, was man dazu sagen kann, ist recht spekulativ, aber zumindest gibt es keinen Beweis dafür, dass er die Absicht hatte, sich in den Bergen "für den Marktplatz" zu schulen. Das sind alles Rückprojektionen. Dagegen sind die akademischen Kenntnisse des frühen Chan so weit gediehen, dass man davon ausgehen kann, damals hatten sich bereits jegliche Konzepte erledigt und waren genau so als Krücken durchschaut, wie ich es oben beschrieb.



    Was schließlich die "Umdeutung" angeht - ich sah da ein Hintertürchen für das Verständnis, dass man ja schließlich doch anhaftend lieben könne, ohne mit dem Dharma in Konflikt zu geraten. Und dies glaube ich nicht. Der Konflikt entsteht aber, weil der Dharma hier im Irrtum ist und Unmögliches oder Unrealistisches postuliert, und darum ist der Dharma zu kritisieren, oder auch der Versuch, ihm durch die Hintertür gerecht werden zu wollen, statt klar zu sagen, dass anhaftende Liebe ihrer Berechtigung im Menschenleben hat. Und dass Satori im Zen nicht bedeutet, dass man hernach ein Leben ohne diese anhaftende Liebe führen müsse. Mit anderen Worten, die Realität eines Bodhisattva wird so aussehen, dass ihm - anhaftungsfreies - maitri und karuna überwiegend misslingen wird, während er sich in der anhaftenden Liebe bewähren kann. Und dies erfordert dann die Art von Revision des Dharma, für die ich argumentiere (neben dem Anliegen, das z.B. der Unbuddhist hat). Ansonsten habe ich die anderen Übersetzer eingebracht, um zu zeigen, dass nicht bloß ein Hobbyübersetzer - wie es dieser zitierte Osteuropäer war oder auch du, mit Verlaub, bist -, sondern namhaftere Sinologen oder Buddhologen ebenso übersetzt haben. Ob sie nun 憎愛 (zēng ài) als Synonyme von dosa und lobha, Hass und Begierde, gesehen haben oder man unterstellt, dass sie das trotz ähnlicher Kenntnisse der Ausgangssprache, wie du sie ins Spiel gebracht hast (also des terminus technicus), taten, da sie Sengcan so verstanden wie ich. Sie übersetzten dann sinngemäß in der - vielleicht falschen - Annahme, dass man Sengcan schon richtig verstünde.



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    Wenn wir diesen Weg gesehen haben, sollten wir ihn als Standard nehmen, um unseren eigenen Weg daran zu messen. (Dogen)


    Kein Zweifel, dass mein Weg der richtigere ist. Ich ziehe mich nicht in die Berge zurück und auch nicht ins Kloster wie Sengcan und Dogen. Ich befolge also Dogens Rat, aber es geht anders aus, als er sich das wohl dachte. Und deshalb lasse ich auch nicht "die Sache mit den Frauen los", denn jener Buddha hat seine verlassen, genau wie Deshimaru, und das ist eben nur bedingt vorbildlich, das ist kein nachahmenswerter Standard per se.

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    Wenn in meiner geistigen Welt Menschen defilieren, die Unheilsames verrichten, bezieht sich das auf frühere Ursachen, die in 'meinem' Geistkontinuum entstanden sind.


    Das ist schon richtig. Aber ich kann ja nicht so viel für das Geistkontinuum von anderen. Das müssen sie schon selbst klären. Ich kann hier nur etwas zum Verbalkontinuum, der Diskussion, beitragen. Gelegentlich natürlich schweigen, um das Geistkontinuum der anderen nicht noch anzuregen. Um beim Thema zu bleiben - wenn du da sonst Bedarf hast, kannst du ja eine PN senden -: Mit dem Ton, den der Unbuddhist anschlägt, geschieht ebenfalls ein solches Anregen. Aber es muss sich doch keiner über ihn aufregen, solange er/sie sich über sich selbst - und seine Reaktion darauf - zuerst aufregen müsste. Die Frage, die der Unbuddhist stellt, ist doch auch die: Wieso lasst Ihr Euch von so vielen dahergelaufenen Buddhisten verarschen und das Geld aus der Tasche ziehen? Eine Frage, die ich selbst zwischen den Zeilen immer wieder stelle. Und wieso fallt ihr auf die Konzepte des "Dharma" rein und presst zwanghaft euer Leben da rein, anstatt allen Ballast fortzuwerfen und zu schauen, was da tatsächlich euch und der Zukunft der Menschheit dienen kann?

    Yofi, ich möchte vermeiden, das zu tun, was ich gerade kritisierte, nämlich vom Thema abzuweichen. Ich glaube, dass sich das genau zeigt, wie einer Meditation oder Zazen betreibt. Wenn er sich dabei gedanklich um sich selbst dreht und die Gedanken nährt, statt ziehen zu lassen, also z.B. Aversionen pflegt, dann treten die immer wieder außerhalb der Meditation zutage. Skeptischer könnte ich zumindest sagen, dass ich oft beobachtet habe, wie Menschen ihre Macken hartnäckig beibehielten, trotz Meditation. Selbst wenn sie sich dabei gedanklich also anders verhalten hätten, wäre die Quintessenz die Gleiche: Meditation hat sie im ethischen Sinn kein bisschen verbessert.

    morpho:

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    Woher sollst du auch wissen, dass im Zen B. die "Obrigkeit" lediglich von funktionalem Schlag ist


    Das ist schon klar. Für mich haben sie nie eine besondere Funktion erfüllen können. Ich kann dir aber garantieren, dass selbst die als besser angesehenen und populären Lehrer sehr häufig der Meinung waren, es wäre ein feiner Zug von ihnen, mich z.B. zu sich einzuladen (also in ihre eigenen Tempelbetriebe). Von vornherein steckt doch da nicht nur Freundlichkeit hinter, sondern auch: Mach du dich mal auf den Weg zu MIR. Das ist die Falle, in die fast alle Äbte, Roshis etc. irgendwann zu tappen scheinen.


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    Es gibt immer wieder Leute, die nach Gründen suchen, ihre sagen-hafte Autonomie, "Intelligenz" und Widerstandsfähigkeit zu behaupten.


    Finde ich eher selbstverständlich, da braucht man doch keine Worte verlieren. Nicht selbstverständlich finde ich dagegen Unterordnung oder der bloße Umstand einer Kleiderordnung (das "Körperliche"), wenn ich nach spiritueller Erkenntnis und "Befreiung" trachte.

    Der Ausdruck "Pegida-Buddhismus" gefällt mir. Ansonsten ist es wie üblich mit den Threads hier, irgendwann versuchen immer die gleichen Leute persönliche Aversionen in Zehnwort-Pingpong-Beiträgen einzuflechten und dem Kern der Themen eher auszuweichen. Dazwischen gehen sie aufs Kissen zurück, um sich die nächsten Aversionen auszudenken. Das nennen sie dann Meditation oder Zazen.


    In Hinsicht auf die "Transzendenzfalle" ist doch Folgendes zu fragen: Hältst du, Unbuddhist, eine transzendente, richtungsweisende Erfahrung (selbst wenn sie vielleicht nur einer Einbildung entspricht bzw. irgendwann genau hirnphysiologisch erklärbar wird) überhaupt für möglich?


    Verstehst du darunter im Wesentlichen ein Machtproblem, dann gibt es ja längst viele Ansätze, dieses zu umgehen. Dazu gehören der Verzicht auf klösterlichen und hierarchischen Buddhismus, teils - aber eben nur bedingt - natürlich auch die Ansätze gemeinschaftlichen Lebens, bei dem die Hierarchien eher flach gehalten werden. Das setzt aber auch Schüler/innen voraus, die nicht nach Rang und Karriere im Buddhismus streben, denn dann geht es wieder los mit Urkunden, Bestätigungen, Ernennungen. Im Zen wäre das eine Revolution, da es sich ja auf - akademisch längst falsifizierte - "Linienhalter" und Linientreue verließ. Es gibt jedoch überall immer Leute, die Karriere machen und ihrer Papiere dann auch haben wollen. Und selbst wenn nicht, wirst du hier z.B. nur wenige Zenübende finden, die überhaupt in ihren Kopp reinbekämen, dass man wirklich nichts von dem, was sie an Rituellem für wichtig halten, benötigt, um den Zenweg zu gehen oder ggf. auch eine transzendenete Erfahrung zu machen, die im Kontext dieses Zenweges anzusiedeln ist und dort Gültigkeit hat.


    Mit anderen Worten - und wie man hier im Forum immer wieder sieht - verlangt es einen mündigen und selbständigen Menschen, den man aber selten in der buddhistischen Szene antrifft. Aus vielerlei biographisch-psychologischen Gründen - und nicht bloßer Tradition - neigen zahlreiche Menschen dazu, sich unterzuordnen, zu Lehrern oder Meistern aufzuschauen und sich von ihnen Heil zu versprechen. Das stützt die Hierarchien und die Transzendenzfalle. Die Menschen sind im Großen und Ganzen nicht reif genug, sie zu umschiffen, und darum wird es immer solche geben, die für die Nachfrage dankbar ein Angebot schaffen. Der Buddhismus zieht in meinen Augen sozusagen den Typ "Untertan" magisch an.

    Sudhana:

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    Vielleicht lernst Du ja irgendwann auch einmal, Deshimaru zu misstrauen und stattdessen nur Dir selbst zu trauen. Ich wünsche es Dir.


    Interessant, wie du persönlich wirst. Aber ich betrachte es mal als Retourkutsche. Bloß, lernt man das beim Zazen nicht abzubauen?


    Faktisch ist es, wie in meinen Augen so vieles, was ich von dir lese, eher Augenwischerei oder Manipulation (in diesem Fall anderer Leser). Ich misstraue Deshimaru. Zum Beispiel in dieser Hinsicht: Ich kann mir vorstellen, dass er in Indonesien in Kriegsverbrechen verstrickt war (was mit der Location zusammenhängt, wo er stationiert war), aber mir fehlen da Beweise. Er war ein Säufer, haftete also an. Er hat teils Unsinniges zu menschlichen Beziehungen verzapft (hier sage ich nochmal klar, dass ich selbst Liebe für richtig und realistisch halte, und dass man ggf. die Verantwortung für seine Familie vor sein Mönchsdasein zu setzen hätte, auch wenn es in den "Schriften" anders steht und früher offensichtlich auch mal ganz anders gemacht werden konnte).


    Aber das alles ist relativ "normal", da wir alle fehlbare Menschen bleiben. Was seine Zen-Einsicht angeht, halte ich ihn für einen aus der ersten Reihe.


    Den Preis des Alkoholismus hat er vielleicht auch in Kauf genommen, als Folge der Einsamkeit, die ihm außerhalb Japans drohte. Mir scheint, es haben mehr Menschen davon einen Nutzen gehabt als wenn er in Japan geblieben wäre, also hat das auch noch eine andere Seite.


    Im Gegensatz zu dir, wenn ich so sagen darf und da noch auf dem aktuellen Stand bin, traue ich mir selbst sogar so sehr, dass ich nicht mal (mehr) zu einem buddhistischen Lehrer gehe.


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    Das hat weder mit Deutung noch mit Umdeutung etwas zu tun. Das ist schlicht Erfahrung


    Siehe meine Bemerkung oben in Klammern. Auch meine Erfahrung ist, dass wir besser lieben als uns davon loszusagen. Aber eine Umdeutung ist, den alten Texten zu unterstellen, die hätten das so gemeint, oder zu behaupten, wenn man eine Frau anderen vorzieht u.ä. würde man immer noch nicht anhaften. Im Gegentei: Man haftet an, man verletzt diese textlichen Ideale, weil sie unerfüllbar sind. Mag sein, dass es früher mal jemandem gelang wie Sengcan, der in den Bergen lebte, heute ist gerade die Zenwelt voller Verdrehungen und Lügen, da machen sich Lehrer ihre Schülerinnen zu Frauen oder ihre Frauen zu Nachfolgerinnen, andere gar zu Nonnen, damit es so aussieht, als würden sie den hehrsten schriftlich überlieferten Idealen gerecht. Und weil ich noch nie jemanden getroffen habe, der keine Neigungen hatte in Form irgendwelcher Vorlieben und Zu- oder Abneigungen, zweifle ich sogar, dass es diese Menschen je gab. Und das sagst du ja selbst:


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    er machte damit ernst, Liebe zu den Menschen zu pflegen.


    Darum besteht der Fehler m.E. darin, diese Ideale immer wieder zu zitieren und gar so weit zu gehen, sein eigenes Leben als deckungsgleich damit deuten zu wollen.


    Was du in dem von mir kritisierten Textteil machtest, war ja nicht zu sagen: Ich liebe, weiß aber, wie illusionär (leer usf.) dies ist. Du hast so getan, als würde man am Dharma UND an dieser Liebe - wie sie auch Ellviral vor den Texten verteidigen will - festhalten, indem man von sich behauptet, ohne Zu- oder Abneigung lieben zu können, also bedingungslos. Was stattdessen, darauf können wir wetten, eure Liebesbeziehungen kennzeichnet, ist, dass ihr den geliebten Wesen mehr Zeit und Aufmerksamkeit widmet als anderen, ihnen mehr Gefühle entgegenbringt, in irgendeiner Form an sie gebunden seid. Das ist dann auch sichtbar und messbar (in Zeit z.B.).


    Ich habe da nicht Deshimaru zitiert, sondern seine Aussage in den Kontext der Lehre gestellt. Liebe als Gegenteil von Hass - wie von manchen übersetzt - ist hier nicht christliche agape, sondern eine von vielen Formen der buddhistischen Anhaftung. Es wird nicht besser, wenn man dafür mögen (like) sagt, denn das ist lediglich eine schwächere Form der Zuneigung, also immer noch klesha. Das heißt im Mahayana so wie im Hinayana, es ist eine Geistestrübung.


    Im Zen wurde dieses Problem m.E. so gelöst, dass man mit Liebe - und im Übrigen auch mit Hass und Gier - im Bewusstsein ihrer Leere lebt, also sie nicht mehr bekämpft oder auszuradieren sucht, sondern durchschaut hat - was ihnen ihre leidhafte Wirkung entziehen hilft. Das ist etwas, was hier gerne geleugnet wird, obwohl es sehr viele User immer wieder bestätigen, du zum Beispiel oben mit deinem persönlichen Anwurf: Der Hass und die Abneigung existieren weiterhin im Zenübenden, auch wenn er fortgeschritten ist, es ist nur die Frage, wie sehr sie noch in der Lage sind, ihn innerlich aufzuwühlen und sein Verhalten zu bestimmen. Sollte Sengcan tatächlich einsam in den Bergen gelebt haben, war das natürlich dafür ein denkbar schlechter Prüfstein, weil er die Reibung an anderen ja bloß mied.

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    Wenn man sie (die Leere) freilich erfährt, weiss man in der Tat, was Liebe ist - und dass sie weder mit Vorliebe etwas zu tun hat noch das Gegenteil von Abweisung ist - sie ist Abwesenheit von Vorliebe und Abweisung.


    Solchen Sätzen sollte man meines Erachtens zutiefst misstrauen. Dies ist ein weiteres Beispiel einer Umdeutung. Liebe ist hier plötzlich die Abwesenheit von Vorliebe und Abweisung. Ich finde das schon per se - gerade wenn man sich gerade noch über terminus technicus und Spracheigenheiten ausgelassen hat - aberwitzig. Das ist in meinen Augen schlicht Sprachwirrwarr.


    Entscheidend ist aber, dass keiner, den ich kenne und der solche Reden schwingt, je selbst den Beweis erbracht hätte, dass er weiß, wovon er redet, also dies in die Tat umgesetzt hätte. Keiner. Und insofern ist das alles hehre Theorie, die zu nichts weiter als Scheiterm am Ideal führt. Nicht selten schreibt das jemand, der sogar selbst einen Menschen den anderen vorzieht, weil er ihn liebt, etc. pp.


    Zur Ehrenrettung des Xinxinming betone ich nochmal, dass dort nichts dergleichen steht. Des Autors Sengcans Chancen bei Frauen dürften sowieso schlecht gewesen sein, weswegen ihm die Aufgabe von Zuneigung leichter über die Lippen gekommen sein dürfte. Man sagt, er habe Lepra gehabt. Wie auch immer, er zog - angeblich - durch die Berge und machte damit ernst, keine Vor-Lieben zu Menschen zu pflegen.

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    es gibt keine gute, keine empfehlenswerte Übersetzung des Xinxinming


    Ah ja. Es gibt wahrscheinlich auch kein gutes und empfehlenswertes Xinxinming ...


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    Es geht um meine Begegnung mit Sengcan


    die zu folgendem Schluss kommt

    Zitat

    die meisten vermutlich deswegen, weil sie gar nicht erst erkannt haben, dass hier ein terminus technicus vorliegt.


    Den Unterschied von "love" und "like" musst du tatsächlich nicht erläutern, das tue ich.


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    If it hurts then it's love. If it doesn't then it's like.


    Wenn es schmerzt, ist es Liebe, wenn nicht, dann mögen.


    Ich glaube, sobald man eine textliche Inspiration zur "eigenen Begegnung" mit einem Autor macht, wird sie zu einer eigenen Wahrheit. Nicht zu einer Halbwahrheit. Ich gestehe es dann z.B. auch Andy Ferguson, seinerseits Sinologe wie auch Zen-Praktizierender, zu, dass er dies zu seiner Wahrheit machte:


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    neither aversion nor desire


    Weder Abneigung noch Begehren. Darauf läuft es raus. Sowohl mögen (like) wie auch lieben (love) sind Anhaften, klesha - der Geist schlägt Wellen, die er im buddhistischen Sinn nicht schlagen soll. Das will man nicht so gern wahrhaben, weil es dann noch unmöglicher erscheint, das Heilsziel des weder noch zu erreichen. Es muss doch einen Ausweg für die eigene - Zu-Neigung - geben. Darum kämpft z.B. Ellviral, indem er Liebe als bedingungslos erklärt und damit selig spricht.


    Die Sache ist aussichtslos. Schon als ego-lose Babys brauchen wir die Bindung an die Mutter, wir mögen also schon, bevor wir überhaupt wissen, was das ist. Drückt man das Baby einem Fremden in den Arm, fängt es häufig an zu schreien.


    Was meine Begegnung mit dem Shinjinmei angeht, so ist einer seiner wesentlichen Hinweise:


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    Der Weg der Worte ist abgeschnitten.


    Das gilt dann auch für die Worte des Shinjinmei selbst. Das ist überhaupt der Clou im Zen.

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    Der Spekulative Non-Buddhismus sieht sich selber als eine Form der Kritik am traditionellen Buddhismus, was dadurch den Raum für neue Ideen öffnet. Es geht also mehr darum infrage zu stellen und Fragen zu stellen, als Antworten zu liefern oder reformistisch zu wirken.


    in diesem Sinne will ich auf meine entscheidende Frage an den SNB hinweisen, warum er dem Mainstream-Buddhismus abkauft, dass alles mit paticca samuppada steht und fällt. Meines Erachtens tut der SNB dies, weil er sich auch dem historischen Materialismus verpflichtet fühlt.


    Die Lehre des bedingten Entstehens erfährt schon im Mahayana eine Umdeutung gegenüber dem Theravada, wo sie schlicht formuliert die Kette des Entstehens als Kreislauf der Wiedergeburten beschreibt. Bei Nagarjuna wird sie synonym zur Leere gebraucht - alles, was bedingt entsteht, ist leer.


    Diese Theorie ist auch deshalb so populär, weil sie sich mit modernen wissenschaftlichen Erkenntnissen zu vertragen scheint (Chaostheorie, Quantenmechanik, Systemtheorie ...). Außerdem ließ sie sich, in Anlehnung an "Indras Netz" aus dem Avatamsaka-Sutra, gut für populäre Konzepte wie "Interbeing" (Thich Nhat Hanh) und ökologische Engagements verwenden.


    Für mich ist entscheidend, dass paticca samuppada nur ein geschicktes Mittel (upaya) ist, also eine Lehre, die lediglich als Krücke auf dem Weg zur (entscheidenden) Erkenntnis dient, oder als Floß zum Übersetzen, damit klarer ist, dass man dieses irgendwann hinter sich lassen darf. Entscheidend ist nicht, was Buddha NACH dem Erwachen sagte (das ist alles upaya), sondern was er IM Erwachen erlebte/erkannte (was gar nicht sag-bar ist). Mit anderen Worten denke ich, dass sich solche aufs Erwachen folgende Äußerungen individuell unterscheiden werden, weil das Wesentliche bereits passiert ist - als "Erwachen" oder Initialzündung zu einer veränderten Sicht, einem veränderten Lebenswandel. Aufgabe dessen, der die "Nachfolge" Buddhas antritt, ist eben nicht das Rezitieren der Worte dieses anderen Menschen, sondern seiner entscheidenden Tat - des Erwachens. Und wenn dieses Erwachen, nehmen wir dies hier mal ketzerisch an, zu der Einsicht führte, dass die vier edlen Wahrheiten, das bedingte Entstehen und was sonst noch für die Kernlehre des Buddhismus gehalten wird, nur ein (vergängliches, vorübergehendes) geschicktes Mittel war - wie Stützräder, mit denen man einem Kind hilft, das Radfahren zu lernen -, dann erledigt sich vielleicht auch das Klammern an paticca samuppada. Im Zen wurden solche Gedanken bereits bei seinem Entstehen geäußert: Alle Konzepte sind eben nur Kopfgeburten.

    Das ist mal wieder ein grotesker Thread ...


    Einem Zenlehrer, der eine offensichtlich interpretierende Version des Shinjinmei (und anderer Klassiker, in Deutsch vor allem bei Kristkeitz) veröffentlichte, wird mangelnde Kenntnis der Lexik der Zielsprache usw. vorgeworfen von jemandem, der seinerseits die Ausgangssprachen offenbar nicht auf akademischem Niveau studiert hat und sagt, er bastelt sich lieber seine eigenen Halbwahrheiten. Im besten Fall stünde da also eine Halbwahrheit gegen die andere. Übersehen wird jedoch, dass Deshimaru den Ansatz vertritt, der der Zentradition entspricht, nämlich aufzuzeigen, wozu Texte in einer Überlieferung, die sich gar nicht an Texte klammern will, gut sein können. Der Ansatz von Deshimaru, Zentexte darzulegen, ist fundamental anders als der z.B. von Sudhana, der meines Erachtens zu sehr an wörtlichen Bedeutungen klebt. Deshimarus Interpretationsgrundlage ist meines Erachtens immer sein eigenes Leben, das Kriegserfahrungen und umfassendere Zenpraxis umfasste als bei den meisten hier Schreibenden.


    Deshalb meine Empfehlung aller Darlegungen klassischer Texte von Deshimaru, auch auf Deutsch.


    Ursula Jarand kann nach meinem Kenntnisstand aus der Ausgangssprache ohne Umwege übersetzen. Die kann man also auch lesen.


    Vollkommen schleierhaft ist mir als Zenpraktizierenden die Diskussion um den Begriff "Liebe". Es handelt sich um einen illusionären Gedanken, der natürlich in diesem Sinne - und nicht im Sinne einer ethischen Abwertung wie bei Gier und Hass - ebenso zu überwinden ist wie jede andere Illusion. (Und Elviral, auch ihre "Bedingungslosigkeit" ist eine Illusion.) Wer sich da ein Hintertürchen aufhalten will, begreift natürlich auch nicht die Erkenntnistiefe von Deshimaru. Liebe fällt also wie andere Dinge unter "Verblendung" oder "Unwissenheit" als dritte Ursache des Leidens.


    Beispiele aus englischen Übersetzungen, die hier stattdessen nahegelegt wurden:


    Zitat

    Do not like, do not dislike; all will then be clear.

    (Waley, Sinologe)


    Zitat

    Only when you neither love nor hate

    (Blyth, Sprachallrounder, auch für Chinesisch)


    Zitat

    Only do without love and hatred

    (Watson, u.a. Prof. f. Chinesisch)


    Na so was ...

    Unbuddhist:

    Zitat

    Und das ist die Pointe um die es hier geht. Mehr nicht.


    Diese Pointe unterschreibe ich. Aber es geht bei der Achtsamkeitsübung um mehr, wenn man sie intensiver und länger betreibt. Ich habe hier irgendwo ein Beispiel gegeben. Das Klischee besagt nämlich: Wenn du isst, dann iss (und tue sonst nichts). Nach meiner Erfahrung geschieht das Gegenteil, man entwickelt zunehmend die Fähigkeit (die aber auch Nichtbuddhisten oft haben), mehrere Dinge gleichzeitig zu tun, also zu essen und fernzusehen, oder zu essen und ethische Probleme gedanklich zu bearbeiten. Das wirst du hier aber wohl von kaum jemandem hören, da man lieber an den überlieferten Worthülsen festhält, obwohl man es zumindest im Zen besser wissen müsste. Die Worthülse lautet: Iss ganz bewusst und konzentriere dich nur darauf. Atme ganz bewusst und konzentriere dich nur darauf. Das alles ist im Sinne einer zeitlich begrenzten Übung interessant, aber nicht das, was Achtsamkeit im Alltag ausmacht.


    Was hingegen auch andere unterschreiben dürften, ist die "umfassendere" Achtsamkeit, die mit der Übung entsteht. Es werden also Sinne und Bewusstsein geschärft, so dass einem mehr Details erfahrbar werden, weil man z. B. draußen auf der Straße - wo es im Gegensatz zum Essen angebrachter ist - nicht in seinen Grübeleien versinkt, sondern genauer wahrnimmt, was sich hier und da abspielt. Auch auf das, was der eigene Körper macht, achtet man intensiver (was nicht immer von Vorteil ist). Es ist auch nicht das gleiche wie Konzentration, wie ich leicht feststellen kann, wenn ich Konzentrationsübungen mache und dort nicht besser abschneide als der Schnitt. Die Achtsamkeit, die gemeint ist, dürfte eher einem offeneren Gewahrsein entsprechen, als es der ständig in Gedanken verstrickte Normalo kennt. Die Folge ist dann, dass man eher zur Tat schreitet, weil man eher als andere ein Problem identifiziert. Wenn man Achtsamkeit falsch übt, ist man hingegen ständig mit der Achtsamkeit auf sein eigenes Tun beschäftigt ("Ist meine Haltung in Ordnung" usf.).


    Mein Fazit ist, dass die von dir kritisch betrachtete Achtsamkeitsübung deshalb leicht zu ironisieren ist, weil sie sich mit Banalitäten beschäftigt, die gar nicht so großer Achtsamkeit bedürfen (das tägliche Waschen, Essen usw.). Genau das wird aber bis zum Erbrechen auch in manchen Zenschulen geübt. Interessant wird es jedoch erst, wenn man gerade nicht mehr sich allein auf das Einzelphänomen (Essen, Kochen usf.) konzentriert, sondern bei konzentrierter Verrichtung des Nötigen sozusagen für das Unnötige über-empfänglich wird: Ich muss schnell zur Bank, um eine Überweisung zu tätigen - aber ich grüße die Bettlerin, ich sehe die loße Fußplatte, ich halte jemandem die Tür auf, auch wenn er vor mir in der Schlange stehen wird. Achtsamkeitsübung wird erst dann interessant, wenn sie sich nicht mehr um einen selbst dreht - was sie aber in den ironisierten Beispielen meist tut.

    Die Frage war offenbar: Wozu Buddhismus, wenn es auch andere Arten der Selbstoptimierung gibt? Oder wozu überhaupt diese Selbstoptimierung, die nach neuen wissenschaftlichen Erkenntnissen sogar Stress erzeugt, wenn man sich reinsteigert, also kontraproduktiv ist?


    Was den Buddhismus unterscheidet, sind offensichtlich nicht seine Werte (erst, wenn man ins Detail geht, fängt man sich an zu streiten - Liebe und Gebefreudigkeit, ja, aber geht die Liebe z.B. so weit, dass man kein Fleisch mehr isst usw.).


    Ein paar Unterschiede in der Weltanschauung ergeben sich, wenn man bedingtes Entstehen in den Mittelpunkt seiner Erwägungen stellt, aber mir scheint, dass die meisten Menschen unabhängig vom Buddhismus sehr wohl eine Ahnung davon haben.


    Treibt dich diese Frage um, Unbuddhist? Ich glaube, die Antwort wurde schon gegeben, aber du lehnst diese ab, weil du sie für ein Hirngespinst hältst. Nach meiner Ansicht ist der Buddhismus der Versuch einer höchsten Transzendenz, also eines Überschreitens des begrenzten Menschseins. Wenn man dies nicht für möglich hält, kann man Buddhismus auch leicht gegen andere Dinge austauschen, z.B. in Fragen der Selbstoptimierung, der Moral, des Rituals. Im Falle der Transzendenz ist es womöglich ein gravierender Unterschied, ob der Mystiker mit Gott/Allah eins werden will (kann?) oder, wenn ich es mal so sagen darf, mit niemandem. Nimmt man diese Idee an, würde es vielleicht genügen, dass es dem Mystiker selbst etwas gibt. Es wäre ja legitim, wenn dieser Mystiker sagt: Mir hat es was gebracht! Eine andere Frage wäre, ob es sich dann noch in angenehmer Weise auf seine Umwelt auswirkt.


    Ansonsten nämlich sieht es meines Erachtens so aus, dass Praktizierende von Religionen die Welt nicht besser machen. Neuere Forschung fand auch heraus, dass religiöse Moral dazu dient, strikte Moralvorstellungen vor allem in Bezug auf Sexualität zu verankern ("Theorie der reproduktiven Religiosität", siehe http://www.sueddeutsche.de/kul…ie-1.2877820?reduced=true): "Was die meisten Themen betrifft, die nicht explizit mit Sex, Heirat und Fortpflanzung zu tun haben, scheint der Einfluss der Religion eher gering zu sein". Dazu wurden 300.000 Menschen in 90 Ländern befragt. Verstöße gegen Sozialverhalten und sexuelle Normen wurden von den Religiösen streng getadelt, mit der Ehrlichkeit z.B. nahm man es aber nicht so genau. Fazit war: Es ging nur um Teilsaspekte der Optimierung, nicht um Großzügigkeit und Vertrauen, sondern um die Sicherung von Ehe und Fortpflanzung.


    Deine Frage, Unbuddhist, würde ich so beantworten: Der Buddhismus bringt in moralischer Hinsicht nur etwas, wenn man für eine eher restriktive Ehe- und Forfpflanzungsmoral ist. Auf anderen Gebieten bringt er nichts. Er versagt also im Sinne der Selbstoptimierung weitgehend, das Training der Achtsamkeit funktioniert nicht recht. Eine andere Frage wäre, ob er auf dem Gebiete der Entgrenzung (Transzendenz) der geistigen Erfahrungswelt mehr erreicht. Und ob sich daraus vielleicht sogar ergibt, dass die einseitig-restriktiven Auswirkungen seiner Moral "korrigiert" werden können.

    Zitat

    Ich glaub auch nicht, daß man das da einfach von seinen vereinzelten Erfahrungen extrapolieren kann


    Ich glaube das Gegenteil. Dass man am besten von seinen eigenen Erfahrungen schließen kann. Diese sagen einem, dass nur zeitlich begrenzte Erfahrungen bewusst erlebter Freiheit von Hass, Gier usf. möglich sind. Diese Zustände unterliegen der Vergänglichkeit. Dass sie dies tun, ist ein Bestandteil der buddhistischen Lehre. Dass im Idealfall ein unumkehrbarer "Dauerzustand" (Nirwana) von Ego-losigkeit, Hass- und Gierfreiheit herrsche - was ja auch Bestandteil der Lehre ist -, das wirkt wie eine rein hypothetische Konstruktion, damit man sich im Sinne deiner unaufhörlichen Übung anstrengt. Nach meiner Erfahrung wird dies jedoch nirgendwo beobachtet und es ist niemandem ein solcher Mensch bekannt (ich würde auch den im Palikanon geschilderten Heiligen oder andere wie Jesus usf. nicht so sehen, bei genauer Betrachtung, aber er dient ja vor allem der oben genannten Idealisierung).


    Was ich damit sagen will ist, dass meines Erachtens nichts anderes als eine vergängliche Erfahrung von Egolosigkeit möglich ist. Ansonsten jagt man einem Phantom nach. Bei der dauerhaften Darstellung eines "guten Charakters" - um das mal "universal" umzuformulieren, zeigen sich lediglich graduelle Unterschiede, also dass der eine weniger gierig ist als ein anderer bzw. dass er unterschiedliche Gierphasen im Leben durchmacht. Im Grunde geht es darum, die punktuell gemachte Erfahrung so gut wie möglich im Alltagsleben auszuweiten. Der Trick ist also zu durchschauen, dass das Ideal einem Traum entspricht, wie er etwa in Hollywood-Filmen oder Comics mit Superhelden gezeichnet wird. Ansonsten wird schon durch eine kleine Perspektivverschiebung unser Held der Moral kritikwürdig (wieso hat Jesus sich so einfach ans Kreuz nageln lassen, wieso hat der Buddha nicht eindeutig Vegetarismus oder vegane Ernähung gefordert ...). Auch diese Helden sind also gescheitert, wenn man nur ein wenig den Blickwinkel ändert.


    Vielleicht ist das ja mit deiner unaufhörlichen Übung gemeint.

    bel:

    Zitat

    Und weißt du jetzt besser, wie das ist


    Ja, weißt du das denn nicht? Was das bedeutet, nicht gierig zu sein, nicht anzuhaften? Darum geht es doch.

    Zitat

    Um zu wissen, was das "Ziel" sei, müßten wir ja wissen, worin es besteht.


    Das sagt offenbar ein Zenbuddhist. Und das könnte dann der Unterschied zum Theravada sein. Dort kennt man das Ziel, es heißt Nirwana. Es ist im Palikanon ganz gut beschrieben: Erlöschen - kein Ego, keine Gier, kein Anhaften.

    Sudhana:

    Zitat

    Eine solche empirische Erfahrung ist z.B. die Beobachtung, dass eine zu nachlässige Übung in der Praxis, Nichtgegebenes nicht zu nehmen, ungeachtet der unmittelbaren Befriedigung von Gier auch häufig die leidhafte Folge gesellschaftlicher Ächtung oder eines Gefängnisaufenthaltes nach sich zieht - eindeutig eine karmische Folge.


    Die Aufklärungsraten bei Taschen- und Fahrraddiebstahl betragen in Deutschland etwa 5-10 %. Aus dieser Tatsache müsste man empirisch ableiten, dass "Nichtgegebenes nehmen" gerade mit hoher Wahrscheinlichkeit keine Ächtung und keinen Gefängnisaufenthalt nach sich ziehen und sich sogar "lohnen" kann.

    Ich erkenne zwei Probleme. "Copy und Paste" übersieht, dass die Rede im Palikanon bezüglich der genannten Berufe oder Tätigkeiten sich an Mönche einer bestimmten Zeit richtete. Mr. Right ist kein Mönch (und nicht aus dieser Zeit), also ist das Zitat unpassend.


    Das eigentliche Problem besteht vielleicht eher darin: Wie kann jemand einem Menschen mit mehreren hochgradigen akademischen Abschlüssen klarmachen, dass die Tätigkeit eines Hilfspolizisten oder Zeitungsausträgers - für diesen Qualifizierten - "rechter Lebenserwerb" sei?

    Kann man einerseits die Misogynität des frühen Buddhismus als historisch bedingt anführen, ihn andererseits als bereits relativ fortschrittlich bezeichnen? Im Hinduismus war bereits bekannt, wie sich ein Gott in eine Frau verwandelt (Vishnu in Mohini), und vor allem gab es schon seit den Veden - bis dann in die Sprache hinein - auch ein drittes Geschlecht, das als Mittler in religiösen Dingen bis heute fortwirkt. Man könnte sich anschauen, wie es um die Bedeutung von Frauen (oder eines dritten Geschlechtes) im heutigen Buddhismus bestellt ist, oder wie sehr der Nonnenorden sich an historisch bedingten Vorstellungen noch immer orientiert usw., um zu verstehen, wie sehr Bezüge zur Überlieferung weiterhin als Argumentationsgrundlage wirken.