catflap08:
Kritik ist eine Sache und kann auch sachlich sein, mit Argumenten und erlebten belegbar sein.
Sachliche Kritik und Gegenkritik sind rationale Methoden der Auseinandersetzung die ich befürworte. Das eigene Erleben kann dabei eine Hilfe sein, muss es aber nicht. Emotionalität kann auch zu besonders verzerrten (nachträglichen) Wahrnehmungen führen. Dies kann zum Beispiel bei gescheiterten Liebesbeziehungen häufig beobachtet werden. Wobei ich definitiv nicht den Eindruck habe und ihn auch nicht erwecken möchte, dass du unter einer besonderen Verzerrung leidest – darauf möchte ich explizit hinweisen, damit kein falscher Eindruck entsteht.
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Vielleicht unterscheiden sich hier auch unsere Wahrnehmungen bzw. unsere Erfahrungen.
Mit dem Nichiren-Buddhismus habe ich (fast) gar keine Erfahrungen, was nicht unbedingt von Nachteil sein muss, und unsere Wahrnehmungen sind teilweise unterschiedlich, was aber definitiv kein Nachteil ist.
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Wäre der Streit zwischen Soka Gakkai und Nichiren Shoshu sachlich geblieben so hätte jeder seine Konsequenzen ziehen können. Sachlich wäre gewesen, wenn man Zweifel an der Wertigkeit/Stellenwert von Amt des Priesters/Präsidenten etc. gehabt hätte, wenn man argumentativ vorgegangen wäre. Wenn man sich also inhaltlich mit der Doktrin auseinandergesetzt hätte. Natürlich gehe ich hier für denjenigen der mit Nichiren Buddhismus gar nichts am Hut hat sehr ins Detail. Die Schäbigkeit die ich erwähnte bezieht sich jedoch darauf wenn man die Gegenseite beispielsweise mit einem Krebsgeschwür bezeichnet (hatten wir solche Vergleiche nicht schon einmal in unserer Geschichte? Sprich dem Gegenüber die Wahrnehmung als Mensch streitig zu machen?).
Die Trennung einer großen Laien-Bewegung von einer priesterlichen Organisation und der damit einhergehende scharfe Antiklerikalismus sind Erscheinungen, die wir in Europa „Reformation“ nennen und die zwischen 1490 und 1700, also über einen Zeitraum von 200 Jahren stattfanden (nach: D. MacCulloch, Die Reformation).
Das von allen Seiten im Zuge dieses Prozesses der Entklerikalisierung (Trennung eines größeren Teils der Gläubigen von der Römisch-katholischen Kirche, Zertrümmerung ihrer Dogmen von der Funktion der Priesterschaft, von der Vermittlung zwischen den Gläubigen und Gott usw.) angewandte Ausmaß an Gewalt und Schäbigkeit war so groß, dass die Auseinandersetzung zwischen der Nichiren Shoshu und der Soka Gakkai als ausgesprochen harmlos erscheinen muss. Unerfreulich, aber harmlos – wenn man keine unmittelbar-persönliche, sondern eine historische Perspektive einnimmt.
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Sie, die SGI, sagt ganz klar wer Freund oder Feind ist,
Der Nichiren-Buddhismus ist sicherlich immer und von Anfang an auch politisch gewesen und die Unterscheidung von Freund und Feind kann überhaupt als konstitutives Element des Politischen aufgefasst werden.
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Was in der SGI jedoch gilt ist der Standpunkt des Meisters (Ikeda) und mögen er sich auch widersprechen.
Ich kenne nicht sämtliche seiner Standpunkte, vielleicht widersprechen sie sich nicht, sondern ergänzen sich, sozusagen dialektisch, who knows.
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Auch wenn ich aus Gründen der Lehre nicht mit der Nichiren Shoshu übereinstimme (Position Nichirens als Buddha etc) so muss ich jedoch zugeben, dass sie einem klar definierten Konzept folgt. Somit kann ich es aus heutiger Sicht sogar verstehen warum die SGI damals von der Nichiren Shoshu ausgeschlossen wurde.
Die folgerichtige „Exkommunikation“ der SGI war für ihre Entwicklung m. E. sicherlich von Vorteil, genauso, wie zum Beispiel die Zerstörung des monumentalen von der SGI (bzw. deren vielen Mitgliedern) finanzierten Tempels für den Dai-Gohonzon – den die Nichiren Shoshu hat abreisen lassen, um der SGI zu schaden. Die Soka Gakkai konnte sich aber dadurch stärker darauf besinnen, dass Nam-Myoho Renge-Kyo keinen äußeren Tempel braucht, sondern eine innere Angelegenheit ist.
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Was mir Sorgen bereitet ist die Position Ikedas, der Stellenwert der ihm eingeräumt wird, diese Aura des absoluten unantastbaren. (…) Interessant wird es nun in der SGI wo der Stellenwert Ikedas schon fast über dem Nichirens zu liegen scheint, ergo wie Ikeda die Lehre Nichirens für das Heute auslegt und interpretiert, da gibt es wenig Raum für Diskussion oder andere Meinungen.
Daisaku Ikeda ist 1928 geboren, er ist also 81 Jahre alt. Zweifelsohne ist er für die Soka Gakkai so bedeutsam, wie Nichiren für den gesamten Nichiren-Buddhismus. In der Nichiren Sho Shu legt der mit Unfehlbarkeit ausgestattete Hohe Priester die Lehre aus. Du sagst nun, dass Ikeda als „unfehlbar“ gilt? Das kann ich nicht beurteilen, es würde mich aber nicht erfreuen, wenn es so wäre.
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Was inzwischen wohl üblich ist, ist der Stellenwert der sog. „menschlichen Revolution“ und die kann nur derjenige erreichen der dem Prinzip von Mentor/Schüler folgt und zwar mit Ikeda als Mentor. Zusammen mit seinen zwei Vorgängern auch die drei ewigen Mentoren/Meister genannt. Sprich, geht es in traditionellen buddhistischen Schulen noch um die Erleuchtung (wie auch immer dies in der jeweiligen Schule heissen mag) so gilt in der SGI erst einmal die menschliche Revolution nach dem Beispiel Ikedas als Grundziel ohne deren Erlangung eine Erleuchtung, das „Hervorholen“ der Buddhaschft in diesem Leben nicht möglich ist.
Ikeda definiert die „Menschliche Revolution“ wohl so: „Auf der persönlichen Ebene liegt das Ziel in der Reformation des Lebens, die auch »Menschliche Revolution« genannt wird. Menschliche Revolution bedeutet nicht Selbstverleugnung, sondern im Gegenteil eine allmähliche Veränderung, in der wir diejenigen Aspekte unseres Lebens entdecken und verändern, die uns und andere leiden lassen.“
Dagegen ist grundsätzlich nichts einzuwenden. Im Nichiren-Buddhismus ist doch wohl die Trennung zwischen den verschiednen Lebenszuständen (oder Bereichen) zwischen Individuum und Kollektiv („Land“), zwischen innen und außen ohnehin (zumindest theoretisch) „aufgehoben“.
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Mich persönlich würde es nicht überraschen, wenn man Ikeda somit als Buddha deklariert sei es zu seinen Lebzeiten oder nicht.
Dazu fallen mir drei Gedanken ein: Erstens: Im tantrischen Buddhismus Tibets gibt es sehr viele Personen, von denen angenommen wir, dass es sich um Buddhas (bzw. um Bodhisattvas) handelt. Dazu zählen die beiden aktuellen Karmapas (deren Anhänger noch darüber streiten, wer der echte ist) oder das größte buddhistische Idol der Gegenwart „Seine Heiligkeit der Vierzehnte Dalai Lama“. In diesem Milieu, das übrigens in buddhistischen Kreisen (z.B. in der DBU) und in Teilen der (unkritischen) Öffentlichkeit über Einfluss und übertriebene Sympathie verfügt, ist es ganz normal, dass bestimmte Führer als „Buddhas“ bezeichnet und verehrt werden.
Zweitens: Das Ziel des Christentums ist es wohl, sehr einfach gesagt, nach dem Tod in den Himmel zu kommen und dort bei Gott zu verweilen. Ob dieses Ziel überhaupt, oder gar von vielen, erreicht wird, das ist naturgemäß kaum zu überprüfen. Der Buddhismus behauptet dagegen, dass sein Ziel die Erlangung der Buddhaschaft ist (die Dritte Edle Wahrheit) und dies mag auch im Leben passieren und nicht erst nach dem Tode. Der Nichiren-Buddhismus (das hat er übrigens mit dem tantrischen Buddhismus gemeinsam) behauptet zusätzlich, dass er die richtige Methode lehrt, um in einem und in diesem Leben die Buddhaschaft zu erlangen. Und das sollte überprüfbar sein. Insofern wundere ich mich, dass du dich darüber wunderst, dass die Buddhaschaft Ikeda zuerkannt wird, aber den vielen Millionen seiner Anhänger nicht. Die Methode muss sich ja in der Praxis beweisen und das wird ja von der Soka Gakkai auch ausdrücklich so gelehrt.
Und drittens: Die Erlangung der Buddhaschaft, die ja nach Nichiren überhaupt nicht von den neun Zuständen der Nicht-Buddhaschaft getrennt ist, wird jedem verhießen, der mit tiefem Glauben die Fünf Schriftzeichen rezitiert. Diese Verheißung und das dahinter stehende Konzept dessen, was Buddhaschaft genannt wird und in welchem untrenntbaren Zusammenhang es mit der Existenz eines normalen Menschen steht (Ichinen Sanzen) – das ist doch das charakteristische Merkmal des Nichiren-Buddhismus. Insofern kann doch Buddhaschaft – von wem auch immer – gar nicht als etwas Exklusives angesehen werden, oder liege ich falsch?
Gruß
Kongjiazhong