Beiträge von Frieden-und-Freude im Thema „Graduelles Training (aus: "Buddhas Lehre von der Wiedergeburt")“


    Mir scheint eher, dass Du diesen zweiten Teil der Lehrrede komplett falsch interpretierst und darin fälschlich etwas siehst, das Deiner zen-inspirierten Sichtweise entspricht und dem graduellen Training widerspricht.


    Dann schau mal genauer hin, was da steht über die Personen, die keine Fortschritte machen und nichts erreichen:


    Zitat

    "Es gibt Personen, die ohne Vertrauen sind und die vom Leben zu Hause fort in die Hauslosigkeit ziehen, nicht aus Vertrauen, sondern um einen Lebensunterhalt zu suchen, die betrügerisch, hinterlistig, verschlagen, hochmütig, hohl, eitel, mit derber Zunge, mit losem Mundwerk sind, die ihre Sinnestore nicht beschützen, die maßlos im Essen sind, der Wachsamkeit nicht gewidmet, dem Mönchsstand gegenüber gleichgültig, nicht besonders respektvoll gegenüber der Schulung, die aufwendig leben, die achtlos sind, die im Rückfälligwerden führend sind, die die Abgeschiedenheit vernachlässigen, die faul sind, es an Energie mangeln lassen, die unachtsam sind, nicht wissensklar, unkonzentriert, mit zerstreutem Geist, ohne Weisheit, Schwätzer."


    Du deutest das so, dass diese Personen alles genau erfüllen und doch nicht Nibbana erreichen. Ein klarer Fall von Fehlinterpretation, denn die oben beschriebenen Personen folgen ja gar nicht dem graduellen Training.



    Abgesehen davon habe ich niemals behauptet, dass das graduelle Training eine hinreichende Bedingung für Nirwana sei.
    Es wäre ja auch ganz absurd, so etwas zu behaupten, denn auch von denen, die eifrig gemäß den Lehrreden üben, wird nicht jeder ein Arahant.
    Deiner Auffassung, dass es sich bei dem graduellen Training um notwendige Bedingungen für das Erwachen handelt und nicht um hinreichende Bedingungen, stimme ich zu.


    Allerdings werden diejenigen, die so üben wie es der Buddha beschreibt, auf dem achtfachen Pfad fortschreiten, auch wenn sie nicht die letzte Befreiung erlangen.

    Tychiades:

    Fortschritt ist eine Kategorie des unterscheidenden Denkens.


    Na klar, der Buddha macht ständig Unterscheidungen:
    zwischen heilsam und unheilsam, richtig und falsch etc. etc.


    Die Praxis wird verglichen mit der Übung anderer Künste, bei denen es ebenfalls einen allmählichen Fortschritt gibt:


    Tychiades:

    Es ist doch ziemlich wurscht, ob stufenweise oder nicht - Hauptsache du befolgst die Lehre - und da fängt man immer da an, wo man eben ist. Das kann man dann etikettieren wie man will.
    Auch nach 20 Jahren fängt man immer nur da an, wo man ist - mit dem Geist, der da grade da ist - und dem Zustand in dem man eben grade so ist.
    Da nimmt man Abstand von einer Bewertung. Man muss, ganz gleich wie hoch einer gestiegen ist - wieder runter auf Level O. Und da gibt es keine Bonuspunkte und du kannst das Erreichte auch nicht speichern fürs nächste mal und kannst nicht da weiterpraktizieren, wo du letztes Mal warst. Nee - du fängst ganz neu und von vorn wieder an. Von mir aus graduell - aber doch auch ein wenig plötzlich. Nicht rum dösen - rechte Anstrengung. Und nach der Übung wartet der Staubsauger - und dem ist es egal, wo du grade gewesen bist. Es muss sauber sein, wenn du bei mir Put-zen tust.


    Im Zen ist ja oft von "Anfängergeist" die Rede. Mir scheint, Du möchtest darauf hinaus: Nicht an vermeintlichen oder tatsächlichen Fortschritten anhaften, sich auf nichts etwas einbilden, sondern stets mit dem arbeiten, was da gerade ist, egal was es ist.


    Das ist auch aus meiner Sicht ein guter Grundsatz.


    Falsch wird es nur, wenn man diesen Grundsatz verabsolutiert und meint, es gebe in der Praxis gar nicht so etwas wie Fortschritt.


    Das wäre - aus Theravada-Sicht und auch gemäß den Lehrreden - eine eindeutig falsche Ansicht.
    Die Praxis ist eine fortschreitende, wenn sie gut und richtig ausgeübt wird.
    Das Fortschreiten erfolgt natürlich nicht immer linear, es kann da auch mal Phasen vermeintlicher oder tatsächlicher Rückschritte geben oder ein Stagnieren, aber das in den Lehrreden beschriebene Üben ist schon im Sinne von Fortschreiten gedacht.

    Vielen Dank an die Zen-Praktizierenden für ihre Anmerkungen und Kommentare!


    Einiges davon fand ich hilfreich zum Verständnis des Zen-Weges, manches erschließt sich vermutlich erst dann, wenn man diesen Weg einige Jahre beschreitet.


    Mir scheint, dass das "gegenseitige Lausen", von dem an anderer Stelle einmal die Rede war als Zweck von Forums-Diskussionen, in diesem Thread relativ friedfertig und konstruktiv ablief.
    So ein gegenseitiges Lausen kann ja ganz nützlich sein zur Erprobung der eigenen Vorstellungen von Praxis, denn ohne einen solchen Austausch schmort jede Tradition ja nur in ihrem eigenen Saft.


    Für dieses Jahr aber genug gelaust!
    Ich wünsche allen einen guten Rutsch!


    Vielen Dank auch Dir für die ausführliche Diskussion.


    Dein Beispiel von Huineng und auch Deine letzte Bemerkung dazu hat mir noch einmal besser verständlich gemacht, was von Moosgarten und von Dir gemeint war:
    Permanente Übung nicht im Sinne eines formellen Trainings, bei dem es ja immer auch "Ziele" gibt und "Erwartungen", diese Ziele zu erreichen, sondern sich selbst, das Leben und den Alltag genau so annehmen, wie es gerade ist: das Holzsammeln von Huineng. Gerade das, wenn es so praktiziert wird, ist ja nichts Selbstverständliches, da Menschen in ihrem Leben ja meistens immer etwas erreichen wollen, mit dem Ist-Zustand unzufrieden sind und einen Soll-Zustand anstreben. Und diese Differenz zwischen Ist-Zustand und dem angestrebten Soll-Zustand ist eine häufige Ursache für Dukkha.
    Wenn jemand so praktiziert in diesem Sinne als ununterbrochene "erwartungslose" Übung, kann man das als eine Praxis betrachten, die aber kein gezieltes Training darstellt. Und auf Grundlage einer solchen informellen Praxis können Einsichten auftreten, die oft als plötzliche Erleuchtung wahrgenommen und beschrieben werden.


    Mir ist inzwischen auch klarer geworden, warum Zen-Praktizierende so stark gegen das "graduelle Training" opponieren.
    Es scheint sich dabei ja - oberflächlich betrachtet - um dasselbe zu handeln, was im alltäglichen Leben der meisten Menschen Dukkha bewirkt: eben das Anstreben eines Soll-Zustands vor dem Hintergrund eines als unzureichend empfundenen Ist-Zustands.


    Und tatsächlich kann das ja bei manchen Praktizierenden zu einem erheblichen Problem werden. (Ich bin auch schon einigen Menschen begegnet, die mit großem inneren Druck und mit Anspannung "trainieren" und damit oft nur mehr Dukkha erzeugen als ohnehin vorher schon vorhanden war.)


    Gute und erfahrene Lehrer in den Traditionen, mit denen ich vertraut bin, nehmen da die Spannung heraus und betonen die Wichtigkeit, das eigene Leben, so wie es ist, erst einmal annehmen zu können. (Beispielsweise mit Hilfe von Metta-Meditation.)


    Insofern Danke für den Hinweis auf dieses Problem.
    Es ist wichtig, kann vorkommen, ist eine potentielle Gefahr beim "graduellen Training", kann aber auch gelöst werden im Rahmen dieser Übeweise.


    Wenn ich den Zen-Weg betrachte, so wie ich ihn inzwischen (möglicherweise besser) verstanden habe, bleibt es für mich weiterhin eine offene Frage, ob es wirklich ausreicht, alles einfach anzunehmen, wie es ist, ohne das eigene Leben und Handeln zu beurteilen?
    Wenn ein Zen-Praktizierender beispielsweise dazu neigt, feindselig auf andere zu reagieren, nimmt er dieses Verhalten auch einfach bloß an?
    Besteht nicht die Gefahr, dass das Annehmen des eigenen Lebens, so wie es nun einmal ist, bei manchen Zen-Praktizierenden bloße Rechtfertigungen sind, um eben nicht an sich arbeiten zu müssen?


    Das würde mich noch interessieren, wie die anderen Zen-Praktizierenden das sehen.



    Ansonsten: Nochmals vielen Dank für die interessante Diskussion, bei der ich etwas gelernt habe.


    Dass wir mit anderen gemeinsam praktizieren sollten, möglichst mit solchen, die bereits fortgeschritten sind in ihrer Praxis, stimmt natürlich. Menschen lernen ja üblicherweise durch persönliche Vorbilder, also durch Menschen aus Fleisch und Blut, die sie direkt erleben, mit ihren Stärken und manchmal auch mit ihren Schwächen.
    Müssen das "gute Freunde" sein? - Nicht unbedingt. Ein guter Lehrer muss nicht notwendig ein guter Freund sein.


    Es ist übrigens sogar möglich, von Menschen zu lernen, die ganz entgegengesetzte Auffassungen vertreten und sich auch überhaupt nicht freundlich verhalten.
    Ich fand Deine Ausführungen über den nicht-existenten Spiegel interessant genug, um mich mit dieser Frage weiter zu beschäftigen und mehr über Zen zu lernen.
    (Auch ohne das Bedürfnis zu verspüren, eine Zen-Praxis auszuüben. Ich habe genügend Vertrauen zu dem achtfachen Pfad, so wie er im Suttapitaka in vielen Lehrreden als graduelles Training beschrieben ist. :) )


    Man kann also lernen sowohl aus den Schriften, durch Kontakt mit "spirituellen Freunden", von authentischen Lehrern, auch dann, wenn man nicht mit ihnen "befreundet" ist und auch dann, wenn sie nicht "perfekt" oder "erleuchtet" sind.
    (Eine nützliche Faustregel ist da meiner Meinung nach der offene und ehrliche Umgang eines Lehrers mit seinen eigenen Schwächen. Das erweckt bei mir großes Vertrauen, wenn ich feststelle: Aha, hier und da sind auch bei ihm noch "Befleckungen", aber er gibt das ganz ehrlich zu und geht offen damit um - und zugleich hat er bereits hart an sich gearbeitet und ist in manchen Bereichen weiter entwickelt als ich selbst.)


    Und - wie gesagt - man kann auch von Menschen lernen, die feindselig auftreten und scheinbar Gegner sind.


    Häufig sind diese Menschen ja keine Feinde, sondern haben nur - aufgrund von zufälligen Bedingtheiten ihrer Biographie - andere Auffassungen erworben und eben leider noch nicht die Fähigkeit zur rechten Rede ausreichend geübt.


    Wozu einen solchen Menschen als "Feind" betrachten.
    Es kann ja gerade bei solchen Andersdenkenden immer mal vorkommen, dass sie interessante Meinungen äußern, die man so noch nicht gehört hat und die anregend sein können, auch wenn man sie nicht übernimmt.


    Und in jedem Fall sind solche Kontakte ein gutes Übungsfeld für liebende Güte.


    Liebende Güte ist so ein Training, das sehr empfehlenswert ist, gerade für Menschen, die zur Feindseligkeit neigen. Durch tägliche Praxis bildet sich dann allmählich die Fähigkeit, diesen Hass zu überwinden. Wenn da vorher starke Aversionen vorhanden waren, die leicht erregt werden können, nimmt das durch diese Praxis nach längerer Übung allmählich ab. Die Reaktionen auf bestimmte Reize, die früher feindselige Gefühle ausgelöst haben, werden immer seltener und immer schwächer und es erfolgt auch immer seltener ein unheilsames Ausagieren solcher Impulse, wenn sie denn gelegentlich doch einmal auftreten.


    Ob man diesen allmählichen Prozess als "graduelle Erleuchtung" oder "graduelles Erwachen" bezeichnet und ob es spontane Erleuchtung gibt oder nicht, ist für mich übrigens völlig nebensächlich. Wichtig allein ist, diesen Weg des Übens zu gehen, denn er lässt sich durch spontane Erleuchtungs-Erlebnisse eben nicht ersetzen.


    Wer jedoch glaubt, dieses Training überhaupt nicht nötig zu haben, weil es eine Form von Anhaftung sei und man doch auf direktem Weg durch spontane Erleuchtung die Sichtweise eines Buddha einnehmen könne, der unterliegt einem verhängnisvollen Irrtum und wird auch immer derselbe bleiben mit all seinen kilesas.
    (Ich möchte damit keineswegs behaupten, dass alle Zen-Praktizierenden diesem Irrtum unterliegen.)


    Und da wir keine Arahants sind, müssen wir täglich unseren Spiegel polieren - und an der Fähigkeit arbeiten, diese tägliche Aufgabe auch erfüllen zu können. :)


    Eine schöne Metapher übrigens! :like:

    accinca:
    Frieden-und-Freude:

    Diese Idee eines "ursprünglichen Einsseins mit allem", die Du oben beschreibst, wird von einigen Theravada-Lehrern, die ich kenne, sehr kritisch gesehen, und zwar als eine romantische Schwärmerei.
    Hier ein recht amüsanter Vortrag dazu:
    https://muttodaya.org/de/mutto…20_falschgeld_mettiko.mp3


    Ich habe jetzt erst nur die ca. ersten 4 Minuten gehört.
    Ich muß sagen ich habe zuerst einen kleinen Schock bekommen.
    Dann hat es sich aber wieder gelegt.


    :lol:


    Ja, besser länger als 4 Minuten hören ... ;)


    Vielen Dank für Deine Antwort. Ich werde die Anregung aufgreifen, dass wir am besten ganz konkret beschreiben, wie wir üben, um Gier, Hass und Verblendung zu überwinden. Eventuell kommen wir dadurch weiter und erkennen, dass wir vieles ähnlich machen, aber nur anders benennen.


    Zuvor nur kurz zu Deinen Anmerkungen zum "Buddhawesen":
    Diese Idee eines "ursprünglichen Einsseins mit allem", die Du oben beschreibst, wird von einigen Theravada-Lehrern, die ich kenne, sehr kritisch gesehen, und zwar als eine romantische Schwärmerei.
    Hier ein recht amüsanter Vortrag dazu:
    https://muttodaya.org/de/mutto…20_falschgeld_mettiko.mp3



    Okay, dann probiere ich mal, Dir ganz konkret zu beschreiben, wie ich übe:
    Da hatte ich vor wenigen Minuten den Wunsch, Moosgarten auf sein letztes Posting zu antworten, das nach meinem Eindruck voller Irrtümer und Missverständnisse steckt. Ich habe begonnen zu antworten, merkte aber bald "Da stimmt was nicht". Da war so ein leichtes Gefühl von Verdruss meinen eigenen Sätzen gegenüber. Daraufhin richtete ich die Aufmerksamkeit auf das, was ich an Absichten wahrnehmen konnte und stellte fest: "Da ist ein rechthaberischer Impuls" und zugleich "Da ist ein Impuls, dem Moosgarten die Leviten zu lesen". Der vor dem Schreiben eher friedvolle und freundliche Geisteszustand war leicht getrübt. Ich hörte auf zu schreiben und machte ein paar Minuten Gehmeditation. Kurz darauf erkannte ich klarer: Das vorhin waren Begehren und Aversion und Verblendung. Dem freien Lauf zu lassen, führt zu Dukkha. Also unterbreche ich das jetzt und schreibe entweder gar nicht oder erst dann, wenn meine Absichten durchgängig heilsam sind.
    Kurz darauf sah ich Deinen Text und stellte fest, dass ich mit heilsamer Absicht auf Deinen Text antworten kann.


    Ich möchte nicht behaupten, dass es mir immer gelingt, heilsame von unheilsamen Absichten zu unterscheiden oder achtsam auf den eigenen Geisteszustand zu sein.
    Das zu üben, ist aber Teil meiner Praxis.
    Und meiner Meinung nach ist es eindeutig ein allmähliches Training einer Fähigkeit: Am Anfang klappt so etwas gar nicht, nach einigen Jahren der Übung immer besser - und vielleicht ist es irgendwann eine ganz selbstverständlich vorhandene Fähigkeit.
    (Davon bin ich aber noch entfernt.)


    Magst Du mir auch konkret beschreiben, wie Du übst?

    Moosgarten:


    ... es ging nämlich bei der ganzen Diskussion hier nur darum zu zeigen, dass das was du als ¨graduelles Training¨ beschreibst eben nicht zwingend ist
    ...


    Soweit ich den Anfang der Diskussion in Erinnerung habe, wurde von seiten mehrerer Zen-Praktizierender erst einmal in Frage gestellt, dass die Praxis überhaupt als "graduelles Training" aufgefasst werden kann.


    Und: Ja, es stimmt, ich bin meinerseits davon ausgegangen, dass die Praxis nicht anders als als "graduelles Training" beschrieben werden kann.


    So ganz sicher bin ich mir in diesem Punkt noch nicht, ich lasse das erst einmal offen, denke darüber nach und lasse es auf mich einwirken, was Tai und Du dazu geschrieben haben.



    Moosgarten:


    , es gibt nämlich auch andere, nämlich ¨direkte¨ Wege, wie es bei euch so schön heißt.


    Wobei ja Satipatthana als der "direkte Weg" im Theravada nicht so verstanden wird, dass man auf Tugend und Sinneszügelung und auf Samadhi als Voraussetzung für höhere Einsicht verzichten kann.


    In einem anderen Thread äußerst Du (sinngemäß), dass einige Leute halt meinen, sie müssten erst einmal 9 Jhanas durchdeklinieren, statt direkt alles loszulassen. Und das sei nach Deinem Verständnis begriffsstutzig und umständlich.


    (Auch wenn ich Dich gerade nicht wörtlich zitieren kann, kam Deine Äußerung nach meiner Wahrnehmung schon etwas überheblich und entwertend rüber. Das soll jetzt kein Vorwurf sein, mir ist das im Grunde egal, ich möchte Dich nur darauf aufmerksam machen, dass Du Dich einerseits darüber beschwerst, wenn jemand Dich (scheinbar oder tatsächlich) nicht richtig zitiert, andererseits aber selbst manchmal Äußerungen machst, die die Praxis anderer Menschen stark abwertet.)


    Glaubst Du tatsächlich, der Buddha hätte in so vielen Lehrreden immer wieder so ausführlich über Tugend, Sinneszügelung, die Jhana- und Brahmavihara-Praxis gesprochen, wenn man auf das alles verzichten könnte?
    Wenn es tatsächlich einen "direkten Weg" gäbe, der so zu verstehen ist, dass diese Übungen überflüssig oder weniger wichtig sind?



    Moosgarten:

    Was bei deiner Zusammenfassung wieder fehlt, ist der Hinweis auf "ununterbrochene Übung", das schaut für den Aussenstehenden wieder so aus, als ob man es sich mit bestimmten Einsichten bequem machen könnte. Das Gegenteil ist der Fall.


    Ich habe keineswegs gedacht oder unterstellen wollen, dass es sich ein Zen-Praktizierender bequem macht.
    "Ununterbrochene Übung" würde in meiner Praxis bedeuten, die Aufmerksamkeit in der Gegenwart zu halten, etwa durch die Aufrechterhaltung von Körper-Achtsamkeit oder durch ein Mantra.
    Im strengen Sinne "ununterbrochen" lässt sich das für den normalen Praktizierenden allerdings nicht ausüben, jedenfalls habe ich noch keinen getroffen, der das kann.


    Könntest Du mir mal genauer beschreiben, was Du mit "ununterbrochener Übung" meinst und ob Du jemand persönlich kennst, der das kontinuierlich ausübt?

    Tai:

    .
    ... da ich von Theravada so gut wie gar nichts weiß, wäre ich übrigens sehr interessiert daran, von dir Konkretes über die von dir angewandten Methoden zu erfahren.


    Kurze Vorbemerkung: Gerade im Hinblick auf die ausgeübte Praxis ist "der Theravada" sehr verschieden. Das hängt meiner Meinung nach natürlich zum einen damit zusammen, dass es eine Vielfalt regionaler und historisch entstandener Traditionen gibt, zum anderen damit, dass die in den Lehrreden beschriebenen Methoden häufig verschiedene Interpretationen zulassen oder nur einen sehr allgemeinen Überblick geben, also ein Übungsfeld abstecken, das dann individuell erschlossen werden muss.


    Meine eigene Praxis ist beeinflusst sowohl von der thailändischen Waldkloster-Tradition als auch von der Tradition Ayya Khemas. In diesen Traditionen wurde ich unterwiesen und habe mit Lehrern praktiziert. Insofern kann ich da nicht für "den" Theravada insgesamt sprechen. Außerdem ist mein Umgang mit Traditionen eher unorthodox und undogmatisch. (Ich habe beispielsweise keine Scheu davor, Erkenntnisse der modernen Psychologie einzubeziehen.)


    In den beiden genannten Traditionen spielt die Idee von "graduellem Training" eine große Rolle.
    Einen schönen Überblick über das graduelle Training bietet Leigh Brasington, ein Schüler Ayya Khemas, in dieser Vortragsserie:
    http://www.audiodharma.org/series/24/talk/6866/
    Auf deutsch sind bei YouTube auch viele Vorträge von Ayya Khema zu finden.


    Zur thailändischen Waldkloster-Tradition findest Du auf Deutsch zahlreiche Vorträge über die Praxis hier:
    https://muttodaya.org/de/muttotalk/muttotalk.html


    Lieber Tai,


    ganz herzlichen Dank, dass Du mir den Ursprung der meisten lebendigen Zen-Traditionen ausführlich erläutert hast. Ich habe dadurch jedenfalls den Eindruck, schon etwas besser zu verstehen, was gemeint ist.
    Diese Idee von einem "Buddhawesen" zu dem man erwacht, bleibt mir dennoch erst einmal fremd, doch mir scheint, dass sich die eigentliche Praxis gar nicht so sehr voneinander unterscheiden muss. Du schreibst ja auch selbst, dass es auch aus Deiner Sicht wichtig ist, Fähigkeiten zu trainieren, um Gier, Hass und Verblendung zu überwinden.


    Eines Deiner Zitate möchte ich kommentieren:


    Zitat

    "Selbst wenn du alle zehn Stufen einer Bodhisattva-Entwicklung, eine nach der anderen, durchschreitest – sobald du endlich in einem blitzartigen Augenblick die vollkommene Verwirklichung erreichst, wirst du nur das Buddhawesen erfahren, das alle Zeit bei dir war. Auf allen vorherigen Stufen wirst du ihm nichts hinzugefügt haben und die Äonen des Ansammelns und Wirkens werden dir wie unwirkliche Traumhandlungen erscheinen. So sagt der Tathagata: „Durch die vollkommene unübertroffene Erleuchtung habe ich wahrlich nichts hinzugewonnen. Wäre etwas zu erreichen gewesen, hätte Dipankara Buddha nicht jene prophetischen Worte über meine Buddhaschaft gesprochen. Dieser Dharma ist ohne jede Unterscheidung, sein Name ist Bodhi."" ebd.(Das Zitat im Zitat entstammt dem Diamant-Sutra)


    Hier wird beschrieben, dass man in einem "blitzartigen Augenblick die vollkommene Verwirklichung" erreicht und einem dann die "Äonen des Ansammelns und Wirkens" wie ein Traum erscheinen.
    Das heißt doch aber zugleich, dass ohne die lange Zeit des "Ansammelns und Wirkens" der Augenblick der vollkommenen Verwirklichung gar nicht möglich wäre.
    Ist das nicht ähnlich wie bei allen anderen Dingen, die jemand erreicht? Da übt jemand lange und sobald er das was Ziel der Übung war, erreicht hat, erscheint ihm die lange Zeit des Übens ganz unwirklich, denn der Zustand der Verwirklichung unterscheidet sich so sehr vom Zustand des Übens.
    Übertragen auf das graduelle Training: Wäre es für einen Zen-Praktizierenden nicht auch denkbar, diesen langen Weg des Übens als Vorbereitung des blitzartigen Momentes der vollkommenen Verwirklichung zu sehen?
    Das käme jedenfalls der Auffassung vom "graduellen Training" nahe, die man im Suttapitaka in vielen Lehrreden findet.
    Es widerspräche auch gar nicht der Idee von einem unbedingten Buddhawesen!
    Das "Buddhawesen" ist unbedingt, der Augenblick des Erwachens aber nicht. (Dieser Augenblick hängt ab von der Praxis - und die Praxis ist eine graduelle.)

    Moosgarten:
    Zitat

    Du scheinst dagegen zu glauben, dass sich irgendetwas "offenbart" und man "zum Weg erwachen" müsse und dass das nichts damit zu tun habe, Fähigkeiten zu trainieren.


    Siehste, auf einmal is von "Rechter Rede" keine Spur mehr zu finden, du beginnst einfach wild zu spekulieren und zwar obwohl ich es erklärt habe und du es in deiner jetzigen Antwort auch zitiert hast.


    Anscheinend ein Missverständnis, jedenfalls wollte ich lediglich Deine Ansicht so zusammenfassen, wie ich sie verstanden hatte, insbesondere folgenden Satz: "Nicht die Einsicht ¨Fähigkeiten zu trainieren¨, sondern einfach die Einsicht, dass "Einsicht¨ etwas ist, dass sich erst im konkreten Tun und ganz natürlich, nicht etwa eingeübt, offenbart, also physisch und nicht nur im Kopf ..."



    Vielleicht habe ich inzwischen ein wenig verstanden, wie du das meinst:


    Der Aufenthalt in einem Zen-Kloster scheint dazu zu führen, dass die Besucher mit dem Scheitern ihrer eigenen Erwartungen und zugleich mit psychischen und physischen Belastungen konfrontiert werden. Da sie sich dem nicht entziehen können und sie nicht ausweichen können, werden sie ganz auf sich selbst zurückgeworfen. In solchen Momenten kann es passieren, dass sie Erwartungen und Konzepte ablegen und sich ganz dem Jetzt und Hier hingeben. Das nennst Du "zum Weg erwachen".


    Ist das so ungefähr richtig verstanden?



    Und mit "graduellem Training" kann ein Zennie deswegen nichts anfangen, weil das aus seiner Sicht viel mit Erwartungen und Zielen zu tun hat, die doch gerade losgelassen werden sollen.


    War das das Wesentliche oder fehlt noch etwas zum Verständnis von Zen? :)


    Zu der Frage, ob "Fähigkeiten" trainiert werden.


    Machen wir das mal ganz konkret: "Rechte Rede" ist ein Aspekt der Praxis, der bereits intensives Training in verschiedenen Fähigkeiten erfordert. Das ist beispielsweise die Fähigkeit, freundlich und wertschätzend mit anderen Menschen zu kommunizieren, auch wenn sie andere Meinungen vertreten.
    So etwas muss systematisch eingeübt werden, es fällt nicht vom Himmel.
    Heutzutage gibt es in der Psychologie ganze Schulen, die sich schwerpunktmäßig damit beschäftigen, z.B. "gewaltfreie Kommunikation" und solche Ausbildungen können Jahre dauern.
    Ich glaube nicht, dass man bestreiten kann, dass es sich um ein Training von Fähigkeiten handelt.


    Du scheinst dagegen zu glauben, dass sich irgendetwas "offenbart" und man "zum Weg erwachen" müsse und dass das nichts damit zu tun habe, Fähigkeiten zu trainieren.


    Ich möchte Dir ja gern darin zustimmen, dass "Einsicht" nach und nach "beim Tun" auftritt. Allerdings eben auf der Grundlage eines Trainings von Fähigkeiten.


    (Allein schon die Fähigkeit, überhaupt mehrere Stunden sitzen zu können, muss trainiert werden, also spielt das auch beim Zazen eine Rolle.)

    Moosgarten:
    Frieden-und-Freude:

    [Ist das eigentlich in einem Zen-Kloster so ganz anders?


    Auch im Zen-Kloster gelten Regeln, darüber braucht man kein großes Aufheben zu machen, wer das nicht kann, geht.
    Die Herausforderung ist ne andere. Oft - ich würde sogar sagen überwiegend kommen Leute, die wenig oder nix über Buddhismus wissen und keine, bis wenig bis überhaupt keinerlei Zazen-Erfahrung haben. Nach 3 Tagen sollen sie sich erstmalig für 5 Tage a 15h zum Zazen hinhocken. Da fließt schon mal manches Tränchen :). Diejenigen, die nach 14 Tagen immer noch da sind, haben meistens schon Einsichten gewonnen, die sehr prägend sind und für die sie kein weiteres Buch oder Lehrer benötigen, das umzusetzen. Ich weiß das, weil ich mit etlichen von denen auch weiter Kontakt habe.


    Zitat

    M. 107. (XI,7) Ganakamoggallāno Sutta
    "Es ist möglich, Priester, auch in dieser Lehre und Ordnung einen allmählichen Ansatz, einen allmählichen Fortschritt, einen allmählichen Aufstieg nachzuweisen. ....


    Ja, möglich isses, zwingend nicht, und hinreichend schon überhaupt nicht.


    Vielen Dank erst einmal für Deine Antworten, in denen Du auch die Zazen-Praxis beschreibst.


    Als erstes zu dem Punkt, dass es zwar möglich, aber nicht zwingend ist die Praxis des achtfachen Pfades als eine graduelle zu beschreiben.


    In gewisser Hinsicht stimme ich Dir da zu: Es stimmt natürlich, dass die einzelnen Glieder des achtfachen Pfades sich wechselseitig stützen und miteinander in Beziehung stehen.
    Aus diesem Grund betone ich auch immer wieder, dass eine allzu starre Stufen-Interpretation des graduellen Trainings falsch wäre. Also etwa die Ansicht, man müsse jede "Stufe" erst einmal zur vollen Verwirklichung bringen, bevor man einen Schritt weitergehen dürfe. Das kann nicht funktionieren - und so kann es deshalb auch nicht gemeint sein.
    Es kann also nicht gemeint sein, dass wir erst Tugend und Sinneszügelung lernen wie das ABC und sobald wir das in der Grundschule gelernt haben und aus dem Effeff können, dann später mit Achtsamkeit und Konzentration im Sinne höherer Mathematik fortfahren.
    Tugend und Sinneszügelung ohne Achtsamkeit und Konzentration ist eben keine vollständige oder vollkommene Tugend und Sinneszügelung.
    Soweit sind wir uns einig.


    Das ist jetzt allerdings kein Argument gegen das graduelle Training, sondern lediglich gegen ein falsches Verständnis von graduellem Training.


    Wie das graduelle Training des achtfachen Pfades zu verstehen ist, kann man erkennen, wenn man es als Beschreibung des monastischen Trainings zur Zeit des Buddha (und teilweise auch heute noch) ernst nimmt:


    Es wird halt beschrieben, wie Mönche ausgebildet werden. Und hier liegt eindeutig die Betonung darauf, dass am Anfang die Übung von Tugend und Sinneszügelung den Schwerpunkt bildet.


    Das ist auch sehr verständlich, denn ohne gute Grundlagen in diesem Bereich erweisen sich eben scheinbare Fortschritte im Bereich Sati und Samadhi als nicht nachhaltig.


    Dieses graduelle monastische Training können und müssen wir als Laien oder Praktizierende anderer Traditionen natürlich nicht 1 zu 1 übernehmen. Aber diesen Hinweis auf Tugend und Sinneszügelung (in einer Zufriedenheit schaffenden Form) empfinde ich als ausgesprochen wichtig und förderlich.


    Kannst Du mir darin zustimmen?



    Was nun deine Beschreibung der Zen-Praxis betrifft:


    Ich bin da weiterhin aufgeschlossen und möchte das näher verstehen, was da genau der Sinn ist, wenn Leute, die nichts wissen und keine Vorerfahrung haben, plötzlich so ein intensives Zazen-Training machen müssen.


    Bislang kapier ich das nicht.


    Es erinnert mich an das Buch "Der leere Spiegel":
    Da sitzt dann einer und sitzt und sitzt und quält sich und vertreibt sich die Zeit mit irgendwelchen Phantasien.


    Ich habe bislang nicht verstanden, worin da die Pointe besteht und inwiefern das überhaupt als Praxis des achtfachen Pfades gesehen werden kann.


    Du beschreibst, dass einige dieser Leute Tränchen vergießen und prägende Erfahrungen machen.
    Was sind das für prägende Erfahrungen?
    Natürlich kann man Menschen in physische und psychische Ausnahmezustände versetzen. Durch diese Tortur werden sie ziemlich durcheinander gerüttelt und erleben auch etwas, nämlich eine Grenzerfahrung.
    Trägt das dazu bei, dass sie psychisch stabiler und zufriedener werden? Vermutlich eher nicht. In dem von Dir verlinkten Film über ein japanisches Zen-Kloster war genau das das Fazit eines der dortigen Schüler: Er ist nicht stabiler geworden, sondern eher im Gegenteil. Dennoch wird das als richtige Praxis des achtfachen Pfades angesehen. Und ich frage mich weiterhin: Wieso?


    Es ist völlig berechtigt, wenn Du darauf hinweist, dass Menschen verschieden sind: Eine bestimmte Praxis taugt nicht für jeden gleichermaßen.
    Der Buddha hat ja auch nicht gefordert, dass nun jeder in die Hauslosigkeit ziehen und das monastische Training durchlaufen muss.
    Dennoch bin ich der Meinung, dass sich auch Laien von dem graduellen Training inspirieren lassen können (und sollten).
    Das bedeutet nicht notwendig, dass Laien nachmittags und abends keine Nahrung mehr zu sich nehmen müssten. Das wird ja von ihnen auch nicht verlangt. Aber wenn wir uns an dem graduellen Training orientieren, können wir uns schon die Frage stellen, ob wir die Grundlage für die höhere Schulung in Achtsamkeit, Konzentration und Weisheit bereits ausreichend gelegt haben.
    Diese Grundlage besteht ja, wie in den Lehrreden deutlich beschrieben ist, in Tugend und Sinneszügelung, und zwar in einer Form, die Zufriedenheit entstehen lässt. (Also eben nicht selbstquälerische Askese, sondern eine Form der Bescheidenheit, die mit Wenigem gut auskommt.)


    Das ist auch letztlich meine Absicht: Sich einmal selbstkritisch zu fragen, ob diese Grundlagen zumindest einigermaßen vorhanden sind.
    Ich stelle ja bei vielen (auch bei mir) die Tendenz fest, sich sehr stark auf Themen wie Satipatthana, Samadhi oder Samma Ditthi zu konzentrieren und über allerlei komplizierte Themen weitläufige Diskussionen zu führen. Oder auch immer mal wieder Retreats zu besuchen und dort eine Weile intensiv Achtsamkeit und Konzentration zu üben, um dann daheim nur noch eine Schmalspur-Praxis zu betreiben.


    Kurz gesagt: Auch als Laie kann man meiner Meinung nach viel vom graduellen monastischen Training lernen, wenn man die in den Lehrreden beschriebene Praxis wirklich ernst nimmt. Und dazu gehört eben die starke Betonung von Tugend und Sinneszügelung als Grundlage für alles weitere.


    Ganz konkret bedeutet das beispielsweise für Forumsdiskussionen: die rechte Rede sehr ernst zu nehmen (Tugend) und sich nicht zu sehr in erregten Diskussionen zu verlieren (Sinneszügelung), sondern die Ruhe zu bewahren und zufrieden zu bleiben, gerade auch im Kontakt mit andersdenkenden Diskussionspartnern.


    Frieden-und-Freude:


    Deutlich wichtiger ist die ursprünglich gemeinte Frage, ob die Praxis selbst graduell (oder auch: "stufen"förmig oder schrittweise) abläuft - und zwar mit Tugend, Sinneszügelung und Zufriedenheit als unverzichtbare Grundlage für alles weitere.


    Das war hier Hauptgegenstand der Diskussion.
    Je nachdem, welche Position man in dieser Frage bezieht, ist die Praxis eine jeweils andere.

    void:

    Es gibt einen starken Zusammenhang zwischen Tugend, Entsagung und Sammlung. Bei der Einübung von Tugend ist es wichtig, auftretenden Impulsen nicht einfach nachzugeben sondern die Situation auszuhalten. Dies bedeutet sowohl Achtsamkeit als eben auch Sammlung. Das Gegenteil eines gesammelten Geist ist ein Affengeist der bald nach diesen und bald nach jenem greift und deswegen auch nicht besonders tugendam sein kann. Ruhig verweilen zu können beinhaltet Achtsamkeit und ist ein Bestandteil von Entsagung und Tugend. Der edle achtfache Pfad ist aus einem Guß.


    Frieden-und-Freude:

    Dein Einwand bezieht sich ... auf die inhaltliche Frage, wie ein graduelles Training überhaupt möglich sein soll ...


    Beschrieben wird das monastische Training, das sich dadurch auszeichnet, dass der Praktizierende durch die Regeln des Mönchslebens in einer Gemeinschaft unterstützt wird.
    Um das mal auf die heutige Praxis zu übertragen, auch für einen Laien: Wer so üben möchte, besucht beispielsweise ein Theravada-Kloster und nimmt beim Eintritt in das Kloster 8 Tugendregeln an, die verbindlich vorgeschrieben sind. Damit ist zugleich eine günstige Bedingung für Sinneszügelung geschaffen. (Es gibt halt beispielsweise kein Essen nachmittags und abends.)
    Interessanterweise führt diese Übung - auch ohne weitere spezielle Achtsamkeits- oder Meditationspraxis - in der Regel schon zu einer Beruhigung des Geistes, zu der beschriebenen Zufriedenheit. Auf dieser Grundlage kann dann eine Hinwendung zur Meditation und zur Achtsamkeitspraxis erfolgen.


    Ist das eigentlich in einem Zen-Kloster so ganz anders?



    void:


    Von daher sehe ich in den von dir vorgestellten Sutten nicht so sehr die Tendenz, das auseinanderzureissen sondern eine Richtung vom "Groben zum Feinen".


    Anbei noch einige aussagekräftige Quellen, die eindeutig dafür sprechen, dass das graduelle Training die Praxis des achtfachen Pfades beschreibt:



    https://en.wikipedia.org/wiki/Gradual_training
    http://leighb.com/gtchart.htm


    http://www.palikanon.com/majjhima/m107n.htm

    Tychiades:
    Zitat


    Deutlich wichtiger ist die ursprünglich gemeinte Frage, ob die Praxis selbst graduell (oder auch: "stufen"förmig schrittweise) abläuft - und zwar mit Tugend, Sinneszügelung und Zufriedenheit als unverzichtbare Grundlage für alles weitere.


    Nein. Es geht beides ineins und es gibt da keine Priorität zwischen Sila, Samadhi und Panna. Es wird zwischen zwei Arten von z.B. Erkenntnis unterschieden MN 117- der weltlichen und der überweltlichen und es führt kein Weg von der weltlichen zur überweltlichen Seite. Deshalb kann da auch einer nicht fortschreiten oder vorwärts kommen - er bleibt immer dem weltlichen verhaftet und vergleicht früher und jetzt. Er hängt also im Netz der Ansichten fest DN 1, wenn er einen solchen Fortschrittsglauben pflegt.


    Lies also nochmal, unabhängig vom Kommentator, diese Lehrrede selbst durch und prüfe, wo da was von graduell steht. Ich finde da nichts.


    Lass uns diese Fragen im neuen Jahr gründlich untersuchen, wenn Du weiterhin magst. (Du sagtest ja, dass Du dann mehr Zeit hast. Und bei mir ist die Zeit gerade leider auch zu knapp für eine intensive Diskussion.)
    Ich bin offen, das vorurteilsfrei zu prüfen, auch jenseits von der Theravada-Kommentartradition.


    Bis auf weiteres bleibe ich dabei, dass die Lehrrede eine graduelle Praxis beschreibt.
    Es gibt da übrigens noch eine andere Sutta, die expliziter darstellt, dass Tugendübung und Sinneszügelung im mostastischen Training tatsächlich zeitlich vor der Schulung in Samadhi angesiedelt ist. Ich finde diese Sutta leider gerade nicht.


    Vielleicht weiß jemand von Euch, welche ich meine? :)

    Sudhana:
    Frieden-und-Freude:

    Deutlich wichtiger ist die ursprünglich gemeinte Frage, ob die Praxis selbst graduell (oder auch: "stufen"förmig oder schrittweise) abläuft - und zwar mit Tugend, Sinneszügelung und Zufriedenheit als unverzichtbare Grundlage für alles weitere.

    Wie will man denn beispielsweise Sinneszügelung (als unabdingbare Voraussetzung für eine Transformation des Verhaltens, śila) ohne parallele Entwicklung von Achtsamkeit üben? Wie die Entwicklung von Achtsamkeit ohne Entwicklung konzentrierter Geistesruhe? Nur ein Beispiel. Die acht Aspekte des Pfades bedingen und fördern sich wechselseitig. Hingegen: auch nur einen Aspekt auszulassen, behindert die Entwicklung der Anderen. Da gibt es kein "erst Dieses, dann Jenes" - und eine solche Empfehlung findet sich auch nicht in den von dir zitierten Sutten, die interpretierst Du da nur hinein. Das wäre eine unvollständige Praxis - und damit eine, die einen der Überwindung von duhkha nicht näherbringt.


    ()


    Deine Fragen sind völlig berechtigt und wichtig!


    Vorab möchte ich aber um eines bitten: Genau so wie ich bereit bin, Deinen Ausführungen zuzuhören, ohne sie gleich als unsinnig abzutun, weil sie meinen Auffassungen widersprechen, wäre es gut, wenn Du dieselbe Offenheit gleichfalls aufbringst.
    Unter dieser Voraussetzung können wir darüber sprechen, ohne dass daraus ein unfruchtbarer Meinungsstreit wird.
    Wenn Du dieser Voraussetzung nicht zustimmen möchtest, verzichten wir besser auf ein Gespräch.


    Dein Einwand bezieht sich sowohl auf die inhaltliche Frage, wie ein graduelles Training überhaupt möglich sein soll als auch auf die exegetische Frage, ob das eine richtige Interpretation der zitierten Sutta ist.


    Kurz zur exegetischen Frage:
    Wie bereits gesagt, stütze ich mich da auf eine im Theravada gängige Kommentar-Tradition. Als wichtigste Referenz habe ich das Buch von Bhikkhu Bodhi zitiert, das auch die Kommentar-Tradition zusammenfasst.
    Wenn wir darüber ernsthaft diskutieren wollen, dann sollten wir uns dafür genügend Zeit nehmen.


    Gerne kann ich Dir aber meine Antwort auf Deine inhaltlichen Fragen geben:


    Beschrieben wird das monastische Training, das sich dadurch auszeichnet, dass der Praktizierende durch die Regeln des Mönchslebens in einer Gemeinschaft unterstützt wird.
    Um das mal auf die heutige Praxis zu übertragen, auch für einen Laien: Wer so üben möchte, besucht beispielsweise ein Theravada-Kloster und nimmt beim Eintritt in das Kloster 8 Tugendregeln an, die verbindlich vorgeschrieben sind. Damit ist zugleich eine günstige Bedingung für Sinneszügelung geschaffen. (Es gibt halt beispielsweise kein Essen nachmittags und abends.)
    Interessanterweise führt diese Übung - auch ohne weitere spezielle Achtsamkeits- oder Meditationspraxis - in der Regel schon zu einer Beruhigung des Geistes, zu der beschriebenen Zufriedenheit. Auf dieser Grundlage kann dann eine Hinwendung zur Meditation und zur Achtsamkeitspraxis erfolgen.


    Ist das eigentlich in einem Zen-Kloster so ganz anders?

    Bakram:

    Es wäre schön, wenn Erwachte sich hier äussern würden, ob sie spontan oder graduell erwacht sind.


    Alle andern sollten ihre Zeit besser mit üben als mit spekulieren nutzen.


    :lol::rofl:


    Au ja, lass uns eine Umfrage machen unter den Erwachten hier im Forum!


    :grinsen:



    Natürlich ist es eine für die Praxis zweitrangige Frage, ob das Erwachen spontan oder graduell abläuft.


    Deutlich wichtiger ist die ursprünglich gemeinte Frage, ob die Praxis selbst graduell (oder auch: "stufen"förmig oder schrittweise) abläuft - und zwar mit Tugend, Sinneszügelung und Zufriedenheit als unverzichtbare Grundlage für alles weitere.


    Das war hier Hauptgegenstand der Diskussion.
    Je nachdem, welche Position man in dieser Frage bezieht, ist die Praxis eine jeweils andere.