Ist ein Arhat nicht „richtig“ erleuchtet?

  • In einem Kurs im tibetischen Buddhismus, der Gampopas „Juwelenschmuck der Befreiung“ zur Grundlage hatte, wurde gelehrt, dass man die volle Erleuchtung/Buddhaschaft nur nach Durchschreiten der 10 Bhumis auf dem Bodhisattvaweg erlangen kann. Aus diesem Grunde sei das Ablegen des Bodhisattva-Gelübdes zwingend notwendig.

    Ein Arhat sei nicht voll erleuchtet, sondern bleibe in einer Art Vorstufe des Nirvana „hängen“, da er nicht alle seine Schleier gereinigt habe. Insofern könne man im Theravada-Buddhismus keine volle Erleuchtung erlangen.


    Diese Aussage verwundert mich und löst inneren Widerstand aus. Bislang bin ich davon ausgegangen, dass es nur eine Art von Erleuchtung gibt und nicht verschiedene (höherwertige und minderwertige) und dass man in jeder buddhistischen Richtung zwar einen etwas anderen Weg beschreitet, aber das Ziel, nämlich Erleuchtung, überall dasselbe ist.


    Wer kennt sich aus und kann mir weiterhelfen? Oder ist das alles nur ein Problem verschiedener Begrifflichkeiten, beispielsweise weil man im Theravada-Buddhismus unter einem Arhat etwas anderes versteht als im Mahayana-Buddhismus? Und ist vielleicht der Begriff Buddhaschaft nicht mit Erleuchtung gleichzusetzen, sondern es ist damit eine Stufe gemeint, die einem zum Weltenlehrer macht, wie es bei Buddha Shakyamuni der Fall war? Letzteres scheint man im Theravada anzunehmen, zumindest habe ich das Schriften von Bhikku Bodhi entnommen. Tja, oder vielleicht sind das alles ja nur Streitigkeiten verschiedener Schulen, die sich nicht lösen lassen….

    • Offizieller Beitrag

    Arhatschaft im Mahayana bezeichnet daher jemanden, der lediglich die Ich-Vorstellung vollständig aufgelöst hat. Infolge steht im Mahayana das Erlangen der Arhatschaft als eigenständige geistige Entwicklungsstufe unmittelbar vor dem Eintreten in die sogenannten zehn Bodhisattva-Stufen, die direkt zur Erleuchtung führen.

    Das heißt, dass ein Arhat nach dieser Definition einfach noch kein Arhat - das heißt ein vollständig Befreiter - im Sinne des Palikanon ist. Dort bezeichnet das Wort jemand, der Gier, Hass und Verblendung vollständig abgelegt hat.


    Von daher ist es für mich das konstruktiveste Herangehensweise, da davon auszugehen, dass mit "Arhat" hier zwei verschiedene Sachen gemeint sind.

    Gampopa lebte in Tibet - wo es keine Thevadapraktizierenden gab - und ich denke, dass er aus rhetorisch- didaktischen Gründen die Vorzüge des Bodhisattva Ideals herauzustreicht in dem er es mit mit etwas kontrastiert.

  • Hallo Clarissa ,


    es gibt zwei Arten der Erleuchtung, des Erwachens: die eines Arhat und die eines Buddhas. Ein Arhat hat alle Leiden samt ihren Ursachen aufgegeben und deshalb die Erleuchtung, das Erwachen erreicht. Er befindet sich in einem persönlichen Frieden. Das ist ein Zustand den wir uns wahrscheinlich noch gar nicht vorstellen können. Ein Arhat ist erleuchtet, weil er sein Nirvana erreicht hat.


    Der Bodhisattva, der die Buddhaschaft anstrebt, hat eine andere Zielsetzung als jemand, der nach Arhatschaft strebt. Es sind zwei verschiedenen Formen der Erleuchtung, die angestrebt werden.


    Das von viod gegebene Zitat aus Wkipedia ist einfach falsch. Der Bodhisattva, also derjenige, der das Mahayana praktiziert, erlangt die Arhatschaft nicht bevor er in die zehn Bodhisattvastufen eintritt, sondern erst auf der achten der zehn Stufen, die er in seiner Praxis durchläuft. Dies zeigt schon, dass die Arhatschaft im Mahayana nicht abgewertet wird.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Vielen Dank für eure Antworten.


    Genau diese Aussagen, dass das Bodhisattva-Gelübde zwingend erforderlich ist und dass auf andere Schulen herabgeblickt wurde, hat mich von diesem Lehrer Abstand nehmen lassen.

    Der Bodhisattva, also derjenige, der das Mahayana praktiziert, erlangt die Arhatschaft nicht bevor er in die zehn Bodhisattvastufen eintritt, sondern erst auf der achten der zehn Stufen, die er in seiner Praxis durchläuft. Dies zeigt schon, dass die Arhatschaft im Mahayana nicht abgewertet wird.

    Das verstehe ich nicht so richtig. Gerade weil der Arhat auf der 8. Stufe angesiedelt wird, ist es doch eine Herabsetzung, da niedriger als die 10. Stufe und somit Buddhaschaft. Oder wie meinst du das genau?

  • Das verstehe ich nicht so richtig. Gerade weil der Arhat auf der 8. Stufe angesiedelt wird, ist es doch eine Herabsetzung, da niedriger als die 10. Stufe und somit Buddhaschaft. Oder wie meinst du das genau?

    Ich denke mal der Punkt ist, dass es schon ein hohes Level ist überhaupt in diese Stufen einzutreten. Insofern kann man es als sehr hohes Level sehen. Man findet es aber leider nicht selten, dass im Mahayana Dinge aus dem Nicht-Mahayana eher geringer geschätzt werden. Das beruht auf einem "Streit" der schon seit der Entstehung der Strömungen existiert. Ich denke, es macht Sinn, das als rein philosophische Auseinandersetzung zu sehen.

    • Offizieller Beitrag

    Im Theravada ist ein Buddha einfach jemand, der in einer Welt in der der Weg zur Befreiung vergessen worden ist, diesen verkündet. So lange der Buddhadharma da ist, braucht es also keinen weiteren Buddha=Lehrverkünder und jeder der das Ziel des Buddhawegs d.h Befreiung erlangt, wird Arhat genannt. Da ein Arhat ganz ohne Gier und Hass ist, wird er nicht zögern für andere da zu sein. Ich denke auch Buddha Shakyamuni wäre , wenn zu seiner Zeit jemand anderes die Lehre verkündet hätte, einfach ein Arhat gewesen.


    Die Idee das ein Arhat Befreiung erlangt hat aber dann irgendwie doch nicht, klingt für mich, als würde es mehrere Begriffe von Arhat geben.

  • Die Idee das ein Arhat Befreiung erlangt hat aber dann irgendwie doch nicht, klingt für mich, als würde es mehrere Begriffe von Arhat geben.

    Das ist ja oft so mit den Begriffen. Eigentlich müsste man sich darüber offen verständigen und auf die Bedeutung schauen statt auf das Wort. Übrigens sind Befreiung und Erleuchtung zumindest in einigen tibetischen Schulen unterschiedliche Stufen der Verwirklichung. Befreit wäre man bereits auf der ersten Bodhisattva-Stufe. Ein Buddha erst auf bzw. nach der 10 Stufe.

  • Der Bodhisattva, also derjenige, der das Mahayana praktiziert, erlangt die Arhatschaft nicht bevor er in die zehn Bodhisattvastufen eintritt, sondern erst auf der achten der zehn Stufen, die er in seiner Praxis durchläuft. Dies zeigt schon, dass die Arhatschaft im Mahayana nicht abgewertet wird.

    Das verstehe ich nicht so richtig. Gerade weil der Arhat auf der 8. Stufe angesiedelt wird, ist es doch eine Herabsetzung, da niedriger als die 10. Stufe und somit Buddhaschaft. Oder wie meinst du das genau?

    Der Pfad des Hörers/Alleinverwirklicher (Sravaka/Pratyekabuddha) teilt sich in vier Abschnitte ein: Stromeintritt, Einmal-Wiederkehrer, Nichtmehr-Wiederkehrer, Feindzerstörer(Arhat). Der Pfad des Bodhisattva wird in zehn Abschnitte, die 10 Bhumis, unterteilt.


    Die Abschnitte des Pfades des Sravakas und die Abschnitte des Pfades eines Bodhisattvas stellen aber keine Rangfolge dar so wie wir es von den Tabellen der Sportligen her kennen. Als Bild eignet sich eher die Leiter. Wenn ich die erste Stufe nicht betrete, werde ich auch die darauf folgenden und selbst die höchste Stufe nicht betreten können. Von der Perspektive des Zieles her ist eigentlich der erste Schritt, der Stromeintritt oder der Eintritt in die 1.Bhumi, viel wichtiger.Oder ein anderes Bild: Ich will von A nach B gehen. Wenn ich den ersten Schritt nicht tue, komme ich nie in B an. So gesehen kann man sagen, der erste Schritt ist am wichtigsten und er ist wichtiger als der letzte Schritt.


    Der Sravaka und der Bodhisattva haben unterschiedliche spirituelle Zielsetzungen. Der erste will ein Arhat werden und der zweite ein Buddha. Diesen verschiedenen Zielsetzungen liegen auch unterschiedliche Motivationen zugrunde.


    Der Arhat gibt gemäß den vier edlen Wahrheiten alle Leiden samt ihren Ursachen vollständig auf, so dass sie in seinem Geisteskontinuum nicht wieder auftreten können. Er hat damit Nirvana erreicht.


    Der Bodhisattva hat eine weitergehende Motivation. Er will mehr erreichen als das Nirvana, er will ein Buddha werden. Auf seinem Weg dorthin verwirklicht er auch den Zustand eines Arhat. Da Bodhisattvas durch ein starkes Mitgefühl gekennzeichnet sind, dass alle Lebewesen umschließt, wird er einen Arhat nicht herabsetzen. Das Herabsetzen eines Arhats habe ich bei meinen Mahayanalehrerinnen und -lehrern in den letzten zwanzig Jahren nicht erlebt.


    Dass man die Unterschiede zwischen einem Arhat und einen Bodhisattva thematisiert ist doch völlig angemessen. Es werden ja auch die Unterschiede zwischen verschiedenen Schulen/Tradition, die sich in der Nachfolge des Buddha Sakyamuni herausgebildet haben, thematisiert, ohne dass man sich gegenseitig abspricht ein Praktizierender/ eine Praktizierende des Buddha-Dharma zu sein.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Danke, Helmut, für deine ausführliche Antwort. Das erklärt einiges und ist für mich in großen Teilen nachvollziehbar.


    Dass ein Buddha, im Sinne eines Weltenlehrers, also als jemand, der den Dharma wieder neu in die Welt bringt, noch eine Zusatzmotivation braucht und sozusagen, einen Schritt weiter geht als ein Arhat, ist nachvollziehbar. Ob man das dann als andere Art von Erleuchtung sehen sollte und ob ein Stufensystem hilfreich ist, um diese Unterschiede zu veranschaulichen, steht wieder auf einem anderen Blatt. Es lädt ja geradezu dazu ein, dass sich eine Schule als besser und höherwertiger ansieht als die andere.


    Aber da können wir natürlich nichts dazu, das ist historisch so gewachsen.


    Dass ein Arhat voll erleuchtet ist, glaube ich auch. Schließlich wurde der Buddha Shakyamuni, wenn man den Texten glauben darf, nach seiner Erleuchtung als Arhat bezeichnet. Dass ein Arhat also nur in einem "Zwischen-Nirvana" hängt, ist schon allein in diesem Zusammenhang unlogisch.


    Leider passiert es immer wieder, dass sich Praktizierende und Lehrer des Mahayana-Buddhismus als höherwertiger ansehen und auf andere Richtungen, insbesondere auf den Theravada-Buddhismus herabblicken. Ich habe im tibetischen Buddhismus angefangen, bin aber insbesondere aus diesen Gründen nun traditionsübergreifend unterwegs.

  • Dass ein Buddha, im Sinne eines Weltenlehrers, also als jemand, der den Dharma wieder neu in die Welt bringt, noch eine Zusatzmotivation braucht und sozusagen, einen Schritt weiter geht als ein Arhat, ist nachvollziehbar. Ob man das dann als andere Art von Erleuchtung sehen sollte und ob ein Stufensystem hilfreich ist, um diese Unterschiede zu veranschaulichen, steht wieder auf einem anderen Blatt. Es lädt ja geradezu dazu ein, dass sich eine Schule als besser und höherwertiger ansieht als die andere.

    Die Stufen des Pfades beschreiben einzig und allein den Aufbau der spirituellen Pfade, dem Pfad eines Sravakas, dem Pfad eines Pratyekabuddhas und dem Pfad des Bodhisattvas.


    Sie dienen nicht dazu, den Unterschied zwischen Theravada und Mahayana oder eines Arhat und eines Buddhas zu erklären. Das wird anhand anderer Kriterien beschrieben.

    Leider passiert es immer wieder, dass sich Praktizierende und Lehrer des Mahayana-Buddhismus als höherwertiger ansehen und auf andere Richtungen, insbesondere auf den Theravada-Buddhismus herabblicken. Ich habe im tibetischen Buddhismus angefangen, bin aber insbesondere aus diesen Gründen nun traditionsübergreifend unterwegs.

    Ich bestreite überhaupt nicht, dass es solche Lehrer gab und auch heutzutage noch gibt. Aber das sind dann wirklich keine geeigneten spirituellen Lehrer. Deshalb gibt es ja auch ausführliche Darlegungen der Qualitäten, die ein geeigneter Lehrer haben sollte und man soll eben auch anhand dieser Kriterien die Personen prüfen, die man als Lehrer annehmen möchte. Erfüllen sie die Kriterien nicht, ist es besser zu gehen. Die Personen, die aufgrund dieser Kriterien sich als ungeeignet für einen Lehrer erweisen, bilden ja nun nicht die übergroße Mehrheit unter den Mahayana-Lehrern.


    Traditionsübergreifend unterwegs zu sein, ist ja kein Fehler. Das kann man selbst, wenn man sich einer bestimmten Tradition wie dem Madhyamaka zugehörig fühlt. Meine Lehrer und Lehrerinnen haben immer wieder betont, dass man stets über den eigenen spirituellen Tellerrand hinaus sehen sollte. So haben sie immer wieder über die Traditionen der Vaibhasikas, Sautrantikas, Cittamatra und Madhyamikas und deren philosophische Sichtweisen gelehrt und immer betont, man muss dann selbst sehen welcher Sichtweise man sich verbunden fühlt. Außerdem ist es wichtig zu sehen, dass alle Traditionen, die sich in der Nachfolge des Buddha entwickelt haben, über eine breite gemeinsame Grundlage verfügen.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Ein kleiner Hinweis: man sieht Vieles aus einem anderen Blickwinkel, wenn man sich ein wenig mit dem Darumherum der Lehre Buddhas beschäftigt. So ist es z.B. hilfreich, sich mit der Geschichte der buddhistischen Philosophie zu befassen: angefangen mit dem Tod des Buddha, den danach stattfindenden Konzilen.


    Sehr interessanter und wichtiger Hinweis. Habe in einige Links reingeschaut und werde bei Gelegenheit mal genauer nachlesen. Danke :)