Intellektuell verstanden = Erkenntnis?

  • Durch ein Referat erfuhr ich während meines Studiums zum ersten Mal von Inhalten der buddhistischen Lehre. Viel hab ich seit dem gelesen. Viel hab ich seit dem zugehört, wenn Menschen über ihre unterschiedlichen Auffassungen der Lehre Buddhas diskutierten. Oft war ich beeindruckt von dem umfangreichen Wissen Einzelner. Vieles erschien mir überzeugend, folgerichtig und logisch. Nur, es dauerte, bis sich bei mir auch ein entsprechendes Gefühl einstellte.
    Ein Beispiel: Die Interdependenz. Im Avatamsaka-Sutra wird das Prinzip der Interdependenz durch INDRAS NETZ dargestellt: „Im Himmel Indras hängt ein Netzwerk von Perlen, so angeordnet, dass du beim Anblick jeder einzelnen Perle alle anderen siehst!“
    Erstaunliche Ähnlichkeit zu solch einer Betrachtung der menschlichen Wechselbeziehung findet sich in den heutigen Erkenntnissen der modernen Physik, die über Einsteins Relativitätstheorie und die Quantentheorie zu dem relativ jungen Modell des Bootstrap-Mechanismus geführt hat und die Modelle von Energie und Masse vorstellt, an denen eine Konvergenz zwischen westlicher Wissenschaft und östlicher Philosophie deutlich wird. Eine wissenschaftliche Beweisführung für altes indisches Gedankengut, sehr schön… :)
    Es dauerte sehr lange, bis sich bei mir zu dem intellektuellen Verstehen auch ein Verständnis auf der Gefühlsebene einstellte. Ein Gefühl als Grundlage für mein Handeln, welches mich eine wirkliche Überzeugung ohne Zweifel spüren ließ.
    Irgendwo hab ich gelesen, dass Erleuchtung nicht so ist, wie einen Lichtschalter umzulegen, sondern eher wie ein Dimmer, der gaaaaanz langsam das Licht heller werden lässt.
    Mich interessiert sehr, welche Erfahrungen andere User in ihrem persönlichen Leben mit oder durch die Lehre Buddhas gemacht haben. Vielleicht mag jemand etwas dazu schreiben.
    Grüße von Wusheng

  • Also bei mir war es so das ich auch schon viel gelesen hatte und auch verstanden, aber es war halt nur verstehen. Ich hatte mir dieses und jenes herausgezogen, ohne das sich wirklich etwas geändert hatte. Es hatte oft nur meine vorherige Einstelluing nur untermauert. Als ich dann irgendwann mal angefangen hatte ein wenig zu meditieren kam zu einem bestimmten Thema eine Erkenntnis (dieses Erlebnis war schon eher ein wenig wie ein Lichtschalter). Und ich hatte es wirklich verstanden... Und seitdem hat sich mein Leben auch sehr verändert.

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • Eine sehr schöne und persönliche Aussage. Schön, wenn hier im Forum auch Erfahrungen geteilt werden, Danke dafür...

  • wusheng:

    Eine sehr schöne und persönliche Aussage. Schön, wenn hier im Forum auch Erfahrungen geteilt werden, Danke dafür...

    Immer gerne, hab ja nix zu verbergen

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • Grins... Mir geht es auch nicht um das, was jemand verbergen möchte. Es war mal ein Apell, etwas zu enthüllen. Mir persönlich ist in buddhistischen Foren immer ein Übergewicht an präzisen, forensischen Analysen von Statements der User. Aber mich interessieren die Anwendung und der Austausch der Erfahrungen... Sie können nicht meine eigenen Erfahrungen werden, aber ein bisserl neugierig bin ich schon... 8)

  • Ja, ausserdem, auch wenn die anderen Erfahrungen nicht die Eigenen werden können, kann man dennoch immer was dazu lernen.
    Habe ja auch in einem Thread nach Erfahrungen gefragt und so richtig wollte eigentlich keiner Antworten. Es gab, wie du schon sagtest, eher analytische Antworten.


    Der Buddha hat ja (zum Glück, von Mitleid bewogen) auch seine Erfahrungen mit uns geteilt. Und ich kann nicht wirklich nachvollziehn was daran falsch ist seine Erfahrungen auszutauschen, solange man jetzt nicht an einer Vorstellung anhaftet...

    "Nur eines verkünde ich heute, wie immerdar: Leiden und seine Vernichtung."
    Buddha

  • @ wusheng


    Der historische Buddha Siddhata Gotama hat die intelektuelle Erkenntnis nie gering geachtet, aber er wusste um ihre Grenzen. Es ist eine Sache, wenn man die Prozesse, die dieses Universum regulieren, mit Hilfe wissenschaftlicher Werkzeuge "erkundet", dokumentiert und rein intelektuell nachvollzieht. Es ist aber eine völlig andere Ebene (die Ebene eines Buddhas), wenn man z.B. diese Prozesse im Geist direkt erfahren und "sehen" kann. Deshalb hat der Buddha seine Schüler und Schülerinnen immer dazu motiviert, auch - mit Hilfe buddhistischer Meditation - über die Grenzen intelektueller Erkenntnis hinauszugehen, wenn sie im Geist wahrhaft transformiert bzw. befreit "sein" wollen.


    Gruß
    Garfield

  • Maybe Buddha:

    Ja, ausserdem, auch wenn die anderen Erfahrungen nicht die Eigenen werden können, kann man dennoch immer was dazu lernen.
    Habe ja auch in einem Thread nach Erfahrungen gefragt und so richtig wollte eigentlich keiner Antworten. Es gab, wie du schon sagtest, eher analytische Antworten.


    Der Buddha hat ja (zum Glück, von Mitleid bewogen) auch seine Erfahrungen mit uns geteilt. Und ich kann nicht wirklich nachvollziehn was daran falsch ist seine Erfahrungen auszutauschen, solange man jetzt nicht an einer Vorstellung anhaftet...


    Dem kann ich nichts hinzufügen.
    O Mi To Fo

  • Nur ich mache das nicht wie Buddha gelehrt hat, sondern selbstreflexion, über das was im dunklen liegt und nach Licht schreit[/quote]


    Interessanter Ansatz. Aber geht Selbstreflektion nicht konform mit dem Buddha Dharma?
    LG

  • Garfield:

    @ wusheng


    Der historische Buddha Siddhata Gotama hat die intelektuelle Erkenntnis nie gering geachtet, aber er wusste um ihre Grenzen. Es ist eine Sache, wenn man die Prozesse, die dieses Universum regulieren, mit Hilfe wissenschaftlicher Werkzeuge "erkundet", dokumentiert und rein intelektuell nachvollzieht. Es ist aber eine völlig andere Ebene (die Ebene eines Buddhas), wenn man z.B. diese Prozesse im Geist direkt erfahren und "sehen" kann. Deshalb hat der Buddha seine Schüler und Schülerinnen immer dazu motiviert, auch - mit Hilfe buddhistischer Meditation - über die Grenzen intelektueller Erkenntnis hinauszugehen, wenn sie im Geist wahrhaft transformiert bzw. befreit "sein" wollen.


    Gruß
    Garfield



    Danke für dein Post, Garfield, ich hoffe er ist gestützt auf eigenes Erfahren. 8) Ich habe eine These, die sich viiiiielleicht nicht jedermann sofort öffnet und bei Bedarf gern näher erläutert wird: Gefühle entstehen durch Gedanken!" Jeder Gefühlsreaktion geht (ein manchmal schon automatisierter) Gedanke voraus. Daher gilt auch die Umkehrung der Reihenfolge: "Das Gefühl ändert sich zuletzt." So steht am Anfang stets das Studium, das wahrhafte Gefühl der Befreiung vom Leiden kommt zu letzt.
    Danke für den Hinweis auf die Meditation.
    Grüße, Wusheng

  • Guten Morgen wusheng,
    Du sprichst im Eingangsposting von Erleuchtung, die langsam wie ein Dimmer anstelle spontan stattfindet. Wer von uns weiß das schon? Ich kann lediglich von Satoris berichten, und die waren spontan, entstanden nicht aufgrund intellektueller Bemühungen, sondern in Momenten völlig unerwartet, in denen ES in mir Stille-stand. Da ich allerdings von der intellektuellen Ebene herangegangen bin, war da natürlich schon so eine Ahnung - ein intuitives Erfassen.


    Diese Satoris waren von unterschiedlicher Dauer und brachten wichtige Einsichten und ganz viel Vertrauen. Letztendlich führten sie dazu, dass ich mich um Erleuchtung nicht mehr bemühe, weil ich erkannte, mein Verstand bzw. ein ICH wird nicht erleuchtet - es fällt weg. Und das kann ich nicht bewirken. Ich kann nur täglich neu gemäß der Lehre Buddhas - soweit es mir in diesem Moment möglich ist - leben und mich weiter in Achtsamkeit üben.


    wusheng:

    Danke für dein Post, Garfield, ich hoffe er ist gestützt auf eigenes Erfahren.


    Dafür möchte ich auch danken :D . Es bestätigt meine Erfahrungen.


    Zitat

    Ich habe eine These, die sich viiiiielleicht nicht jedermann sofort öffnet und bei Bedarf gern näher erläutert wird: Gefühle entstehen durch Gedanken!" Jeder Gefühlsreaktion geht (ein manchmal schon automatisierter) Gedanke voraus. Daher gilt auch die Umkehrung der Reihenfolge: "Das Gefühl ändert sich zuletzt." So steht am Anfang stets das Studium, das wahrhafte Gefühl der Befreiung vom Leiden kommt zu letzt.
    Danke für den Hinweis auf die Meditation.
    Grüße, Wusheng


    Soweit ich die Hirnforschung verstanden habe, handeln wir bereits, bevor wir wissen und gedanklich formulieren, was zu tun ist. Also geht dem Denken das Fühlen voraus. Was auch meiner Erfahrung entspricht. Ich fühle Unbehagen und dann denke ich: "Da ist Unbehagen" z. B.
    _()_ Monika

  • Soweit ich die Hirnforschung verstanden habe, handeln wir bereits, bevor wir wissen und gedanklich formulieren, was zu tun ist. Also geht dem Denken das Fühlen voraus. Was auch meiner Erfahrung entspricht. Ich fühle Unbehagen und dann denke ich: "Da ist Unbehagen" z. B.
    _()_ Monika[/quote]


    Danke für Deine ausführliche Antwort, Monikamarie, ich werde sie bestimmt noch mehrmals lesen und auf mich wirken lassen. Zu Deiner Ausage über den Stand der Hirnforschung könnte ich einiges ergänzen oder sogar widersprechen, das würde aber das Thema überspringen.
    Ich danke allen für ihre Antworten, auch die über PN, ich habe einige gute Einsichten bekommen und beende aus meiner Sicht diesen Thread.
    O Mi To Fo, Wusheng

  • StAuBSauGeR:
    monikamarie:

    Also geht dem Denken das Fühlen voraus. Was auch meiner Erfahrung entspricht. Ich fühle Unbehagen und dann denke ich: "Da ist Unbehagen" z. B.


    das ist intuition monikamarie


    Nein Staubsauger,
    Intuition wäre, wenn ich sofort erahnte, woher das Unbehagen kommt. "Da ist Unbehagen" ist ein bewusster Gedanke. Das ist Übung, nennt sich Satipatthana. Sobald die Aufmerksamkeit auf ein Objekt (u. a. Gefühle jeglicher Art) gelenkt wird, wird es auch benannt. Also das Objekt ist zuerst da und dann der Gedanke.
    _()_ Monika

  • Passt vielleicht ganz gut zum Thema *schmunzel*


    Vielleicht hat es ja jemand auch auf deutsch. Werd mal sehen. *schmunzel*

  • Ohne intellektuelles Verständnis kann es keine Erkenntnis geben. Deshalb mühen sich hier auch alle ab und denken und denken ... und schreiben und schreiben ... und wenn sie schreiben "Denken bringt nichts" dann idR nach mehr oder weniger reiflicher Überlegung.


    Aber wer will eigentlich Erkenntnis? Wie wär's mit Einsicht stattdessen? ... oh Schade, geht auch nicht ohne Intellekt. Wäre doch soooo schön ... Wissen ohne Gedanken ... Erleuchtung erschlafen



    Grüße
    TM


  • Doch, TM, Einsicht ist eine Sicht in etwas rein. Das ist für mich nicht intellektuell. Erst hinterran hab ich die Einsicht interpretiert (für mich), jedoch ist das kaum möglich, weil für die gesamte Ein-Sicht Worte fehlen, ich konnte sie nur umschreiben. Dennoch ist sie für mich von unschätzbarem Wert und hat Wirkung und Folgen.
    _()_ Monika


    PS: Wissen ohne Intellekt entspricht dem Wissen eines Zugvogels. Oder braucht er dazu seinen Intellekt? Hat er einen?
    Den seinen gibt's der Herr im Schlaf, doch, doch :lol:


  • Mach dir doch nichts vor. Wie kommste denn dahin? Wenn du niemals irgendwas überlegt hättest, wie würdest du dahin kommen?


    Grüße
    TM

  • Intellektuell wird man immer nur herumkratzen, aber auch dass kann manchmal dazu führen, dass man einfach praktiziert. *schmunzel*

  • TMingyur:


    ...
    Mach dir doch nichts vor. Wie kommste denn dahin? Wenn du niemals irgendwas überlegt hättest, wie würdest du dahin kommen?


    Grüße
    TM


    Nu mal ganz freundlich bleiben. ;)
    Nur weil Du eine andere Sicht, Erfahrung? hast, heisst das ja nicht, das ich mir was vormache. Selbstverständlich habe ich die dazugehörige Terminologie. Aber Ein-Sicht ist davon unabhängig. Nur weil ich sie benennen und sozusagen in meinem Hirn-Rechner auswerten kann, hat sie auch sprachliche Auswirkungen. Hätte ich diese Ein-Sicht in die Dinge wie sie sind ohne eine entsprechende Plattform wie unsere Gesellschaft und dieses Wissen, sondern würde im Urwald leben, hätte die Ein-Sicht dieselben Auswirkungen, auch wenn ich um ihren Wert nicht wüsste.
    _()_ Monika


  • Ich rede vom Weg dorthin. Den gäbe es nicht ohne Intellekt. Deswegen ist Einsicht nicht unabhängig davon, sondern entsteht abhängig auch aus Intellekt als einer essentiellen von mehreren Bedingungen.


    Grüße
    TM

  • Ich denke besser als viele Gedanken, ist es zwischen "Zwei Arten von Gedanken" zu unterscheiden.


  • Hanzze:

    Ich denke besser als viele Gedanken, ist es zwischen "Zwei Arten von Gedanken" zu unterscheiden.


    Na damit ists ja nicht getan (gleiches Sutta), sondern es wird eifrig nachgedacht ... über das Nachdenken:


    Zitat

    8. "Während ich so umsichtig, eifrig und entschlossen weilte, erschien ein Gedanke der Entsagung in mir. Ich verstand folgendermaßen: 'Dieser Gedanke der Entsagung ist in mir entstanden. Dies führt nicht zu meinem eigenen Leid, oder zum Leid anderer oder zum Leid beider; es fördert Weisheit, verursacht keine Schwierigkeiten, und führt zu Nibbāna hin. Wenn ich über diesen Gedanken nachdenke und nachsinne, und sei es sogar eine Nacht lang, sogar einen Tag lang, sogar eine Nacht und einen Tag lang, sehe ich nichts, das davon zu befürchten wäre. Aber mit übermäßigem Nachdenken und Nachsinnen könnte ich meinen Körper ermüden, und wenn der Körper ermüdet ist, wird der Geist überanstrengt, und wenn der Geist überanstrengt ist, ist er von Konzentration weit entfernt.' Also festigte ich meinen Geist innerlich, beruhigte ihn, brachte ihn zur Einheit und konzentrierte ihn.



    Grüße
    TM

  • Ich bin vollkommen deiner Meinung, hat man einmal einen zielgerichteten Gedanken, sollte man ihn stets bis zum Ende führen. Das ist auch eine gute Achtsamkeitsübung und führt entweder dazu, dass man das Thema als verfrüht erkennt oder ein Sutta ganz und aufmerksam durchliest (wenn da keiner ist der es erklärt). *schmunzel*


    Im allgemeinen möchte ich aber bemerken, dass der moderne Mensch viel zu viel und viel zu kompliziert denkt. Uns wird das "logische" Denken schon von klein auf aufs Auge gedrückt.

  • Hanzze:

    Im allgemeinen möchte ich aber bemerken, dass der moderne Mensch viel zu viel und viel zu kompliziert denkt. Uns wird das "logische" Denken schon von klein auf aufs Auge gedrückt.


    "Der moderne Mensch" ... ?


    Das Problem liegt meiner Einschätzung nach an einem Mangel an logischen Denken. Dies ist dann wohl auch die Ursache dafür, dass aus Frustration über die daraus folgende Inkonsistenz und Widersprüchlichkeit das Denken geringgeschätzt wird. Dabei ist das Denken die Fähigkeit, die begründet, dass das Menschenleben im Kontext dharma als "kostbar" angesehen werden kann (wenn weitere Bedingungen hinzukommen).



    Grüße
    TM

  • Die Denkmuster der moderen Menschen sind das Problem. Sie sind viel zu sehr mit Vergangenheit und Gegenwart verstrickt. Das merkst du erst wenn du mit einfachen Menschen lebst, wie dumm man werden kann. *schmunzel*