Ohne Einsicht und Überwindung der im Übrigen gedanklichen Dualismen (nicht derer der nackten Realität, von denen Torsten schrieb) ist es nicht möglich, zu verstehen, dass du dem Tier nichts nimmst, wenn du es tötest. Was denn? Sein Leben? Was ist "sein"? Das, was du da hineininterpretierst. Das Leben an sich wird nicht genommen.
Dualismen, auch gedankliche, machen in der "nackten Realität" Sinn und haben daher natürlich ihre Berechtigung.
Dualität lässt sich m.E. nicht "überwinden", denn dann gäbe es ja erneut eine Dualität, nämlich "vorher- nachher".
Insofern ist, sobald ein Ziel erreicht werden soll, Dualität also unvermeidlich.
Setze bitte oben mal "Mensch" für "Tier" ein und erkenne, dass deine Sicht sich schon weit von der Lebenswirklichkeit, der sogenannten "relativen" Wahrheit, entfernt hat.
Du argumentierst ja von der Warte der "absoluten" Wahrheit aus, die - nicht nur von Nicht-Buddhisten - ebenfalls als ein gedankliches Konstrukt gesehen werden kann (und wird).
Du kannst sowas natürlich unterlassen, aber wenn du es lässt, weil da eine Sila ist, die du auf eine bestimmte eingeschränkte Art verstehst, dann bleibst du halt auf der Ebene dieses Verständnisses hängen und kannst ggf. auch nicht jagen, wenn es um dein Überleben geht,
Das ist eine Fehlinterpretation, denn ich verspürte schon als sehr junger Mensch den Wunsch ethisch zu leben, keine fühlenden Wesen zu verletzen usw. , die Sila waren also schon lange, bevor ich mit dem Buddhadharma in Kontakt kam, meine Richtschnur.
Das schließt sowohl instinktive Reaktionen, wie auch gesunden Menschenverstand/Vernunft ja nicht aus, die beide zum Überleben in Extremsituationen beitragen.
(Aber auch dann würde man versuchen, Leiden so weit wie möglich zu vermeiden, bzw. zu minimieren.)
Die Sila sollen unter keinen Umständen befolgt werden! Man soll ABSTAND nehmen sie zu verletzen, dazu muss ich sie verletzt haben. Habe ich mir angewöhnt, sie zu verletzen und mir wird das bewusst, durch die Reaktion meiner Opfer, dann fange ich an davon ABSTAND zu nehmen. Dieser Prozess fängt Gehirnreife bedingt, mit etwa 19 bis 22 Lebensjahren an.
Die Zeit bis dahin kann und wird zum unge-bewussten Verletzen der Sila genutzt.
Wer die Sila nie verletzt hat, wird kein Mensch.
Ich verstehe, was du mit deinem ersten, zunächst etwas provokativ wirkenden, Satz meinst:
Die Sila sollen kein abstrakter Regelkatalog sein, der "blind" und akkurat zu befolgen ist.
D'accord!
Jedes Kind, das ein Ich-Bewusstsein entwickelt hat und sich altersentsprechend für den Nabel der Welt hält, verletzt Sila, lotet Grenzen aus.
Es ist Sache der Eltern/"Erziehungsberechtigten", dem Kind die Grundregeln des (möglichst harmonischen) Zusammenlebens zu vermitteln, am zielführendsten durch Vorbildfunktion, unterstützt durch liebevolles, erklärendes und konsequentes Lehren, vorzugsweise in der konkreten Situation.
Während der Pubertät werden Regeln, Grenzen und Gepflogenheiten der Eltern entwicklungsbedingt hinterfragt und grenzüberschreitendes Verhalten ausgelebt, umso vehementer, je mehr die Eltern als "Heuchler" empfunden wurden, die das Gelehrte nicht selbst praktizieren.
Es mag Menschen geben, die diese aufmüpfige Entwicklungsphase noch sehr lange bewahren...
(und ROT sehen, wenn sie sich ein wenig "zurücknehmen" sollen, selbst, wenn es letztlich, neben dem Gemeinwohl, auch ihrem eigenen Glück dient...).
Dem zugrunde liegt natürlich auch ein tieferes Verständnis dessen, was die sila tatsächlich sagen, z.B. eben nicht, man solle Spinnen vor die Tür tragen, man solle nicht rumvögeln oder sich in sonstwelche Grübeleien begeben auf seinem Übungsweg.
Könntest du "dein" (vorhanden geglaubtes) "tieferes Verständnis dessen, was die Sila tatsächlich sagen..." mal genauer ausführen, es wird sich ja nicht nur um gelegentliche Aktionen wie die folgende handeln?:
Am 8. April habe ich dann aber allein ein paar Stunden lang den Müll um den Tempelteich entsorgt,
Sehr lobenswert!
(Führst du eigentlich Buch über deine Wohltaten, die sich "so ergeben"? )
Es geht nicht um Schuld und Sühne, Verbrechen und Strafe, Heilung und Krankheit. Es geht um die Stille zwischen einem Begehren, Gedanken, einer Abneigung, Vorstellung, einem Konzept und dem nächsten, die größtenteils lückenlos aufeinander folgen, wodurch es nie still wird. Manchmal entstehen in der Ruhe diese Lücken, diese Pausen. Durch diese Lücken wird etwas sichtbar, hörbar, spürbar das sonst im Rauschen untergeht. Die Sila bedingen im besten Falle die Grundlage für die Stille.
Aus der von dir genannten Stille folgt keinerlei sila noch irgendein Bedürfnis, diese einzuhalten oder sich in ihnen zu üben. Diese tiefe Stille hat alles geklärt. Was zu tun ist, richtet sich nach der eigenen Erkenntnis und ergibt sich vor Ort (siehe letzter Absatz), und das war beim Buddha nicht anders.
Ich weiß nicht, ob die Sila "die" Grundlage für die Stille bedingen, aber "eine" Grundlage ganz sicher (zumindest, wenn der/die Praktizierende psychisch gesund ist), weil das Abstehen von Unheilsamem, heilsame Folgen, wie Freude und innere Ruhe, nach sich zieht.
Vor allem aber sorgen sie dafür, dass derjenige, der "Stille" nur temporär verwirklichen konnte/kann, nicht ( z.B. aus Selbstüberschätzung) nur noch eigene Erkenntnisse gelten lässt.
"...Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind unheilsam, sind verwerflich, werden von Verständigen getadelt,und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Unheil und Leiden', dann, o Kālāmer, möget ihr sie aufgeben. ...
"...Wenn ihr aber, Kālāmer, selber erkennt: 'Diese Dinge sind heilsam, sind untadelig, werden von Verständigen gepriesen, und, wenn ausgeführt und unternommen, führen sie zu Segen und Wohl', dann, o Kālāmer, möget ihr sie euch zu eigen machen. ..."
(AN 3.66 "Die Rede an die Kalamer - 5. Kesamutti Sutta)
Die "eigene Erkenntnis" ist dementsprechend nur ausschlaggebend, wenn sie impliziert, dass "Verständige" die Dinge gleichfalls als unheilsam/heilsam betrachten.
Liebe Grüße, Anna