Wenn Buddhisten töten

  • Tso Wang:
    bel:


    Von Naturwissenschaftler zu Naturwissenschaftler: Deine Frage beinhaltet einfach einen Kategorienfehler - natürlich auch, wenn Du "Religion" statt "Wissenschaft" setzen würdest.


    Welcher Fehler wäre das ?


    Wissenschaft und Religion sind gesellschaftliche, soziale Phänome (also nicht nur individuelle) auf die Katergorien "gut/böse" einfach nicht anwendbar sind. Die Frage, wie oben formuliert, ist so oder so, aber besonders natürlich in der Wissenschaft, einfach unzulässig formuliert. Ebenso übrigens die Frage, ist der Mensch oder "die Menschen" "gut/böse".


    Es kann bei ernsthaften Auseinandersetzung mit solchen Phänomenen nur darum, unter welchen Umständen führen welche Dinge zu welchen möglichen Wirkungen. Shakyamuni wird zugeschrieben, daß er dies exemplarisch für "fühlendes Wesen" (ein Gattungsbegriff) durchdekliniert hat.


    Es ist nun für alle religiösen Lehren so typisch wie zwingend, und auch die pseudoreligiösen haben sich darin bedient, daß sie einen absoluten und transzendentalen Wahrheitsanspruch haben, also eine Wahrheit verkünden, die prinzipiell außerhalb menschlicher Bewertungsmöglichkeit besteht. Wir haben es der europäischen Aufklärung zu verdanken, damit nachdrücklich konfrontiert zu sein. Aber wie Dinge nun mal sind, feiert der Obskurantismus weiter seine Urständ, auch in der Form "Es ist der Mensch, nicht die Religion"


    Aber ist es nicht vielmehr so, daß religiöse/pseudoreligiöse Lehren nur dann sozial relevant sind, wenn sie auch - und nicht nur individuell - ergriffen (!) werden. Und wird nicht Shakyamuni selbst zugeschrieben, daß das Ergreifen von iwas zugleich unentrinnbar zu seiner Deformation führt (und dann eben nichts weiter als diese Deformation ist und außerhalb dieser nicht besteht)? Eine der wesentlichen Deformationen ist, daß vom Ergreifen eben auch nicht der absolute, transzendentale Wahrheitsanspruch ausgenommen bleibt, und so nun auch von seinen Anhängern beansprucht wird. Auch wenn das gern bestritten wird, aber leicht zu widerlegen ist :)
    Genau deshalb ist nach (nach Shakyamuni) die Trennung von einer vorgeblich "reiner Lehre" und ihrer Ausübung durch Menschen auch nur Obskurantismus.

  • "Man kann natürlich mit gutem Willen eine Einigkeit erzielen. Nämlich dadurch, in dem man die beiden prinzipiell möglichen aber für sich jeweils nicht hinreichenden Definitionsarten vereinigt, also alle Aspekte im Zusammenhang mit einer Religion ernst nimmt.
    http://de.wikipedia.org/wiki/Religionsdefinition.
    Was Anhänger oft sehr gern verdrängen, sind die Phänomene die im funktionalistischen Religionsbegriff bzw in multidimensionale Religionsdefinitionen Beachtung finden"


    Als Beispiel dafür habe ich in dem anderen Thread ja die sieben Dimensionen von Ninian Smart angeführt. Damit haben wir aber das Ergebnis, dass Demokratie und Wissenschaft ebenfalls unter den Religionsbegriff fallen. Entscheidend ist aber doch, dass über die Zuschreibung "Religion" ohne vorherige Klärung welches Verständnis von Religion besteht, der Begriff keinen Gehalt hat.


    "Man kann aber auch buddhistische Argumentationen untersuchen, die zur Begründung von Gewalt herhalten mußten. Dabei offenbaren sich auch die Schwachstellen einer Religion."


    Ja das kann man tun. Aber genau das ist in diesem Thread bisher noch nicht passiert.

  • Sôhei:

    Als Beispiel dafür habe ich in dem anderen Thread ja die sieben Dimensionen von Ninian Smart angeführt. Damit haben wir aber das Ergebnis, dass Demokratie und Wissenschaft ebenfalls unter den Religionsbegriff fallen. Entscheidend ist aber doch, dass über die Zuschreibung "Religion" ohne vorherige Klärung welches Verständnis von Religion besteht, der Begriff keinen Gehalt hat.


    Das kann man nicht, weil "Demokratie und Wissenschaft" eben keinen transzendentalen Wahrheitsanspruch haben. Das unterscheidet Religion (und Quasireligion) als soziale Phänomen von allen anderen sozialen Erscheinungen.


    Sôhei:

    "Man kann aber auch buddhistische Argumentationen untersuchen, die zur Begründung von Gewalt herhalten mußten. Dabei offenbaren sich auch die Schwachstellen einer Religion."
    Ja das kann man tun. Aber genau das ist in diesem Thread bisher noch nicht passiert.


    Na, ich hab das schon gemacht (war: geschicke Mittel). Gern noch eines für Theravada: der Glaube an individuelle Erlösung und Karma als individuelles Phänomen.

  • bel:
    Sôhei:

    Als Beispiel dafür habe ich in dem anderen Thread ja die sieben Dimensionen von Ninian Smart angeführt. Damit haben wir aber das Ergebnis, dass Demokratie und Wissenschaft ebenfalls unter den Religionsbegriff fallen. Entscheidend ist aber doch, dass über die Zuschreibung "Religion" ohne vorherige Klärung welches Verständnis von Religion besteht, der Begriff keinen Gehalt hat.


    Das kann man nicht, weil "Demokratie und Wissenschaft" eben keinen transzendentalen Wahrheitsanspruch haben. Das unterscheidet Religion (und Quasireligion) als soziale Phänomen von allen anderen sozialen Erscheinungen.


    :) Der transzendentale Wahrheitsanspruch ist dann aber gerade das, was DU als Unterscheidungskriterium voraussetzt. Da kann man mitgehen, oder eben auch nicht. Ist beispielsweise keines der Kriterien bei Ninian Smart.


    Sôhei:

    "Man kann aber auch buddhistische Argumentationen untersuchen, die zur Begründung von Gewalt herhalten mußten. Dabei offenbaren sich auch die Schwachstellen einer Religion."
    Ja das kann man tun. Aber genau das ist in diesem Thread bisher noch nicht passiert.


    bel:

    Na, ich hab das schon gemacht (war: geschicke Mittel). Gern noch eines für Theravada: der Glaube an individuelle Erlösung und Karma als individuelles Phänomen.


    Bislang sind das aber eben nur Behauptungen. Was fehlt ist die Begründung.

  • Sôhei:

    :) Der transzendentale Wahrheitsanspruch ist dann aber gerade das, was DU als Unterscheidungskriterium voraussetzt.


    Das ist keine Voraussetzung, sonder eine leicht zu überprüfende empirische Beobachtung.


    bel:

    Na, ich hab das schon gemacht (war: geschicke Mittel). Gern noch eines für Theravada: der Glaube an individuelle Erlösung und Karma als individuelles Phänomen.

    Sôhei:

    Bislang sind das aber eben nur Behauptungen. Was fehlt ist die Begründung.


    Ich setzte hier - möglicherweise unzulässig - gewisse historische Kenntnisse voraus, bzw die Gutwilligkeit sich diese zu erwerben.


  • .


    Das ist schon klar. Daß die Lehre selbst und das Ausüben untrennbar zusammengehören, wenn sie auch unterschiedliche Repräsentationsebenen darstellen, habe schon in einem anderen Thread shankar ohne Antwort zu verdeutlichen versucht


    (http://www.buddhaland.de/viewt…&t=13704&start=60#p269672)


    Daß Menschen gelegentlich (z.B. in Extremsitutionen) ihre guten Vorsätze (-ismen) über Bord werfen und andere Menschen töten (um wieder aufs Thema zurückzukommen), ist allerdings kein Beweis dafür, daß der Buddhismus daran Schuld sei. Da biegen sich bei mir alle "logisch-rationalen Balken" und fangen an zu ächzen. :lol:


    Dieser Zusammenhang erschließt sich mir nicht. Das ist m.E. kein Kategorienfehler. Etwas anderes sind - wie ich weiter oben schon sagte - Weltanschauungen, die direkt zur Gewalt auffordern ("töte die Ungläubigen"). Gleiches gilt auch für Exegeten, die die Deutungshoheit von Texten für sich allein beanspruchen und Texte dahingehend interpretieren, daß sie Tötungen zulassen. Daran ist aber nicht der Text Schuld sondern der Interpret. Wenn ich zu einem Arzt gehe und ihm sage, der Pschyrembel macht krank und er fragt "wieso?" und ich ihm dieses dicke Buch auf den Kopf haue, dann mag ich vielleicht in gewissem Sinn Recht haben, aber in einem offensichtlich absurden. Denn Schuld war nicht das Buch, sondern mein Handeln. Die Existenz des Buches ist natürlich auch Voraussetzung, aber es könnte auch ein beliebig anderes sein. snoopy2001 sprach weiter oben von Konstrukten.


    Mein Ansatz ist "Eigenverantwortlichkeit".


    ()

    坐忘

  • Tso Wang:

    daß Menschen gelegentlich (z.B. in Extremsitutionen) ihre guten Vorsätze (-ismen) über Bord werfen und andere Menschen töten (um wieder aufs Thema zurückzukommen), ist allerdings kein Beweis dafür, daß der Buddhismus daran Schuld sei. Da biegen sich bei mir alle "logisch-rationalen Balken" und fangen an zu ächzen. :lol:


    Ich argumentiere ja auch nicht so, sondern genau umgedreht.


    Tso Wang:

    snoopy2001 sprach weiter oben von Konstrukten.


    Wobei der die soziale Wirksamkeit von Konstrukten unterschlägt. Religion ist keine allein individuelle Angelegenheit, deshalb ist auch "Eigenverantwortlichkeit" nur die halbe Miete.


  • 1) Ich verstehe dich so, dass du bei vielen die sich als Buddhisten oder andersweitig religiös bezeichnen, einen transzendenten Wahrheitsanspruch feststellst oder meinst festzustellen. Geht mir auch so. Ist aber in der Religionswissenschaft trotzdem weder das einzige noch das maßgebliche Kriterium.
    Aber ist ja egal - ich habe ja letztlich nur gesagt, dass Religion nicht nur auf eine Weise sinnvoll definiert werden kann.


    2) Du kannst deine Behauptung natürlich durch historische und aktuelle Beispiele untermauern. Damit bist du aber noch meilenweit von einer stringenten Begründung und Lichtjahre von einer echten empirischen Bestätigung entfernt.

  • Sôhei:

    1) Ich verstehe dich so, dass du bei vielen die sich als Buddhisten oder andersweitig religiös bezeichnen, einen transzendenten Wahrheitsanspruch feststellst oder meinst festzustellen. Geht mir auch so. Ist aber in der Religionswissenschaft trotzdem weder das einzige noch das maßgebliche Kriterium.
    Aber ist ja egal - ich habe ja letztlich nur gesagt, dass Religion nicht nur auf eine Weise sinnvoll definiert werden kann.


    Religionswissenschaft ist eben nicht die einzige wissenschaftliche Disziplin, um das Phänomen "Religion" in seiner Vollständigkeit zu beschreiben und zu verstehen.


    Sôhei:

    Du kannst deine Behauptung natürlich durch historische und aktuelle Beispiele untermauern. Damit bist du aber noch meilenweit von einer stringenten Begründung und Lichtjahre von einer echten empirischen Bestätigung entfernt.


    Ich argumentiere nicht so, sondern ich bestreite (allerdings begründet) die Unzulässigkeit einer Religionsbetrachtung die sich allein auf "die Lehre" und/oder deren isoliert individuellen Ausübung beschränkt. Dazu genügt es nach allgemeinem Brauch Gegenbeispiele zu benennen, eines würde schon reichen. Nennt sich Falsifizierung. :)

  • Wer von den Zen-Interessierten/-Ausübenden beispielhaft an einer historisch-kritischen Abhandlung interessiert ist, empfehle ich von Brian Daizen Victoria "Zen at War" (bzw. die deutsche (bearbeitete) Version).
    In diesem Zusammenhang auch interessant, die kurze Diskussion zwischen Deizen Victoria und Muho Nölke in "Lotus in the Fire" - da in Englisch werd ich hier nicht daraus zitieren, suche aber auf priv. Anfrage gern den Link raus.

  • bel:
    Sôhei:

    1) Ich verstehe dich so, dass du bei vielen die sich als Buddhisten oder andersweitig religiös bezeichnen, einen transzendenten Wahrheitsanspruch feststellst oder meinst festzustellen. Geht mir auch so. Ist aber in der Religionswissenschaft trotzdem weder das einzige noch das maßgebliche Kriterium.
    Aber ist ja egal - ich habe ja letztlich nur gesagt, dass Religion nicht nur auf eine Weise sinnvoll definiert werden kann.


    Religionswissenschaft ist eben nicht die einzige wissenschaftliche Disziplin, um das Phänomen "Religion" in seiner Vollständigkeit zu beschreiben und zu verstehen.


    Sôhei:

    Du kannst deine Behauptung natürlich durch historische und aktuelle Beispiele untermauern. Damit bist du aber noch meilenweit von einer stringenten Begründung und Lichtjahre von einer echten empirischen Bestätigung entfernt.


    Ich argumentiere nicht so, sondern ich bestreite (allerdings begründet) die Unzulässigkeit einer Religionsbetrachtung die sich allein auf "die Lehre" und/oder deren isoliert individuellen Ausübung beschränkt. Dazu genügt es nach allgemeinem Brauch Gegenbeispiele zu benennen, eines würde schon reichen. Nennt sich Falsifizierung. :)


    1) Habe ich auch nicht behauptet. Von meiner Seite aus wären wir uns damit einig.


    2) Finde ich immer noch unklar formuliert, glaube aber auch hier nicht, dass wir auseinanderliegen. Ich verstehe dich so: Wenn in den Schriften einer Religion definiert ist, keine Gewalt auszuüben, und Personen (wenigstens eine) die sich dieser Religon zurechnen aber Gewalt ausgeübt haben, dann ist es nicht richtig dass alle Anhänger dieser Religion gewaltfrei sind bzw. in Übereinstimmung mit dem Gebot der Schrift leben.


    3) Die eigentliche Frage lautet demnach doch: welche Rechtfertigungsstrategien gibt es bezüglich der Diskrepanz "Gebot der Gewaltlosigkeit" und ausgeübter Gewalt. Und nur dann wenn ich das Gebot der Gewaltlosigkeit wörtlich und absolut setze, kann ich sagen "gar keine". Dieses Gebot muss aber eben nicht absolut und wörtlich gesetzt werden. (Dann sind wir bei upaya, deus vult, ultima ratio, Recht auf Unversehrtheit des eigenen Leibes/Besitzes, Situationsangemessenheit, etc.) Aber das ist eben kein spezifisch buddhistisches Thema, sondern wird in der Ethik verhandelt.


    4) Davon unberührt ist immer noch die Frage, ob gewisse Konzepte wie z.B. upaya die Gewaltbereitschaft vielleicht sogar befördern.

  • Eine Religion mit ihren Anhängern gleichzusetzen ist Unfug, sie aber nicht aufeinander beziehen zu lassen, Fahrlässigkeit.
    Wenn ein Grundsatz einer Religion mit einem ihr anderen Grundsatz kollidiert bzw. Einschränkung erfährt (egal auf welchem Niveau des religiösen Systems), so lehrt die Religionsphilosophie, haben wir es mit Häresie oder Reformationen zu tun. Die buddhistische Literatur ist voll von diesen Zusammenstössen.
    Anders aber sind die persönlichen Aussprüche eines Religionsstifters zu werten. Nehmen wir an, er lehrte Krieg als Wahrheit des Lebens, wäre dann Krieg seine Lehre? Lehrte er Leid als grundsätzlich Konstante des Lebens, lehnte er dann Krieg ab?
    Ohne geschichtlichen Kontext sind solche Schlüsse immer spinnerte Auswüchse irgendeiner synthetisch-subjektiven Konstruktion der eigenen Interpretation.
    Noch eins, wer mir erzählen will, der Dharma bedürfe keiner Interpretation, dem nehme ich auch seine daraus unreflektiert resultierenden Praxis nicht ab! Sela:



    _()_ Namaste

  • Sôhei:

    [2) Finde ich immer noch unklar formuliert, glaube aber auch hier nicht, dass wir auseinanderliegen. Ich verstehe dich so: Wenn in den Schriften einer Religion definiert ist, keine Gewalt auszuüben, und Personen (wenigstens eine) die sich dieser Religon zurechnen aber Gewalt ausgeübt haben, dann ist es nicht richtig dass alle Anhänger dieser Religion gewaltfrei sind bzw. in Übereinstimmung mit dem Gebot der Schrift leben.


    Erstens machen das "die Schriften" einer Religion eben nie so absolut - na, vllt die Jains, aber die haben dann andere Baustellen - zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte.


    Sôhei:

    3) Die eigentliche Frage lautet demnach doch: welche Rechtfertigungsstrategien gibt es bezüglich der Diskrepanz "Gebot der Gewaltlosigkeit" und ausgeübter Gewalt. Und nur dann wenn ich das Gebot der Gewaltlosigkeit wörtlich und absolut setze, kann ich sagen "gar keine". Dieses Gebot muss aber eben nicht absolut und wörtlich gesetzt werden.


    Es gibt diese "absolute Setzung" eben in nicht in den Abrahamitischen Religionen, nicht in den Brahmitischen, nicht im Buddhismus .....


    Sôhei:

    (Dann sind wir bei upaya, deus vult, ultima ratio, Recht auf Unversehrtheit des eigenen Leibes/Besitzes, Situationsangemessenheit, etc.) Aber das ist eben kein spezifisch buddhistisches Thema, sondern wird in der Ethik verhandelt.


    Es ist nun aber typisch für Religionsausübende, daß sie sich nicht von einer allgemeinen, sondern von ihrer religiösen Ethik, hier, was sie unter buddhistischen Ethik verstehen, leiten lassen und das auch so kommunizieren.


    Sôhei:

    4) Davon unberührt ist immer noch die Frage, ob gewisse Konzepte wie z.B. upaya die Gewaltbereitschaft vielleicht sogar befördern.


    Wüßte jetzt nicht, wie ich da rangehen könnte, aber vllt hat jemand ne Idee.

    Einmal editiert, zuletzt von Anonymous ()

  • Wir können uns dem Thema ja auch mal anders nähern: Es gibt doch hier im Forum genug Teilnehmer, welche sich als Buddhisten verstehen (vermute ich).
    Also können wir fragen:


    1) Beinhaltet dein Verständnis des Buddhismus ein Gebot der absoluten Gewaltlosigkeit?
    2) Kannst du dir Situationen vorstellen, in welchen du es für möglich hältst, Gewalt auszuüben oder die Ausübung durch andere zu unterstützen?
    3) Wie vereinbarst du das miteinander?


    Shankar und Bel, ihr versteht euch doch als Buddhisten? Würdet ihr zu diesen drei Fragen etwas sagen? (Bitte: ist nicht provokativ gemeint, sondern ehrliches Interesse.)

  • [/quote]Erstens machen das "die Schriften" einer Religion eben nie so absolut - na, vllt die Jains, aber die haben dann andere Baustellen - zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte.[/quote]


    Okay, schwierig für mich zu verstehen (mein ich ehrlich). Ich hab das Gefühl wir drehen uns da im Kreis... Wenn einer oder mehrere ihre Gewalt mit Argumenten aus Schriften untermauern, sind diese Schriften oder Lehren natürlich daran beteiligt. Vielleicht so: Was ich meine ist, dass es gar keine nicht-interpretierte Schrift gibt (bzw. wir sie nicht erkennen können). Ein Koran, eine Bibel oder ein Pali-Kanon können gar nicht un-interpretiert gelesen werden. Wenn darum manche damit Gewalt rechtfertigen und andere nicht, haben wir ein erkenntnistheoretisches Grundsatzproblem. Ich seh da keinen Ausweg.
    Ich tue mir aber wirklich schwer, da eine klare Frage bzw. Hypothese rauszuschälen.

  • Sôhei:

    Wir können uns dem Thema ja auch mal anders nähern: Es gibt doch hier im Forum genug Teilnehmer, welche sich als Buddhisten verstehen (vermute ich).
    Also können wir fragen:


    1) Beinhaltet dein Verständnis des Buddhismus ein Gebot der absoluten Gewaltlosigkeit?
    2) Kannst du dir Situationen vorstellen, in welchen du es für möglich hältst, Gewalt auszuüben oder die Ausübung durch andere zu unterstützen?
    3) Wie vereinbarst du das miteinander?


    Shankar und Bel, ihr versteht euch doch als Buddhisten? Würdet ihr zu diesen drei Fragen etwas sagen? (Bitte: ist nicht provokativ gemeint, sondern ehrliches Interesse.)



    Ich verstehe mich - nicht zuletzt aus den oben schon genannten Gründen - nicht mehr als "Buddhist", is schon lange her, war nur ne kurze Phase, vllt 2 Jahren lang :)
    Allerdings übe ich in einer ganz konkreten Tradition, die ihre Wurzeln im "Buddhismus" hat, nur das sind aber zwei völlig unterschiedliche Schuhe, schon aus dem Grund, weil meine Mitübenden zuweilen herzlich wenig mit Buddhismus oder einer anderen Religion was am Hut haben, und auch die allgemeine Atmosphäre dort nicht besonders religiös ist.


    Ich bin schon immer ein in Bezug auf Körperlichkeit gewaltgehemmter Mensch gewesen, verbal ist das, wie hier die meisten wissen, mein ganz spezielles Übungsfeld.
    So sehe ich es auch ganz allgemein, was Ethik betrifft: es sind Übungsfelder.

  • Sôhei:

    Was ich meine ist, dass es gar keine nicht-interpretierte Schrift gibt (bzw. wir sie nicht erkennen können). Ein Koran, eine Bibel oder ein Pali-Kanon können gar nicht un-interpretiert gelesen werden.


    Selbstverständlich nicht.


    Sôhei:

    Wenn darum manche damit Gewalt rechtfertigen und andere nicht, haben wir ein erkenntnistheoretisches Grundsatzproblem. Ich seh da keinen Ausweg.
    Ich tue mir aber wirklich schwer, da eine klare Frage bzw. Hypothese rauszuschälen.


    Das liegt nach meiner Mutmaßung vllt daran, daß Du daraus ein "erkenntnistheoretisches Grundsatzproblem" machst (welches übrigens?) - und es nicht vordringlich als eines der soziologischen oder psychologischen Wissenschaften wahrnimmst.

  • 1) Nochmal: Du hast geschrieben: "Zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte."
    Den Satz können wir natürlich so stehen lassen. Dann sagt er aber nicht mehr als ein Zusammentreffen aus - er hat Gewalt ausgeübt und sich dabei auf eine Schrift berufen bzw. versteht sich als Anhänger dieser oder jener Religion. Das ist für sich allein so wie wenn ich sage, er hat Gewalt ausgeübt und schwarze Haare/ist Albino/Deutscher/über 2m groß/etc. Wir erfassen einfach zwei Merkmale. Aber vielleicht denke ich ja einfach zu weit, und es geht dir nur um die Feststellung, dass solches vorkommt.


    2) "Das liegt nach meiner Mutmaßung vllt daran, daß Du daraus ein "erkenntnistheoretisches Grundsatzproblem" machst (welches übrigens?) - und es nicht vordringlich als eines der soziologischen oder psychologischen Wissenschaften wahrnimmst."
    Gerade weil ich es als ein Problem der soziologischen und pyschologischen Wissenschaften wahrnehme, bleibt für mich die Frage nach den empirischen Studien und Statistiken für die diversen Hypothesen nach dem Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Verhaltensweisen. (Und darauf hast du nur lapidar mit Upaya und Theravada-Satz geantwortet, plus die Möglichkeit einzelner Fälle. Aber auch hier gilt: Vielleicht denke ich zu weit, und es geht dir auch hier nur um die Feststellung, dass solches vorkommt.)

  • Sôhei:

    1) Nochmal: Du hast geschrieben: "Zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte."
    Den Satz können wir natürlich so stehen lassen. Dann sagt er aber nicht mehr als ein Zusammentreffen aus - er hat Gewalt ausgeübt und sich dabei auf eine Schrift berufen bzw. versteht sich als Anhänger dieser oder jener Religion. Das ist für sich allein so wie wenn ich sage, er hat Gewalt ausgeübt und schwarze Haare/ist Albino/Deutscher/über 2m groß/etc. Wir erfassen einfach zwei Merkmale. Aber vielleicht denke ich ja einfach zu weit, und es geht dir nur um die Feststellung, dass solches vorkommt.


    Der Punkt ist, daß der ursächliche Zusammenhang durch die entsprechenden Proponenten so und nicht anders willentlich dargestellt wird und das ist eben anders als in einem Fall "er hat Gewalt ausgeübt und schwarze Haare/ist Albino/Deutscher/über 2m groß/etc"


    Sôhei:

    2) "Das liegt nach meiner Mutmaßung vllt daran, daß Du daraus ein "erkenntnistheoretisches Grundsatzproblem" machst (welches übrigens?) - und es nicht vordringlich als eines der soziologischen oder psychologischen Wissenschaften wahrnimmst."
    Gerade weil ich es als ein Problem der soziologischen und pyschologischen Wissenschaften wahrnehme, bleibt für mich die Frage nach den empirischen Studien und Statistiken für die diversen Hypothesen nach dem Zusammenhang zwischen Religionszugehörigkeit und Verhaltensweisen.
    (Und darauf hast du nur lapidar mit Upaya und Theravada-Satz geantwortet, plus die Möglichkeit einzelner Fälle. Aber auch hier gilt: Vielleicht denke ich zu weit, und es geht dir auch hier nur um die Feststellung, dass solches vorkommt.)


    Das empirische Material ist ohne große Mühe verfügbar, auf Brian Daizen Victoria und Diskussion hatte ich schon verwiesen, ne Menge Material ist hier auch im Forum anläßlich der immer wiederkehrende Diskussionen über unzähligen Mißbrauchsfälle zu finden. Ich kann das beim besten Willen allein aus zeitlichen Gründen nicht alles referieren, und will mich auch nicht der Gefahr aussetzen, dabei iwen zu vergessen :) Von den darauf dann zwingend folgenden, quasi refexartigen Reaktionen ganz zu schweigen. Ehrlich, sorry, da muß ich passen.


  • Ist zwar eines seiner berühmtesten, aber klar: Marco Aldinger, "Was ist die ewige Wahrheit?" "Geh weiter!", in seinen eigenen Werken, bzw. Aufzeichnungen anderer steht es unter: Zhaozhou Congshen, Biyan Lu... im Moment hab ich die Nummer nicht : 21? aber auch Wilhelm Gundert: Japanische Religionsgeschichte. Japanisch-Deutsches Kulturinstitut, Tokyo und Gundert Verlag, Stuttgart 1935. Seite 175.(eines meiner Lieblingswerke)

  • bel:
    Sôhei:

    [2) Finde ich immer noch unklar formuliert, glaube aber auch hier nicht, dass wir auseinanderliegen. Ich verstehe dich so: Wenn in den Schriften einer Religion definiert ist, keine Gewalt auszuüben, und Personen (wenigstens eine) die sich dieser Religon zurechnen aber Gewalt ausgeübt haben, dann ist es nicht richtig dass alle Anhänger dieser Religion gewaltfrei sind bzw. in Übereinstimmung mit dem Gebot der Schrift leben.


    Erstens machen das "die Schriften" einer Religion eben nie so absolut - na, vllt die Jains, aber die haben dann andere Baustellen - zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte...


    .


    Aber auch nicht das Gegenteil. Das "ob zu Unrecht oder nicht ist ein andere Frage" ist im Grunde die entscheidende Frage. Wenn ich aus einem Telefonbuch die vermeintlich kryptische Botschaft herauslese, jemand anderem Gewalt antun zu müssen, dann spielt das "richtig oder falsch" schon eine Rolle. Denn obwohl das Telefonbuch an der Tat "beteiligt" ist, ist die Absurdität des Täters, die Tat auf das Buch zurückzuführen, allzu offensichtlich. Aber man kann sich natürlich dem Täter in seiner Logik anschliessen. Das ist jedem selbst vorbehalten.


    ()

    坐忘

  • Tso Wang:
    bel:


    Erstens machen das "die Schriften" einer Religion eben nie so absolut - na, vllt die Jains, aber die haben dann andere Baustellen - zweitens wollte ich darauf hinaus, daß wenn auch nur ein Fall bekannt ist, daß eine Gruppe gewaltausübender Religionsanhänger ihre Gewalt mit Argumenten aus ihren Schriften untermauert (ob zu Unrecht oder nicht ist eine andere Frage), nicht gesagt werden kann, daß diese Religion im Sinne der Lehre keinen Anteil daran hätte...


    Aber auch nicht das Gegenteil.


    Doch, und zwar unabweisbar faktisch.


    Tso Wang:

    Das "ob zu Unrecht oder nicht ist ein andere Frage" ist im Grunde die entscheidende Frage.


    Und wer will die allgemeingültig beantworten? Und was würde das nutzen?

  • Tso Wang:


    .


    Aber auch nicht das Gegenteil. Das "ob zu Unrecht oder nicht ist ein andere Frage" ist im Grunde die entscheidende Frage. Wenn ich aus einem Telefonbuch die vermeintlich kryptische Botschaft herauslese, jemand anderem Gewalt antun zu müssen, dann spielt das "richtig oder falsch" schon eine Rolle. Denn obwohl das Telefonbuch an der Tat "beteiligt" ist, ist die Absurdität des Täters, die Tat auf das Buch zurückzuführen, allzu offensichtlich. Aber man kann sich natürlich dem Täter in seiner Logik anschliessen. Das ist jedem selbst vorbehalten.


    ()


    Wenn das Telefonbuch auf seinem Cover eine Gebrauchsanweisung zum Totschlagen anbietet, ist der Verleger dieses Telefonbuches der Anstiftung mitschuldig und das Buch ein Mordinstrument 3. Grades. So stehts im deutschen Gesetz § 26 StgB ff. Nur mal so spaßeshalber zum Thema, wir habens ja alle ganz toll drauf mit Gleichnissen. (upaya) :D


    _()_ Namaste

  • "Der Punkt ist, daß der ursächliche Zusammenhang durch die entsprechenden Proponenten so und nicht anders willentlich dargestellt wird und das ist eben anders als in einem Fall "er hat Gewalt ausgeübt und schwarze Haare/ist Albino/Deutscher/über 2m groß/etc""


    Tja, und da sind wir dann aber wieder an dem Punkt, dass es so gesehen dann eben nicht die Schrift bzw. Religion ist, sondern der Ausübende bzw. Zuschreibende.


    "Das empirische Material ist ohne große Mühe verfügbar, auf Brian Daizen Victoria und Diskussion hatte ich schon verwiesen, ne Menge Material ist hier auch im Forum anläßlich der immer wiederkehrende Diskussionen über unzähligen Mißbrauchsfälle zu finden. Ich kann das beim besten Willen allein aus zeitlichen Gründen nicht alles referieren, und will mich auch nicht der Gefahr aussetzen, dabei iwen zu vergessen :) Von den darauf dann zwingend folgenden, quasi refexartigen Reaktionen ganz zu schweigen. Ehrlich, sorry, da muß ich passen."


    Ja, den Daizen kenne ich, ebenso wie diverse andere Berichte über Missbrauchsfälle. Das ist aber keine empirische Wissenschaft. Und auch wenn alle (traurigen) Fälle so wie berichtet gänzlich den Tatsachen entsprechen, sind etwaige Schlussfolgerungen auf "die Religion" dadurch halt trotzdem nicht korrekt.


    Aber lassen wirs von mir aus gut sein, ich habe meine grauen Zellen durchaus anstrengen müssen; danke.


  • .


    Da hinkst Du im Diskussionsfortschritt etwas hinterher. Falls Du die Postings gelesen haben solltest, habe ich meine Meinung zu Religionsstiftern, die Gewalt explizit lehren, ausführlich dargestellt. Deshalb geht es auch in meinem Dialog mit bel nicht mehr um diesen Spezialfall. Ich verweise mit der Telefonbuch-Analogie lediglich auf absurde Verallgemeinerungen.


    ()

    坐忘