Broken Buddha:
(hier der link zum online-Buch: http://www.satinanda.de/thema-…zerbrochen-buddha%20v.htm)
Kritische Reflexionen über den Theravâda und Plädoyer für einen Neuen Buddhismus
Vorwort:
In den südwestlichen Vororten von Mandalay befindet sich ein Tempel, in dem eine der berühmtesten
und am meist verehrtesten Buddha-Statuen der Welt steht, das Mahamuni-Bild. Nach der
Legende, stellt diese Statue ein Porträt des echten Buddha dar. Seine wahre Herkunft ist unklar
und im Laufe der Zeit in Vergessenheit geraten. Über Jahrhunderte hinweg stand sie in Arakhan bis
der burmesische König Bodawpaya das Land überfiel, nur um sich diese Statue anzueignen. Nachdem
er die Arakhanesen besiegt und ihr Land verwüstet hatte, ließ der König die große Statue mit
großem Aufwand und unter vielen Verlusten von Menschenleben über die Berge schaffen, um sie
in dem Tempel aufzustellen, in dem sie auch heute noch steht. 1973 hatte ich während meines
ersten Besuches in Mandalay die Gelegenheit, diese berühmte Statue zu sehen. Ich bat zwei Burmesen,
die ich unterwegs kennen gelernt hatte, mir die Statue zu zeigen, und sie waren überaus stolz
und glücklich darüber, ihrem neuen, „weißen, buddhistischen“ Freund die bekannteste Statue des
Landes zu zeigen.
Sie führten mich durch die Halle, die mit gläubigen Anhängern gefüllt war und
wir betraten schließlich das Allerheiligste. Mein erster Eindruck war enttäuschend: Statt des erwarteten
anmutigen Bildes, ragte etwas Drohendes und Plumpes vor mir auf. Das Gesicht der Statue
war angenehm und freundlich, der Rest des Körpers jedoch geschwulstartig missgestaltet. Ich
brauchte einige Minuten, um die Ursache dafür zu erkennen. Die Menschen hatten sich an der der
Statue ausgetobt, indem sie dünne feine Blattgoldplättchen anbrachten, die ihnen die „Gläubigen“
brachten. Über die Jahrhunderte hinweg hat nun das stetige Anbringen von Blattgold dazu geführt,
dass eine dicke, unebene Kruste die ursprüngliche Form der Statue unkenntlich gemacht hat. Das
Mahamuni-Bild könnte eine Metapher dafür sein, was mit dem Buddhismus selbst passiert ist.
Im Jahr 2001 bin ich seit 25 Jahren Mönch der Theravâda-Tradition und mit dem 50. Geburtstag
habe ich in diesem Jahr auch die konventionelle Halbzeit meines Lebens erreicht. Das war
ein passender Anlass, mein Leben und meine Praxis zu bewerten und darüber nachzudenken, wie
beides in der Zukunft sein würde. Selbst bevor ich Mönch wurde, hatte ich schon einige Vorbehalte
in Bezug auf Dinge, die ich bei Aufenthalten in thailändischen und laotischen Klöstern sah. Diese
haben mich aber nicht von der Ordination abgehalten. Ich dachte, dass Korruption und Missverständnisse
in allen Religionen vorkommen und ich dachte, dass es nicht zu schwierig sein würde,
die zu finden, die den wahren Theravâda praktizierten.
Es war jedoch schwierig, solche Menschen
zu finden. Wenn ich dann doch einmal engagierte und aufrichtige Theravâdins kennen lernte, war
es für mich noch enttäuschender, dass sie viel zu oft einen übertriebenen Wert auf das legten, was
für mich kaum mehr als nur Rituale und Formalitäten waren. Ich erinnere mich an einen Besuch
einer Tee-Plantage an einem Nachmittag mit dem ehrwürdigen Sivali aus Kambodscha, einem
pflichtbewussten Mönch und geschickten Meditationslehrer. Der Manager der Tee-Plantage machte
sich die Mühe, eine viertel Meile den steilen Berg herunter zu klettern, um uns zu begrüßen und
uns eine Tasse Tee anzubieten. Wir nahmen sein Angebot an und er ging zurück auf dem Berg zu
seinem Bungalow, um den Tee zuzubereiten um dann anschließend den Tee wieder zu uns nach
unten zu bringen. Als ich nun an meinen Tee nippte, bemerkte ich, dass Sivali seinen Tee nicht
anrührte und bedrückt dreinschaute. Ich sah, dass der Tee Milch enthielt und verstand nun Sivalis
Reaktion. Einige Minuten später bemerkte auch der Manager, dass Sivali seinen Tee nicht trank
und kam zu uns herüber, um zu fragen was das Problem sei. Sivali erläuterte es ihm freundlich und
der Manager nahm Sivalis Tasse, schüttete den Inhalt aus und rannte - besorgt und verlegen - erneut
den Berg hinauf zu seinem Bungalow, um dann mit einer neuen Tasse Tee ohne Milch zurück
zu kommen.
Wenn eine ganz normale Person sich über so etwas aufregen würde, dass er keine
Milch im Tee hat, würden wir es als ein wenig exzentrisch abtun. Aber warum sollte ein anständiger
und intelligenter Mensch, der sich der Praxis des Loslassens widmet, mit dem Gegenwärtigem
zufrieden sein will und sich um die Entwicklung eines liebevollen Herzens bemüht, wegen einer so
unbedeutenden Sache anderen Verlegenheit und Unannehmlichkeiten bereiten? Um diese Frage zu
beantworten, muss man das Wesen des Theravâda verstehen, aber dies wurde mir erst nach und
nach klar. Als dies passierte, beschloss ich, meine eigene Praxis zu verfolgen und den Kontakt zum
institutionellen Theravâda so gering wie möglich zu halten. Nun, dies ist aber in einem Theravâda-
Land leichter gesagt, als getan. Verständlicherweise erwarten die asiatischen Theravâdins, dass du
ihre Traditionen befolgst und diese nicht hinterfragst. Man kann darauf aufmerksam machen, dass
gewisse Praktiken oder Ideen nicht Bestandteil des Pâli-Kanons sind oder diesem sogar widersprechen
– das macht aber keinen Unterschied. Richtig oder falsch, albern oder von praktischem Wert,
so wurde es schon immer gemacht und darum musst du das auch tun.
1996 reiste ich das erste Mal durch Europa, um mir einen Einblick darüber zu verschaffen,
wie der Theravâda dort verstanden und praktiziert wird. Der Theravâda in Asien ist sehr konservativ
und versteinert, dachte ich, aber wenigstens sind die Westler in der Lage, die Frucht von ihrer
Schale zu trennen, das Geschenk von seiner Verpackung, den Buddha von der „dicken und unförmigen
Kruste“, die ihn umgibt. Zu meiner Verwunderung und Verzweiflung stellte ich fest, dass
dem nicht so war. Die meisten Gruppen, Zentren und Klöster, die ich besucht habe, halten an
diesen Praktiken mit einer fast größeren Zähigkeit als die in Asien fest. Letztlich musste ich
zugeben, dass das der Theravâda ist, und sehr ungern, ja mit Traurigkeit, beschloss ich, dass ich
nicht mehr länger ein Teil davon sein konnte. Ich begann jeden, den es interessierte, zu erzählen,
dass ich mich nicht mehr als Theravâda-Mönch betrachtete und auch von anderen so nicht mehr
gesehen werden wollte. Tatsächlich war ich wahrscheinlich niemals einer, wenigstens kein guter.
Als ich das gegenüber einem Freund erwähnte, fragte er mich „Was für eine Sorte Mönch bist Du
dann?“ Ich war auf eine solche Frage nicht vorbereitet, nachdem ich aber einen Moment darüber
nachgedacht hatte, beschloss ich darauf, dass ich mich nicht unbedingt irgendeiner Schule angehörig
fühlen muss. Seit dem Zeitpunkt folge ich Buddhas Lehren nach meinem besten Verständnis
und nach meinen Fähigkeiten. Was nun folgt, sind Gedanken und Beobachtungen über die Theravâda-
Tradition, die ich in den letzten 25 Jahren gemacht habe, einige Erfahrungen, die dazu
geführt haben, einige Vorschläge in Hinblick auf die mögliche Zukunft des Dhamma im Westen.
Mag sein, dass einige die folgenden Reflexionen als wütende Abrechnung betrachten. Das
sind sie aber nicht, obwohl es stimmt, dass ihr Niederschreiben eine Art Katharsis für mich war.
Ich bin davon überzeugt, dass Buddhas Lehren wirklich „am Anfang, in der Mitte und am Ende
gut“ sind und dass sie eine glaubhafte Antwort auf die spirituellen Krise des Westens bieten kann.
Ich glaube jedoch auch, dass die übermäßige Idealisierung des Theravâda in Asien durch die Westler
eines der größten Hindernisse für das Wachstum des Dhamma außerhalb seiner traditionellen
Heimat ist. Das bedeutet viel zu oft, dass der Dhamma oft mit all seinen überalterten Praktiken
und Missverständnissen, welche sich um ihn gebildet haben, einfach unhinterfragt übernommen
wird. Wenn diese Entwicklung andauert, wird der Dhamma im Westen keine Wurzeln schlagen.
Ja, schlimmer noch: Die Probleme, welche den Theravâda in Asien plagen, werden von den Westlern
möglicherweise nur fortgesetzt. Daher wollen diese Überlegungen auch zu zeigen versuchen,
was der Theravâda wirklich ist, wie er das wurde, was er im Augenblick ist. Sie wollen auch mögliche
Wege aufzeigen, wie er wieder seinen ursprünglichen Geist angenähert werden kann, so dass er
auch außerhalb seines traditionellen Umfeldes Relevanz bekommen kann.
Wenige meiner Beobachtungen über den Theravâda habe ich selbst gemacht. Häufiger gehören
sie zu der Sorte von Dingen, die man von ehemaligen Theravâdins, Mahâyâna-AnhängerInnen
oder anderen erfährt. Es handelt sich auch nicht nur um besonders aktuelle Beobachtungen. Im
berühmten Vimalakirtinidesa Sutta zum Beispiel, einem Mahâyâna-Werk, das aus den frühen Jahrhunderten
u. Z. stammt, täuscht der Nichtordinierte Vimalkirti vor, schwer krank zu sein. Der
Buddha bittet nun seine Mönche, einen nach dem anderen, Vimalkirti zu besuchen. Jeder seiner
Mönche weigert sich aber seiner Bitte nachzukommen, weil sie wissen, dass Vimalkirti weiser ist als
sie. Für das Selbstbewusstsein der Mönche war die Idee unerträglich, dass sie von einem Laien
lernen könnten. Weil der Buddha aber darauf besteht, beschließen die Mönche, gemeinsam zu
Vimalkirti zu gehen. Viele Freunde sind auch gekommen, um Vimalkirti zu sehen und so beschließt
Vimalkirti die Gelegenheit zu nutzen, um den Dhamma zu lehren. Aber als er gerade beginnen will,
gibt es eine Störung im Publikum. Sariputta, einer der anwesenden Mönche, der in dieser Geschichte
den typischen Hinayâna-Mönch repräsentiert, verlangt seinem Status gemäß, einen erhöhten
Sitz, um nicht mit den im Publikum sitzenden Laiennachfolgern auf gleicher Höhe sitzen zu
müssen. Mithilfe seiner magischen Kräfte erzeugt Vimalkirti „erlaubtes“ Mobiliar und beginnt
endlich mit seinem Vortrag. Auf halber Strecke wird der Dhamma-Vortrag erneut durch Sariputta
unterbrochen. Vimalkirti fragt, was dieses Mal los ist, und Sariputta antwortete ihm, dass ja gleich
Mittag sei und alle Mönche vor 12 Uhr essen müssen. Wieder erzeugt Vimalkirti mit seinen magischen
Kräften Essen für die Mönche und während die Mönche ihr Essen mampfen, fährt er mit
seiner Dhamma-Rede fort. Als Vimalkirti mit seiner Rede fertig ist, öffnete sich der Himmel und
viele himmlische Blüten regneten auf die ganze Versammlung herab. Sariputta und die anderen
Mönche aber wischen sich empört die Blüten von ihren Roben ab und sagen dabei: „Uns Mönchen
ist es nicht erlaubt, sich zu schmücken.“ Dieses Verhalten könnte man, obwohl nicht unter Mitwirkung
himmlischer Gefilde, in einem Theravâda-Kloster beobachten – sogar heute und sogar im
Westen beobachten.
Diese Überlegungen befassen sich nicht mit den Missbräuchen und der Korruption, die den
Theravâda befallen haben und ich werde diese nur im Vorübergehen andeuten. Meine Hauptsorge
gilt nicht der Frage, dass man den Theravâda nicht richtig praktiziert, sondern wie man ihn praktiziert.
Einige meiner Beobachtungen lassen sich auch auf dem Mahâyâna, und besonders im tibetischen
Buddhismus anwenden. Es gibt jedoch nachdenkliche westliche Mahâyâna-Buddhisten, die
damit begonnen haben, bestimmte Aspekte ihrer Tradition zu hinterfragen, und sie können dies
besser kommentieren als ich. Die Probleme des Theravâda im Zusammenhang mit der Meditation
werde ich hier auch nur anschneiden. Das Thema Meditation ist zu bedeutend und sollte meiner
Meinung nach separat und in aller Tiefe erforscht werden. Ich hoffe, dies einmal in der Zukunft
tun zu können. Häufig zitiere ich aus verschiedenen Büchern, u. a. aus The Buddhist Monastic Code
von Thanissaro Bhikkhu und aus The Buddhist Monk’s Discipline – A Layman´s Guide von Ariyeseko.
Beide vertreten nach meinem Dafürhalten den orthodoxen Standpunkt des Theravâda.
Ich stimme mit den meisten Aussagen der beiden ehrwürdigen Autoren nicht überein, möchte dies aber
nicht als Respektlosigkeit ihnen persönlich gegenüber verstanden wissen. Buddhas Lehren sind
reich und erlauben deshalb eine breitere Interpretation. Ich glaube, dass eine alternative Position
zum Theravâda seit langem überfällig ist. Des Weiteren zitiere ich aus Buddhism and Society von
Milford Spiro, einer anthropologischen Studie des Theravâda in Burma. Spiro’s Beobachtungen
sind wertvoll, nicht nur deswegen, weil sie oft mit meinen übereinstimmen, sondern weil sie von
einem unabhängigen und objektiven Beobachter stammen, der kein Hühnchen mit jemandem zu
rupfen hat.
Zu guter Letzt bleibt mir noch zu erwähnen, dass meine Kommentare über die Laien,
die die Mönche täglich verhätscheln, nicht als Undankbarkeit meinerseits verstanden werden sollen.
In den Jahren, die ich in Sri Lanka verbrachte, haben mich eine Vielzahl von Menschen, ob
nun Städter in Colombo oder die einfachen und frommen Dorfbewohner auf dem Lande, immer
großzügig und mit der größten Freundlichkeit behandelt, und dafür werde ich immer dankbar. Es
ist jedoch Zeit, diese Beziehung zu beenden – ich muss einen anderen Weg gehen.
Meines Erachtens ist die Betrachtung des Theravada heutzutage und eine Diskussion ÜBER das Theravada notwendiger denn je. Buddhas Lehre hat sich stets auf das Wohl der Wesen ausgerichtet.
So wie es in diesem Buch beschrieben wird erlebe ich es auch anderswo und auch hier im Forum: Eine Verknöcherung der Lehren Buddhas auf stetiges Wiederholen der Belehrungen ohne Bezug auf den Alltag der Menschen und ihres zwischenmenschlichen Austausches. Dabei könnte der Theravada mehr würde er sich einer Reform, einer offenen Diskussion über Lehrinhalte und aktuelle und praktische Relevanz öffnen.
Darüber hinaus könnte ein Ausgleich von den Theravadins geschaffen werden - eine Balace zwischen meditativer Praxis, die nicht mehr ein Hauptbestandteil dieser Tradition zu sein scheint, und dem Studium der Lehren. Als Buddhist einer tibetischen Schule erkenne ich aus meiner Perspektive (Außenperspektive) bis dato keine Reformbereitschaft der Praktizierenden und Lehrenden Das mag täuschen. Inwieweit lebensnahe und umsetzbare Interpretationen der Vianaya-Belehrungen vorhanden sind verbleibt im Moment noch außerhalb meines Wissensraumes. Vielleicht hilft eine offene Diskussion zu diesem Thema hier im Forum um mehr Klarheit zu diesem Thema zu bringen.
Liebe Grüße,
Leonidas