Säkulare Buddhisten im Interview mit Nicola Hernadi für das Magazin TIBET UND BUDDHISMUS

  • Zum Christentum: Ein Christentum ohne Auferstehung wird zumindest zum Teil diskutiert. Und in Umfragen hat sich herausgestellt, dass überraschend viele Christen nicht an ein Leben nach dem Tod glauben.

    Man könnte sagen, dass Karma und Wiedergeburt auch im Buddhismus eher Nebenschauplätze sind. Der Hauptpunkt (wie im Christentum Gott) wäre da eher, inwieweit es Erwachen und einen zum Erwachen führenden Weg gibt. Das stellt sB meines Wissens nicht in Frage.

    Andererseits könnte man sicher überlegen, ob eine fiktive Lehre, die Ethik und Meditation und Nicht-Ich (was man ja auch rein wissenschaftlich oder philosophisch so sehen kann) verbindet, so sehr weit weg von sB wären. Der Unterschied liegt dann vielleicht vorwiegend in der Leidfreiheitdoktrin.

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

    • Offizieller Beitrag

    Die Hauptfrage wäre allerdings, was versteht der sB unter Metaphysik

    Unter metaphysischen Spekulationen wird im sB meist tatsächlich alles verstanden, was nicht objektivierbar ist. Die Vorstellung eines Bardo etwa entzieht sich jeder Evidenz und ist damit im Kern beliebig. Genausogut könnte man statt im Bardo im christlichen Himmel oder der Hölle landen. Man weiß es nicht! Da wir über solche Vorstellungen keine Gewissheit erlangen können, ist es müssig über sie nachzudenken oder zu streiten und sinnlos sie zum Teil oder gar zum Ziel unserer Praxis zu machen.

  • Die Hauptfrage wäre allerdings, was versteht der sB unter Metaphysik

    Die Vorstellung eines Bardo etwa entzieht sich jeder Evidenz und ist damit im Kern beliebig. Genausogut könnte man statt im Bardo im christlichen Himmel oder der Hölle landen. Man weiß es nicht!

    Ganz genau, meine Rede :-). Deswegen bleibe ich bei der frühbuddhistischen Lehre. In nachfolgenden Lehren geht mir einiges zu weit. Dennoch halte ich viele Sachen im tibet. Buddhismus für heilsam und für eine heilsame Entwicklung förderlich.

    Die Dinge entstehen, existieren und vergehen. Das ist normal. Ajaan Tippakorn

  • Bardo ist der Übergangsprozess.

    Übergangsprozesse gibt es im ganzen Leben, jeder Mensch wird immer wieder ein anderer, trifft immer Entscheidungen, die dazu führen, dass das alte Leben aufgegeben werden muss und ein Wiederwerden in einen neuen Lebensabschnitt gefordert ist. Bardo ist also etwas ganz Normales. Das letzte Bardo ist eben der Übergang vom Leben in den Tod, das Sterben. Dieser ist besonders wichtig, weil das der letzte Augenblick ist, an dem man sich befreien kann. Bisher hab ich in keinem Abschnitt des Buches der Bardos, einen Übergang gefunden, der nicht zur Befreiung aus dem zyklischen Wandern in Samsara befreit. Eine Wiedergeburt ist also nicht nötig. Wird aber auch nicht explizit für möglich oder unmöglich gehalten.

    Kann natürlich sein, das ich die ganz falschen Übersetzungen hergenommen habe.

  • Keine Ahnung : Danke für Deinen Einwurf. Zum einen für den Hinweis, dass dieser syrisch-aramäisch-hellenistische Synkretismus (angeblich unsere "jüdisch-christliche Leitkultur", was natürlich nichts als ein Kampfbegriff ist) lediglich einen zeitlichen Vorsprung bei seiner Inkulturation hatte. Eine 'Verwurzelung' des Monotheismus in unserer Kultur ist sicher gegeben, seine Akkulturation - aber es sind lediglich etwas ältere und dickere Wurzeln als die des Buddhadharma, dessen Rezeption hier gerade mal zwei Jahrhunderte alt ist. Und es ist unübersehbar, dass trotz alter dicker Wurzeln der Baum nur noch vor sich hin kümmert und wohl über kurz oder lang eingehen wird ...


    Um den Punkt 'Akkulturation' aufzugreifen - der SB ist nichts anderes als solch eine Akkulturation. Nicht anders, als die 'traditionellen' Buddhismen, die sich in ihrer konkreten Ausformung, vor allem in ihrer sozialen Funktion, ja doch sehr deutlich von ihren diversen asiatischen Vorbildern unterscheiden. Was von manchen ihrer Anhänger gerne ausgeblendet wird. Was mir den SB grundsätzlich sympathisch macht, das ist, dass es eine nüchterne interkulturelle Rezeption ist, die sich nicht durch die Faszination des Exotischen blenden lässt. Die SB neigen da nach meiner Wahrnehmung eher zum Gegenteil, zum 'Fremdeln'. Eine andere Variante solchen Fremdelns (und eine entsprechend andere Akkulturation) hat uns dankenswerterweise Anandasa hier vorgestellt. Schöne Parallele zur Inkulturation von Devas, Nats, Kami usw. in diverse lokale Buddhismen - auch das finde ich durchaus sympathisch, auch wenn es nicht so mein Ding ist ...


    Aber Dein Hauptpunkt war ja das metaphysische Defizit des SB und eben dies hatte ich damit gemeint, dass mir der Prajñā-Aspekt des achtfachen Pfades da zu "mager" geraten ist. Wobei ich Dich so verstehe (womit wir einer Meinung wären), dass dieses metaphysische Defizit ein Theoriedefizit ist, das anscheinend auf einem unreflektierten Metaphysik-Begriff beruht. Zu allen von Dir per Wiki-Zitat angeführten Themenfeldern - Ontologie, Hermeneutik, Epistemologie (plus Philosophie des Geistes und Ethik) - gibt es eine lange buddhistische geistesgeschichtliche Tradition. Ich rede von Philosophie, nicht von frommen Traktätchen. Ein 'entmythologisierter' bzw. rationaler Buddhismus ist eine alte, mit dem Abhidharma beginnende Tradition. Es mag von einem Zen-Praktizierenden seltsam klingen, aber es lohnt sich mE, sich damit zu befassen; d.h. dieses Erbe (notwendig) interkulturell (und selbstverständlich kritisch) zu studieren statt es auszublenden bzw. zu ignorieren. Das, also die kritisch-interkulturelle Auseinandersetzung damit, ist etwas, was ich insbesondere bei Batchelor vermisst habe. Aber okay - die Strömung des SB steckt ja noch in den Kinderschuhen. Da ist noch Potential ...


    Hendrik : das Bardo Thödol ist mit seiner Metaphorik mE ein gutes Beispiel für den oben angesprochenen Exotismus, was eine interkulturelle Hermeneutik natürlich vor große Probleme stellt. Wobei etwa C. G. Jungs Kommentar schon einmal einen brauchbaren Ansatzpunkt aufzeigt. Und - das 'weiße Licht' mag nicht "objektivierbar" im Sinne eines physikalischen oder chemischen Ereignisses sein (eher schon biologisch/neurologisch), aber ich versichere Dir, dass es als individuelle Grenzerfahrung empirisch reproduzierbar ist. Weswegen ein anderer Psychologe (T. Leary) das Bardo Thödol auch als Vorlage eines therapeutischen settings benutzte. Die Beschreibungen der anderen Bardos sind natürlich stark kulturell bestimmt und so (in der beschriebenen Form) von Menschen mit z.B. westlicher kultureller Sozialisation ohne einen Gutteil Autosuggestion wohl eher nicht empirisch nachvollziehbar. Wie auch immer - es handelt sich da um Beschreibungen psychischer Zustände (gem. Jung Archetypen), deren (Selbst-)Wahrnehmung mit Ausnahme des 'weißen Lichts' stark kulturell geprägt ist, was den praktischen Wert dieser Schrift für einen westlichen Buddhismus doch etwas in Frage stellt. Noreply 's Zugang zu diesem Text finde ich dessenungeachtet sehr erfrischend und nachvollziehbar.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Sudhana Hab inzwischen drei deutsche Versionen gelesen und bin bei der zweiten Englischen, die ich übersetze. Außerdem hab ich ein paar Bücher über dieses Buch der Bardo gelesen. Und ein Freund von Visualisierungen und Vorstellungen bin ich nie gewesen, mir soll das Buch helfen und das hat es getan.:D

  • Sudhana Hab inzwischen drei deutsche Versionen gelesen und bin bei der zweiten Englischen, die ich übersetze. Außerdem hab ich ein paar Bücher über dieses Buch der Bardo gelesen. Und ein Freund von Visualisierungen und Vorstellungen bin ich nie gewesen, mir soll das Buch helfen und das hat es getan.:D

    Wusste ich doch, dass das hier


    Zitat

    Wie soll ich denn wissen welche oder ob eine Rede relevant für mich ist?


    nur eine rhetorische Wendung war! :)

  • mit dem grundsätzlichen Ansatz eines weltanschaulichen Pessimismus unvereinbar sind.


    Ist dies denn ein Merkmal des säkularen Buddhismus?


    ein Christentum ohne Gott wär irgendwo widersinnig :) Ein Buddhismus ohne Wiedergeburt hingegen nicht


    Das sagst du. Ich sage etwas anderes.

  • Himmelsbaum : "Ist dies denn ein Merkmal des säkularen Buddhismus?" (Zitierfunktion streikt mal wieder)

    Ich stecke nun nicht so in der Materie drin um zu wissen, ob es in dieser Hinsicht unterschiedliche Positionen im SB gibt. Meine Kontakte haben mir zumindest den Eindruck vermittelt, auch die Doktrin der drei Seinsmerkmale (trilakṣaṇa) zu vertreten. Und die sich um Mitgliedschaft in der DBU bemühenden SB haben sich das 'Buddhistische Bekenntnis' explizit zu eigen gemacht. Inklusive "Alles Bedingte ist unbeständig. Alles Bedingte ist leidvoll. Alles ist ohne eigenständiges Selbst". Also: Ja, so wie ich ihn wahrnehme, ist das so.


    Tendenzen zu einem Wellness-Buddhismus nehme ich da eher bei manchen Nicht-Säkularen wahr ... Vermutlich, weil man auch unter nicht-säkularen Buddhisten unterschiedliche Verständnisse von Duḥkhata hegen kann - seichte und tiefe.

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Keine Ahnung : Danke für Deinen Einwurf. Zum einen für den Hinweis, dass dieser syrisch-aramäisch-hellenistische Synkretismus (angeblich unsere "jüdisch-christliche Leitkultur", was natürlich nichts als ein Kampfbegriff ist) lediglich einen zeitlichen Vorsprung bei seiner Inkulturation hatte. Eine 'Verwurzelung' des Monotheismus in unserer Kultur ist sicher gegeben, seine Akkulturation - aber es sind lediglich etwas ältere und dickere Wurzeln als die des Buddhadharma, dessen Rezeption hier gerade mal zwei Jahrhunderte alt ist. Und es ist unübersehbar, dass trotz alter dicker Wurzeln der Baum nur noch vor sich hin kümmert und wohl über kurz oder lang eingehen wird ...

    Gilt nicht das selbe über Buddhismus in Asien? Und ich halte den Buddhismus insgesamt eher für ein Randphänomen im Westen (bei uns gibt es einen buddh. Friedhof, wo einer begraben ist, so las ich einmal). Und ich halte Hendriks Argument in seinem Vortrag auf youtube (wo ich schon im Detail darauf eingegangen bin), dass so viele Leute Interesse an Meditation hätten, und darin hätte der Buddhismus doch die Hauptkompetenz für schwierig, und nicht überzeugend, weil Buddhismus nur eine von vielen Traditionen ist, die kompetent in Meditation ist z.B..


    Zitat

    Um den Punkt 'Akkulturation' aufzugreifen - der SB ist nichts anderes als solch eine Akkulturation. Nicht anders, als die 'traditionellen' Buddhismen, die sich in ihrer konkreten Ausformung, vor allem in ihrer sozialen Funktion, ja doch sehr deutlich von ihren diversen asiatischen Vorbildern unterscheiden. Was von manchen ihrer Anhänger gerne ausgeblendet wird. Was mir den SB grundsätzlich sympathisch macht, das ist, dass es eine nüchterne interkulturelle Rezeption ist, die sich nicht durch die Faszination des Exotischen blenden lässt. Die SB neigen da nach meiner Wahrnehmung eher zum Gegenteil, zum 'Fremdeln'. Eine andere Variante solchen Fremdelns (und eine entsprechend andere Akkulturation) hat uns dankenswerterweise Anandasa hier vorgestellt. Schöne Parallele zur Inkulturation von Devas, Nats, Kami usw. in diverse lokale Buddhismen - auch das finde ich durchaus sympathisch, auch wenn es nicht so mein Ding ist ...


    Ich hab ja auch durchaus Sympathien für verschiedene sB-Bewegungen, mir ist das ganze nur zu rational gedacht. Mir geht das Hinterfragen eher nicht weit genug. Aber sie versuchen, die Elemente, die für sie stimmig sind, zu einem System zu formen, und verbinden sie mit Ideen aus der Aufklärung. Ist ja in Ordnung. Geht man weiter, bewegt man sich eine Richtung hinaus aus dem Buddhismus. Da gibt es ja auch Beispiele, wie G. Keller mit seinem "Zen ist kein Buddhismus", und einer großen Buddhismuskritik.

    Zitat

    Aber Dein Hauptpunkt war ja das metaphysische Defizit des SB und eben dies hatte ich damit gemeint, dass mir der Prajñā-Aspekt des achtfachen Pfades da zu "mager" geraten ist. Wobei ich Dich so verstehe (womit wir einer Meinung wären), dass dieses metaphysische Defizit ein Theoriedefizit ist, das anscheinend auf einem unreflektierten Metaphysik-Begriff beruht. Zu allen von Dir per Wiki-Zitat angeführten Themenfeldern - Ontologie, Hermeneutik, Epistemologie (plus Philosophie des Geistes und Ethik) - gibt es eine lange buddhistische geistesgeschichtliche Tradition. Ich rede von Philosophie, nicht von frommen Traktätchen. Ein 'entmythologisierter' bzw. rationaler Buddhismus ist eine alte, mit dem Abhidharma beginnende Tradition. Es mag von einem Zen-Praktizierenden seltsam klingen, aber es lohnt sich mE, sich damit zu befassen; d.h. dieses Erbe (notwendig) interkulturell (und selbstverständlich kritisch) zu studieren statt es auszublenden bzw. zu ignorieren. Das, also die kritisch-interkulturelle Auseinandersetzung damit, ist etwas, was ich insbesondere bei Batchelor vermisst habe. Aber okay - die Strömung des SB steckt ja noch in den Kinderschuhen. Da ist noch Potential ...



    Dagegen würde ich ja auch nix sagen. Nur sieht die Quellenlage von Texten, die ins englische (geschweige denn ins deutsche) übersetzt sind, nicht so rosig aus. Und es wäre dann eine nicht überschaubare Zahl. Aber sicher, könnte man sich die Haupttexte von Chih-I, aus dem Kegon, wichige philosophische Werke aus Ch'an, Zen, Seon etc (Klingt wie ein Widerspruch insich), von Shinran, von Nagarjuna und von den Yogacharas, den ganzen Abhidhamma und darauffolgenden phil. Werken wäre sehr gut, aber auch hier im Forum bilden sie ja nur einen kleinen Teil ab. (Hier im Forum gibt es z.B. im Unterforum Mahayana Grundlagentexte 4 Threads). Das ist dann schon fast was für Nerds. (Hingegen gab es in den vielen Jahren des Buddhalands unzählige zu Karma, Reinkarnation, Drogen und Fleischkonsum). Daher würde ich ihnen das nicht vorwerfen, wenn ich es auch spannend fände. Aber ich weiß nicht, ob es dazu überhaupt eine textkritische Analyse gibt.

    Zum Bardo Thödal nur so viel (das sollte man getrennt diskutieren, wurde glaub ich auch schon hier diskutiert): Es ist ein Terma (ein angeblich von Padmasambhava verborgener Schatztext), diese sind eigentlich selbst im tib. Buddhismus in den Schulen außerhalb der Nyingmas umstritten. Aber dieses ist glaub ich so populär, dass auch die anderen Schulen zum Teil drauf Bezug nahmen oder ähnliche Texte hervorgebracht haben. Es gab aber das Bardo Thödol auch bei den Bön, ich weiß da nicht, welches älter ist (Ich glaub Vajranatha (ein westlicher Lehrer, der tib. Buddhismus und Bön lehrt) hat das (zumindest ins englische) übersetzt).

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

  • Was mir im Artikell aufffällt, aber es ist meine reine persönliche Meinung, man betrachtet sehr viele Phänomene wie Karma , z.B.. ausschliesslich aus der Perspektive von rechten Quadraten ( nach K.Wilber)... Also, was man nichts so rein wissenschaftlich oder objektiv nachweisen kann, dann bleibt nur so wie der "ethische" Wert, wenigstens.

    Bardo-Zustände man kann aber nur im dem Innerem erfahren, man kann sie nichts objektiv verifizieren. Dasselbe wäre mit dem Karma. Das Phänomen ist real... Aber im Labor man kann es nichts tausendamal überprüfen( wiederholen), wie mit den "Pawlows"-Hunden.

    So, meine ich, der säkuläre Einsatz blendet die Möglichkeit aus, dass es alles absolut real möglich( wäre).

    Und das finde ich schade...

    Klar, ich kann mich täuschen... Das ist doch menschlich.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Ich finde es insgesamt schwierig, wenn physikalische Phänomene (wie Ursache-Wirkung, obwohl selbst in der Quantenphysik da etwas anderes zu gelten scheint) auf die Ethik oder auf den Geist übertragen werden. Letztlich muss ich an Karma glauben, um es plausibel zu finden. Ansonsten ist es ja nicht so, dass es gut handelnden Menschen gut, schlecht handelnden Menschen schlecht ergeht. Daher muss man dann eine weitere nicht überprüfbare Ebene einführen: die Wiedergeburt. Es kann ja sein, dass man in früheren Leben entsprechend gehandelt habe.
    Freilich kann ich im Inneren viel erfahren. Da kann ich Erfahrungen mit Gott und der Jungfrau Maria machen, unter Drogen auch mit Zwergen und was weiß ich. Wenn ich ein Buch lese, werden ja innerlich ganz illusionäre Welten ganz real. Trotzdem würde ich dem keinen Wirklichkeitsanspruch zubilligen.
    Sicher ist viel außer halb des nachweisbaren möglich. Es könnte Götter geben, die Erde könnte auf einer Schildkröte ruhen, Bakterien oder weiße Mäuse könnten unsere Gedanken kontrollieren, wir könnten nur Nahrung für den Mond sein. Dennoch halte ich das nicht für wahrscheinlich.
    Zum anderen hat der Glaube an Karma und Wiedergeburt die Situation der Menschheit nicht verbessert, wir haben sogar viele Fälle von buddhistischen Lehrern, die sich schlechter verhalten, als so mancher Ottonormalbürger. Oder aus meiner eigenen Sicht: Ich habe mich, als ich an diese Dinge glaubte, eher schlechter verhalten, als jetzt, wo ich nicht daran glaube. (Obwohl ich Chih-I's: "Zwischen Gut und Schlecht zu unterscheiden ist schlechtes Karma" immer noch amüsant finde).
    Buddha wurde einmal gefragt, was die Essenz seiner Lehre sei. Er antwortete nichts, was mit Karma und Wiedergeburt zusammenhängt, sondern einfach: An nichts, was es auch sei, sollte festgehalten werden. Dazu braucht man keinen Glauben an Karma und Wiedergeburt. Auch für eine radikale Nicht-Ich-Lehre nicht.

    "Im letzten Jahr ihres Lebens sagte meine Mutter im Alter von 95 mehrmals: "Es ist befreiend zu erkennen, dass nichts wirklich eine Rolle spielt." Sie sagte es freudig, erleichtert, so, als ob sich eine Last (auf)gehoben hätte."


    Joan Tollifson

  • Ansonsten ist es ja nicht so, dass es gut handelnden Menschen gut, schlecht handelnden Menschen schlecht ergeht.

    Da wird gerne übersehen, dass sowohl die eine Gruppe als auch die andere Gruppe alles aus „Liebe“ tun, ob die Motivation nun hilfreich oder nicht hilfreich ist macht die Sache interessant. Das ist ein Beziehungsproblem, ein Ich-bin Glaube. Der Gut handelnde tut, das mit dem Motiv, dass es ihm gut gehen soll und besonders dem anderen, doch sein „Gut“ sein, kann, nicht hilfreich sein für andere Menschen. Wenn beide Gruppen ohne Vorstellungen handeln, bleibt das Anhaften an gewünschten Ergebnissen aus.

    Ich brauche keine Wiedergeburt nach meinem Sterben. Für mich ist es wichtig, jetzt wiedergeboren zu werden, als etwas, das ich eben anders gemacht habe, gerade geschaffen.

    Was ich brauche, ist Zivilcourage, eintreten für meine derzeitige Ansicht, auch wenn ich mit ihr scheiter ist es doch eben NUR eine Ansicht. Wenn Menschen schlechtes tun, gibt es die Justiz, wenn da nicht die Vorteilsnahme wäre. Denn sowohl die „Guten“ als auch die „Bösen“ haben immer Speichellecker, Bauchpinseler um sich.

    Karma ist handeln, Ursache und Wirkung ist der Kontext, der sich um Karma bildet.

    Einmal editiert, zuletzt von Noreply ()

  • Mal bei Dōgen (Genjōkōan) zum Thema 'Wiedergeburt' nachgeschlagen:

    Zitat

    Feuerholz wird Asche, es kann [dann] nicht zum Sein des Feuerholzes zurückkehren*. Dennoch sollte man nicht die Sichtweise hegen, dass etwas nachher Asche und vorher Feuerholz ist. Man sollte verstehen, dass Feuerholz in seiner Dharma-Position weilt und sein 'davor' und 'danch' hat. Doch obwohl es eine Vergangenheit und eine Zukunft hat, ist es von diesen getrennt. Asche ist in seiner Dharma-Position und hat ihr 'davor' und 'danach'. Genau wie dieses Feuerholz, Asche geworden, nicht zu Feuerholz zurückkehrt, kehrt eine Person, nachdem sie gestorben ist, nicht zum Leben zurück.


    Folglich, entsprechend einer altbewährten Lehre des Buddhadharma, sagt man nicht, dass Leben Tod wird. Daher sprechen wir vom 'Ungeborenen'. Und es ist ein altbewährtes Buddha-Drehen des Dharma-Rades, dass Tod nicht Leben wird. Daher sprechen wir vom 'Todlosen'. Leben ist ein temporaler Zustand und Tod ist ein [anderer] temporaler Zustand. Es ist beispielsweise wie Winter und Frühling. Wir denken nicht, dass Winter Frühling wird oder sagen nicht, dass Frühling Sommer wird.

    Es ist schon so, dass Ethik, wenn man sie als Strategie versteht, sich in einem Belohnungs-/Bestrafungssystem optimal zu positionieren, offensichtlich nur dann funktionieren kann, wenn man eine Wiedergeburt postuliert. Ob nun in Samsara oder als 'Auferstehung' in einer transzendenten Hotel-Luxussuite bzw. einem transzendenten Folterknast. Das macht nicht wirklich einen Unterschied. Aber so lange Ātmadṛṣṭi nicht aufgelöst ist, braucht es das wohl als Upāya.

    OM MONEY PAYME HUNG