Man könnte augenzwinkernd sagen: Der beste Beweis für die Existenz von Wiedergeburt ist das Immerwiederaufleben des Themas in Internetforen. Die Leidenschaft, mit der solche Diskussionen geführt werden, erlebt dabei auch regelmäßig eine Reinkarnation.
Die Frage "Gibt es Wiedergeburt?" ist höchst vertrackt und sicherlich fast ebenso anspruchsvoll wie die Frage "Gibt es einen Gott?". Mit dem agnostischen Standpunkt (Kann sein/kann auch nicht sein) ist man sicherlich fein aus dem Schneider. Aber jede agnostische Sichtweise hat etwas Unbefriedigendes, denn letztlich lassen wir hier die Frage einfach nur unbeantwortet im Raum stehen.
Es gibt bezüglich der Wiedergeburt im Buddhismus die drei folgenden Positionen
A) pro
B) contra
C) neutral (agnostisch)
A) Was spricht für Wiedergeburt?
1) Wiedergeburt ist ein wichtiger Baustein im buddhistischen Denkgebäude. Man kann ihn nicht entfernen, ohne dem gesamten Gebäude Schaden zuzufügen.
2) Die kanonischen Schriften sprechen von der Wiedergeburt, daher ist sie fester und unverzichtbarer Bestandteil der Lehre.
3) Die buddhistische Ethik wird erst vor dem Hintergrund der Wiedergeburt sinnvoll, da sie die Auswirkungen sittlichen Verhaltens über die einzelne Lebensspanne hinaus aufzeigt. Karma ragt über die individuelle Lebensdauer hinaus. Damit wird die Notwendigkeit sittlichen Handels dringlicher, als wenn nach einem Leben einfach alles vorbei wäre.
4) Für den Unerleuchteten ist Wiedergeburt eines Frage des Glaubens und des Vertrauens in die Lehre, für den Erwachten eine Gewissheit.
5) Die Beendigung der Kette der Wiedergeburten (Samsara) ist allerhöchstes buddhistisches Heilsziel. Ohne Wiedergeburt verliert der Buddhismus daher seine zentrale Sinngebung.
6) Es gibt Aussagen in der Buddha-Lehre, die für jeden überprüfbar korrekt sind. Also ist anzunehmen, dass auch die Aussagen bezüglich der Wiedergeburt, als Bestandteil des Dharma, korrekt sein werden (auch wenn persönliche Einsicht in dieser Sache noch nicht vorhanden ist).
B) Was spricht gegen die Wiedergeburt?
1) Wiedergeburt widerspricht den Konzepten von anatta (Nicht-Selbst) und anicca (Nicht-Dauer). Der Buddhismus negiert ein dauerhaftes, substantielles Ich. Wiedergeburt aber setzt Dauer und Beständigkeit voraus. Da es nichts Beständiges gibt, alles immer im Fluß ist, gibt es nichts, was wiedergeboren werden könnte.
2) Es gibt Passagen in den kanonischen Schriften, die Reflektionen über ein Leben nach dem Tod als für die Praxis fruchtlose Spekulation bezeichnen.
3) Wiedergeburt setzt einen Leib-Geist-Dualismus voraus, der in der buddhistischen Lehre (Bedingtes Entstehen/Skandha-Lehre) keinen Rückhalt findet.
4) Wiedergeburt ist ein Konzept, dass hauptsächlich der Verankerung von Ethik dient: Handeln hat persönliche Konsequenzen auch über den Tod hinaus. Ein solches Konzept setzt aber persönliche Wiedergeburt (atta) voraus (die der Buddha nicht gelehrt hat).
5) Weitere Argumente gegen die Wiedergeburt bestehen im wesentlichen im Bemühen, die Argumente der Befürworter (siehe A) zu widerlegen.
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So stimmig, so schlüssig die einzelnen Positionen beider Parteien auch erscheinen mögen, "Beweise" sind es allesamt nicht. Viele der Argumente sind erst einmal nur Behauptungen, die es zu belegen gilt.
Womit wir wieder am Anfang angelangt wären: Die Frage "Gibt es Wiedergeburt?" ist ähnlich anspruchsvoll wie die Frage "Gibt es Gott?".
Es kann durchaus sein, dass diese Listen* unvollständig sind. Ich freue mich über Ergänzungen. Das könnte ein Thread werden, in dem nicht über Wiedergeburt diskutiert wird, sondern darüber, warum es so schwer (und irgendwie auch letztlich fruchtlos) ist, darüber zu diskutieren.
LG
Onda
* ich liebe Listen