weil ein Lehrer lehren soll, wie man Dukkha überwindet und er bei seinen Schülern deshalb nicht noch zusätzlich Dukkha erzeugen darf.
Ja, so wird es gerne erhofft. Allerdings verstehe ich dukkha als ein Kennzeichen des Daseins, das man auch nicht loswird, wenn es keiner mehr "erzeugt", denn es entspricht der christlichen Vorstellung der Ursünde - es ist also bereits als "Belastung" da. Denn Vergänglichkeit kann man ja nicht abschaffen, Leiden kann man nicht abschaffen, nur seine Positionierung dazu.
Ich bin davon überzeugt, dass es in der buddhistischen Praxis darum geht, jegliches Leiden am Leiden zu überwinden, d. h. dass das Ausmaß des Leidens, das auf einen einprasselt, erst mal die eigene Aufgabe darstellt, nicht in erster Linie in die Verantwortung des anderen gegeben werden sollte. Also wie stelle ich das Leiden ab? Wenn man da flexibel bleibt, nimmt man neben der buddh. Übung auch die weltlichen Mittel in Anspruch - was ja oft nicht geschieht -, schaltet also Ermittlungsbehörden ein oder nimmt persönlich Rache (wenn das eigene moralische Sprektrum das noch zulässt), die Bandbreite ist groß.
Mit der o.g. Forderung wäre ansonsten gar der Einsatz eines kyosaku zum Schlagen wie im Rinzai abzustellen. Die ganze Koan-Schulung, die manche geradezu in die Verzweiflung treibt, und vor allem Zazen, das ja Schmerzen macht. Auch Schmerzen sind dukkha.
Darum scheint es mir eher um Grenzziehung zu gehen. Oder die Ermächtigung des Einzelnen, die Einhaltung seiner/ihrer persönlichen Grenzen zu respektieren. Es gab ja bei den Skandalen z.B. auch Frauen, die selbst im Nachhinein zu ihren Affären mit dem Lehrer standen. Wieso sollten die nicht ein Recht darauf haben, sich miteinander so auszutoben?
Und dann kommen wir in den Bereich, über den offenbar so ungern geredet wird, nämlich dass fast jeder Mann und fast jede Frau irgendwann im Leben sexuelle Fehltritte begangen hat - zumindest retrospektiv. Fast jeder erinnert sich an Begebnisse, die scheiße waren, die es besser nicht gegeben hätte. Diese Versager oder Peinlichkeiten gehören dazu. Wie hoch darf die Fehlerquote also sein, die man einem Lehrer dabei zugesteht? Vor allem, wenn man mal kapiert hat, dass man den Lehrer NICHT als Sex-Lehrer gewählt hat, sondern für die spirituellen Bedürfnisse. DA sollte er funktionieren und was draufhaben.
Wie gesagt, es ist möglich, dass man einen sehr guten Mathelehrer hatte, der sich später als Mörder herausstellt. Zynischerweise könnte man sogar sagen, dass er möglicherweise auch im Morden ein guter Lehrer hätte sein können. Aber das Morden verurteilen wir natürlich. Was würde das aber daran ändern, dass er mir Mathe gut verklickert hätte? Er ist also ein guter Mathelehrer gewesen, aber moralisch unreif. Das sind zwei verschiedene Dinge. Wenn ich mich im Morden vom selben Lehrer hätte unterrichten lassen, wäre das meine eigene tragische Fehlentscheidung. Genauso - aber nur möglicherweise oder sagen wir: wahrscheinlich - wenn ich mich auf Sex mit einem spirituellen Lehrer einlasse.
In Bezug auf spirituelle Lehrer wird das darum nicht auseinandergehalten, weil man meint, ein buddhistischer Lehrer müsse moralisch sauber sein. Dabei muss er - analog zum Mathe-Lehrer - nur sein Fach verstanden haben, nämlich den dharma, das Zen usw. Die Theravada-Fraktion mag sich auf den achtfachen Pfad und Gebote zurückziehen (wobei man sie regelmäßig in die Enge treiben kann, wenn man deren Wortlaut oder Inhalt genauer analysiert), aber in anderen Schulen wird es schon schwammiger: "Tue Gutes, meide das Böse." Die einen dürfen reich werden, bei den anderen ist Armut groß geschrieben.
Es ist also nicht wirklich klar, was gerade im Zen zum "Fach" des Lehrers gehören soll - außer natürlich, dass er "erwacht" sein sollte, eine tiefe Erkenntnis gewonnen haben sollte. Genau das können die meisten Anfängr aber gar nicht beurteilen, selbst Fortgeschrittene oft nicht.
Es lässt sich aber auch einfach daran aufzeigen, dass mit den Bemühungen nach den Skandalen in den USA ("olive branch" etc.) gar nicht mehr unterschieden wurde, was der Buddhismus tatsächlich lehrt, nämlich Ehebruch zu meiden - nicht, jegliche Affären zu meiden. Nun hat man dort flächendeckend jegliche Beziehung zwischen Lehrer und Schüler/in untersagt. Das findet zwar meine Zustimmung, wird aber natürlich scheitern, es ist für mich nur eine Art Heuchelei und Illusion, also für die Praxis kontraproduktiv. Viel besser wäre, von Anfang an Schüler kritischer und "freier" zu machen, dass sie wegkommen von der Ansicht, sie bräuchten ÜBERHAUPT diese Lehrer in irgendwelchen unbeobachteten Vieraugen-Situationen etc.
Jedenfalls ist regelmäßig genau diese Erwartungshaltung der Grund für Enttäuschungen. Nur wenn der Lehrer selbst sie weckt - und viele tun das -, ist das unmittelbar zu verdammen, wenn also einer hochtrabend daherredet und ein Charakterschwein ist - denn dann hat er ja was Wesentliches im dharma oder Zen nicht kapiert, nämlich sich selbst nicht durchschaut. Das Problem ist also nicht so sehr seine Unmoral, sondern seine mangelnde Erkenntnis dieser eigenen Unmoral. DAS disqualifiert ihn in allererster Linie als buddh. Lehrer. Und da sind sich die meisten gleich, denn sie denken: Wenn ich meine eigene Unmoral thematisiere, bricht mir das Geschäft weg. Ein gutes Beispiel sind YouTuber, die sich hier in Asien ständig mit bezahlbaren Frauen schmücken und dann noch tönen, sie seien ja in Panama gemeldet und müssten deshalb keine Steuern bezahlen. Kein Wort, was sie den Frauen zahlen, die werden als "Freundinnen" ausgegeben, denn da droht ja gleich der Vorwurf der Unmoral, und Abonennten brechen weg. Aber die Steuerflucht ist irgendwie ein Kavaliersdelikt, auch illegal Drohnen fliegen usw. Man kann daran sehen, wie unreif die ganzen Gesellschaften sind, wenn es sich um die richtige Rangfolge unmoralischer Vergehen handelt, und das spiegelt sich auch im Buddhismus wieder. Geldgierige Meister, die wie Eido Shimano oder Richard Baker Reichtümer über Jahrzehnte anhäuften. fallen erst dann auf, wenn sie mehr Sex (oder zumindest Affären) haben, als der Normalbürger bekommt - und das nimmt der dann aber richtig übel, denn im Grunde wünscht er sich ja auch mehr davon.
Ich selbst halte nichts von sexuellen Beziehungen, solange ein Lehrer-Schüler-Verhältnis besteht, also auch nichts von tantrischen Traditionen, die so etwas befördern. Aber ich würde da genauer hinschauen, wenn es in Meditationsgruppen passiert. Viele Menschen kommen da mit heimlichen Motiven der Lust zusammen. Die sitzen gemeinsam, hätten es aber ganz gerne, wenn noch irgendwas anderes dabei für sie drin ist.