• Eine interessante Diskussion um das Thema "Freude und Anhaftung" durfte ich hier verfolgen.

    Meine (zen-basierte) Sicht:


    Rudolf: Ein unmittelbares Erlebnis ist selbst noch nicht die Anhaftung an (oder Ablehnung) dieses Erlebnis. Es bedarf erst einer Haltung zu diesem Elebnis; und bevor wir eine Haltung zu einem Erlebnis einnehmen, müssen wir das Geschehene erst in welcher auch noch so vagen Form auch immer emotional begreifen und für uns einordnen.


    @Thorsten: Eine solche Einordnung von Geschehenem geschieht bei uns Menschen (und sicher auch bei Tieren) reflexhaft und vermutlich meist im Bruchteil von Sekunden; die entsprechende Bewertung und damit einhergehende Haltung zu dem Erlebnis ist i.d.R. ebenso reflexhaft quasi mitgegeben (ob wir das immer wahrhaben wollen oder nicht). Ich glaube, genau an dieser Stelle setzt die ursprüngliche Lehre des Buddha an, die darauf hinweist, dass unser reflexhaftes Annehmen und Ablehnen zwangsläufig Leid erzeugt und dem Erwachen im Wege steht. Dieses Verhängnis lässt sich meiner Auffassung nach auch nicht umgehen, indem wir unsere ursprüngliche Anhaftung oder Ablehnung nachträglich zu relativieren versuchen; das macht es lediglich noch komplizierter.


    Mit anderen Worten: Ich glaube an das, was Thorsten "Freude ohne Anhaftung" nennt, aber in dem Moment, wo wir es begreifen, einordnen und als "Freude" bezeichnen, ist zwangsläufig bereits Anhaftung oder Ablehnung involviert (das stimme ich Rudolf zu). Im Zen wird dafür gerne der Begriff der Soheit verwendet. In der Soheit ist das Erlebnis einfach so, weder gut noch schlecht, ohne Form und nicht zu begreifen. Sobald du es aber als etwas verstehst, sobald du es "Soheit" nennst oder "das Unbedingte" oder "Freude" oder "Gleichmut" oder "Nirwana", bist du bereits aus der Soheit gefallen. Denn das sind lediglich Begriffe und bedingte Vorstellungen, die ebenfalls reflexhaft mit Bewertungen und samsarischen Verstrickungen einhergehen.


    Mein Fazit: Anhaftung und Ablehnung willentlich vermeiden zu wollen, ist ein ehrenwerter Vorsatz, führt aber zwangsläufig zu anderen Formen von Anhaftung und Ablehnung. Ein Leben in der Soheit, ein Leben im Nirwana ist der Weg des Buddha. Wenn du es aber als Soheit, als Nirwana oder als irgendetwas verstehst, ist es bereits keine Soheit und kein Nirwana mehr.


    _()_

  • Zitat

    […]in dem Moment, wo wir es begreifen, einordnen und als "Freude" bezeichnen, ist zwangsläufig bereits Anhaftung oder Ablehnung involviert[…]Im Zen wird dafür gerne der Begriff der Soheit verwendet.[…]

    Interessant, wie unterschiedlich ein und die selbe Begebenheit unterschiedlich benannt werden kann - und was ein und die selbe Bezeichnung implizieren kann.


    Das kenne ich auch aus x anderen Bereichen.

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


    Viele Wege führen ins Nirvana.

    Deepa

  • Vielen Dank für diesen sehr interessanten Beitrag.


    Eine Frage dazu:

    Ein unmittelbares Erlebnis ist selbst noch nicht die Anhaftung an (oder Ablehnung) dieses Erlebnis. Es bedarf erst einer Haltung zu diesem Elebnis;


    Meinst du damit, dass wir ständig, unzählige Male am Tag bei jedem neuen Erlebnis einen kurzen Augenblick die reine Soheit erleben ohne die geringste Einordnung oder Bewertung dieses Erlebnisses?

    Und wenn ja, bekommen wir das bewusst mit? Oder nur manchmal? Oder wenn nicht, welchen Wert hat dies dann?


    Schon mal vorweg: ich frage deshalb, weil ich von meinen Lehrern bisher gehört habe und auch gelesen habe (indisches und tibetisches Mahayana), dass unser Bewusstsein ständig, ohne Unterbrechung mit Unwissenheit befleckt sei. Die Unwissenheit, das erste Glied des zwölfgliedrigen Bedingten Entstehens sei immer als Grundbedingung da, wir nähmen also von vornherein jedes Erlebnis mit unseren zahlreichen schon vorhandenen Konzepten wahr, fernab des Erlebens der Soheit. Diese würde erst erlebt werden nach Beseitigung der grundlegenden Unwissenheit.


    Das wichtigste radikalste angeborene Konzept ist dieses: wenn wir z.B. einen Geschmack wahrnehmen, nehmen wir ihn von vornherein als absolut, unabhängig, eigenständig existent an, wir bekommen das bloß abhängige und halb subjektive Entstehen dieses Geschmacks gar nicht mit, erfahren also gar nicht zunächst die Soheit des Erlebnisses.

    :rainbow:

  • Tai

    Zitat

    (Hervorhebung von mir)


    Würdest Du das bitte mal anhand eines Beispiels verdeutlichen? Ich habe hier ein Video eingestellt, da ging es um den Dalai Lama und um den Besitz eines Mercedes und eines günstigen Autos.


    Dort hieß es, dass man ruhig einen Mercedes besitzen dürfe (dürfe i.S.v.: Das allein ist noch keine Anhaftung) - dass es um die innere Haltung gehe, die man zu dem Auto (was auch immer) habe - unabhängig davon, was es gekostet habe.


    Ist es im Zen (wie Du es verstanden hast) bereits Anhaftung, einen Mercedes zu kaufen - z.B. weil er als sicherer eingestuft wird, als ein (sagen wir mal) Smart?

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


    Viele Wege führen ins Nirvana.

    Deepa

  • Der entscheidende Schlüssel zum Verständnis der Zen-Haltung ist, dass für sie immer nur der genaue jetzige Augenblick von Bedeutung ist.

    Meinst du damit, dass wir ständig, unzählige Male am Tag bei jedem neuen Erlebnis einen kurzen Augenblick die reine Soheit erleben ohne die geringste Einordnung oder Bewertung dieses Erlebnisses?

    Das würde man daher im Zen so nicht unbedingt sagen, obwohl du es gut beschrieben hast. Im genau jetzigen Moment ist die Idee ständiger, kurzer Soheits-Erlebnisse lediglich ein Festhalten an Vorstellungen, die den Ausblick auf das Genau-Jetzt verstellen. Wir können uns das natürlich trotzdem jetzt so vorstellen und uns darüber austauschen. Aber mit dem Erwachen in der Soheit hat das dann erstmal nichts zu tun. Die Zen-Lehre, wie ich sie verstehe, ist im Grunde nichts anderes als ein Hinweisen auf diesen Zustand des Erwachens und die Aufforderung, ihn genau jetzt unmittelbar zu ergreifen bzw. zuzulassen.

    Und wenn ja, bekommen wir das bewusst mit? Oder nur manchmal? Oder wenn nicht, welchen Wert hat dies dann?


    Was Soheit genannt wird, ist gemäß der Zen-Lehre genau jetzt unmittelbar gegeben und "erlebbar", aber dazu bedarf es extremer Hingabe, allen Mutes und konsequentester Selbstdisziplin, sonst fällt man sofort aus dem Zustand wieder heraus (genau wegen unseres von Buddha so treffend beschriebenen Hanges zum Ergreifen und Abstoßen). Vor allem muss diese Form der Praxis letztlich eine nonverbale sein, eine Praxis jenseits bzw. diesseits von Vorstellungen. Im Zen gibt es dafür auf den Begriff des "Augenblicks vor dem Denken", wobei mit "Denken" u.a. vor allem die Einordnung und Bewertung von Geschehen gemeint ist.


    In der Soheit ist man laut Zen-Lehre keineswegs unfähig, alles zu tun, was intuitiv gerade notwendig erscheint. Da kann man ohne weiteres auch einen Mercedes besitzen und mit ihm z.B. zur Arbeit fahren. Sobald du aber denkst, "ich habe einen Mercedes oder Smart" und dich auf das dazugehörige Spiel der mit Vorlieben und Abneigungen einhergehenden Assoziationen einlässt, verlierst du dich im Kreislauf von Gier, Ablehnung und Verblendung. Verblendung setzt übrigens schon da an, dass die Vorstellung 'Mercedes' dem Ding an sich keineswegs gerecht werden kann und sich quasi als 'Verblendung' vor das unmittelbar Gegebene schiebt (bisschen sperrig ausgedrückt - sorry dafür).

  • Ist es im Zen (wie Du es verstanden hast) bereits Anhaftung, einen Mercedes zu kaufen - z.B. weil er als sicherer eingestuft wird, als ein (sagen wir mal) Smart?


    (ich hoffe, ich darf auch schon mal antworten?)


    1) ... weil er als sicherer eingestuft wird ..... dann haftest du an dein Leben an. Was ja nicht schlimm ist, aber Anhaftung ist es.


    2) wenn du also nicht direkt am Mercedes anhaftest, dann hast du auch keine Freude am Mercedes, weder in der Soheit noch beim Entstehen einer Haltung dazu. Wenn du dich doch am Mercedes freust, wenn du ihn mal hast, statt eines Smart, dann haftest du an am Mercedes.


    Ich habe das Video gesehen und gehört (#163): Dagyab Rinpoche, bzw. de Dalai Lama, sagt nichts von Freude, wenn man einen Mercedes ohne Anhaftung fährt, es sei nur kein Problem, "no problem". der Titel des Videos lautet ja auch "letting go of attachment" und nicht etwas "creating joy" oder so.

    Es geht darum Anhaftung schrittweise (bei Uhren, Autos usw.) aufzugeben, um zu (pragmatischem) Gleichmut zu diesen Objekten zu kommen.

    Wenn sich Freude beim Mercedes fahren einstellen sollte, hast du wohl doch nicht im Sinne des Dalai eingekauft.

    :rainbow:

  • (Hervorhebung von mir)


    Nehmen wir an:


    Person x überlegt sich: Ich möchte ein Auto kaufen, dessen Karosserie eher einen Auffahrunfall aushält, ohne dass d. Insassen körperlich Schaden nehmen.


    Er vergleicht diverse Marken und kauft sich dann den Mercedes.


    Deines Erachtens bereits Anhaftung?


    Oder in dem Moment, in dem Freude darüber aufkommt, dass er es gekauft hat?

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


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    Deepa

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  • Tai


    Mal ein paar Fragen, um zu verstehen, wie Du den Zen verstehst.


    Wonach geht jemand, der nicht anhaftet, wenn er sich für etwas entscheidet - sei es, etwas käuflich zu erwerben oder darum, zwischenmenschliche Beziehungen einzugehen?


    Welche Gedanken gehen ihm durch den Kopf/welche innere Einstellung - Motivation hat er?

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


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    Deepa

  • Ist es im Zen (wie Du es verstanden hast) bereits Anhaftung, einen Mercedes zu kaufen - z.B. weil er als sicherer eingestuft wird, als ein (sagen wir mal) Smart?


    (ich hoffe, ich darf auch schon mal antworten?)

    Selbstverständlich. Das ist ein öffentliches Forum :)

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


    Viele Wege führen ins Nirvana.

    Deepa

  • Aus dem Buch „Dalai Lama - Die Essenz der Lehre Buddhas“


    Zitat

    Da wir als Menschen alle aus einem Mutterschoß hervorgehen, besteht eine natürliche Verbundenheit mit unserer Mutter, deren Milch uns ernährt und deren Fürsorge uns trägt. Unsere Zuneigung zu ihr ist die natürliche Fortsetzung unserer Zuneigung zu uns selbst. Diese Liebe, von der unser Überleben abhängt, hat eine biologische Basis. Die innige Verbindung von Mutter und Kind folgt nicht gesellschaftlichen Vorgaben, sie bildet sich spontan. Die Tiefe dieser Verbindung muss nicht erst entwickelt werden, denn die selbstlose Hingabe an ihr Kind ist für die Mutter reine Freude.

    (Hervorhebung von mir)


    Haftet diese Mutter, aus zen-buddhistischer Sicht, an? Tai


    Was, wenn sie aus selbstloser Hingabe etwas erwirbt, um das Kind zu schützen und sich daran erfreut?



    Und hier - der Dalai Lama:


    Externer Inhalt www.youtube.com
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    Er lacht. Scherzt. Freude. Anhaftung?

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


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    Deepa

    Einmal editiert, zuletzt von Deepa ()

  • Was Soheit genannt wird, ist gemäß der Zen-Lehre genau jetzt unmittelbar gegeben und "erlebbar", aber dazu bedarf es extremer Hingabe, allen Mutes und konsequentester Selbstdisziplin, sonst fällt man sofort aus dem Zustand wieder heraus (genau wegen unseres von Buddha so treffend beschriebenen Hanges zum Ergreifen und Abstoßen). Vor allem muss diese Form der Praxis letztlich eine nonverbale sein, eine Praxis jenseits bzw. diesseits von Vorstellungen. Im Zen gibt es dafür auf den Begriff des "Augenblicks vor dem Denken", wobei mit "Denken" u.a. vor allem die Einordnung und Bewertung von Geschehen gemeint ist.

    Das kann ich aus eigenem Erleben wiederum bestätigen. 1989/1990 erfuhr ich längere Zeit einen "Zustand der Soheit". Mir fehlten jedoch ein Lehrer und konsequente Selbstdisziplin. Deshalb fiel ich wieder heraus. Mir wurde damals intuitiv bereits klar, dass dies damit zusammenhängt, dass ich darüber nachdachte und es bewertete. Ich hatte Vorstellungen, ich war davon überrascht worden und glaubte, jetzt "erleuchtet" zu sein. Es entstanden Wünsche und Vorstellungen darüber, was sich denn jetzt wie entwickeln würde.


    Die Anhaftung an diese "Freiheit" war sehr groß. Auch die Erinnerung daran ist Anhaftung - so wie jetzt gerade.


    Insofern stimme ich auch Rudolf jetzt zu. Ja, da ist immer Anhaftung.

    In der Soheit ist das Erlebnis einfach so, weder gut noch schlecht, ohne Form und nicht zu begreifen. Sobald du es aber als etwas verstehst, sobald du es "Soheit" nennst oder "das Unbedingte" oder "Freude" oder "Gleichmut" oder "Nirwana", bist du bereits aus der Soheit gefallen. Denn das sind lediglich Begriffe und bedingte Vorstellungen, die ebenfalls reflexhaft mit Bewertungen und samsarischen Verstrickungen einhergehen.

    Danke für die umfangreichen Ausführungen.

    _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Aus dem Buch „Dalai Lama - Die Essenz der Lehre Buddhas“


    Zitat

    , denn die selbstlose Hingabe an ihr Kind ist für die Mutter reine Freude.


    Ich hätte da das Wörtchen "ihr" Kind betont. An ein anderes Kind hat sie ja keine selbstlose Hingabe. Das ist wie bei den Tieren. ("Das ist mein Kind")

    Selbstlos ist es weil es ein starker Instinkt ist, der übrigens - meine Ansicht - mit dem älter werden des Kinds schwächer wird und bald ganz verschwindet, der Instinkt, nicht die Liebe aus Anhaftung.... Mag sein, dass die Anhaftung an das große Kind auch geringer wird.... In manchen Fällen. :cry:


    Was die Freude des Dalai Lama angeht: manche halten ihn ja für eine Manifestation des Buddha: dann hätte er anhaftungslose Freude. Wenn er kein Buddha ist, dann müsste man die jeweilige Situation genauer kennen oder den Dalai Lama mal fragen, warum er das zum Lachen findet.

    :rainbow:

  • Die Anhaftung an diese "Freiheit" war sehr groß. Auch die Erinnerung daran ist Anhaftung - so wie jetzt gerade.


    Insofern stimme ich auch Rudolf jetzt zu. Ja, da ist immer Anhaftung.

    Hast Du das gesehen, Rudolf? :D

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Keine Ahnung. :)

    Sich jetzt auf ein solches Gedankenspiel einzulassen und (wie ich gerade) darauf zu antworten, ist wahrscheinlich Anhaftung. (:

  • :)


    In dem Buch (Dalai Lama - Die Essenz der Lehre Buddhas“) steht:

    Zitat

    In die Liebe zwischen Mutter und Kind mischt sich auch Anhaftung, und das gilt genauso für die Liebe zu anderen, die uns nahe sind.

    Zu meinen Beiträgen: So sehe ich es.


    Viele Wege führen ins Nirvana.

    Deepa