Wörtlich - oder ernst?

  • „Man kann Heilige Schriften wörtlich nehmen - oder ernst.“


    Dieser Aphorismus bezieht sich darauf, dass sich in religiösen Schriften (nicht nur in buddhistischen) Textpassagen finden, die - so, wie sie dastehen - wenig glaubhaft erscheinen:


    So soll beispielsweise im Reinen Land des Buddha Amida der Grund der Teiche vollständig mit Goldsand bedeckt sein. Die Stufenwege an den Teichrändern sind aus Gold, Silber, Lapislazuli und Kristall. Es erklingt himmlische Musik, der Erdboden besteht aus Gold, Blüten regnen fortwährend vom Himmel und Vögel verbreiten mit ihrem Gesang auf höchst harmonische Weise den Dharma.


    Derartige Passagen ihrem Wortlaut nach zu akzeptieren, fällt besonders naturwissenschaftlich orientierten Menschen schwer. Nicht selten generalisiert diese Ablehnung dann auf das gesamte Schriftwerk, seinen spezifischen religiösen Hintergrund und in weiterer Folge auf Religion insgesamt.


    Versteht man derartige Passagen allerdings nicht als strenge Sachverhaltsdarstellung, sondern im Sinne einer überzeitlichen Metapher, einer Legende, einer gleichnishaften und u. U. poetischen Verdichtung einer gemachten Erfahrung, einer „pädagogischen Übertreibung“ zur Darstellung eigentlich unausdrückbarer Inhalte usw., so sieht die Sache gleich ganz anders aus: Nicht nur, dass sich dann ein Freiraum - oder sogar eine Verpflichtung - zur zeitgemäßen Auslegung derartiger Texte ergibt, es können in der Folge dadurch eventuell auch Konvergenzen in verschiedenen Religionen besser gesehen und hervorgehoben werden: Verbindendes statt Trennendes, Brücken über Abgründe!


    Bleibt die Frage, welche Inhalte grundsätzlich interpretierbar sind, welchem Grundgedanken die Interpretation verpflichtet sein sollte und wo die Grenzen eines solchen Ansatzes liegen...


    Meine persönlichen Grenzen sind jedenfalls sehr weit gesteckt. Vielleicht finde ich genau deshalb religiösen Pluralismus bzw. interreligiöse Theologie (siehe z. B. Perry Schmidt-Leukel) so interessant!

  • Bleibt die Frage, welche Inhalte grundsätzlich interpretierbar sind, welchem Grundgedanken die Interpretation verpflichtet sein sollte und wo die Grenzen eines solchen Ansatzes liegen...


    Meine persönlichen Grenzen sind jedenfalls sehr weit gesteckt. Vielleicht finde ich genau deshalb religiösen Pluralismus bzw. interreligiöse Theologie (siehe z. B. Perry Schmidt-Leukel) so interessant!

    Meine auch, copter.

    Ich habe mit dieser Sichtweise die besten Erfahrungen gemacht. Ohne die "Weite des Herzens und Geistes" ist jede Lehre arm. Und es besteht die Gefahr zu Rechthaberei und schlimmstenfalls zu Fanatismus.


    Es bedarf jedoch auch die Fähigkeit zum Unterscheidungsvermögen und Innehalten.

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    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Unsere alltägliche Sprache - und erst recht unsere Kommunikation im Allgemeinen - ist nicht auf ein wortwörtliches Verständnis ausgelegt. Wir nutzen Redewendungen oder auch "Kommunkation zwischen den Zeilen". Daher verstehe ich nicht, wieso gerade bei religiösen / spirituellen Texten auf einmal der Anspruch kommt, dass alles wörtlich zu verstehen sei. Zum einen war die Sprache / Kommunikation zum Entstehen der jeweiligen Schriften nicht strikt wörtlich aufgebaut und zum anderen hat sich der Kontext (also z.B. das gesellschaftliche Gefüge, oder auch moralische [ethische? - ich verwechsel das immer..] Verständnis) geändert. Entsprechend sind unterschiedliche Textpassagen auch unterschiedliche zu interpretieren.


    Auch in der Wissenschaft ist ein "wörtliches Verständnis" nur bedingt gegeben. Zahlen und Daten werden in Relationen und Kontexten betrachtet. Erst im Rahmen der Kontexte und Relationen ergibt sich die letztliche Interpretation und auch diese wandelt sich. Ein wörtliches Verständnis ist also selbst in der Wissenschaft nicht mit absoluter Wahrheit gleichzusetzen. Häufig wird aber leider so getan, als würde ein wörtliches Verständnis eben jene Wahrheit nahelegen.

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  • Auch in den buddhistischen Traditionen gibt es umfangreiche Debatten darüber, welche Suttas/Sutras wortwörtlich zu nehmen sind und welche zu interpretieren sind. Da haben die einzelnen Traditionen durchaus unterschiedliche Kriterien entwickelt, um diese Frage zu beantworten. So gibt es zum Beispiel auch im Mahayana Debatten darüber ob das Herzsutra ein zu interpretierendes Sutra ist oder nicht. Ich denke schon, dass die Analogien, die in den Suttas/Sutras gegeben werden, zu interpretieren sind.


    In diesem Zusammenhang kann man auch von einem innerreligiösen Gespräch zwischen den einzelnen Traditionen des Buddhismus sprechen. Diese innerreligösen Gespräche findet man sicherlich auch in den anderen Weltreligionen. Und auch im interreligiösen Gespräch kann dies neben anderen Themen auch eine wichtige Rolle spielen. Es kann zum gegenseitigen Verständnis beitragen, wenn man weiß, was in einer religiösen Tradition als zu interpretierende Aussagen anzusehen ist und was nicht.


    So soll beispielsweise im Reinen Land des Buddha Amida der Grund der Teiche vollständig mit Goldsand bedeckt sein. Die Stufenwege an den Teichrändern sind aus Gold, Silber, Lapislazuli und Kristall. Es erklingt himmlische Musik, der Erdboden besteht aus Gold, Blüten regnen fortwährend vom Himmel und Vögel verbreiten mit ihrem Gesang auf höchst harmonische Weise den Dharma.


    Derartige Passagen ihrem Wortlaut nach zu akzeptieren, fällt besonders naturwissenschaftlich orientierten Menschen schwer.

    Das ist auch keine naturwissenschaftliche Darstellung des Reinen Landes des Buddha Amida, sondern eine symbolische Beschreibung eines Buddha-Landes, das jenseits von Samsara existiert, und in dem es die samsarischen Befleckungen nicht mehr gibt. In gewissem Sinne kann man es auch als eine Beschreibung des Nirvanas betrachten. Nirvana als nichtbestätigende Negation zu verstehen ist schon schwierig. Solche symbolischen Beschreibungen können aber helfen, sich dieser Auffassung schrittweise anzunähern, weil sie Nirvana positiv beschreiben. Die Symbolik kann man aber nicht mit naturwissenschaftlichen Kriterien erfassen und verstehen. Ich kann diese Symbolik aber auch nicht im Einzelnen erklären.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Anguttara Nikaya 3 (62-66)


    SuttaCentral


    Wenn ich da anfange zu interpretieren, hat die Rede keinen Wert mehr.

    Anderseits kann sie deine Zweifel beheben.

    Alles was ich nicht mit meinen Eigenen Sinnen erfassen kann, muss Metapher sein. Kann ich glauben, muss ich aber nicht, doch jemanden zu verurteilen, weil er glaubt ist nicht so gut.

    • Offizieller Beitrag

    Gerade im Mahayana werden Schriften ja als "geschicktes Mittel"( upaya) gesehen.


    Im dritten Kapitel des Lotus-Sutra wird das „Eine Fahrzeug“ mittels der Metapher der Welt als brennendes Haus erklärt. Dabei lockt der Vater (Buddha) seine im Spiel vertieften Kinder aus dem brennenden Haus, indem er ihnen sagt, er habe draußen verschiedene Wagen, je mit Ziegen, Rehen oder großen Ochsen bespannt (diese stehen für die verschiedenen Fahrzeuge) und für sie zum Spielen eigens hergerichtet. Die Kinder laufen aus dem Haus und ihr Leben ist gerettet. Nach Verlassen des Hauses verlangen die Kinder nach den ihnen versprochenen drei Wagen. Der Vater schenkt daraufhin jedem von ihnen einen prächtig verzierten, großen und weißen Ochsenwagen (der für das Ekayana steht)

    Eine Schilderung wie die des reinen Landes von Amida kann also als ein so ein "Lockmittel" gesehen werden, um einen aus dem brennenden Haus zu führen.


    Nimmt man es zu wörtlich und macht sich Gedanken wie all das Lapislazuli geologisch entstanden ist, dann macht man einen Fehler.


    Sieht man es aber nur als ein unrealistischen "Ammenmärchen" und bleibt naseweis im brennenden Haus, dann macht man eine andere Art von Fehler.


    Der beste Ansatzpunkt ist wohl der nach der Funktion zu fragen, die ein Element im Text hat: Was soll es aus der Sicht des Autors und seiner Zeit bewirken?


    ( Passagen aus dem Palikanon würde ich nicht nach der upaya Logik angehen)

  • Wichtig ist es einfach unterscheiden zu lernen, das man mit alten Weisheitstexten auf unterschiedliche Art und Weise umgehen kann.


    Man kann sie auf ihren historischen Ursprung hin untersuchen, man kann sie auf ihre pädagoischen Aussagen hin betrachten und man kann versuchen zu ihrem sprituellen Kern vorzudringen.


    Alle diese Ansätze sind hilfreich aber sie führen natürlich zu unterschiedlichen Ergebnissen.


    Was man aber auf alle Fälle vermeiden sollte ist alte Texte dazu zu verwenden religiöse Dogmen aufzustellen und z. b. Eroberungskriege als heilige Kriege zu rechtfertigen.

    Religion hat leider schon immer die Tendenz gehabt Macht und Gewalt zu legitimieren,statt sie durch Verantwortung und milde Strenge zu ersetzen.


    Ist aber halt auch ein schwieriges Thema, ein bischen wird man es dabei wohl nicht vermeiden können ,sich einfach nur eine Runde weiterzudrehen. :zen::rad::idea:


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  • Aus der Einsicht, wächst die Absicht

    zu tun was nötig ist um aus den Suttas zu lernen.


    Worte, Worttexte zeigen zwar zum Mond sie sind jedoch nicht der Mond

    lernte ich einst.


    In Metta🙏



  • Danke @copter

    für das wichtige Thema!


    Wenn ich da anfange zu interpretieren, hat die Rede keinen Wert mehr.

    Nennt man so was nicht Dogmatismus?

    Und hat nicht Buddha betont, dass wir selber sehen und prüfen sollten?


    Für mich ist bei allen alten Schriften wichtig, den Sinn der damaligen Zeit auf den Sinn in unserer Zeit zu übertragen.


    Das kann ich manchmal mit Hilfe von selber nachdenken oder mit Hilfe von guten Büchern alleine, und manchmal brauche ich dazu andere und manchmal auch buddhistisch gut ausgebildete Lehrer.

  • Die Links habe ich nicht als Zierde gesetzt.

  • Wie das im Mahayana genau ist weiß ich nicht, aber ein "reines Land" gibt es auch im Theravada bzw. Palikanon:


    Zitat

    Suddhavasa: Die 'Reinen Gefilde', bezeichnen 5 der feinkörperlichen Welt (rūpa-loka; siehe loka) angehörenden Himmel, in denen nur die Niewiederkehrenden (siehe anāgāmī) wiedergeboren werden und in einem von welchen sie dann die Arahatschaft und das Nibbana erreichen.


    Zitat

    Da erscheint einer nach dem Schwinden der fünf niederen Fesseln unter den geistgeborenen Wesen wieder, und dort erlischt er vom Wahne, kehrt nicht mehr zurück von jener Welt.

    A.IV.5


    Das wird durchaus wörtlich genommen. Wenn man glaubt dass es keine anderen Daseinsformen gibt als solche die durch die fünf physischen Sinne wahrnehmbar sind, also Menschen und Tiere, ist das ein Grund diese Stelle zu interpretieren. Das entspricht dann auch dem Zeitgeist, besonders in der westlichen Welt.

  • Ich sehe hier im Forum viel Einigkeit bezüglich der grundsätzlichen Interpretierbarkeit buddhistischer Texte. Dies macht allerdings weitere Fragen notwendig, die ich hier gern noch einmal stelle:

    Bleibt die Frage, welche Inhalte grundsätzlich interpretierbar sind, welchem Grundgedanken die Interpretation verpflichtet sein sollte und wo die Grenzen eines solchen Ansatzes liegen...

    Ursprünglich komme ich aus dem Katholizismus, der meiner Ansicht nach im Begriff steht, den Schritt von der Gerechtigkeit hin zur Liebe zu wagen, ohne ihn in letzter Konsequenz tatsächlich zu vollziehen. Stichwort: Ewige Höllenpein für Sünder!


    Im Reinen Land-Buddhismus erscheint mir obiger Schritt dagegen konsequent vollzogen: Liebe zu allen fühlenden Wesen, das grenzenlose Mitleid eines nicht näher fassbaren „Absoluten“ allen - besonders den Bösen - gegenüber, das helfend tätig werden will, gibt mir die Richtung für die Interpretation und Gewichtung der Texte vor.


    Dies ist meine Sicht der Dinge, und ich bin mir darüber im Klaren, dass sie nicht gerade den Mainstream im Buddhismus verkörpert. Ich bin daher dankbar dafür, dass es im Sinne eines pluralistischen Ansatzes andere, aber gleichermaßen „wahre“ Wege gibt, die eben für andere passen.