„Man kann Heilige Schriften wörtlich nehmen - oder ernst.“
Dieser Aphorismus bezieht sich darauf, dass sich in religiösen Schriften (nicht nur in buddhistischen) Textpassagen finden, die - so, wie sie dastehen - wenig glaubhaft erscheinen:
So soll beispielsweise im Reinen Land des Buddha Amida der Grund der Teiche vollständig mit Goldsand bedeckt sein. Die Stufenwege an den Teichrändern sind aus Gold, Silber, Lapislazuli und Kristall. Es erklingt himmlische Musik, der Erdboden besteht aus Gold, Blüten regnen fortwährend vom Himmel und Vögel verbreiten mit ihrem Gesang auf höchst harmonische Weise den Dharma.
Derartige Passagen ihrem Wortlaut nach zu akzeptieren, fällt besonders naturwissenschaftlich orientierten Menschen schwer. Nicht selten generalisiert diese Ablehnung dann auf das gesamte Schriftwerk, seinen spezifischen religiösen Hintergrund und in weiterer Folge auf Religion insgesamt.
Versteht man derartige Passagen allerdings nicht als strenge Sachverhaltsdarstellung, sondern im Sinne einer überzeitlichen Metapher, einer Legende, einer gleichnishaften und u. U. poetischen Verdichtung einer gemachten Erfahrung, einer „pädagogischen Übertreibung“ zur Darstellung eigentlich unausdrückbarer Inhalte usw., so sieht die Sache gleich ganz anders aus: Nicht nur, dass sich dann ein Freiraum - oder sogar eine Verpflichtung - zur zeitgemäßen Auslegung derartiger Texte ergibt, es können in der Folge dadurch eventuell auch Konvergenzen in verschiedenen Religionen besser gesehen und hervorgehoben werden: Verbindendes statt Trennendes, Brücken über Abgründe!
Bleibt die Frage, welche Inhalte grundsätzlich interpretierbar sind, welchem Grundgedanken die Interpretation verpflichtet sein sollte und wo die Grenzen eines solchen Ansatzes liegen...
Meine persönlichen Grenzen sind jedenfalls sehr weit gesteckt. Vielleicht finde ich genau deshalb religiösen Pluralismus bzw. interreligiöse Theologie (siehe z. B. Perry Schmidt-Leukel) so interessant!