Abwehrhaltungen gegen Lehrerkritik

  • Soweit ich weiß spielt doch auch bei Lehrer und Schülern eine Einvernehmlichkeit sehr wohl eine Rolle und die Strafbarkeit fällt dort dann weg.


    Da ist eher dann das Beamtenrecht, welches sowas eig. nie toleriert.

  • Soweit ich weiß spielt doch auch bei Lehrer und Schülern eine Einvernehmlichkeit sehr wohl eine Rolle und die Strafbarkeit fällt dort dann weg.


    Da ist eher dann das Beamtenrecht, welches sowas eig. nie toleriert.


    Das ist erstmal ein roter Hering. Die Strafbarkeit ist wohl in den meisten Fällen hinreichend um ein Fehlverhalten zu belegen, aber nicht notwendig. Es gibt sogar Straftatbestände die mangels eines echte Opfers als ziemlich unbedenklich aufgefasst werden könnten von einer sangha (man stelle sich vor ein buddhistischer Lehrer geht Containern).


    Aber von einem buddhistischen Lehrer erwarte ich schon ethisches Verhalten.


    Man kann erwarten dass ein buddhistischer Lehrer sich partnerInnen sucht mit denen er in keinem Abhängigkeitsverhältnis steht, man kann erwarten dass er Schüler nicht cholerisch zusammenbrüllt, dass er nicht mobbt, dass er sich in großen und ganzen an Gelübde hält die er abgelegt hat, dass er auf Gewaltanwendung verzichtet.

  • Aber wenn es buddhistische Linien gibt, die diese Integrität nicht sicher stellen können oder wollen, dann haben sie in unserem Kulturkreis eben nichts zu suchen.

    Ja, klar. Aber auch in unserer Kultur gab es auch Werteverschiebungen. In den 70er Jahren z.B. war es weit weniger anrüchig, unmittelbare sexuelle Avancen zu starten. Im Rahmen der sexuellen Befreiung galt es zum Teil sogar als verklemmt und rückständig, darauf mit Empörung zu reagieren. Heute würde man solche Übergriffe natürlich anders bewerten, weil sich auch das Bewusstsein verändert hat. Was also vor 50 Jahren in buddhistischen Gruppen noch relativ normal war, kann heute im Rückblick zum Skandal werden, zumindest wenn wir heutige Maßstäbe an die Handlungen vergangener Zeiten anlegen.

    Zudem kommen viele "authentische" buddhistische Lehrer aus wirklich sehr anderen Kulturen. Und wenn man ihr (Fehl-)Verhalten in unserer Kultur nicht kritisiert und somit nicht korrigiert, setzt sich dieses Fehlverhalten fest oder wird gar nicht erst erkannt. Die Gurus haben somit schlechte Chancen, sich an hiesige Gepflogenheiten anzupassen, bzw. sie müssten ihre eigene Unfehlbarkeit infrage stellen lassen und sich für die Kultur, in der sie lehren, interessieren. Aber wer wagt unter Buddhisten schon seinen Guru (Meister, Lehrer) zu kritisieren, und welcher Guru mag schon von seinem Thron der Allwissenheit steigen? ;)


    Ich war zum Teil erschüttert, wie wenig z.B. manche tibetische Lehrer, die hier unterrichten, über unsere Kultur wissen. Es gab Diskussionen, bei denen schnell klar wurde, dass sie sich weder für die hiesige Geschichte, Mentalität, Philosophie noch für Kultur oder sittliche Regeln interessierten.


    Die tibetischen Häuser, die ich kennenlernen durfte, versuchen ja auch möglichst viel von der tibetischen Kultur zu kopieren, sodass für die Lehrenden auch kaum ein Anpassungsdruck bestand und besteht. Im Zen, sofern ein japanischer Meister anwesend ist, oder ein europäischer, der die japanische Kultur für das Non Plus Ultra hält, ist es ja ähnlich. Man versucht Sitten, Ästhetik und Gepflogenheiten des Herkunftslandes zu kopieren. Das gilt dann als "unverfälschte Lehre". Im Theravada das Gleiche.


    Ich fand dieses unreflektierte Kopieren anderer Kultursysteme immer schon sinnlos und gefährlich, weil damit auch Missverständnisse und Konflikte importiert werden, die aus unterschiedlichen Werte- und Bildsystemen resultieren. Sexueller Missbrauch ist da nur ein Konfliktfeld unter vielen.


    Eigentlich müssten sich die buddhistischen Lehrer, die aus anderen Kulturen zu uns kommen, zunächst vielleicht im Rahmen einer Weiterbildung oder eines Studiums über die Kultur informieren, in der sie zukünftig lehren sollen. Das findet aber offenbar nicht statt. Das Ergebnis ist, dass diese Leute zwar ihre buddhistische Lehre innerhalb ihres kulturellen Kontextes vermitteln können, aber kaum in der Lage sind, diese Lehre in die neue Kultur und die anderen kulturellen Vorstellungen zu integrieren. Zudem können Sie auch oft nicht unsere Sprache, so dass man auf Dolmetscher angewiesen ist, und sie wissen auch nicht, mit welchen Bildungsgrad oder mit welchen sozialen oder psychologischen Hintergründen sie es bei ihren Schülern zu tun haben. Das fand ich ziemlich frustrierend.


    Es gibt dann natürlich auch Ausnahmen, zum Beispiel tibetische Lehrende, die an westlichen Universitäten studiert haben, eine westliche Sprache beherrschen, und sich intensiv mit der für sie neuen Kultur beschäftigt haben. Aus diesen Kontexten kommen dann auch ganz andere Inhalte.

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

    Einmal editiert, zuletzt von Thorsten Hallscheidt ()

  • dass er Schüler nicht cholerisch zusammenbrüllt, dass er nicht mobbt, dass er sich in großen und ganzen an Gelübde hält die er abgelegt hat, dass er auf Gewaltanwendung verzichtet

    Genau. Natürlich ist der sexuelle Missbrauch besonders verwerflich, aber ich habe damals ja über 50 Seiten lang alles mögliche an anderen Arten von Fehlverhalten aufgelistet, die in einer buddhistischen Gruppe nichts zu suchen haben. Der Zernickow hatte zum Beispiel mehrmals damit geprahlt, dass er eine Schusswaffe bei sich trägt.


    Aber es wird immer sofort - eben reflexartig - auf das Fehlen einer Strafanzeige hingewiesen, als ob das irgendwie relevant wäre. Und das nenne ich Abwehrhaltung.

  • wie etwa Sogyal

    Tja, ein Studium an einer westlichen Universität vermittelt die auch nicht in jedem Fall einen zuverlässigen Kompass hinsichtlich angemessenen Verhaltens. :doubt:

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

  • Aber man muss natürlich auch die Frage stellen: Ist unser derzeitiger Wertekompass hinsichtlich des Dharma immer nützlich und hilfreich? Sind Wertvorstellungen oder Praktiken anderer Kulturen, die unseren Wertvorstellungen entgegenlaufen, möglicherweise hilfreicher? Und wenn ja, für wen, unter welchen Bedingungen? Prüfen, prüfen, prüfen.

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

  • Aber man muss natürlich auch die Frage stellen: Ist unser derzeitiger Wertekompass hinsichtlich des Dharma immer nützlich und hilfreich? Sind Wertvorstellungen oder Praktiken anderer Kulturen, die unseren Wertvorstellungen entgegenlaufen, möglicherweise hilfreicher? Und wenn ja, für wen, unter welchen Bedingungen? Prüfen, prüfen, prüfen.

    Das mag ja alles prüfbar sein. Aber das geschieht doch bestenfalls nicht als Reaktion auf Vorwürfe sondern im beständigen Austausch.


    Entsinnt man sich abweichenden Wertvorstellungen lediglich in Skandal Situationen ist was faul.

  • Aber das geschieht doch bestenfalls nicht als Reaktion auf Vorwürfe sondern im beständigen Austausch.

    Ja, genau, darum sind auch Brückenbauer, die sich aufrichtig für die jeweils andere Seite, andere Kultur interessieren und fähig sind, Inhalte zu verstehen, zu übersetzen und zu transportieren von so unschätzbarem Wert.


    Nishitani Keiji, Hajime Nakamura, Paul Tillich, Enomiya-Lassalle, Thich Nhath Hanh waren und sind zum Teil für mich solche Figuren.

    Das ist denn doch nur der Abendwind, der heute mit ordentlich verständlichen Worten flüstert.

  • Man mag von der DBU halten was man möchte. Jedoch gibt es auch dort „öffentliche Auseinandersetzungen“ (wenn auch nicht wie hier in öffentlicher Diskussion) mit bestimmten Themen wie Missbrauch und unterschiedliche Kulturen treffen aufeinander oder warum küsste der Dalai Lama Jungen.


    ZB „Drei Buddhisten gehen in eine Bar“ zu finden unter Diskurs:


    Deutsche Buddhistische Union e.V. – Buddhistische Religionsgemeinschaft


    Die Ursachen von Leiden und Missverständnissen besser zu verstehen ist denke ich genauso wichtig wie lernen mit Leiden besser umzugehen. Denn sonst weiß man auch nie so genau wo man ansetzen soll. Oder wo Leiden beginnt oder bereits begonnen hat.


    Natürlich ist jede Organisation, wie auch die Kirche, auf Erhalt ihrer Institution bedacht. Und oft erscheint der einfachste Ausweg, Lehrer „woanders hinzu versetzen“, oder „versuchen zu schweigen“ und erst mal zu warten ob das funktioniert.


    Es geschehen überall „Missgeschicke“ in der Welt. Und bevor Menschen sich selbst stellen, entschuldigen, versuchen sie oft aus Angst und Scham zuerst andere Wege. Das ist auch bei Firmen so (s. ZB Abgasskandal). Manchmal werden auch andere als Opfer gesucht und müssen für obere den Kopf hinhalten.


    Ich glaube das wissen die meisten hier aus eigenen Erfahrungen des Lebens.


    Und hat auch mit der Evolution zu tun (denn die Probleme gibt es ja schon seit Menschengedenken).


    Man möchte einer Gruppe dazugehören und nicht ausgestoßen werden. Man möchte „geliebt werden“. „Nicht allein sein“. „Verstanden werden“. Man möchte Macht über andere haben um die Geschehnisse und eigenen Bedürfnisse vermeintlich „besser kontrollieren zu können“.

  • Das mag ja alles prüfbar sein. Aber das geschieht doch bestenfalls nicht als Reaktion auf Vorwürfe sondern im beständigen Austausch.

    Wenn andere Mitglieder, wie man auch hier beobachten kann, das reale Problem sofort auf eine rein persönliche Ebene herunterschrauben und sich angegriffen fühlen – sodass der Opponent in diesem Zusammenhang als Nestbeschmutzer erscheint –, dann ist es nahezu unmöglich, einen konstruktiven Dialog zu führen. Wahrscheinlich, so denke ich, wollen die Leute ihre eigenen Götzen und Idole nicht hinterfragen, weil dies sehr schmerzhaft für sie wäre. Die scheinbare Lösung besteht dann darin, dem anderen immer die Schuld zu geben: Er versteht absolut nicht, er beschmutzt die Tradition – es ist also stets eine Abwehrhaltung gegenüber sachlicher Kritik.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates