In seinem Buch "Buddhismus kurz und bündig" stellt Steve Hagen zwei Ketten des Bedingten Entstehens einander gegenüber.
Die eine Kette ist überschrieben mit "Gefangenschaft", die andere mit "Befreiung".
Zu jedem der bekannten Glieder des "paticca-samuppada" führt er also zwei Varianten auf:
Variante a) verblendete Sicht, dukkha-verursachende Faktoren
Variante b) befreite, erwachte Sicht, Ende von dukkha.
Die Idee mit den zwei alternativen "Ketten" eröffnet in meinen Augen den Weg zu einer einleuchtenden Lesart dieser schwierigen Lehre:
1) Nicht-Wissen
a) Das Nichterkennen des gegenwärtigen Augenblicks. Blundheit gegenüber der direkten Wahrnehmung, dass dieser Augenblick weder entsteht, bleibt noch vergeht.
b) Das Sehen des gegenwärtigen Augenblicks. Sie direkte Wahrnehmung, dass der gegenwärtige Augenblick weder ensteht, beharrt noch vergeht.
2) Tatabsichten
a) Labilität des geistes, verursacht durch Nicht-Wissen, so dass Verlangen des Geistes entsteht. Alle Handlungen, die durch einen solchen Geist entstehen, sind gewollt.
b) In keinem Objekt des Geistes wird Substanz gesehen. Daher neigt der Geist sich weder den Dingen zu, noch wendet er sich von ihnen ab. Alle Handlungen, die durch einen solchen Geist entstehen, sind ungewollt.
3) Bewusstsein
a) Der Geist nimmt die Objekte als getrennt wahr und sieht sie als von Augenblick zu Augenblick weiterbestehend
b) Alle Gegenstände des geistes werden als vorübergehend und bedingt erkannt.
4) Geist und Körper
a) Als Träger des Bewusstseins werden ein getrennter, beständiger Geist und Körper gesehen. Dadurch wird zwischen Subjekt und Objekt unterschieden.
b) Es wird kein beständiger Geist oder Körper - kein Subjekt - gesehen, da es in der Wahrnehmung keine getrennten und dauerhaften Objekte des Geistes gibt.
5) Die sechs Sinne
a) Die Welt der Objekt des Geistes wird als außerhalb von Körper und Geist gesehen, aufgenommen durch die Fenster der Sinne
b) Die Sinneswahrnehmungen werden allein als Funktion des Geistes erkannt. Die Gegenstände des Geistes sind niemals außerhalb des Geistes, sondern sind immer der Geist selbst.
6) Berührung
a) Es herrscht die Vorstellung, dass das Subjekt durch Sinneswahrnehmungen Kontakt mit einer objektiven, äußeren Welt aufnimmmt.
b) es wird erkannt, dass es weder eine Verbindung noch eine Trennung zwischen den Sinnen und einer Welt außerhalb des Geistes gibt.
7) Empfindung
a) Man reagiert emotional auf die Objekte des Geistes und bleibt isoliert von ihnen.
b) Man wird von den Emotionanen nicht überwältigt. Da nichts als außerhalb des Geistes wahrgenommen wird, kommt das Empfinden immer vom Innersten her
8 ) Gier
a) Es wird Verlangen und Ergreifen erlebt, da die Gegenstände des Geites als getrennt vom "Ich", dem Subjekt, erfahren werden
b) Man will nichts. Da nichts als außerhalb wahrgenommen wird, gibt es nicht das Gefühl, dass etwas fehlt.
9) Ergreifen
a) Man ergreift, was "dort draußen" erscheint. Es ist der hoffnungslose Wunsch, dass der gegenwärtige Augenblick entweder verschwindet oder andauert.
b) Man erkennt, dass alle Erfahrungen äußerst unbeständig sind. Sie können daher nicht ergriffen oder besessen werden und flößen keine Angst ein.
10) Sein
a) Man hat die Vorstellung, dass das Selbst und das andere beständig sind und glaubt an ihre Existenz.
b) Man 'sieht' alles als Strom
11) Geburt
a) Man hat die Vorstellung und den Glauben, dass alle Wesen geboren werden
b) Man 'erkennt', dass nichts geboren wird
12) Tod und dukkha
a) Man hat die Vorstellung und den Glauben, dass alle Wesen sterben werden
b) Man 'sieht', dass nichts stirbt