Hallo Ihr, heute möchte ich mal meine Erfahrungen aus dem Kursus über Sterben und Sterbebegleitung aus buddhistischer Sicht mit Euch teilen. Der größte Teil des folgenden Textes stammt aus einem Brief an eine Freundin, damit ich das alles nicht erneut schreiben muss.
"Also, zum Beispiel sollte die Gruppe sich in zwei Teile teilen und jeder Teil sich in einer Reihe (an der langen Leite des Raums) gegenüber stellen. Die eine Seite sollte die Gruppe der "Noch Lebenden" und die andere die der "Verstorbenen" bilden. Dann wurde angesagt: "Tod ist...", und dann mussten die "Verstorbenen" schlagwortartig, und wie in einer Art Brainstorming, Worte in den Raum setzen. Zum Beispiel: ("Tod ist...") "Befreiung", "dunkel", "bedrückend", "erleichternd" undsoweiter. Dann wurde angesagt: "Leben ist..." und die andere Gruppe musste in ähnlicher Weise Schlagworte in den Raum setzen. Markant war ja dabei die Gegenüberstellung der Begriffe, die sich teilweise nicht widersprachen, sondern sich glichen. Außerdem gab es dazu auch noch die Übung, dass die beiden sich gegenüberstehenden Reihen in langsamen kleinen Schritten aufeinander zugehen sollten. Hier dann aber nicht als ganze Reihe, sondern jeder individuell und nach Gefühl (so dass man zum Schluss natürlich eine ganz bestimmte Person vor sich stehen hatte). Auch sollte zwischendurch gewechselt werden, das heißt die Reihe der Lebenden wurde zu Toten und umgekehrt.
Was mich ungemein gestört hat, das ist, dass immer der oder die eine oder andere dabei geheult hat. Man fühlt sich dann dabei als Therapiewerkzeug missbraucht und benutzt, dieses durch eine Person, die heult, aber die man doch nicht wirklich kennt. Ich finde es nicht richtig, dass jemand seine privaten Gefühle in einer Gruppe von fast fremden Menschen auslebt. Das ist doch so, als ob er auf die Toilette geht und man beobachtet ihn dabei.
Dann sollten wir auch noch "erfühlen", wo die gesummten Vokale im Körper sitzen. Dazu mussten wir "Aaaa", "Eeee", "Iiii", "Oooo" und "Uuuu" laut summen (die Umlaute aber nicht), und währenddessen kreuz und quer durch den ganzen Raum laufen. Dabei kam ich mir ziemlich bekloppt und albern vor, aber ich dachte, ich lasse mir nichts anmerken und mache das einfach mit. Man musste dabei einfach nur aufpassen, dass man nicht mit irgend jemandem zusammenstößt, denn die Gruppe war sehr groß und dadurch der Raum sehr voll, wir waren letztes Mal mehr als 30 Leute.
Ein anderes Mal war es so, dass zwei Personen sich zusammentun sollten, und die eine sollte den Sterbenden und die andere den Betreuer spielen. Auf mich kam da eine gewisse Claudia, die zu dem Zeitpunkt nicht das erste Mal im Kursus war und auch schon praktische Hospizerfahrung gehabt hatte. Zuerst sollte ich die Sterbende spielen. Claudia kam also herein, "stellte sich vor" (so musste man es machen) und machte furchtbar viel mit mir und bettete mich um, was mir alles ein wenig auf die Nerven ging. Sie erzählte zuerst, dass sie aus ihrem Garten kam, und was sie dort alles beobachtet hatte, und dass sie Gummistiefel anziehen musste, weil es zuvor geregnet hatte. Dann fing sie an, an mir herumzufummeln, indem sie mit irgendwelchen Stoffstücken auf meinen Händen undsoweiter herumstrich, und redete dabei sehr viel, versuchte dann auch noch, meinen Mund zu benetzen undsoweiter. Ich hätte viel lieber meine Ruhe gehabt. Aber es ist ja auch schwierig für den "Betreuer", die Zeit auszufüllen, wenn der "Sterbende" dabei nicht reden darf, weil er so tun muss, als ob er nicht mehr reden kann. Dann mussten wir die Rollen wechseln und nun spielte Claudia die Sterbende. Das war der Horror für mich, denn nun wusste ich überhaupt nicht mehr, was ich noch zu ihr sagen sollte, denn Claudia hatte so viel zu mir geredet, dass wir alle Themen schon durch hatten und mir gar nichts mehr einfiel. Also beschloss ich, fast nichts zu reden, höchstens mal: "Jetzt mache ich dies, jetzt mache ich das". Ich war froh, als die Zeit um war, und war schon ganz verspannt. Anschließend sollten wir uns dann setzen und darüber sprechen. Ich erklärte Claudia natürlich, dass ihre vielen Aktionen mich ganz nervös gemacht hatten. Claudia entgegnete zu meinem Erstaunen nicht, dass sie sich über meine Schweigsamkeit gewundert hatte, sondern dass ich sie aus Versehen falsch gebettet hatte und ihr das unangenehm war, und mir das nicht aufgefallen war."
Das Verrückteste aber war folgende Aufgabe:
Wir sollten an eine Person denken, mit der wir uns normalerweise noch einmal aussprechen müssten, was aber aus allen erdenklichen Gründen nicht mehr möglich war. Sei es, dass die Person den Kontakt strikt mit einem abgebrochen hat, dass sie verstorben war, dass sie im Koma lag oder ausgewandert war, ohne die Adresse zu hinterlassen - egal. Dazu sollten wir stichpunktartig die einzelnen Themen auf einem DINA4-Zettel auflisten. Dann sollte jede/r von uns in die freie Natur hinausgehen an einen Ort, wo man von keinem anderen gehört wird, und laut, nach den Posten, wie man sie auf den Zettel geschrieben hatte, die einzelnen Themen in einem fiktiven Gespräch mit der ausgewählten Person durchsprechen, und ihr "sagen", wie es einem damit geht. Das laute Sprechen war wichtig.
Komischerweise hatte ich die Aufgabe aber zuerst gar nicht begriffen. Musste immer wieder die beiden Kursleiter fragen: "Wie war das noch mal - was soll ich machen? Aufschreiben für wen, und wo soll ich dann damit hingehen?" .... usw. Ich hatte ein richtiges Brett vorm Kopf. - So stand ich immer noch mit den beiden Kursleitern im Türrahmen und fragte und diskutierte, während die anderen sich überall herum schon ihre Plätzchen gesucht hatten, um laut ihren Text herunterzubeten. Als ich es endlich begriffen hatte, was ich machen soll, da war in der umgebenden Natur "kein Platz mehr frei", alle hatten sich schon irgendwo platziert. Mist, dachte ich, wo soll ich nun hingehen!? - Da kam mir eine geniale Idee: wie wäre es denn, wenn ich gucken würde, ob im Tempelraum alles frei ist? Dann hätte ich dort freie Bahn! - Gesagt, getan. Der Lakhang war frei! Und ich war sehr wütend. Hatte mir als Gegenüber meine Mutter ausgedacht, weil ich eigentlich noch ein Hühnchen mit ihr zu rupfen hätte, doch andererseits sie mir in ihrer Gebrechlichkeit und Demenz nur noch leid tut. Ich war wütend auf diese komische Übung. So ging ich mit dem Zettel zu Mahakala rechts am Schrein und schimpfte wie ein Rohrspatz. "Findest du nicht auch, dass das hier eine Scheiß-Übung ist... so ein Blödsinn und so ein Schrott!!!" - undsoweiter, beklagte ich mich bei ihm, und zerriss "vor seinen Augen" den Zettel.
Damit war meine Übung beendet.
Viel Spaß beim Nachdenken wünscht Euch Amdap.