Liebe Forengemeinschaft,
ich habe vor einiger Zeit einige erste Schritte in Richtung Vajrayana-Buddhismus gemacht und habe beim Praktizieren auch immer eine sehr starke - wie soll ich es sagen - Resonanz (?) empfunden, hatte also das Gefühl, auf dem richtigen Weg zu sein. Dann habe ich angefangen, mich etwas mit der tibetischen Geschichte zu befassen und war auf einmal entsetzt über die grauenvollen Zustände (beispielsweise mit drakonischen Strafmaßen und regelrechter Sklavenhaltung), die noch vor nicht allzu langer Zeit in Tibet herrschten, das doch, wie ich das verstanden habe, von erwachten Lamas regiert wurde.
Ich habe mich gefragt: Wie kann es sein, dass Menschen, die spirituell derart fortgeschritten sind, dass sie andere auf den Weg zum Erwachen führen sollen, die als große Vorbilder dienen, auf die sich in den Meditationen bezogen wird, dass diese Menschen derart grausame Herrscher waren? Sie müssten doch laut Vajrayana-Lehre wissen, wie die Dinge sind, wie Leid in die Welt gebracht wird und was für Konsequenzen das hat? Wie kann es sein, dass sie sich dennoch nicht anders (oder in Teilen sogar schlimmer) verhalten haben als andere Herrscher dieser Zeit?
Ich habe keine Antwort auf diese Frage gefunden und mein anfängliches Vertrauen, das der Buddhismus ja bei aller kritischer Auseinandersetzung mit seinen Lehren erfordert, ist in sich zusammengebrochen. Da ich bis dahin noch keine festen Bezugspersonen in der Sangha hatte, an die ich mich vertrauensvoll hätte wenden können, habe ich allerdings rückblickend den Fehler gemacht, es bei meiner eigenen Perspektive zu belassen und mir keine anderen Meinungen zu diesem Thema einzuholen. Nachdem ich das jetzt erkannt habe, würde ich das gerne nachholen und hier im Forum fragen, ob sich schon mal jemand mit diesem Dilemma auseinandergesetzt hat und vielleicht eine zufriedenstellendere Antwort gefunden hat, als ich es habe.