Fragen zur Tradition des Zen

  • Und ich antworte, dass der Begriff Buddhanatur im Zen eine besondere und zentrale Bedeutung hat. Er geht aus der Idee des Befreiungspotenzial hervor, geht aber über diesen hinaus. Weswegen er eben vielen in Theravada zu weit geht. Sie wurden nicht sagen, dass wir prinzipiell schon befreit sind sondern sie wurden sagen, dass wir verblendet sind und Buddhaschaft nur eine Möglichkeit ist und nicht was schon in und ist.

    Das lese ich sehr lange und denke mir, warum sollte man das ganze so kompliziert machen ?

    Zen gehört eindeutig Mahayana, deswegen er spricht über die Buddha-Natur. Die sollte nur entdeckt werden, aber die ist immer schon da. Bei Dogen man sieht es absolut klar, so Sh. Okumura, „Die Verwirklichung der Wirklichkeit“. Man ist schon wie erleuchtet, aber er weiß es nur nicht, so plakativ ausgedrückt. Auch TB sagt so ähnlich.

    Im Theravada man sollte um die eigene Erlösung kämpfen, erlangen, für die ursprüngliche Buddha-Natur es gibt dort keinen Platz. Das war schon im Forum mehr als genug durchgekaut.

    Wenn man Zen mit dem Theravada vermählen wollte, das bringt nicht. A. Watts in dem Werk“ Zen .“ ( The Way of Zen) verweist sich immer auf madhyamaka , also der mittlere Weg. Auch D.T. Suzuki , „ Essays in Zen Buddhism“ schlägt in dieselbe Kerbe. Damit war für mich die Frage längst erledigt.

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Es tut mir leid, ich bin nicht bereit, Deine Erkenntnisse weiter zu lesen.

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    Ich habe noch viele Anhaftungen, sonst hätte ich anders auf deine erste Antwort reagiert. Ich musste heute über das alles lachen.... Du kannst ja auch nicht alles wissen und dennoch weißt du viel. Du hast mir schon einige Male geholfen und auch meine Fortschritte gewürdigt. Daher war es wohl echt einfach ein Missverständnis, es ging dir nicht um Recht haben wollen, um besser sein. Schönen Abend.

    Die buddhistischen Wege unterscheiden sich nicht so sehr darin, auf was sie weisen ( das ist das wohin sie führen - Befreiung) oder ihre Inhalte ( der edle achtfache Pfad) sondern in ihrer Herangehensweise.( Ich mach es mal fett) Und die Konzepte spielen innerhalb der Herangehensweise eine wichtige Rolle. Von daher ist es nicht so interessant zu sehen, inwieweit Konzept ( Leerheit, Ungeborenes, Nibbana, Buddhanatur) auf das gleiche Ziel verweisen, sondern welche Rolle die Konzepte innerhalb der jeweiligen Herangehensweise spielen. Diese kann nämlich unterschiedlich sein.

    Ja. Stimmt.

    Und da ist es so, dass man sich um Theravada von der Richtung her von den Verblendungen ausgeht. Gier und Hass verschwunden, wie Wolken die sich verziehen. Während man in vielen Schulen des Mahayana nicht vom Anfang aus denkt sondern vom Ende. Von Buddhaschaft. Statt vom Verschwinden der Wolken geht man von der Präsenz des blauen Himmels hinter den Wolken aus, der sich dann gegen die Wolken durchsetztm

    Bis heute morgen hätte ich nicht gewusst, was du mir damit sagen willst oder hätte gedacht, du wiederholst dich und hätte mich daher daraufhin auch wiederholt. Aber da ich heute Morgen einen anderen Vortrag vom Ehrwürdigen Lama Tilman angehört habe ( Der Weg des Erwachens Teil 2 ), wo er genau das erzählt hat, dass es im Vajyarana ( ich weiß nicht, wie sich das richtig schreibt und bitte um Verzeihung ) diese Herangehensweise gibt von der Du schreibst. :)

    Eine "Vorweggenommene Buddhaschaft" ist nichts triviales sondern ein eher gewöhnungsbedürftiges Konzept wo man sich als Theravadin vielleicht am Kopf kratzt. Die ganze Idee nicht mit Verblendung sondern mit Buddha zu starten war eine Neuerung die sich eben im Begriff "Befreiungspotenzial" nicht wiederfindet.

    Diese Herangehensweise meine ich, dass ich heute davon erfahren habe, dass es sie wirklich gibt. Ja, diese findet sich nicht im Begriff Befreiungspotenzial. Wie da sgenau abläuft oder wie genau das versucht wird, das habe ich mir nicht alles gemerkt. Aber du hast recht, dass es diese Herangehensweise gibt. Mit dieser werde ich mich weiter beschäftigen ( mir das nochmal anhören und etwas dazu nachlesen ).

    Statt auf der trivialen Feststellung zu verharren, dass es auf das gleiche hinausläuft, macht es Sinn die verschiedenen Herangehensweisen in ihrer Verschiedenartigkeit zu würdigen.

    Trivial für dich, aber manche erkennen nicht mal an, dass manche Begriffe auf dasselbe zeigen, dasselbe meinen nur andere Namen haben. Es macht auch Sinn anderen Traditionen nicht abzusprechen, dass sie etwas richtig erkannt haben. Das andere macht auch Sinn, beides ist zu würdigen. Oder, man kann die Herangehensweisen nicht würdigen, wenn man schon ablehnt, nicht glaubt, dass es diese Konzepte gibt obwohl diese dasselbe meinen, wie in anderen Traditionen. :)

    Zen gehört eindeutig Mahayana, deswegen er spricht über die Buddha-Natur. Die sollte nur entdeckt werden, aber die ist immer schon da.

    Ach du hast hier gerade noch gefehlt. :erleichtert: Du hast es ja anscheinend auch nicht verstanden, dass es dasselbe meint wie Leerheit, und wie das Ungeborene, oder geht es dir um die andere Herangehensweise an Befreiung von den Haften an Nebeln/ Wolken ( Samsara ), von der void spricht ?


    Im Theravada man sollte um die eigene Erlösung kämpfen, erlangen, für die ursprüngliche Buddha-Natur es gibt dort keinen Platz.

    Wie oben geschrieben, wir haben sie alle, aber die Weise wie man sie erkennt, verwirklicht, kann sich unterscheiden. Das meinst du. Hoffe ich. Wen nein, höre dir doch bitte mal den Vortrag an " Wo bitte geht es zur Buddhanatur " von Lama Tilmann.

    Das war schon im Forum mehr als genug durchgekaut.

    Also es wurde geklärt, dass Buddhanatur als Potenzial was jeder von uns hat, keine Erdfindung ist von den späteren Schulen. Wie schön.

    A. Watts in dem Werk“ Zen .“ ( The Way of Zen) verweist sich immer auf madhyamaka , also der mittlere Weg.

    Wie meinst du das ? Einen Kompromiss finden, so ? :)

    Der Weise, der, auf Sittlichkeit gestützt,

    Den Geist entfaltet, sich in Weisheit übt,

    Ein solch entschlossener und weiser Jünger

    Mag dieses Lebens Wirrsal einst entwirren.


    (Diese Verse finden sich im Samyutta-Nikāya).

    4 Mal editiert, zuletzt von Rigpa ()

  • Du hast es ja anscheinend auch nicht verstanden, dass es dasselbe meint wie Leerheit, und wie das Ungeborene, oder geht es dir um die andere Herangehensweise an Befreiung von den Haften an Nebeln/ Wolken ( Samsara ), von der void spricht ?

    Nur am Rande bemerkt, die sogenannte Leerheit im TB oder Mahayana man sollte niemals mit dem verwandten Begriff im Theravada verwechseln. Alles Gute!

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • 2024 wird das Jahr des Drachen. Für mich mein 60. Geburtstag. Darum bereit ich mich hier schon mal darauf vor, noch stärker Klartext zu reden.


    1) Theravada und Mahayana wollen nicht dasselbe. Ich spreche im Besonderen von Zen.


    a) Theravada (und Tenzin Peljor als Anhänger des tib. Buddhismus) wollen das Nirwana, Zen will verstehen, was Samsara ist (Hier und Jetzt).


    b) Was Okumura zur Buddha-Natur meint, bringt nicht weiter, denn ob Du weißt, dass Du erleuchtet bist, oder nicht, ist nicht der Punkt. Im Theravada wird auf Tiere herabgesehen, siehe die Ordensregeln. Im Zen heißt Buddha-Natur, dass auch Tiere und Pflanzen erleuchtet sind, und wie sollten die davon wissen? Der Knackpunkt bei der Buddha-Natur ist der, das sie etwas darstellt, was nicht zu nehmen ist, etwas allen Lebewesen Gemeinsames. Selbst ein geistig Behinderter, der keine Chance hat, dieses Konzept zu verstehen, steht in dieser Hinsicht in nichts hinter dem Zen-Meister zurück.


    c) Zugleich leiten sich keine ethischen Verpflichtungen aus dem Dogma ab wie bei den Theravadins (die dann z.B doch kein Schlangenfleisch essen sollen etc.). Der Zen-Adept kann einen anderen Grad von Freiheit in Samsara erreichen.


    d) Natürlich hat die Zen-Tradition eigene Schriften, die sie entscheidend auch von anderen Mahayana-Schulen abgrenzt, und innerhalb des Zen gehen sogar einzelne Schulen auseinander (die Koan-Schulung im Rinzai lässt z.B. den Geist weniger los als shikantaza, Nursitzen, bei den Soto-Leuten, d. h. sie lässt konkret die Gedanken nicht einfach nur ziehen, sondern setzt sich mit ihnen auseinander).


    e) Die Rituale sind Ordens- und Klosterbedingt und haben mit der ursprünglichen Übertragung des Zen so gut wie nichts zu tun. Alles was vom offenbar ordentlich in einem Kloster ausgebildeten Bodhidharma wesentlich übermittelt wurde, war rituell bestenfalls die Dharma-Übertragung bzw. Bestätigung von Nachfolgern und eine Vorliebe für ein Sutra. Der rituelle Klimbim war bereits überwunden, wie die Metapher des neunjährigen sturen Sitzens zeigt, wurde dann aber der Ordnung halber wieder eingeführt und von Leuten wie Dogen dann noch in Einzelheiten spezifiziert.


    f) Zitat "Ohne mich ist das Leben ganz einfach" von Ayya Khema - nein, wie man sieht, hat sie einiges Durcheinander geschaffen, bevor sie sich aus dem Staub machte.


    g) ZItat "ist es nicht notwendig, etwas Inwendiges zu benennen, das der Buddhanatur entspricht. Sowas hätte der Buddha von sich selbst nie behauptet. Das würde ja Anatta widersprechen." Doch, der Buddha des MPNS des Mahayana hat das behauptet, und was der historische sagte, wissen wir nicht genau. Jedenfalls hat der Buddha des Palikanons auch von Wiedergeburten in diversen Welten gesprochen, und das widerspricht anatta ebenfalls. Argumente dieser Art führen zu nichts, da jede Textüberlieferung jeder Religion voller Widersprüche ist, wenn man genau hinschaut.


    2) Die exzessiven Zazen-Sitzungen in Antaiji sind nur ein kleiner Ausschnitt möglicher Zen-Praxis, und Dogens Verständnis ist nicht maßgeblich für die gesamte Zen-Tradition.


    a) Wichtig ist, zu verstehen, dass nach dem legendär neun Jahre vor einer Wand sitzenden Bodhidharma schon die nächsten aus seinem Umfeld nicht mehr für exzessives Sitzen bekannt waren, sondern dafür, sich z.B. den Arm abzuschlagen vor lauter Ernsthaftigkeit. Mit dem sechsten Patriarchen, der gar nicht mit den anderen saß, bevor er sein Erwachen bestätigt bekam, sondern die Drecksarbeit machte und es erst danach als eine Praxis frei handhabte, ist vielmehr eine ganz andere Richtung vorgegeben als bei Dogen (Zazen ist die Verwirklichung von Erwachen).


    b) Qualia meint, nicht durch Wort gebunden, sondern nur der Tat verpflichtet zu sein. Welche Tat? Welche Worte legen das nahe und welche Worte definieren Tat? Das ist ein Hamsterrad.


    c) Zitat "Wenn bei mir in der Wohnung irgendwo ein Schatz versteckt sein soll, kann ich ihn nur finden, wenn ich ihn suche." Nein, diesen Schatz findest du nicht, wenn du ihn suchst.


    d) Zitat: Die "besondere Überlieferung" besteht nicht darin, dass einer ne Blume hochhält und ein andere lächelt - oder andere "wortlose" Albernheiten, sondern dass der Dharma schon immer und ausschließlich durch erneutes Erwachen bewahrt und allein damit "übertragen" wird.


    Nein, wenn ein Spatz unschön und eintönig zwitschert und du lächelst, geschieht ebenso besondere Überlieferung. Die "besondere Überlieferung" hat nichts mit Dharma zu tun ("Offene Weite, nichts von heilig."). Es wird überhaupt nichts übertragen, was nicht schon da ist. Und was da ist, unterliegt keinerlei Notwendigkeit, "bewahrt" zu werden.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • 2024 wird das Jahr des Drachen. Für mich mein 60. Geburtstag. Darum bereit ich mich hier schon mal darauf vor, noch stärker Klartext zu reden.


    1) Theravada und Mahayana wollen nicht dasselbe. Ich spreche im Besonderen von Zen.


    a) Theravada (und Tenzin Peljor als Anhänger des tib. Buddhismus) wollen das Nirwana, Zen will verstehen, was Samsara ist (Hier und Jetzt).


    Theravada und Mahayana wollen gar nichts. Und wenn Zen verstehen will was Samsara ist muss es erkennen was es ist: nur eine Vorstellung, nur ein Name der nichts wollen kann, dessen gedachte Realität gewissermassen gar nicht da ist, nur Illusion ist.


    Wenn wirklich die Lust auf klaren Text und klaren Geist vorhanden ist ... vielleicht helfen diese Worte.

  • (die Koan-Schulung im Rinzai lässt z.B. den Geist weniger los als shikantaza, Nursitzen, bei den Soto-Leuten, d. h. sie lässt konkret die Gedanken nicht einfach nur ziehen, sondern setzt sich mit ihnen auseinander).

    Die Koan-Schulung richtet sich ausschließlich auf dasjenige, das einen Gedanken (oder auch jede andere Form von Wahrnehmung) erleben kann. Im Gegensatz zum Denken von Gedanken haben Koan als Praxismethode grundsätzlich einen fragenden Charakter und die Frage richtet sich immer auf dasjenige, das fragt. Ist diese Frage konsequent gestellt und beibehalten, ist da schlicht keine Zeit, Gedanken ziehen zu lassen oder sich mit ihnen auseinanderzusetzen.


    Zen will verstehen, was Samsara ist (Hier und Jetzt).

    Hier und Jetzt haben im Zen überhaupt keinen Stellenwert (wenn auch fälschlicher Weise allzu oft das Gegenteil behauptet wird), Samsara und Nirwana ebensowenig. Es gibt aus Sicht des Geistes überhaupt nichts, das nicht "hier" ist und keine Zeit, die nicht "jetzt" ist. Doch, wenn ich "jetzt" denke, ist es schon wieder ein anderes Jetzt und gleiches gilt fürs Hier. "Hier" und "jetzt" sind Vorstellungen, die der Sache niemals gerecht werden können. Nicht umsonst heißt es im Diamant-Sutra:


    Zitat

    Subhuti, weder kann der vergangene Geist ergriffen werden, noch kann der gegenwärtige Geist ergriffen werden, noch kann der zukünftige Geist ergriffen werden.


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  • Wenn du eine Frage auf "dasjenige" richtest, wirst du denken, d.h. man wird das auf einem EEG oder entsprechendem Geraet messen können. Ganz abgesehen davon, dass diese Schulung auch nur mit Schluesselworten arbeiten kann, die keinen fragenden Charakter haben.


    (Wie diese Schulung tatsächlich abläuft, unter ständigem Hirnrattern, liest man ab S. 179 bei Dale S. Wright/Steven Heine: Zen Classics).


    Natürlich gibt es "aus Sicht des Geistes" (was soll das sein außer Denken???) auch Zeit und Vergänglichkeit. Selbst das Zazen wird durch Geklingel beendet. Mit hier und jetzt ist ja gerade nicht gemeint, "jetzt" oder "hier" zu denken, sondern Vergänglichkeit nicht denken und die diesbzgl Leiderfahrung nicht machen zu müssen.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

    2 Mal editiert, zuletzt von Bebop ()

  • Wenn du eine Frage auf "dasjenige" richtest, wirst du denken, d.h. man wird das auf einem EEG oder entsprechendem Geraet messen können. Ganz abgesehen davon, dass diese Schulung auch nur mit Schluesselworten arbeiten kann, die keinen fragenden Charakter haben.

    Es hat ja zum Glück auch niemand behauptet, dass das Gehirn von Koanpraktizierenden klinisch tot sei, keine messbaren Hirnströme mehr aufwiese oder frei von begrifflichem Denken sei.


    Die auf sich selbst gerichtete, fragende Qualität der Koanpraxis finde ich hier trotzdem erwähnenswert - besonders als Ergänzung/Richtigstellung zu deiner Äußerung, Koanpraktizierende setzten sich während der Praxis mit Gedanken auseinander. Zumindest wenn man - wie allgemein üblich - unter der Auseineinandersetzung mit Gedanken eine intelektuelle Beschäftigung mit bestimmten Inhalten im Sinne von abwägen, vergleichen, bewerten, assozieren etc. versteht. Ziel und Vorgehen der Koanmethode sind dem einer solchen intelektuellen Auseinandersetzung diametral entgegengesetzt.


    Fälschlicher Weise wird manchmal angenommen, Gedanken würden im Zen als etwas Schlechtes angesehen - was natürlich Quatsch ist. Gedanken sind durchaus nützlich und Ausdruck unserer wahren Natur. Wir alle denken quasi permanent und orientieren uns so (geistig wie körperlich). Zen lehrt allerdings, dass unsere extreme Fixierung auf und Anhaftung an Gedanken dazu führt, dass wir uns immer genau jetzt unserer ursprünglichen Natur (es wird auch der "Eine Geist" oder "Soheit" etc. genannt) nicht vollständig gewahr werden können. Dies hat besonders mit dem dualitären Charakter von Gedanken (und bedingten Wahrnemungen, die in diesem Kontext immer mitgemeint sind) zu tun. Meister Huang Po drückt es (in "Geist des Zen", Kapitel 1) so aus:


    Zitat

    Sie (die Fühlenden Wesen) wissen nicht, dass sie in genau dem Augenblick, in dem sie ihr begriffliches Denken aufgeben, zum Einen Geist erwachen, der Buddha ist und alle Lebewesen.

    Das Aufgeben des begrifflichen Denkens ist hier doppelt zu verstehen, einerseits im Sinne von Aufgabe des emotionalen Anhaftens an Gedanken und andererseits, indem man während der Praxis versucht, genau jetzt tatsächlich vom Denken abzulassen. Sofern dies gelingt, führt dies laut Zenlehre zum Erwachen. Worte können es bekanntlich nicht angemessen beschreiben und es spielt daher im Zen keine so große Rolle, ob man es "Erleuchtung" oder das "Erreichen des Nirvana" oder "Das Unbedingte" oder wie auch immer nennt. Koan und Shikantaza sind da nur zwei unterschiedliche, aber gleichwertige Methoden, dies zu verwirklichen. Beide verfolgen das Ziel, während der Praxis immer genau jetzt vom Denken abzulassen. Es ist müßig, darüber zu spekulieren, ob nun das Ziehenlassen von Gedanken im Sinne des Nur-Sitzens oder die auf das Fragende selbst gerichtete Koanfrage zu mehr Loslassen führen. Beide Wege funktionieren und sind sich mit fortgeschrittener Praxis wahrscheinlich gar nicht so unähnlich.


    Keineswegs meint Huang Po in obigem Zitat, dass man als Koanpraktizierende*r generell nicht mehr denken würde. Das wäre auch absurd; schließlich bedient sich Huang Po ja selbst des begrifflichen Denkens, um seine Lehre zu vermitteln.


    Natürlich gibt es "aus Sicht des Geistes" (was soll das sein außer Denken???) auch Zeit und Vergänglichkeit. Selbst das Zazen wird durch Geklingel beendet. Mit hier und jetzt ist ja gerade nicht gemeint, "jetzt" oder "hier" zu denken, sondern Vergänglichkeit nicht denken und die diesbzgl Leiderfahrung nicht machen zu müssen.

    Selbstverständlich orientieren sich auch Koanpraktizierende wie alle anderen Menschen im Konzept von Zeit im Sinne von Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft bzw. Zeitabläufen. Man ist auch nicht dadurch von Leiderfahrung befreit, dass man Vergänglichkeit nicht denkt. Das wäre ein billiger Taschenspielereffekt, der nicht funktionieren wird. Denn auch Leiden findet immer genau jetzt statt.


    Es ist einfach das Charakteristikum unseres Geistes immer genau jetzt zu sein. Wann immer wir uns einer Sache oder unserer selbst gewahr werden, ist gerade genau jetzt. Wahrnehmungen, Gefühle, Gedanken, Bewusstsein (um deine Frage nach "aus Sicht des Geistes" zu beantworten) - alles findet aus unserer Sicht immer gerade genau jetzt statt. Selbst wenn wir uns an frühere Jetzt-Zustände erinnern, ist in dem Moment, in dem diese Erinnerung stattfindet, gerade jetzt. Deshalb liegt laut Zen-Lehre der Schlüssel zum Erwachen auch im Jetzt. Sobald wir aber "Jetzt" denken, ist das Jetzt, auf das sich ein solcher Gedanke bezieht, bereits vergangen. "Hier und Jetzt" eignen sich daher nicht gut als Lehrsätze im Zen; sie können bestenfalls ein Fingerzeig sein. Ich kann wunderschön an der Vorstellung von Hier und Jetzt festhalten und dabei das, was gerade jetzt geschieht, aus den Augen verlieren. "Der gegenwärtige Geist kann nicht ergriffen werden." Du hast es ja weiter oben selber sehr schön und treffend ausgedrückt:


    c) Zitat "Wenn bei mir in der Wohnung irgendwo ein Schatz versteckt sein soll, kann ich ihn nur finden, wenn ich ihn suche." Nein, diesen Schatz findest du nicht, wenn du ihn suchst.

    ... weil du selbst der Schatz bist.


    (Wie diese Schulung tatsächlich abläuft, unter ständigem Hirnrattern, liest man ab S. 179 bei Dale S. Wright/Steven Heine: Zen Classics).

    Hier begibst du dich leider auf ein recht niedriges rhetorisches Niveau. Eine Einleitung "wie diese Schulung tatsächlich abläuft", impliziert (zumindest für mich) eine Haltung im Stil von "Ihr könnt mir ja viel erzählen, tatsächlich aber läuft es so ab". Mag sein, dass es irgendwo so abläuft, wie auf Sei 179 bei Dale S. Wright/Steven Heine: Zen Classics beschrieben. Tatsächlich läuft es aber anderswo auch ganz anders ab. Dein Beispiel ist nicht repräsentativ.


    Zur Einordnung meiner Äußerungen: Ich beziehe mich bei meinen Ausführungen auf Berichte befreundeter Praktizierender und auf meine eigenen Erfahrungen der Koanpraxis im Rinzai-Zen und in koreanischer Schulung (mittlerweile seit 27 Jahren, davon 9 Jahre unter direkter Anleitung eines koreanischen Zen-Meisters). Ein ständiges Hinrattern kam da nirgendwo vor.


    _()_

    Tai

  • Zitat

    Ein ständiges Hinrattern kam da nirgendwo vor.

    Genau gegen dieses Klischee habe ich angeschrieben. Ein Koan ist in der Regel eine Geschichte, die an die Grenzen des Intellektes führt. Das heißt, sie ist bewusst so gewählt, dass sie Denkprozesse auslöst, sonst würden diese Grenzen nicht ausgelotet. Und eben das passiert im Koanstudium, jemand wälzt das Koan im Geiste hin und her. Es ist zigfach beschrieben worden, wie Schüler zumindest in der jap. Ausbildung es dann kaum abwarten können, aus der Warteschlange ins Zimmer des Abtes zu treten, um eine "Antwort" zu präsentieren. In dem von mir erwähnten Sachbuch wird beschrieben, dass es sich dann vor allem um ein Literaturstudium handelt. Der Abt gibt, wenn er Fortschritte sieht, dem Übenden jakugo, Schlüsselworte, oder Bücher, in denen er die passenden literarischen Zitate aus der asiatischen Tradition zu finden hat. (Mit jakugo, huatou etc. arbeiten aber auch koreanische und chinesische Lehrer.) Sogar das geht nur durch "Hirnrattern". Die akzeptierten "Antworten" auf Koan sind inzwischen hinreichend bekannt und veröffentlicht, wie auch die jakugo und ihre Quellen. Es sind eindeutig gedanklich fassbare Aussagen. Sie machen in Bezug auf das Koan sogar einen gedanklich nachvollziehbaren Sinn. Sie spielen sich also keinesfalls auf der Ebene des Nicht-Denkens ab. Natürlich will der Lehrer im Idealfall erkennen, dass der Schüler nicht mehr an Konzepten festhält. Zugleich will er aber das in den Schlüsselworten oder Antworten Überlieferte weitergegeben wissen. Und das hat einen gewissen Tenor. Es wird also auch heute noch im Allgemeinen nicht die Erfahrung des Nicht-Denkens (oder Erwachen) bestätigt, sondern die Kenntnis der Tradition.


    Zitat


    Beide verfolgen das Ziel, während der Praxis immer genau jetzt vom Denken abzulassen.

    Deine Rinzai-Lehrer kenne ich nicht. Was Du beschreibst, ist m.E. die Methode des Shikantaza, des Gedankenziehenlassens. Hier will man sich nicht mal an ein Schlüsselwort geschweige denn an eine Geschichte hängen. Der Grund, vom Denken abzulassen, ist eigentlich der, vom wertenden Denken abzulassen: Der Zen-Adept kehrt immer wieder aufs Kissen zurück, weil er merkt, dass er immer noch Gefühle und Gedanken hegt, die laut der buddhistischen Lehre als Befleckung gelten.


    Das funktioniert bei der Koan-Schulung eben nicht, dann bräuchte gar kein Koan gegeben zu werden. Erst die völlige geistige Erschöpfung bereitet den Weg für den Durchbruch. Deshalb sehen Shikantaza-Anhänger auch schon im Zazen Erwachen verwirklicht. Sie wollen sich nicht den Kopf zerbrechen.


    Natürlich ist dieses Loslassen ein Ziel dieser Methode, und die Frage, wer oder was da überhaupt denkt oder loslässt, aber auf dem Weg dahin geschehen ständig Gedanken. Der Schlüssel ist im obigen Zitat "während der Praxis", denn hier wird Praxis wie im Soto mit dem Ablassen von Gedanken gleichgesetzt. Das ist ein einseitiges Verständnis von Praxis, denn man kann buddhistische Praxis auch IM und WÄHREND des Denkens üben. Die Erfahrung, völlig gedankenlos zu sein, schon von Chih-i als Chan-Vordenker beschrieben (und von manchen Hirnforschern bestritten), mag dann als Erwachen empfunden werden. Aber dieser Zustand ist vergänglich und taugt nicht als Praxis, da der Alltag genau das besagte Hirnrattern erfordert. Was hier eingeübt ist, das ist eine Methode, sich in diesem Alltag aus dem wertenden Denken bei Bedarf auszuklinken.


    Warum es "ein niedriges rhetorisches Niveau" sein soll, akademische Studien zu diesem Thema zu zitieren, ist mir schleierhaft. Man kann Ähnliches auch bei Victor Hori nachlesen, der seine akademischen Studien unterbrach, um eine Koan-Schulung zu durchlaufen. Ich erwähne das ganz bewusst, da mir in Deutschland so gut wie kein autorisierter Koanlehrer bekannt ist, also könnte es hilfreich sein, sich anderswo mal einen Überblick zu verschaffen. Ich vermute, dass im deutschsprachigen Raum mindestens 95 Prozent selbsternannte Koanlehrer eine Schulung anbieten.


    Es mag auch sein, dass man in manchen Zen-Kreisen glaubt, das aktuelle Gewahrsein sei das Jetzt. Ich habe jedoch beobachtet, das es sich dabei um eine Täuschung handeln muss, denn ich sehe zum Beispiel Phänomene am Himmel erst, wenn ich sie sehen kann, nicht, wenn sie tatsächlich in der Zeit passieren, und ich treffe Entscheidungen bewusst erst, nachdem sie bereits in meinem Hirn gefallen sind, wie mir Hirnforscher zeigten. Der gegenwärtige Geist, den ich nicht erfassen kann, laut Huangpo, meint m.E genau dies.


    Der "Eine Geist" Huangpos hingegen, der jenseits begrifflichen Denkens liegt und Buddha(natur) und das Kennzeichen aller Lebewesen ist, ist überhaupt nichts, was man immer wieder erkennen muss, weder durch die Wiederholung von Koan noch durch Shikantaza. Wenn zu diesem "Einen Geist" erwacht wurde, gibt es in dieser Hinsicht kein Zurück mehr. Die Aufgabe der Koanschulung ist dann erfüllt. Dasselbe gilt fürs Zazen, wenn man es ohne Koanschulung betreibt. Alles, was danach für gewöhnlich als (Sitz)Praxis als nötig erachtet wird, lässt sich, wie oben gesagt, darauf zurückführen, dass Adepten feststellen, mit dem Erwachen ist ja doch noch gar nicht Schluss mit all der Werterei, dem Groll usw.


    Zu Zeiten Huangpos gab es die Koanschulung noch nicht. Da lagen diese Dinge noch einfacher.

    "Ein Mönch, der Fragen stellt und sich unsicher ist, wie er den Geist eines anderen einschätzen mag, soll einen 'Buddha' genau untersuchen, um festzustellen, ob dieser tatsächlich erwacht ist." (Vivamsaka Sutta)

  • Bebop :


    Ich stimme dir ja über weite Strecken zu, auch deinem Beitrag #29. Besonders auch, was du zum Thema "Buddha hält eine Blume hoch und Mahakashyapa lächelt", schreibst, hat mich gefreut. Ich glaube, zu kaum einer Anekdote - später zum Koan umgemünzt - wurde in den letzten Jahren soviel hochtrabender Unsinn verbreitet, wie zu dieser. Schön zu sehen, dass hier jemand einen klaren Kopf behalten hat.


    Dennoch ein paar Anmerkungen:


    Ein Koan ist in der Regel eine Geschichte, die an die Grenzen des Intellektes führt. Das heißt, sie ist bewusst so gewählt, dass sie Denkprozesse auslöst, sonst würden diese Grenzen nicht ausgelotet. Und eben das passiert im Koanstudium, jemand wälzt das Koan im Geiste hin und her.

    Ja, aber i.d.R. nur am Anfang des Koanstudiums.


    Viele Missverständnisse entstehen hier daraus, dass in der westlichen Welt der Unterschied zwischen Koan und Wato (chin. Huatou, kor. Hwadu) nicht angekommen ist. Die gefestigte Hwadu-Praxis mit einem Hauptkoan (meist "Was ist dies?" oder "Mu") führt i.d.R. dazu, dass die vom Meister gegebenen Nebenkoan über kurz oder lang in der Frage des Hauptkoan aufgehen. Der Fokus auf dasjenige, das fragt, muss in den Nebenkoan tatsächlich erst gefunden werden. Gewissermaßen beleuchten die verschiedenen Koan Aspekte unserer Anhaftung an verschiedene Konzepte, bzw. holen uns in diesen ab. Über kurz oder lang werden sie aber zur Praxis des "Was ist dies?" oder "Mu".


    Natürlich will der Lehrer im Idealfall erkennen, dass der Schüler nicht mehr an Konzepten festhält.

    Genau darum geht es. Gerade die koreanische Tradition, in der ich hauptsächlich geschult wurde, legt zwar großen Wert darauf, dass die unmissverständlich auf die genaue Frage zugeschnittene treffende Antwort (aus eigener Kraft!) gefunden wird. Aber dann geht es noch darum, das in der Antwort gegebene Verständnis auch zu verwirklichen - was allerdings zugleich eine Lebensaufgabe sein kann. Auch aus dem Rinzai habe ich von Dokusan gehört, in denen der/die Meister*in sinngemäß sagt: "Deine Antwort ist richtig, jetzt bring mir noch den Zustand."


    Natürlich ist dieses Loslassen ein Ziel dieser Methode, und die Frage, wer oder was da überhaupt denkt oder loslässt, aber auf dem Weg dahin geschehen ständig Gedanken. Der Schlüssel ist im obigen Zitat "während der Praxis", denn hier wird Praxis wie im Soto mit dem Ablassen von Gedanken gleichgesetzt. Das ist ein einseitiges Verständnis von Praxis, denn man kann buddhistische Praxis auch IM und WÄHREND des Denkens üben.

    Absolut, gilt aber als Fortgeschrittenen-Übung. Tatsächlich unterscheidet sich die Hwadu-Praxis hier vielleicht am meisten von Shikantaza, da sie auch in jeder beliebigen Tätigkeit inklusive Denken ausgeführt werden kann. Zazen bietet aber besonders gut geeignete Voraussetzungen und die Praxis in anderen Situationen gilt als deutlich schwerer.


    Der "Eine Geist" Huangpos hingegen, der jenseits begrifflichen Denkens liegt und Buddha(natur) und das Kennzeichen aller Lebewesen ist, ist überhaupt nichts, was man immer wieder erkennen muss ...

    Rein theoretisch stimmt das. De facto neigen wir aber alle dazu, uns durch unsere Anhaftungen und Selbstbildkonstuktionen (Ego) immer wieder davon abzulenken. Zwar ist eine bestimmte Sicht, die aus dem Erwachen erwächst, unumkehrbar. Aber auch ein erwachter Mensch unterliegt weiter Leiden und Vergänglichkeit, da können Koan-Praxis oder Nur-Sitzen schon hilfreich sein. Gerade der Mythos des ein für alle mal erwachten Meisters ist extrem gefährlich, sowohl für gutgläubige Schüler als auch für solche Meister selbst.


    Zu Zeiten Huangpos gab es die Koanschulung noch nicht. Da lagen diese Dinge noch einfacher.

    Nichtdestotrotz sind weite Teile der Koanschulung aus seiner Tradition und in Berufung auf ihn und seinen Nachfolger hervorgegangen.


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