Bedingungen und Ursachen

  • Ich bin ja selbst Naturwissenschaftler. Es ist klar, dass komplexen Phänomenen ein komplexes Bedingungsgefüge zugrunde liegen muß. Die Naturwissenschaft hat sich zunächst damit geholfen, Systeme im "Gleichgewicht" mit einer dominierenden Ursache zu beschreiben, und dabei von andern (wichtigen) Bedingungen zu abstrahieren, klassisch: Vernachlässigung von Reibungskräften bei Bewegungsgesetzen.
    Das geht aber bei bestimmten Systemen nur eingeschränkt oder überhaupt nicht: z.B. Wettermodelle.

    Weiter oben habe ich schon die Vermutung geäußert, dass die Systemtheorie mit ihrer Vorstellung von Rückkopplungen dem Bedingungs- und Ursachengefüge, wie es in der buddhistischen Philosophie aufgefasst wird, womöglich am nächsten kommt.


    Das ist sehr interessant und zeigt, dass schon im Tripitaka (den drei Körben der Lehrreden) keine lineare Vorstellung von monokausaler Verursachung vorherrscht. Auch die wechselseitige Bedingtheit wird schon erörtert in den Beispielen, z.B. in der Lehrrede über die Ursachen in Absatz 20ff.


    21. 'Durch Bewusstsein bedingt ist Name und Materie (ein Individuum)', wenn das so gesagt wird, soll man, Ānanda, das in dieser Weise verstehen, wie Name und Materie (ein Individuum) durch Bewusstsein bedingt ist: Wenn aber, Ānanda, das Bewusstsein nicht in den Mutterschoß eintreten würde, würde dann Name und Materie im Mutterschoß heranreifen?" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Wenn, Ānanda, das Bewusstsein, nachdem es in den Mutterschoß eingetreten ist, sich wieder zurückziehen würde, würde dann hier Name und Materie (ein Individuum) geboren?" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Wenn das Bewusstsein von einem kleinen Kind, einem Jungen oder Mädchen sich abtrennen würde, könnte dann Name und Materie (ein Individuum) zu Fortschritt, Wachstum und Fülle kommen?" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Daher, Ānanda, ist dies der Grund, ist dies die Ursache, ist dies die Entstehung, ist dies die Bedingung für Name und Materie (ein Individuum), nämlich das Bewusstsein."


    22. 'Durch Name und Materie (ein Individuum) bedingt ist Bewusstsein', wenn das so gesagt wird, soll man, Ānanda, das in dieser Weise verstehen, wie Bewusstsein durch Name und Materie (ein Individuum) bedingt ist: Wenn, Ānanda, Bewusstsein in Name und Materie (ein Individuum) sich nicht festsetzen würde, würde in der Zukunft Leid entstehen durch Geburt, Altern und Sterben?" - "Nein, das nicht, Verehrungswürdiger." - "Daher, Ānanda, ist dies der Grund, ist dies die Ursache, ist dies die Entstehung, ist dies die Bedingung für das Bewusstsein, nämlich Name und Materie (ein Individuum). Insofern Ānanda, wird man geboren, altert, stirbt, scheidet dahin, wird wieder geboren. Insofern ist die Möglichkeit für Benennung, die Möglichkeit zu definieren, die Möglichkeit für Erklärungen, das ganze Gebiet der Weisheit und so lange läuft der Daseinskreislauf weiter, bis verstanden wird, dass sich Name und Materie (ein Individuum) und Bewusstsein gegenseitig bedingen

    Interessanterweise sind die sich gegenseitig bedingenden "Name und Materie" und "Bewusstsein" der Ausgangspunkt, von dem die Verursachung geschildert wird.

    "Das Siegel der erreichten Freiheit: Sich nicht mehr vor sich selbst schämen."

    - Irvin Yalom, Und Nietzsche weinte

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  • Interessanterweise sind die sich gegenseitig bedingenden "Name und Materie" und "Bewusstsein" der Ausgangspunkt, von dem die Verursachung geschildert wird.

    Vor allem, dass sie gemeinsam entstehen bzw sich entwickeln, es kommt da nichts von außen, wie die Abhiddhammas behaupten.

    Zitat

    das Bewusstsein nicht in den Mutterschoß eintreten würde


    Schönes Beispiel, wie die bevorzugte Neigung des Übersetzers sich widerspiegelt. Das Pali-Verb im Original heißt "okkamati".

    https://dsal.uchicago.edu/cgi-…chhws=yes&matchtype=exact

  • Zitat

    das Bewusstsein nicht in den Mutterschoß eintreten würde


    Schönes Beispiel, wie die bevorzugte Neigung des Übersetzers sich widerspiegelt. Das Pali-Verb im Original heißt "okkamati".

    Und wie kann man das verstehen, Metta ? :?:


    Zitat

    (Der Daseinskreislauf: Empfängnis bis Reife)

    26. "Ihr Bhikkhus, die Empfängnis eines Embryos im Schoß findet statt, wenn drei Dinge zusammenkommen. Wenn die Vereinigung von Vater und Mutter stattfindet, aber die Mutter nicht ihre fruchtbaren Tage hat, und das Wesen, das wiedergeboren werden soll, nicht anwesend ist - in diesem Fall gibt es keine Empfängnis. Wenn die Vereinigung von Vater und Mutter stattfindet, und die Mutter ihre fruchtbaren Tage hat, aber das Wesen, das wiedergeboren werden soll, nicht anwesend ist - auch in diesem Fall gibt es keine Empfängnis. Aber wenn die Vereinigung von Vater und Mutter stattfindet, und die Mutter ihre fruchtbaren Tage hat, und das Wesen, das wiedergeboren werden soll, anwesend ist - in diesem Fall findet eine Empfängnis durch das Zusammenkommen dieser drei Dinge statt.


    https://www.palikanon.com/majjhima/zumwinkel/m038z.html

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Und wie kann man das verstehen, Metta ? :?:

    doch exakt so, wie das im Wtb der Pali Tex Society steht "an internal change, or developement"

    Zitat

    und das Wesen, das wiedergeboren werden soll, nicht anwesend ist


    Aus MN 38. Ebenso nur eine Projektion des Übersetzers (und der Theravada-Kommentatoren).
    Da steht "Gandhabba" und das sind Devas, die in den Veden als Verwalter des "Lebenstranks" (Soma) - ein Synonym für "Lebenskraft" - beschrieben werden.

    Einmal editiert, zuletzt von Metta ()

  • Und wie kann man das verstehen, Metta ? :?:

    doch exakt so, wie das im Wtb der Pali Tex Society steht "an internal change, or developement"

    Wer trifft in den Mutterleib? So:


    Zitat

    [7] P. okkanti "Eintritt ins Dasein" bezieht sich nach dem Kommentar 11.17.4 auf die Geburt der Wesen, die aus dem Ei oder aus der Gebärmutter hervorgehen; abhinibbatti "Wiederentstehen" auf die Geburt der Wesen, die als samsedajā "aus Feuchtigkeit entstanden" und die als opapātikā "auf übernatürliche Weise geboren" bezeichnet werden. Zu dieser Vierteilung der Wesen bei den Indern s. Hultzsch, Zeitschr. d. D. Morgenl. Gesellsch. 73. 224 ff.


    SN12

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Wer trifft in den Mutterleib? So:

    Ich hab dir gezeigt was dazu im profiliertesten Wörterbuch steht, du setzt einen Kommentar dagegen.
    Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen.

  • Hab ich einige Jahre gebraucht, um namarupa zu verstehen. Bewusstsein hat mir den letzten Schlüssel geliefert.

    Bewusstsein ist immer das Bewusstsein von etwas.

    Bewusstsein nimmt zuerst Form wahr, doch Bewusstsein ist sich auch Name bewusst, wenn die Form einen Namen hat oder das bewusst gewordene Ich selbst einen Namen gibt.


    Jeder Mensch lernt zuerst die Namen Mama, Papa usw., ein Elternteil wird so zu Mama oder eben Papa. Der Name wird zu Form.

    Nicht umgekehrt, denn keine Form wird jemals sein gegebener Name, das geht nicht, denn etwas Materielles wird nie etwas Geistiges, es wandelt nur seine materielle Existenz bis zurück zu Energie.


    Fängt das Kind an, die Namen Mama oder Papa, zu sprechen, bekommt es seinen Namen beigebracht und so wird das Kind in seinem Denken zu seinem Namen.

    Darum ist namarupa ein Leidensfaktor in der Kette des bedingten Entstehens.

  • Jeder Mensch lernt zuerst die Namen Mama, Papa usw., ein Elternteil wird so zu Mama oder eben Papa. Der Name wird zu Form.

    Nicht umgekehrt, denn keine Form wird jemals sein gegebener Name, das geht nicht, denn etwas Materielles wird nie etwas Geistiges, es wandelt nur seine materielle Existenz bis zurück zu Energie.

    Es entsteht beides nur gemeinsam - das ist der entscheidende "Schlüssel" und auch was das buddhistische Denken dem Scheinproblem "Was war zuerst da?" entgegensetzt.
    Es gibt hier nichts beliebig "Materielles", genau das war nämlich auch die falsche Annahme von Dharmakirti, die bis heute die tibetische Scholastik bestimmt, sondern eben eine spezifische evolvierte materielle Struktur, die das Merkmal hat, Sinnesreize verarbeiten zu können.

  • Wer trifft in den Mutterleib? So:

    Ich hab dir gezeigt was dazu im profiliertesten Wörterbuch steht, du setzt einen Kommentar dagegen.
    Da kann ich dir auch nicht weiterhelfen.

    Ja, es kann sein, siehe hier:


    Man kann es anders interpretieren, also kein ‚Wesen‘, da draußen in die Gebärmutter hinabsteigt. Aber dann entsteht die Frage nach der Wiedergeburt. Wahrscheinlich kann man es nicht buchstäblich betrachten, sondern nur in der kausalen Nexus-Kette, die immer jetzt abläuft. Weiter weiß ich nicht. :?

    Ach, im Abhidhamma entsteht und vergeht das Bewusstsein augenblicklich. Wer sollte dann wiedergeboren werden? Die Lücke bleibt.

    Bei Fritz Schäfer und dem Buddhistischen Seminar geht es um das Wesen des Jenseits, was mich nicht überzeugt, aber was soll's? Lol... Man kann es nicht überprüfen. :taube: ;) :shrug:

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Bei Fritz Schäfer und dem Buddhistischen Seminar geht es um das Wesen des Jenseits, was mich nicht überzeugt, aber was soll's? Lol... Man kann es nicht überprüfen.

    Genau, was nur der Vorstellung entspringt, kann man nicht überprüfen.
    Dafür gibt es ja andere Dinge, die "wiedergeboren" werden - und die man überprüfen kann.