Gehen, gegangene Strecke, der Gehende

    • Offizieller Beitrag

    Die Idee ist schon faszinierend: Gehen, die gegangene Strecke und der, der geht, existieren nur in Abhängigkeit voneinander. Das eine bringt das andere hervor. Existiert eines von den Dreien nicht, existieren auch die anderen nicht.


    Wirklich spannend wird diese Idee, wenn man statt Gehen, gegangener Strecke und Gehendem Wahrnehmung, Wahrgenommenes und Wahrnehmenden setzt. Auch ein Dreierpaar, bei dem, fehlt eines seiner Teile, auch die anderen nicht existieren. Folgende Sätze ergeben sich:


    • Ohne Wahrnehmung kein Wahrgenommenes und kein Wahrnehmender.
    • Ohne Wahrgenommenem keine Wahrnehmung und kein Wahrnehmender.
    • Ohne Wahrnehmenden keine Wahrnehmung und kein Wahrgenommenes.


    Wenn ich nichts sehe, nichts höre, nichts fühle, nichts denke, nichts schmecke, nichts rieche, verschwinde auch "ich" und meine Fähigkeit zur Wahrnehmung.

    Wann da nichts ist, was ich sehen, hören, fühlen, etc. kann, verschwinde ich auch.

    Wenn ich nicht existiere, gibt es keine Welt und keine Wahrnehmung (für meine Seinswirklichkeit). z.B. Ohnmacht, tiefer Schlaf oder Tod.


    Das, was ich bin, konstituiert sich also nur durch das, was ich im Augenblick wahrnehme, fühle oder denke. Und das, was da ist, erhält Form und Inhalt auf der Basis meiner Wahrnehmung. Und meine Wahrnehmung entsteht nur, weil da ein Subjekt ist und etwas, das Wahrgenommen werden kann. Für sich betrachtet, unabhängig von den anderen beiden, existiert aber keines von den dreien.


    Oft hatte ich den Eindruck, dass die Vorstellung, die Welt sei nur ein Produkt meines Geistes, eine Illusion, zu einer Art Locked-in-Syndom führt. Hier ich, dort die Illusion der Welt, der Gefühle, der Gedanken – wie in einem Kino. Beklemmend und sehr einsam irgendwie.... Alleine, für immer in einem Kino eingesperrt, das mein eigenes Produkt ist. Klar, dass man sich davon frustriert abwendet irgendwann. Sinnlose Quälerei.


    Aber es ist ja genau anders herum, quasi invertiert. Kein Gedanke, kein Gefühl, keine Farbe, keine Form ist das Produkt meines Geistes, eher ist es umgekehrt. Alles, was mich ausmacht, besteht aus Wirklichkeit, die nicht ich ist. So benutze ich Worte, die ich nicht erfunden habe, benutze Gedanken und Argumente, die nicht auf meinem Mist gewachsen sind. Auch die Dinge, die ich sehe, höre, rieche und schmecke, habe ich nicht gemacht. Mein Körper tut in vieler Hinsicht, was er will. Er besteht aus dem, was ich gegessen und getrunken habe – nichts davon war je ICH. Auch meine Ausscheidungen sind nicht ich. Laufe ich durch den Wald, laufe ich auf einer dicken Schicht von Tod, Verwesung und Exkrementen, laufe über zahlose Lebensformen, die auf der Basis dessen wieder-werden. Die bringen dann in Abhängigkeit voneinander und in Abhängigkeit von meiner Wahrnehmung das hervor, was dann in mir "Wald" wird.


    Und auch in mir tut vieles, was es will, ohne dass ich eine Chance habe, es nicht zu wollen oder zu wollen. All das zusammen bringt "mich" hervor. Und umgekehrt kommt durch mein Subjekt-Sein die Welt zur Wirklichkeit, entfaltet Wirkung, kommt vom Nichtsein ins Sein. Das Sehen, Denken, Riechen, etc. bekommt seine Form durch das, was und wie ich (Körper-Geist) bin und umgekehrt. Und zugleich bin und werde ich durch Sehen, Denken, Riechen, etc. immer wieder neu.


    Ich bin also tatsächlich mit mit jeder Faser meines Seins nicht nur verbunden mit der Welt – denn dann wäre wieder hier ein ICH und die Welt dort – "ich" bestehe sogar aus Welt ganz und gar. Die Ströme von Ursache und Wirkung, die seit Anbeginn der Zeiten die Welt sind, bringen auch mich hervor, als eine zeitweilig relativ statische Verwirbelung im Strom. Das ist nichts ungewöhnliches. Es geht allem so, was wird und vergeht.


    Interessant finde ich, dass das, was ich wahrnehme und denke, diese Erscheinungswelt also aus den unzähligen Erscheinungswelten anderer besteht, die milliarden Einzelwesen-Welten also Schnittmengen bilden (die sie dann "Dinge" oder "Farben" oder "Fakten" nennen), durch die Kommunikation (Transfer von Information) stattfindet – und als Flimmern und Wabern das entsteht und sich ständig verändert, was wir objektive Realität nennen.


    Ich bin also keineswegs eingeschlossen. Im Gegenteil, alles ist weit und offen.


    So ist wird auch jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat zu Wirklichkeit in anderen Wesen. Mit allem, was ich tue, setze ich Ursache-Wirkung-Ströme in Gang, die Realität für mich und andere werden. Ich forme die Welt, mit dem, was ich denke, sage und tue. Jedes Lebewesen tut das auf seine Weise. Was für eine Verantwortung!

  • Wenn ich nichts sehe, nichts höre, nichts fühle, nichts denke, nichts schmecke, nichts rieche, verschwinde auch "ich" und meine Fähigkeit zur Wahrnehmung.

    Wann da nichts ist, was ich sehen, hören, fühlen, etc. kann, verschwinde ich auch.

    Wenn ich nicht existiere, gibt es keine Welt und keine Wahrnehmung (für meine Seinswirklichkeit). z.B. Ohnmacht, tiefer Schlaf oder Tod.

    So ist es im Herzsutra. Wenn das erfahren ist, dann kann man das dann auch beiseite legen und gut ist.:)

    :zen:

  • Wieso ist das so im Herzsutra? Welches Herzsutra liest du?


    Die Erkenntnis in der tiefen Meditation "Form ist Leerheit. Leerheit ist Form" - ist dabei Form etwa Nichts? Seit wann ist das so?


    Viele verstehen wahrscheinlich "Da ist kein Auge, da ist kein Ohr, da ist keine Nase usw." nihilistisch. Davor wird ja ständig gewarnt, jedenfalls von den Tibetern.

    Wenn man diese Aussagen aber liest während man nicht vergisst "Form ist Leerheit. Leerheit ist Form", dann ist das Auge halt eine Form, die leer ist, und nicht etwa überhaupt nicht existent.

    D.h. ein Auge existiert nicht unabhängig von anderen Formen, ein Auge ist nicht selbst-existent.


    Dass Leerheit = Nichts bedeute, müsste doch nun im Jahre 2020 im Westen endlich als krasse Fehlinterpretation erkannt worden sein.

    :rainbow:

  • Das ist auch nicht so leicht verständlich. Sunyata falsch aufgefasst führt dann zu derartigen Fragen. Ist den Form etwa Nichts?


    Dabei steht da ja - Form ist Leerheit. Die Frage müsste also lauten: Ist denn Leerheit etwa Nichts? Nichts ist auch wiederum bedingt - genauso wie Leerheit bedingt ist. Auch das Bedingte ist bedingt - nämlich von dem Unbedingten. Damit man sich aber nicht auf irgendeine Seite schlägt - also zum Bedingten oder zum Unbedingten, gibt es den "Mittleren Weg" - eben das weder noch. Diese Dynamik des einfach so weiter gehen - ist eben für manche nicht schön, weil sie was festhalten wollen.

    Und sei es nur die Einsicht.


    ES existiert tatsächlich nichts. Und der ganze Spuk ist dann zu Ende, wenn das ICH gestorben ist. Noch nicht mal das Bewusstsein kannste behalten und weiter geben.

    :zen:

  • Das Kapitel 5 ist ein guter Hinweis. Und weil da mein englisches Lieblingswort vorkommt, das so schön klingt, möchte ich mal Vers 8 in der Übersetzung (1995) aus dem Tibetischen von Jay Garfield zitieren:


    Zitat

    Fools and reificationists who perceive

    The existence and nonexistence

    Of objects

    Do not see the pacification of objectivation.


    Hier ist mit einem Mal das Grundübel mancher Zeitgenossen sichtbar:

    Nicht nur wer "existence" erkennt und verdinglicht, sondern auch wer "nonexistence" erkennt und für wahr hält, wird keine Befriedung der Dinge sehen.


    Stephen Batchelor übersetzt so:


    Zitat

    8./blo chung gang dag dngos rnams la/ /yod pa nyid dang med nyid du/ /blta ba des ni blta bya ba/ /nye bar zhi ba zhi mi mthong/


    8. Those of small minds see things as existent and non-existent. They do not behold the utter pacification of what is seen.

    :rainbow:

  • Im Herzsutra, eines der kürzesten Prajnaparamitasutras, geht es darum, "wie sollen sich edle Söhne, Töchter üben, die die Praxis der höchsten Weisheit ausüben möchten?"(1) Das fragt Sariputra den Bodhisattva Avalokitesvara.


    Darauf antwortet der Bodhisattva Avalokitesvara, diese edlen Söhne und Töchter "sollten auf diese Weise schauen: einwandfrei und folgerichtig sollten sie erkennen, das die fünf Aggregate (skandhas) leer von inhärentem Sein sind."(1)


    Diese Einleitung zu den weiteren Ausführungen Avalokitesvaras wird oft ignoriert und die anschließenden Ausführungen werden dann oft wortwörtlich genommen. Der Beginn von Avalokitesvaras Antwort ist aber grundlegend und stets mit zu bedenken. Mit "Form ist Leerheit, Leerheit ist Form, Leerheit ist nicht anders als Form, Form ist nicht anders als Leerheit. Form und Leerheit sind im Wesen nicht verschieden"(1), beschreibt Avalokitesvara das abhängige Bestehen des Körper-Skandha. Weil es abhängig besteht, ist es leer von inhärentem Sein. Diese Argumentation wird dann in Kurzform auf alle Phänomene übertragen.


    Thorsten hat es ja in seinem Eingangspost auf diese Weise beschrieben:

    Die Idee ist schon faszinierend: Gehen, die gegangene Strecke und der, der geht, existieren nur in Abhängigkeit voneinander. Das eine bringt das andere hervor. Existiert eines von den Dreien nicht, existieren auch die anderen nicht.


    Wirklich spannend wird diese Idee, wenn man statt Gehen, gegangener Strecke und Gehendem Wahrnehmung, Wahrgenommenes und Wahrnehmenden setzt. Auch ein Dreierpaar, bei dem, fehlt eines seiner Teile, auch die anderen nicht existieren. Folgende Sätze ergeben sich:


    • Ohne Wahrnehmung kein Wahrgenommenes und kein Wahrnehmender.
    • Ohne Wahrgenommenem keine Wahrnehmung und kein Wahrnehmender.
    • Ohne Wahrnehmenden keine Wahrnehmung und kein Wahrgenommenes.

    Nichts ist auch wiederum bedingt - genauso wie Leerheit bedingt ist. Auch das Bedingte ist bedingt - nämlich von dem Unbedingten. Damit man sich aber nicht auf irgendeine Seite schlägt - also zum Bedingten oder zum Unbedingten, gibt es den "Mittleren Weg" - eben das weder noch. Diese Dynamik des einfach so weiter gehen - ist eben für manche nicht schön, weil sie was festhalten wollen.

    Und sei es nur die Einsicht.


    ES existiert tatsächlich nichts. Und der ganze Spuk ist dann zu Ende, wenn das ICH gestorben ist. Noch nicht mal das Bewusstsein kannste behalten und weiter geben.

    Das ist nicht Nagarjunas Position im Mulamadhyamakakarika.


    Das Bedingte ist bedingt. Das ist klar, denn nur deshalb kann es etwas Bedingtes sein. Das Bedingte ist aber nicht durch das Unbedingte bedingt. Etwas Unbedingtes kann nichts bewirken, also nichts bedingen.


    Nagarjuna sagt auch nicht, dass der Mittlere Weg darin besteht, dass man sowohl das Bedingte als auch das Unbedingte ignoriert, überwindet, hinter sich lässt. Der Buddha sagt dies bezüglich des Mittleren Wegs auch nicht: (s. Kaccayanagotta-Sutta)


    Nagarjuna sagt auch nicht, dass nichts existiert. Er negiert nicht die Existenz der Phänomene, was ihm oft und immer wieder unterstellt wird. Nagarjuna negiert im Mulamadhyamakakarika eine bestimmte Sichtweise, nämlich die Vorstellung, dass die Phänomene aufgrund eines ihnen innewohnenden Eigenwesens existieren würden. Dies widerlegt er mit logischen Argumenten. Diese Sichtweise widerlegt er, aber aus der Widerlegung dieser Sichtweise folgt nicht, dass er die Existenz der Phänomene leugnet.

    ____________________

    (1) Die Zitate stammen aus einer Übersetzung des Herzsutras aus dem Tibetischen ins Deutsche

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

    Einmal editiert, zuletzt von Helmut ()

  • Helmut


    Mein Beitrag erwähnt mit keinem Wort Nagarjuna. Es sind meine Worte.


    Im Beitrag danach (6) habe ich als Erläuterung Nagarjuna erwähnt.


    Natürlich weiss Nagarjuna um die Existenz und in 5.8 heisst es:


    Zitat

    Diejenigen aber, die "Existenz" und "Nicht-Existenz" der Dinge sehen, sind von geringerer Einsicht; sie sehen nicht das beglückende Zur-Ruhe-Kommen des Sichtbaren.


    Das wiederum ist die im Herzsutra empfohlene Übungsweise - das Zur-Ruhe-Kommen des Sichtbaren und letztlich das Verlöschen.

    :zen:

  • Leonie,


    Nagarjunas Mulamadhyamakavatara bestätigen aber deine Aussagen in Beitrag 5 nicht.


    Wenn du dich auf MMK 5.8 beziehst, kommt es drauf an wie man "das beglückende Zur-Ruhe-Kommen des Sichtbaren" und das letztliche Verlöschen interpretiert.


    Verlöschen kann sich doch nur auf das Überwinden der Unwissenheit beziehen, aber nicht auf das Überwinden der eigenen abhängigen Existenz. Der Buddha hat ja im Zusammenhang mit der dritten edlen Wahrheit derartiges nicht gelehrt.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Verlöschen kann sich doch nur auf das Überwinden der Unwissenheit beziehen, aber nicht auf das Überwinden der eigenen abhängigen Existenz. Der Buddha hat ja im Zusammenhang mit der dritten edlen Wahrheit derartiges nicht gelehrt.

    Kapitel 23 MMK - und hier 23.23 und 23.24


    Aus der Vernichtung der Irrtümer folgt, dass auch das Nichtwissen vernichtet ist; ist das Nichtwissen vernichtet, sind auch die Tatabsichten usw. (d.h. der gesamte pratityasamutpada, vernichtet.


    Gäbe es nämlich für wen auch immer, irgendwelche Anhaftungen, die aufgrund eines Eigenseins existierten, wie könnten diese Anhaftungen aufgegeben werden? Wer könnte etwas, das eigenes Sein hat, aufgeben?


    Meine Bemerkung dazu: Wenn überhaupt dann verlöschen die Tatabsichten.

    :zen:

    Einmal editiert, zuletzt von Leonie ()

  • 1. Wenn das Nichtwissen vernichtet ist, dann ist das Nichtwissen vernichtet, und nicht das Wissen.

    Der Buddha hat gelehrt, dass das Nichtwissen das Nichtwissen der Vier Wahrheiten ist. Wenn dieses vernichtet ist, erscheint das Wissen der Vier Wahrheiten.

    Zur Verlöschung kommt also nur das Nichtwissen und dessen Folgen. Übrig bleibt das Wissen und der Frieden.


    2. "Gäbe es nämlich für wen auch immer irgendwelche Anhaftungen.. ". Das einfachste ist, daran zu denken, dass wir ja auch jetzt schon, schon vor dem Aufgeben der Anhaftungen kein Eigensein haben. Und trotzdem existieren wir ohne dieses Eigensein, wie auch immer. Dann werden wir auch nach dem Aufgeben der Anhaftungen ohne ein Eigensein existieren, wie auch immer. Der Unterschied ist nur, ob mit oder ohne Anhaftung.


    3. Die Anhaftungen werden aufgegeben, nicht der, der die Anhaftungen aufgibt. Wenn jemand aufhört zu rauchen, hört das Rauchen auf, aber nicht der das Rauchen aufgegeben hat. Wie auch immer er existiert.

    :rainbow:

  • Ich habe die Sätze aus dem MMK in der Ausgabe von Weber-Brosamer/Back nochmals kursiv hervorgehoben.


    Nagarjuna bestimmt Wissen nicht positiv oder inhaltlich, da es ansonsten abhängig wäre vom Gegenteil, dem Nichtwissen. Damit wären sonst beide in einer Instanz aufzuheben, den Vorstellungen (samkalpa) - diese dichotomische Aktivität des Geistes muss zur Ruhe kommen. Es verschwinden die Gegensätze wie z.B. Wissen - Nichtwissen.

    Die Frage, ob da einer ist, der existiert, erweist sich dann als irrelevant, da keine Identität sich bildet.

    :zen:

  • Nagarjuna bestimmt Wissen nicht positiv oder inhaltlich, da es ansonsten abhängig wäre vom Gegenteil, dem Nichtwissen. Damit wären sonst beide in einer Instanz aufzuheben, den Vorstellungen (samkalpa) - diese dichotomische Aktivität des Geistes muss zur Ruhe kommen. Es verschwinden die Gegensätze wie z.B. Wissen - Nichtwissen.


    Ja, Wissen und Nichtwissen sind (zumindest begrifflich) gegenseitig von einander abhängig, so wie kurz und lang oder hier Gehen, gegangene Strecke, der Gehende. Diese gegenseitige Abhängigkeit bedeutet aber nicht, dass es Gehen usw. überhaupt gar nicht gibt.

    Wie Tsongkhapa mal bemerkt hat: es wird nicht Existenz allgemein widerlegt, sondern nur unabhängige Existenz.

    Und das ist doch das klarste, was man aus Nagarjunas Versen ersehen kann.


    Und wenn ich sehe und weiß. das ist blau und das andere ist rot, ist da auch ein Inhalt des Wissens. Und der Buddha weiß, dass er die Vier Wahrheiten weiß. So wie Nagarjuna weiß, dass er das Abhängige Entstehen verstanden hat.


    "diese dichotomische Aktivität des Geistes muss zur Ruhe kommen"

    Warum das?

    Wenn der Buddha nicht unterscheiden könnte, das er erleuchtet ist und andere Wesen noch nicht, dann wäre er kein Buddha und könnte uns nicht helfen.

    Die Anhaftung an Unterscheidungen muss aufgegeben werden.


    "Es verschwinden die Gegensätze wie z.B. Wissen - Nichtwissen."

    Diesen Unterschied müsste der Buddha auch noch kennen. :)


    Verschwindet eigentlich auch der Unterschied zwischen Leiden und nicht Leiden?

    Wie wäre dann Befreitsein vom Leiden möglich?

    :rainbow:

  • Wenn der Buddha nicht unterscheiden könnte, das er erleuchtet ist und andere Wesen noch nicht, dann wäre er kein Buddha und könnte uns nicht helfen.

    Soll das ein Witz sein? Nee, nicht wahr, du meinst das so.


    Im Diamantsutra heisst es:

    Zitat

    „Subhuti, sage nicht, der Tathagata hege die Vorstellung: ,Ich will die Lebewesen zum Ufer der Befreiung bringen.’ Denke nicht in dieser Weise, Subhuti. Warum ? In Wirklichkeit gibt es für den Tathagata kein einziges Wesen, das zum anderen Ufer zu bringen wäre. Würde der Tathagata meinen, dass es ein solches Wesen gebe, so wäre er der Vorstellung von einem Selbst, einer Person, einem Lebewesen oder einer Lebensspanne verhaftet. Subhuti, das, was der Tathagata ein Selbst nennt, hat seinem Wesen nach kein Selbst in dem Sinne, in dem gewöhnliche Menschen denken, dass es ein Selbst gebe. Subhuti, für den Tathagata ist niemand ein gewöhnlicher Mensch. Und darum kann er sie gewöhnliche Menschen nennen."


    Anzumerken ist die besondere Sprachlogik des Diamantsutras.

    Zitat

    Subhuti, der Tathagata hat gesagt, dass das, was Vorstellung von Dharmas genannt wird, nicht eine Vorstellung von Dharmas ist. Und darum wird sie Vorstellung von Dharmas genannt."


    Das, was so bezeichnet wird, ist nicht das, was es wirklich ist. Und deshalb wird es so genannt.

    Wir können es nicht anders bezeichnen.

    :zen:

  • „Subhuti, sage nicht, der Tathagata hege die Vorstellung: ,Ich will die Lebewesen zum Ufer der Befreiung bringen.’ Denke nicht in dieser Weise, Subhuti. Warum ? In Wirklichkeit gibt es für den Tathagata kein einziges Wesen, das zum anderen Ufer zu bringen wäre. Würde der Tathagata meinen, dass es ein solches Wesen gebe, so wäre er der Vorstellung von einem Selbst, einer Person, einem Lebewesen oder einer Lebensspanne verhaftet. Subhuti, das, was der Tathagata ein Selbst nennt, hat seinem Wesen nach kein Selbst in dem Sinne, in dem gewöhnliche Menschen denken, dass es ein Selbst gebe. Subhuti, für den Tathagata ist niemand ein gewöhnlicher Mensch. Und darum kann er sie gewöhnliche Menschen nennen."


    Ganz wichtige Stelle _()_:like:

  • Ich glaube das Witze machen ist eher auf eurer Seite.


    Enthält doch gerade dieses Zitat die Erklärung dessen was der Buddha ständig verneint:


    Zitat

    Subhuti, das, was der Tathagata ein Selbst nennt, hat seinem Wesen nach kein Selbst in dem Sinne, in dem gewöhnliche Menschen denken, dass es ein Selbst gebe.


    Zitiert mir lieber mal eine Stelle aus einem Sutra, wo der Buddha die in Abhängigkeit von ihrer Unwissenheit bestehenden Wesen nicht sieht.

    Dann können wir weiter diskutieren.

    Ansonsten ist alles schon gesagt.


    Ich finde es auch nicht nett mit der Methode des Ignorierens zu diskutieren.

    Diese Methode besteht darin, auf die Argumente des anderen nicht einzugehen, z.B. Tsongkhapa: "es wird nicht Existenz allgemein widerlegt, sondern nur unabhängige Existenz." und andere Fragen in Beitrag 15.

    :rainbow:

  • Vor eurem nächsten Beitrag lest lieber noch mal in Beitrag 1 das Schlussresümee von Thorsten und schaut wie unsere Verantwortung in der Welt entsteht.

    So ist wird auch jeder Gedanke, jedes Wort und jede Tat zu Wirklichkeit in anderen Wesen. Mit allem, was ich tue, setze ich Ursache-Wirkung-Ströme in Gang, die Realität für mich und andere werden. Ich forme die Welt, mit dem, was ich denke, sage und tue. Jedes Lebewesen tut das auf seine Weise. Was für eine Verantwortung!

    :rainbow:

  • Als kleine Ergänzung möchte ich hier doch noch einen Hinweis anfügen. Leider fand mE der wichtige Hinweis auf MMK 5 nicht ganz die ihm gebührende Beachtung. Wenn man einmal, statt sich auf śloka 8 zu beschränken, das gesamte Kapitel (d.h. die vorausgehende Argumentation) betrachtet, so ist dieses ein Musterbeispiel für Nāgārjunas dialektisch-dekonstruktive Ontologie. Der hier behandelte 'Raum' steht lediglich stellvertretend für die Dekonstruktion der dharmas (im Sinne 'Seinselemente') schlechthin, nimmt der Raum doch in der abhidharmischen dharma-Theorie eine besondere Stellung ein. In manchen Śrāvakayāna-Schulen (auf die speziell dieses Kapitel gemünzt gewesen sein dürfte) wurde ihm sogar der Rang eines asaṃskṛtadharma zuerkannt, also eines nicht-zusammengesetzt/-bedingten Seinselements. Ein anderes, weniger umstrittenes asaṃskṛtadharma behandelt Nāgārjuna bekanntlich im 25. Kapitel. Dazu diesbezüglich die Empfehlung, zum Verständnis von


    Wenn du dich auf MMK 5.8 beziehst, kommt es drauf an wie man "das beglückende Zur-Ruhe-Kommen des Sichtbaren" und das letztliche Verlöschen interpretiert.

    - mal 25.24 beizuziehen.


    Dass aber - und das rechtfertigt seine besondere Stellung - eine dialektisch-dekonstruktive Ontologie eben keine negative Ontologie ist, schlechthin (durch die Methode bedingt) nicht sein kann, verdeutlicht śloka 5.8. Für die, die nicht am hinterm Busch hervorlugenden Horn gleich den ganzen Ochsen erkannt haben (wobei man es mit dieser Qualifikation als Eintrittsbedingung ja nie so wirklich ernst genommen hat ...;)). Aber "nicht negativ" ist (zumindest bei Nāgārjuna) nicht dasselbe wie "positiv". Der synthetische Schritt führt allemal in die Leere (von unbedingtem Sein), Śūnyatā - die wiederum identisch ist mit bedingtem Sein (pratītyasamutpāda). Aber das ist jetzt wieder eine andere Baustelle ...


    Vor allem - um an eine kürzliche Bemerkung von mir über Nāgārjuna zu erinnern - ist das eine Einsicht, die sich nicht nur theoretisch, sondern auch praktisch verifizieren lässt ...


    _()_

    OM MONEY PAYME HUNG

  • Zitiert mir lieber mal eine Stelle aus einem Sutra, wo der Buddha die in Abhängigkeit von ihrer Unwissenheit bestehenden Wesen nicht sieht.


    Er sieht sie und sieht sie nicht. Das Auge des Buddhas sieht keine Wesen, weder befreite, noch unbefreite. Wenn es aber ums Lehren geht, dann sieht er die Unterschiede, denn wie sollte er sonst lehren?



    es wird nicht Existenz allgemein widerlegt, sondern nur unabhängige Existenz." und andere Fragen in Beitrag 15.


    Was ist denn daran unklar? Diese Stelle widerlegt weder das Diamantsutra, noch das, was Leonie geschrieben hat.

  • Das Auge des Buddhas sieht keine Wesen, weder befreite, noch unbefreite. Wenn es aber ums Lehren geht, dann sieht er die Unterschiede, denn wie sollte er sonst lehren?


    Warum braucht der Buddha dann überhaupt sein "Auge des Buddha"? Das ist ja dann überflüssig. Die Wesen, die er nicht sieht, denen gibt er auch keine Belehrungen.

    Im Diamant Sutra erläutert der Buddha seine Rede so, dass er kein Selbst der Wesen sieht. Das braucht er tatsächlich nicht zu sehen.


    Was ist denn daran unklar? Diese Stelle widerlegt weder das Diamantsutra, noch das, was Leonie geschrieben hat.

    Leonie hat sehr wenig geschrieben im letzten Beitrag.

    Was meint sie denn, wenn du das mit deinen Worten paraphrasierst?


    Das, was so bezeichnet wird, ist nicht das, was es wirklich ist. Und deshalb wird es so genannt.


    Hier brauche ich noch die Information, was denn das ist: "was es wirklich ist."

    Ein Selbst sind die Lebewesen nicht, aber was sind sie denn?

    :rainbow:

  • Hier brauche ich noch die Information, was denn das ist: "was es wirklich ist"

    Das ist konkret und kommt daher auch ganz konkret drauf an. Ansonsten sind es immer nur Begriffe, Worte, die es nicht begreifen, erfassen können. So wie Existenz ein Begriff ist.

    In dem Sutra wird auf dieses Problem verwiesen - der Begriff oder Name ist nicht die bezeichnete Sache. Aber es gibt nichts anderes. Also verwenden wir den Namen.

    Wie Nagarjuna in Kapitel 24.10 MMK aussagt.

    Es muss sich auf die Anwendung von Worten gestützt werden, um die Wahrheit im höchsten Sinne zu zeigen.

    :zen:

  • Warum braucht der Buddha dann überhaupt sein "Auge des Buddha"? Das ist ja dann überflüssig. Die Wesen, die er nicht sieht, denen gibt er auch keine Belehrungen.


    Er sieht keine Wesen aus der absoluten Ebene. Wesen, die belehrt werden, befinden sich in der relativen Ebene, Samsara. Das Auge des Buddha sieht alles gleichzeitig, weil nicht mehr auf etwas spezielles wie Leerheit oder inhärente Existenz fokussiert wird.



    Leonie hat sehr wenig geschrieben im letzten Beitrag.

    Was meint sie denn, wenn du das mit deinen Worten paraphrasierst?


    Ich möchte nicht für Leonie sprechen. Aber wenn sie sagt:


    Das, was so bezeichnet wird, ist nicht das, was es wirklich ist. Und deshalb wird es so genannt.


    ...dann steckt dort alles drin, was man wissen muss, über die 2 Ebenen.

  • Das ist konkret und kommt daher auch ganz konkret drauf an. Ansonsten sind es immer nur Begriffe, Worte, die es nicht begreifen, erfassen können. So wie Existenz ein Begriff ist.


    Also: Konkretes gibt es. Also auch konkrete Lebewesen? Zwar ohne "Selbst", aber konkret existent so wie du und ich?


    In dem Sutra wird auf dieses Problem verwiesen - der Begriff oder Name ist nicht die bezeichnete Sache. Aber es gibt nichts anderes. Also verwenden wir den Namen.

    Ja, klar, zum Bezeichnen gibt es nichts anderes. Deswegen müssen auch Buddha und Nagarjuna Worte benutzen, deswegen Vers 24.10 MMK.


    Tiere können allerdings auch ohne Worte Sachen und Erfahrungen benennen, zumindest als angenehm und unangenehm.

    Und stumme Menschen können auf eine konkrete Sache zeigen, wenn sie die haben wollen. Babys haben auch schon Empfindungen.


    Ich denke Nagarjunas Vers 24.10 MMK bezieht sich auf die Methode wie der Buddha und andere uns zur Erkenntnis der Leerheit, der Selbstlosigkeit, führen wollen: dazu brauchen sie die konventionellen Wahrheiten, nicht nur die konventionelle Sprache.

    Die konventionelle Wahrheit ist die zweite "Ebene" oder zweite "Wahrheit".


    Gleich hinterher sagt Nagarjuna, dass das Verständnis dieser konventionellen Wahrheiten äußerst wichtig ist, denn sonst:


    By a misperception of emptiness

    A person of little intelligence is destroyed.

    Like a snake incorrectly seized

    Or like a spell incorrectly cast. MMK 24.11 (Jay Garfield)


    Hier ist übrigens noch etwas für die Fans des Abhängigen Entstehens als Wirklichkeit:


    If you perceive the existence of all things

    In terms of their essence,

    Then this perception of all things

    Will be without the perception of causes and conditions. MMK 24.16


    Und wenn jetzt immer noch jemand meint, Leerheit würde das Aufheben aller Unterschiede bedeuten, da gibt's diesen:


    Whatever is dependently co-arisen

    That is explained to be emptiness.

    That, being a dependent designation,

    Is itself the middle way. MMK 24.18

    :rainbow:

  • Konkretes gibt es. Also auch konkrete Lebewesen?

    Was soll denn der Taschenspielertrick mit dem "also auch"? Als wäre das eine notwendige logische Folge. Ist es aber nicht. Und nein, gibt es nicht. "Lebewesen" ist typischer Oberbegriff, der eben nichts Konkretes bezeichnet, das wäre ein Widerspruch in sich. Die Problematik des ontischen Status solcher Begriffe ist ja auch in der europäischen Geistesgeschichte bekannt, wo sie zum Universalienstreit führte.


    Ich denke, man kann da bedenkenlos dem Buddhadharma allgemein (nicht nur dem Madhyamaka speziell) eine radikal nominalistische Deutung unterstellen. Scheinbar konkret sind dharmas - und es war das Anliegen diverser Abhidharmas (und auch der Yogācāra-Schule), diese dharmas, deren Anzahl als begrenzt vorgestellt wurde (unterschiedlich nach Schule, maximal 100), zu katalogisieren und hinsichtlich ihrer Natur (u.a. ob es sich um saṃskṛtadharma oder asaṃskṛtadharma handelt) zu untersuchen. Wobei das saṃskṛta nicht nur als 'bedingt' zu lesen ist, sondern ganz wörtlich auch als 'zusammengesetzt', was das bedingte Sein eines dharma impliziert.


    Aktuell (d.h. nach Untergang diverser Śrāvakayāna-Schulen) gibt es nun hinsichtlich der Frage, ob asaṃskṛtadharma existieren, nur noch drei Antworten: 'nein' (so die Nāgārjuna folgenden Mahāyānin), 'sechs' (so die Yogācārin - davon sind allerdings vier lediglich verschiedene Formen von nirodha) oder 'ja, aber nur eines (nibbana)' nach Abhidhamma-Tradition. Was nun 'Konkretheit' angeht, so sind nicht die dharmas konkret. 'Konkretheit' ist lediglich ein Wechselbegriff zu 'Soheit', tathatā - was dann auch bei den Yogācārin als asaṃskṛtadharma gilt (vervollständigt wird diese Kategorie durch ākāśa, den Raum). Mehr ist da nicht.


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