Wer darüber diskutieren oder das Problem besser verstehen möchte
Khun Reinhard missversteht schon das Grundproblem: dukkha. Auf S. 14 schreibt er, dass es um spirituelles oder geistiges Leiden geht und nicht um körperliches Leiden oder seelische Erkrankungen. Dies widerspricht direkt Sariputtas Darlegung in der Lehrrede von der rechten Ansicht (MN9). Mettiko übersetzt:
Zitat„Und was ist Dukkha, was ist der Ursprung von Dukkha, was ist das Aufhören von Dukkha, was ist der Weg, der zum Aufhören von Dukkha führt? Geburt ist Dukkha ... Krankheit ist Dukkha ... Schmerz, Trauer und Verzweiflung sind Dukkha... Dies nennt man Dukkha.“
Schmerz, im Pali dukkha, ist Teil der Leidensdefinition. Wenn man natürlich nur Teile von dukkha beenden möchte, dann mag man hier richtig sein.
Ab S. 31 spricht er über Geburt und gibt keinen Suttennachweis für seine metaphorische Übersetzung: "steht für die mentale Geburt der voll entwickelten Ego-Vorstellung im Geist".
Hier zeigt sich wie fehl man laufen kann, wenn man nicht am Ausgangspunkt losläuft, sondern vom Ziel rückwärts. Avijja ist die Antwort und dukkha die Frage. Entsprechend muss ich das Bedingte Entstehen von dukkha ausgehend interpretieren. Wenn Buddha hier startet ist er bei Geburt eigentlich schon am Ziel, weil dies wie oben schon ein recht umfassendes Avijja-Verständnis ist. Dagegen ist Geburt tatsächlich die erste grundlegende Antwort warum wir Leiden: weil wir leben und geboren worden sind.
Jetzt fragt der Buddha weiter warum wir geboren wurden. Wieder aus MN9 von Mettiko:
Zitat„Und was ist der Ursprung von Dukkha? Es ist das Begehren, das erneutes Dasein bringt, das von Ergötzen und Begierde begleitet ist und das sich an diesem und jenem ergötzt; nämlich Begehren nach Sinnesintensität, Begehren nach Dasein und Begehren nach Daseinsmöglichkeit. Dies nennt man den Ursprung von Dukkha.“
Und so weiter und so fort bis avijja.
Auf S. 10 schreibt Reinhard davon, dass "Der Buddha niemals den Ausdruck 'Wiedergeburt' in Zusammenhang mit dem Abhängigen Entstehen gebraucht hat.Er benutze immer das Wort 'Geburt' (jati)." Nach ihm ist punabbhavābhinibbatti Pali für Wiedergeburt.
Im Nidānasaṁyutta, dem Kapitel über die Ursachen und welches mit dem Bedingten Entstehen beginnt und diese dann weitererklärt, findet sich genau dieser Begriff in SN12.38:
Zitat„Mönche und Nonnen, was ihr beabsichtigt und plant und wofür ihr zugrunde liegende Neigungen habt, das wird zu einer Grundlage für das Fortbestehen des Bewusstseins. Wenn diese Grundlage da ist, wird das Bewusstsein verankert. Wenn das Bewusstsein verankert ist und wächst, kommt es in der Zukunft zu Wiedergeburt in einen neuen Daseinszustand [punabbhavābhinibbatti]. Wenn es in der Zukunft Wiedergeburt in einen neuen Daseinszustand gibt, kommen künftig Wiedergeburt, Alter und Tod, Kummer, Klage, Schmerz, Traurigkeit und Bedrängnis zustande. So kommt diese ganze Masse des Leidens zustande...
Wenn ihr nichts beabsichtigt oder plant und keine zugrunde liegenden Neigungen habt, wird das nicht zu einer Grundlage für das Fortbestehen des Bewusstseins. Wenn keine Grundlage da ist, wird das Bewusstsein nicht verankert. Wenn das Bewusstsein nicht verankert ist und wächst, kommt es in der Zukunft nicht zu Wiedergeburt in einen neuen Daseinszustand. Wenn es in der Zukunft keine Wiedergeburt in einen neuen Daseinszustand gibt, kommen künftig Wiedergeburt, Alter und Tod, Kummer, Klage, Schmerz, Traurigkeit und Bedrängnis nicht zustande. So hört diese ganze Masse des Leidens auf.“
Das ist vereinfacht eine Mehrleben-Theorie.
In diesem Leben wird beabsichtigt und geplant - anderer Ausdruck für sankhara - mit entsprechenden Neigungen - anderer Ausdruck für avijja - dies verankert das Bewusstsein und führt zukünftig - also gerade nicht im Hier-und-Jetzt - zur Wiedergeburt in einen neuen Daseinszustand. Reinhards Begriff für Wiedergeburt. Im neuen Leben kommt dann diese ganze Masse des Leidens zustande.