• Offizieller Beitrag

    Hallo in die Runde.


    Offenbar haben Buddhisten ein Problem mit der Vergänglichkeit:


    Zitat

    "Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig?" - "Leidig, o Herr."


    Aber ist dieses Urteil auch richtig? Bleibt am Ende von jeder Erfahrung wirklich nur das Leid übrig? Vielleicht ist der Satz richtiger, wenn man den Begriff Dukkha besser im Sinne von Frustration und Ungenügen übersetzt: Wenn nichts Bestand hat, ist das meiste Bemühen – um was auch immer – sinnlos – und das ist dann unter Umständen tatsächlich ziemlich frustrierend. Zum Beispiel, wenn sich jemand Jahrzehnte hindurch um eine Karriere (ein Haus, einen Job, Reichtum, Ruhm, Ehre, Gewinn, etc.) bemüht hat und am Ziel angelangt merkt: "So besonders ist dieser Zustand auch nicht, es kostet ständige Mühe, ihn zu bewahren und irgendwann werde ich alt werden und sterben, da nutzt mir diese Karriere (dieses Haus, dieser Job, dieser Reichtum, Ruhm, Ehre, Gewinn, etc.) auch nicht." Da fragt man sich dann wahrscheinlich: "Warum habe ich mein Leben mit so einem Quatsch verschwendet? Alles zerrint mir jetzt zwischen den Fingen und nichts bleibt übrig."


    Aber wie ist es mit den flüchtigen Formen des Glücks, die man gar nicht wollen, um die man sich nicht bemühen kann, die einfach geschehen, ohne dass man auf die Idee käme, sie festzuhalten? Ist es richtig und "fair" das Erleben von Glück immer nur von seinem Ende, von der Vergänglichkeit her zu betrachten? Dieser Leib und dieser Geist sind auch zur Empfindung von Freude fähig. Ist es wirklich so wichtig, dass etwas bleibt und nicht vergänglich ist, wenn immer nur eines faktisch existiert: und das ist die Gegenwart in ständiger Wandlung? Der Wille, bestehende Freude in eine unbestimmte Zukunft zu verlängern zu wollen, oder die Furcht, bestehende freudvolle Zustände zu verlieren, das Streben nach zukünftigem Glück, die Furcht vor zukünftigem Leid sind oft genug das Gift, das die Wirklichkeit durchdringt und leidvoll macht und all die Quellen der Freude verschüttet, die die Welt bereithält.


    Ich freue mich an vielen Dingen. Und oft ist es auch in Ordnung, wenn sie dann vergehen. Hätte Buddha mir diese Frage gestellt: Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig? hätte ich vielleicht geantwortet: Kommt darauf an... Wahrscheinlich hätte er mich kopfschüttelnd wieder zum Meditieren geschickt. :?


    Viele Grüße


    Thorsten

  • Moin Thorsten,

    ich denke nicht, dass Buddhisten damit Probleme haben. Es ist lediglich eine Tatsache, die immer wieder erwähnt werden muss, wenn jemand meint, "aber das Leben ist doch (auch) schön".

    Auch ich freue mich über Momente, die einfach so geschehen, aber ich hafte nicht mehr daran an. Eben weil ich weiß, dass sie vergänglich sind, bin ich davon frei.


    Ist es richtig und "fair" das Erleben von Glück immer nur von seinem Ende, von der Vergänglichkeit her zu betrachten?

    Wie anders sollte denn der Buddha das sonst betrachtet haben? Wir brauchen niemanden, der uns sagt. "Ist alles gut, ruhig Brauner". Erst durch die Betrachtung der Vergänglichkeit, werde ich ja aufmerksam und untersuche alles, werde ich sogar bestenfalls "gegenwärtig" und jage keinen falschen Zielen hinterher.


    Der Wille, bestehende Freude in eine unbestimmte Zukunft zu verlängern zu wollen, oder die Furcht, bestehende freudvolle Zustände zu verlieren, das Streben nach zukünftigem Glück, die Furcht vor zukünftigem Leid sind oft genug das Gift, das die Wirklichkeit durchdringt und leidvoll macht und all die Quellen der Freude verschüttet, die die Welt bereithält.

    Aber dazu muss doch jemand überhaupt erstmal davon wissen. Wie anders als durch eine Lehre wie die des Buddha? Und mit obigem Zitat bestätigst Du es sogar!


    Es gibt eine Freude, und die ist frei von diesem Gift. Eben genau durch das Begreifen dieser Lehre. Sie wird freigesetzt und nicht mehr verschüttet.


    Der Buddha hätte sicher nicht den Kopf geschüttelt, denn "es kommt darauf an" hätte er durchaus verstanden und Dich auch.

    Und nun kommt das Aber: Letztendlich ist alles leidvoll oder wie auch ausgedrückt wird, nicht nur von Dir: frustrierend, nicht befriedigend.

    Ich bin jetzt 70, mein Mann 75. Das fühlt sich schon anders an als 50, gesund, verliebt, wohlhabend oder was auch immer.

    Ohne die Lehre hätte ich jetzt Depressionen - mindestens.

    _()_

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

    • Offizieller Beitrag

    Offenbar haben Buddhisten ein Problem mit der Vergänglichkeit:


    Erst die Kombination einer vergänglichen Welt und einem eher starren Willen - der Glück, Stabilität, Bindungen - sucht, führt zu einem Auseinanderklaffen zwischen Willen und Welt, das als Leid erfahren wird.

    Zitat

    Ist es wirklich so wichtig, dass etwas bleibt und nicht vergänglich ist, wenn immer nur eines faktisch existiert: und das ist die Gegenwart in ständiger Wandlung? Der Wille, bestehende Freude in eine unbestimmte Zukunft zu verlängern zu wollen, oder die Furcht, bestehende freudvolle Zustände zu verlieren, das Streben nach zukünftigem Glück, die Furcht vor zukünftigem Leid sind oft genug das Gift, das die Wirklichkeit durchdringt und leidvoll macht und all die Quellen der Freude verschüttet, die die Welt bereithält.

    Vergänglichkeit selber ist also kein Problem. Auf die Frage "Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig?" ist die Antwort " Kommt darauf an... " nicht falsch. Aber auf was es ankommt, ist ja inwieweit sich der Wille gegen die Vergänglichkeit stemmt oder ob er mit ihr akzeptierend und gleichmütig mitgehen kann. Da Menschen dazu tendieren nur mit einem kleinen Teilbereich aller Zustände als akzeptabel einzustufen, gilt wird leidig häufiger gelten als freudig. Insofern sich die meisten Leute die meiste Zeit eher in einem unfreudigen Zustand befinden hat Buddha recht.

  • "Warum habe ich mein Leben mit so einem Quatsch verschwendet? Alles zerrint mir jetzt zwischen den Fingen und nichts bleibt übrig."

    Diese Frage hat sich mir nie gestellt.

    Aber wie ist es mit den flüchtigen Formen des Glücks, die man gar nicht wollen, um die man sich nicht bemühen kann, die einfach geschehen, ohne dass man auf die Idee käme, sie festzuhalten?

    Dann bist du in diesem Moment glücklich.


    Ist es richtig und "fair" das Erleben von Glück immer nur von seinem Ende, von der Vergänglichkeit her zu betrachten? Dieser Leib und dieser Geist sind auch zur Empfindung von Freude fähig. Ist es wirklich so wichtig, dass etwas bleibt und nicht vergänglich ist, wenn immer nur eines faktisch existiert: und das ist die Gegenwart in ständiger Wandlung? Der Wille, bestehende Freude in eine unbestimmte Zukunft zu verlängern zu wollen, oder die Furcht, bestehende freudvolle Zustände zu verlieren, das Streben nach zukünftigem Glück, die Furcht vor zukünftigem Leid sind oft genug das Gift, das die Wirklichkeit durchdringt und leidvoll macht und all die Quellen der Freude verschüttet, die die Welt bereithält.

    Was ist dir wichtig?


    Und im Übrigen, wenn alles vergänglich ist, wenn es nur Vergänglichkeit gibt, dann ist diese doch ewig, oder etwa nicht? Dann gibt es doch etwas, das bleibt.(:

    Ich stelle mir diese Fragen nicht. Ich bin glücklich, wenn ich glücklich bin und traurig, wenn ich traurig bin.


    Ich freue mich an vielen Dingen. Und oft ist es auch in Ordnung, wenn sie dann vergehen. Hätte Buddha mir diese Frage gestellt: Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig? hätte ich vielleicht geantwortet: Kommt darauf an... Wahrscheinlich hätte er mich kopfschüttelnd wieder zum Meditieren geschickt

    Ich hätte geantwortet, "was vergänglich ist, ist vergänglich."

    Ohne eine lange Zeit grimmiger Kälte,
    die Dir in die Knochen fährt –

    wie könnten die Pflaumenblüten

    dich erfüllen mit ihrem durchdringenden Duft?
    (Obaku)

  • Aber wie ist es mit den flüchtigen Formen des Glücks, die man gar nicht wollen, um die man sich nicht bemühen kann, die einfach geschehen, ohne dass man auf die Idee käme, sie festzuhalten? Ist es richtig und "fair" das Erleben von Glück immer nur von seinem Ende, von der Vergänglichkeit her zu betrachten?

    ich finde die vergänglichen Dinge werden auf eine Art ja sogar wertvoller durch ihre Vergänglichkeit. Jetzt ist Glück, also sei ganz wach. Jetzt ist Trauer, also sei ganz wach. Leidig sind sie, wenn man sich Glück wünscht wenn gerade Trauer ist oder wenn man den Moment gerne unvergänglich machen möchte. Für das Ego sind sie also leidig, aber das reine Wahrnehmen kann einem niemand nehmen. Die Antwort "leidig" kommt also aus dem Ego-bewusstsein, aber auf einer anderen Ebene sind die vergänglichen Dinge weder leidig noch freudig, sondern sie sind einfach. Das heißt also nicht, dass alles Vergängliche schlecht gemacht wird, sondern dass man die Vergänglichkeit sehen soll und sich nicht an etwas bindet. Dadurch entsteht realeres Glück und realere Trauer, weil nichts hinzugefügt wird was da nicht ist und nichts verdeckt wird was ist.

  • Bleibt am Ende von jeder Erfahrung wirklich nur das Leid übrig?

    Lieber Thorsten,


    wie kommst Du darauf? Das ist doch nicht die buddhistische Interpretation dieses Zitats.


    Die Dinge von der Seite der Vergänglichkeit zu betrachten (besser: die Vergänglichkeit der "Dinge" zu verinnerlichen) ist doch gerade das, was das Leiden verhindert. Weil es hilft, die Anhaftung an Vergängliches zu vermeiden, und es einfach zu genießen, so wie es gerade ist, dauerhaft oder nicht.


    Hätte Buddha mir diese Frage gestellt: Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig? hätte ich vielleicht geantwortet: Kommt darauf an... Wahrscheinlich hätte er mich kopfschüttelnd wieder zum Meditieren geschickt.

    Nicht, wenn Deine Antwort gewesen wäre: "Kommt darauf an, ob ich daran anhafte oder nicht".


    Um Deine Anfangsbehauptung zu korrigieren: Gerade Buddhisten haben keine Problem mit der Vergänglichkeit, sondern schaffen diese durch Annahme der Vergänglichkeit aus dem Weg. ;)


    Liebe Grüße,

    Aravind.

  • Vielleicht ist der Satz richtiger, wenn man den Begriff Dukkha besser im Sinne von Frustration und Ungenügen übersetzt: Wenn nichts Bestand hat, ist das meiste Bemühen – um was auch immer – sinnlos – und das ist dann unter Umständen tatsächlich ziemlich frustrierend.


    Ja, das ist auch das, was dukkha meint.



    Ist es richtig und "fair" das Erleben von Glück immer nur von seinem Ende, von der Vergänglichkeit her zu betrachten?


    Es ist auf jeden Fall sinnig.


    Was man verstehen muss, ist, dass der Buddha nicht auf "Glück" abzielte, sondern auf "Frieden".


    Glück kann man auch in dem Vergänglichen finden, das ist keine Frage. Manchmal beschert es einem sogar Glück, WEIL es vergänglich ist, etwa ein unangenehmes Gespräch des Schülers mit dem Schuldirektor.


    "Friede", auf das was Buddha abzielte, ist weder von Glück noch von Unglück abhängig. Um diesen Frieden aber fassbar zu machen gibt es die Unterweisung über dukkha, damit wir verstehen, dass die Vergänglichkeit beides betrifft, Glück und Unglück und das wir uns um einen Zustand bemühen sollten, der diese Zustände wahrnimmt wie sie sind.

  • ... Bleibt am Ende von jeder Erfahrung wirklich nur das Leid übrig? Vielleicht ist der Satz richtiger, wenn man den Begriff Dukkha besser im Sinne von Frustration und Ungenügen übersetzt: Wenn nichts Bestand hat, ist das meiste Bemühen – um was auch immer – sinnlos – und das ist dann unter Umständen tatsächlich ziemlich frustrierend.

    Du meinst, dass ein Sonnenaufgang frustrierend sei, weil an jedem Abend ein Sonnenuntergang folgt? Und der Frühling sei frustrierend, weil er nach ~3 Monaten zuende ist? Und wir verlieben uns gar nicht erst, weil irgendwann auch die Liebe zuende sein könnte?


    Für mich bedeutet diese "buddhistische Vergänglichkeit" eine Intensivierung der Gegenwart, auch ein intensiveres Genießen(!) der Gegenwart, eben weil ich auch im Blick habe, das nichts ewig anhält. Und wenn dann der Schmerz des Endes da ist, weiß ich, dass jetzt gerade auch was Neues entsteht und damit auch neue Freude kommen wird, ich muß es nur entdecken.


    Das wirkliche Leiden entsteht für mich nicht durch die Vergänglichkeit, sondern durch das Nichtakzeptieren oder Festklammern an etwas, was gehen will oder sich anders entwickelt als wie ich es gerne hätte oder für richtig halte. Für mich heißt es dann loslassen zu üben, mir aber auch klar zu machen, dass viel Gutes geht, aber auch immer wieder viel Gutes neu entsteht.

    • Offizieller Beitrag

    Guten Morgen zusammen und Danke für eure Antworten.


    Was ihr schreibt ist mir nicht neu. So wird die Lehre üblicherweise interpretiert. Aber ich denke doch bei genauerer Betrachtung, dass die Argumentation des Buddha noch radikaler ist, zumindest im Theravada.


    Im Samyutta Nikaya 18 werden alle möglichen Zugänge zur Wirklichkeit systematisch betrachtet:


    Zitat

    Ist das Auge - das Ohr - die Nase - die Zunge - der Leib - der Geist unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Sind die Formen - die Töne - die Düfte die Säfte - die Berührungen - die Geistobjekte unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist das Sehbewußtsein - das Hörbewußtsein - das Riechbewußtsein - das Schmeckbewußtsein - das Berührungsbewußtsein - das Denkbewußtsein unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist der Seheindruck - der Höreindruck - der Riecheindruck - der Schmeckeindruck - der Berührungseindruck - der Denkeindruck unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist das durch Seheindruck entstandene Gefühl - durch Hör-, Riech-, Schmeck-, Berührungs-, Denkeindruck entstandene Gefühl unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist die Formwahrnehmung - die Ton-, Duft-, Geschmacks-, Berührungswahrnehmung - die Wahrnehmung von Geistobjekten unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist der Wille nach Formen - nach Tönen nach Düften - nach Geschmäcken - nach Berührungen nach Geistobjekten unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist das Begehren nach Formen - nach Tönen - nach Düften - nach Geschmäcken - nach Berührungen nach Geistobjekten unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    "Ist das Erdelement - das Wasserelement das Feuerelement - das Windelement - das Raumelement das Bewußtseinselement unvergänglich oder vergänglich?" - "Vergänglich, o Herr."


    Was bleibt übrig, wenn man von der Menge der möglichen Erfahrungen bezüglich der Wirklichkeit das abzieht, was in diesem Zitat als vergänglich beschrieben wird? Meiner Ansicht nach ist diese Beschreibung komplett: Alles, was irgendwie erfahren werden kann – sei es innerlich oder äußerlich – ist vergänglich. Oder seht ihr etwas, was in der Beschreibung oben nicht erfasst ist?


    Am Ende des Sutra kommt dann die Schlussfolgerung und das abschließende Urteil nebst Konsequenz:


    Zitat

    "Was aber vergänglich, ist das leidig oder freudig?" - "Leidig, o Herr."

    So erkennend, o Rāhula, wendet sich der erfahrene, edle Jünger vom Auge ... vom Bewußtsein ab.


    Zusammengefasst:

    1. Alle Aspekte der Wirklichkeit sind vergänglich.

    2. Alles was vergänglich ist, ist leidhaft.

    3. Also sind alle Aspekte der Wirklichkeit leidhaft.


    Die Empfehlung des Buddha an den erfahrenen Jünger ist, sich davon komplett abzuwenden.


    Auch hiervon:


    Zitat

    ...Momente, die einfach so geschehen...

    ...werde ich sogar bestenfalls "gegenwärtig"...

    ...und es einfach zu genießen, so wie es gerade ist, dauerhaft oder nicht...

    ...eine Intensivierung der Gegenwart, auch ein intensiveres Genießen(!) der Gegenwart...

    ...Friede...



    Viele Grüße


    Thorsten

  • Ja und?

    Was heißt das jetzt für dich.

    Ohne eine lange Zeit grimmiger Kälte,
    die Dir in die Knochen fährt –

    wie könnten die Pflaumenblüten

    dich erfüllen mit ihrem durchdringenden Duft?
    (Obaku)

    • Offizieller Beitrag

    Hallo Festus, hallo Niemand.


    Auch wenn unser Zen-Meister uns nicht immer wieder nahelegen würde, uns auch mit dem Palikanon zu beschäftigen, würde ich es trotzdem tun. Warum? Weil ich überprüfen möchte, ob das, was ich für die Lehre halte, auch die Lehre ist, und nicht eher etwas, das ich mir zurechtgelegt habe, weil es mir gerade angenehm ist.


    Ich nehme Zuflucht zu Buddha, seiner Lehre und zur Sangha, täglich. Ich möchte das mit klarem Bewusstsein dessen tun, was ich da sage. Ihr nicht? Ich möchte wissen, wer es ist, zu dem ich Zuflucht nehme, und welche Lehre dieser Mensch vertreten hat. Und ich möchte diese Lehre auch mit dem Verstand begreifen, denn einbilden kann man sich erfahrungsgemäß viel. Darum lese ich Texte aus Mahayana und Theravada genau und immer wieder seit vielen Jahren schon, weil sich auch das Verständnis dessen immer wieder wandelt. Das ist ein Teil meiner (Zen-) Praxis.


    Zum Begriff Auseinanderpflücken: Das, was ich mache, ist lesen, was da steht. Nicht mehr, nicht weniger. Um zu den oben beschriebenen Fragen oder Gedanken zu kommen, muss ich nicht besonders viel auseinanderpflücken. Es ist nichtmal aus einem Kontext gerissen, denn das Sutra ist gar nicht viel länger. Zudem gibt es diese und ähnlich Aussagen hundertfach im Palikanon. Es ist eine wichtige Grundlage. Über die möchte ich mir klar werden.


    Viele Grüße


    Thorsten

  • Zum Begriff Auseinanderpflücken: Das, was ich mache, ist lesen, was da steht. Nicht mehr, nicht weniger. Um zu den oben beschriebenen Fragen oder Gedanken zu kommen, muss ich nicht besonders viel auseinanderpflücken. Es ist nichtmal aus einem Kontext gerissen, denn das Sutra ist gar nicht viel länger. Zudem gibt es diese und ähnlich Aussagen hundertfach im Palikanon. Es ist eine wichtige Grundlage. Über die möchte ich mir klar werden.


    Viele Grüße


    Thorsten

    sag das doch gleich. Ich dachte, es geht Dir um buddhistisches Verständnis.

    An Textanalyse einzelner Sutten habe ich persönlich kein Interesse. (womit ich nicht sagen will, dass das nicht interessant oder sogar wichtig sein könnte. Ist nur meilenweit von meinem Zugang entfernt. )


    Bleibt natürlich Festus Frage, etwas konkreter: Was bedeutet "abwenden" denn für Dich? (was auch immer da auf Pali ursprünglich steht)


    Liebe Grüße,

    Aravind.

  • Zusammengefasst:

    1. Alle Aspekte der Wirklichkeit sind vergänglich.

    2. Alles was vergänglich ist, ist leidhaft.

    3. Also sind alle Aspekte der Wirklichkeit leidhaft.


    Die Empfehlung des Buddha an den erfahrenen Jünger ist, sich davon komplett abzuwenden.

    Ich wiederhole mich ungern, aber, was heißt das für dich? Ich sage ja nicht dass das falsch ist. Nur, wie gehst du jetzt damit um?

    Ohne eine lange Zeit grimmiger Kälte,
    die Dir in die Knochen fährt –

    wie könnten die Pflaumenblüten

    dich erfüllen mit ihrem durchdringenden Duft?
    (Obaku)

  • Auch wenn unser Zen-Meister uns nicht immer wieder nahelegen würde, uns auch mit dem Palikanon zu beschäftigen, würde ich es trotzdem tun. Warum? Weil ich überprüfen möchte, ob das, was ich für die Lehre halte, auch die Lehre ist, und nicht eher etwas, das ich mir zurechtgelegt habe, weil es mir gerade angenehm ist.


    _()_

  • Offenbar haben Buddhisten ein Problem mit der Vergänglichkeit:


    Das Problem ist, dass die erwünschten und erlebten Gefühle und damit auch Bewusstsein vergänglich ist.


    Das grundsätzliche Begehren danach ist nicht so vergänglich.

  • Hallo lieber Thorsten Hallscheidt.


    Vollkommene Entsagung von allem ist nicht einfach und für die meisten uninteressant.

    Auch scheint mir, dass es hier im Forum einige gibt, die früher Probleme mit Depression und ähnlichem hatten oder auch jetzt noch haben.

    Für solche Menschen ist so eine strikte Entsagung, auch von jeder Freude natürlich viel zu viel.


    Für solche Experimente muß man schon psychisch sehr stabil sein.

    Deswegen werden auch die 4 Brahmaviharas gelehrt. Mitgefühl, Mitfreude, liebende Güte und Gleichmut.


    Da hat man eine gute Grundlage auf der man aufbauen kann.


    Ich würde es eher als einen stufenweisen Pfad sehen.

    Man muß nicht jetzt sofort auf alles verzichten, sondern kann sich auch langsam rantasten und schauen was es mit einem macht.

    Ob dabei heilsame Eigenschaften vermehrt und gefestigt und unheilsame Eigenschaften verringert und aufgehoben werden.


    Eine Sutta die mir spontan einfällt ist "Der Abgrund der Entsagung". Der Titel sagt schon alles. Es ist eben kein Ponyreiten:


    Anguttara Nikaya IX.32-41


    Da fängt man ersteinmal mit der Entsagung von den Sinnendingen an. Und allein das ist schon harter Tobak. Nicht umsonst ist das auch eine Praxis für Mönche. Später in der Sutta kommt dann die Entsagung vom Denken, von meditativen Freuden und schließlich auch von dem tiefen Frieden der Nichtkörperlichen-Vertiefungen.


    Dieser tiefe Frieden wird dann auch leicht mit vollkommener Befreiung verwechselt. Die 2 Lehrer Buddhas vor seinem vollkommenen Erwachen hatten zum Beispiel die beiden höchsten und subtilsten dieser Nichtkörperlichen-Vertiefungen verwirklicht. Der angehende Buddha verließ sie, weil es nicht das war was er suchte.


    In der Sutta kommt auch immer wieder die Erkenntnis: "Dies ist der Friede!".

    Man tastet sich also vom gröberen Frieden zu immer subtilerem Frieden vor. Dann denkt man manchmal vielleicht: "Das ist es jetzt, das ist der Friede!".

    Und dann stellt sich irgendwann heraus, dass es doch nicht die vollkommene Befreiung war.


    Haushälter müssen nicht von allem entsagen. Man sollte da weise und mitfühlend mit sich umgehen. Weder überfordern noch unterfordern.

    Am besten ist es natürlich, wenn man kompetente Lehrer und/oder edle Freunde hat, denen man vertraut.


    Die Ratschläge an Haushälter waren meist gemäßigter und es ging oft um Dana und Sila.


    Der Weg des Buddha ist nichts was man mal eben so verwirklicht. Die meisten werden wohl lange, lange zu üben haben.


    Wenn dich das Thema Entsagung interessiert, würde ich ersteinmal bei den kleinen Dingen des Alltags anfangen und dann immer weiter steigern, immer mehr Dingen entsagen.


    Bei mir sind es zum Beispiel zur Zeit Fernsehen, Computer und Internet.


    Im Grunde findet die Entsagung von den Sinnendingen schon statt, wenn man sich hinsetzt zur Meditation. Für den Zeitraum der Meditation entsagt man den vielen anderen tollen Sachen die man machen könnte, in der Zeit.


    Man kann sich auch die Frage stellen was man will. Will ich besser durchs Leben kommen, besser mit den Problemen und Anforderungen des Alltags umgehen? Mehr Freude und Leichtigkeit im Leben?

    Dazu muß man nicht von allem entsagen, sondern nur von den Dingen die einen hindern so zu leben.


    Will man tatsächlich aber in absehbarer Zeit die vollkommene Befreiung nach dem Weg des Buddha, wird vollkommene Entsagung wohl eher Thema sein.


    Letztendlich geht es ja um die Überwindung von Gier und Ablehnung. Das will ich haben und das will ich nicht haben, weg haben.

    Wenn ich sinnliche Dinge haben will ist das Gier, wenn ich sinnliche Dinge nicht haben will, weg haben will ist das Ablehnung.

    Schöne, angenehme Dinge will man meist haben. Unschöne, unangenehme Dinge will man meist weg haben, nicht haben.


    Die Kunst ist es den Weg der Entsagung zu gehen und dabei Gier und Ablehnung, haben wollen und weg haben wollen immer weniger werden zu lassen. Es geht auch immer um die Erkenntnis: Das bin ich nicht, das gehört mir nicht, das ist nicht mein Selbst.


    Das ist so eine große Aufgabe, dass die meisten zweifeln, dass das überhaupt möglich oder erstrebenswert ist.


    Aber alles nur (m)eine unvollkommene Meinung. Die mir nicht gehört und die ich nicht bin.

    Könnte auch alles falsch sein, was ich schrieb. Ein paar Fehler sind bestimmt dabei. :D


    Ist eher als Anregung gedacht.

    Hör also auch auf das was für dich passt.


    Majjhima Nikāya 62


    :)


    Liebe Grüße

    5 Mal editiert, zuletzt von Raphy ()

    • Offizieller Beitrag

    Ajahn Chah schreibt in "Alles entstehend, alles vergehend" (S. 70) etwas zu der Polarität von Glück und Leiden:


    Zitat

    Sobald Dukkha entsteht, nennen wir es Leiden. Wenn es aufhört, nennen wir das Glück. [...] Wir sehen es und bezeichnen es als solches, aber es ist nicht so. Dukkha vergeht einfach nur. Dukkha entsteht und vergeht, entsteht und vergeht, und wir stürzen uns darauf und halten uns daran fest. Glücklichsein erscheint, und wir sind erfreut. Unglücklichsein erscheint, und wir sind verstört. Es ist wirklich alles dasselbe, nichts außer Entstehen und Vergehen. Mit dem Entstehen entsteht etwas und wenn es vergeht, ist es verschwunden. Dies verwirrt uns. Daher wird gelehrt, dass es nur Entstehen und Vergehen von Dukkha gibt, und nichts weiter.

    Wir erkennen nicht klar, dass da nur Leiden ist, denn wir betrachten das Aufhören von Leiden als Glück. Wir ergreifen es und bleiben dort stecken. Wir wissen nicht wirklich, was geschieht, nämlich nur Entstehen und Vergehen.


    Nach dieser Deutung (Glück = Abwesenheit oder Abnahme von Leiden) wäre tatsächlich alles leidhaft. Man könnte es auch umdrehen: Leiden ist die Abwesenheit oder Abnahme von Glück. Dann gäbe es nur Glück... Eine Frage der Perspektive. In jedem Fall ist richtig: Es gibt Entstehen und Vergehen, und die mal leidvolle mal glückhafte Relation dazu, je nach Veranlagung – Freiheit wäre dann die Freiheit von dem Sich-in-ein-Verhältnis-Setzen-Müssen (und das ist – kurz gesagt – ein anderes Wort für das Ich).


    Danke Raphy, das ist eine anregende Sammlung von Gedanken.

  • Nicht, wenn Deine Antwort gewesen wäre: "Kommt darauf an, ob ich daran anhafte oder nicht".


    Zahnschmerzen sind leidvoll. Auch wenn ich nicht daran anhafte.

    Warum man Leiden überwinden können soll, wenn man an Empfindungen nicht anhaftet, hab ich nie verstanden.


    Es ist ein eklatanter Widerspruch zu Buddhas Lehre, dass alles Vergängliche leidhaft ist. Er hat da nicht unterschieden, ob man anhaftet oder nicht.

    Die Erklärung ist tatsächlich, was Ajahn Chah schreibt: "Wir erkennen nicht klar, dass da nur Leiden ist, denn wir betrachten das Aufhören von Leiden als Glück."


    So kann man auch die Lehre Buddhas für Hausleute verstehen (Hausleute, die gar keine Entsagung und Nirvana anstreben, so wie wir alle hier, oder? ;)): da redet der Buddha z.B. von "angenehm" und "unangenehm" und von drei leidhaften Daseinsbereichen (Hölle, Hungrige Geister, Tiere) und drei glücklichen.

    Eben weil wir das Leiden nicht verstehen, weil wir die erste Wahrheit der Heiligen nicht verstehen.

    Für uns spricht der Buddha so, es gibt Leid und Glück.

    Aber nicht für die Bhikkhus, nicht für die edlen Jünger: da sind alle Produkte, alle Empfindungen leidhaft.


    Wenn man richtig meditiert, werden angenehme und unangenehme Kontakte gar nicht erst in den Geist eindringen, heißt es in Majjhima Nikāya 62.

    Wenn sie aber eindringen, ist es leidhaft.

    :rainbow:

  • Zahnschmerzen sind leidvoll. Auch wenn ich nicht daran anhafte.

    Warum man Leiden überwinden können soll, wenn man an Empfindungen nicht anhaftet, hab ich nie verstanden.

    Dann scheinst Du dann zu den wenigen Menschen zu gehören, bei denen das Leid aus der Schmerzempfindung keinen Unterschied macht, je nachdem, ob Du den Schmerz annehmen kannst, oder Dir ständig wünscht, es könnte jetzt doch endlich aufhören? ;)


    Es ist ein eklatanter Widerspruch zu Buddhas Lehre, dass alles Vergängliche leidhaft ist. Er hat da nicht unterschieden, ob man anhaftet oder nicht.

    Wie verstehst Du dann die zweite und dritte Edle Wahrheit? Ich habe verstanden, da steht etwas von Überwindung von Gier und Hass. Von "nicht wahrnehmen", "nicht eindringen lassen" steht da IMHO nichts.

    Wenn man richtig meditiert, werden angenehme und unangenehme Kontakte gar nicht erst in den Geist eindringen, heißt es in Majjhima Nikāya 62.

    Wenn sie aber eindringen, ist es leidhaft.

    Das kommt ganz darauf an, was Du mit Eindringen meinst. Nach allem was ich weiß und praktiziere, scheint beobachten von Empfindungen ja nicht per se leidhaft zu sein. Ich kann es aber natürlich anerkennen, falls Du andere Erfahrungen gesammelt hast.


    Wenn sie aber eindringen, ist es leidhaft.

    Liest Du das aus dem Text, oder ist das Deine Erfahrung? Wenn Du die Sonne siehst, und das Dir ein angenehmes Gefühl gibt, verursacht Dir das dann Leiden, weil Du weißt, dass sie wieder untergeht und es dann dunkel ist? (völlig ernst gemeinte Frage, interessiert mich).



    Liebe Grüße,

    Aravind.

  • Weil unser Ego nicht damit zurechtkommt, das Dinge veränderlich sind, stehts den Status Quo aufrecht erhalten will

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