Selbsthilfe-/Psychologie-/Perönlichkeitsentwicklungs-Bücher und Zen - kontraproduktiv?

  • Ansonsten hast du sicher recht - theoretisches und konzeptuelles Wissen schafft Assoziationen und im Nachgang oft tieferes Verständnis bzw. kann dieses zumindest fördern. Dementsprechend ist dagegen nichts einzuwenden und vermutlich benötigt man es auch. Evtl. ist dann eher die Falle, dass man irgendwie Stolz bzgl. diesem Wissen entwickelt und dann in seiner Komfortzone bleibt (z.B. nur noch Leute belehrt) statt im Selbststudium und/oder mit Hilfe (die weiter als man selbst ist) weiterzugehen.

    Einmal editiert, zuletzt von Zrebna ()

  • Auch, wenn beides nicht grundsätzlich voneinander zu trennen ist, so ist doch das Erkennen Bedingung für das Begreifen, nicht umgekehrt. So ist die Warnung vor zu großem Engagement in begrifflichem Denken zu verstehen - wenn die unmittelbare Anschauung vernachlässigt wird (erst recht, wenn sie ganz fehlt), begreifen wir nur Begriffe. Die klassische Metapher dafür ist der Mond und der Finger, der auf ihn zeigt - man sollte das nicht verwechseln.


    Die Zen-Polemik gegen das 'Schriftenstudium' hat in aller Regel etwas Augenzwinkerndes. Wenn man sich (etwa in den Berichten von der 'Weitergabe der Leuchte') die kurzen Biographien - oder meinetwegen Hagiographien - der großen Dharmavorfahren anschaut, so wird dort häufig auf deren zu Beginn ihrer 'Laufbahn' erworbene gründliche und tiefe Kenntnis der Schiften verwiesen. Linji / Rinzai ist ein typisches Beispiel dafür. Es wird dabei allerdings auch sehr deutlich, dass dieses Schriftstudium alleine keine hinreichende Bedingung für Einsicht / Erkennen ist. Es kann allenfalls die Praxis des Weges inspirieren - wenn der oder die Studierende gewillt und entschlossen ist, über die Begriffe und das begriffliche Denken hinaus zu gehen.


    Die Gefahr beim 'Schriftenstudium' ist, sich im Begreifen zu verlieren. Und eben dies war während der Entstehung des Chan ein generelles Problem der etablierten Schulen Chinas. Da wurde das 'dreifache Studium' von Prajńā, Śīla und Samādhi häufig auf Studium der Śastras bzw. des Abhidharma (Prajńā), des Vinaya (Śīla) und der Sūtras (Samādhi) reduziert, also des Tripitaka. Dem setzte Huineng explizit eine andere Auffassung von 'dreifachem Studium' entgegen: die unmittelbare Manifestation des Geistgrundes (das āśraya der Cittamātrin) ohne Irrtum (Śīla), ohne Torheit (Prajńā) und ohne Verwirrung (Samādhi). Was implizit einen Verzicht auf das Begreifen bedeutet. Ironie der Geschichte - Huineng selbst erfuhr sein initiales Erwachen anläßlich eines Zitates aus dem Diamantsutra. Aber das hat er wohl nicht begriffen - nur verstanden.

    Zitat

    Du solltest wissen, dass du durch Erwecken der Übung inmitten des Wahnes Verwirklichung erlangst, noch bevor du sie erkennst. Da weisst du als Erstes, dass das Floß des Diskurses wie der Traum von gestern ist und schließlich schneidest du dein altes Verständnis, das in den Schlingen und Schlangen von Wörtern gefangen ist, ab. Nicht Buddha lässt dies geschehen, sondern es wird durch deine allumfassende Anstrengung vollendet.


    Darüber hinaus – das, was die Übung hervorruft, ist Erwachen; dein Schatzhaus kommt nicht von außen. Übung ist die Funktion des Erwachens, wie könnte das Handeln des Geistgrundes irre gehen?


    Dōgen, Gakudō yōjinshū ('Hinweise zum Studium des Weges')

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  • Die Zen-Polemik gegen das 'Schriftenstudium' hat in aller Regel etwas Augenzwinkerndes. Wenn man sich (etwa in den Berichten von der 'Weitergabe der Leuchte') die kurzen Biographien - oder meinetwegen Hagiographien - der großen Dharmavorfahren anschaut, so wird dort häufig auf deren zu Beginn ihrer 'Laufbahn' erworbene gründliche und tiefe Kenntnis der Schiften verwiesen. Linji / Rinzai ist ein typisches Beispiel dafür.

    Erstmal danke für den interessanten Post in seiner Gesamtheit oben.


    Kurz zu dem kleinen zitierten Auszug:
    Es gibt auf reddit einen subreddit '/Zen' rund um den illustren "Helden" innerhalb diesem sub, den User 'ewk' , der nicht nur das 'Schriftenstudium' ablehnt, sondern auch die meditative Praxis des Zen und das Paradox "Zen ist für nichts gut und durch Zen erreicht man nichts" ad absurdum führt - musste bei der oben zitierten kleinen Passage irgendwie daran denken.


    Kurz ein weiteres offtopic zu 'den Berichten von der 'Weitergabe der Leuchte', die du genannt hast - meinst du hiermit dieses Buch?

    Zen: die Lehre der großen Meister nach der klassischen "Aufzeichnung von der Weitergabe der Leuchte"
    Zen: die Lehre der großen Meister nach der klassischen "Aufzeichnung von der Weitergabe der Leuchte"
    www.amazon.de


    Falls du es bereits gelesen hast: Wie ist es sprachlich geschrieben? Relativ poetisch oder eher "modern" bzw. begrifflich "leicht" zu verstehen? Oder anders gefragt, würdest du das Buch Zen-Interessierten empfehlen?

  • Falls du es bereits gelesen hast: Wie ist es sprachlich geschrieben? Relativ poetisch oder eher "modern" bzw. begrifflich "leicht" zu verstehen? Oder anders gefragt, würdest du das Buch Zen-Interessierten empfehlen?

    Ich gehe mal davon aus, dass diese Ausgabe inhaltlich identisch ist mit der amerikanischen (Pantheon, New York & San Francisco, 1969). Letztere hat ein paar Seiten weniger, liegt aber wahrscheinlich nur am Druck. "Poetisch" würde ich den Stil nun nicht nennen. Der 1988 verstorbene Übersetzer und Kommentator war Professor für Philosophie an der University of Hawai'i, "leichte Lektüre" ist das nicht


    Er greift aus aus dem sehr viel umfangreicheren Original die Biographien von 19 Meistern heraus, geordnet in 7 Abschnitten, die jeweils an Hand von zwei oder drei Biographien verschiedene 'Ansätze' des Chan / Zen darstellen. Jedem Abschnitt ist ein ausführlicher Kommentar Changs vorangestellt, hinzu kommt ein Vorwort.


    Das Buch ist insbesondere zu empfehlen, wenn man etwas über den Tellerrand der eigenen Linie / Schule hinaus schauen möchte - speziell auch zu den historischen 'Häusern', die es neben Caodong und Linji ja auch noch gab. Vielleicht nicht gerade für Einsteiger geeignet - aber empfehlenswert allemal.

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  • Es gibt auf reddit einen subreddit '/Zen' rund um den illustren "Helden" innerhalb diesem sub

    Ich werd's mir nicht anschauen - mein spontaner Verdacht wäre 'byōdō mu funbetsu ken' - Fehlansicht hinsichtlich Gleichheit und Nichtunterscheidung; also eine einseitige Fehlinterpretation von Leere auschließlich unter dem Blickwinkel Gleichheit und Nichtunterscheidung bei Ignorieren konventioneller Unterschiede. Manchmal (! wenn echt und nicht einfach spitzfindig konstruiert) fällt das unter die Kategorie 'Gestank der Erleuchtung' - aber dann legt sich das auch wieder nach einer Weile ...

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  • Alles klar, danke für die Infos - ich habe es mir mal performa bestellt und werde mal reinlesen.

  • Es gibt auf reddit einen subreddit '/Zen' rund um den illustren "Helden" innerhalb diesem sub

    Ich werd's mir nicht anschauen - mein spontaner Verdacht wäre 'byōdō mu funbetsu ken' - Fehlansicht hinsichtlich Gleichheit und Nichtunterscheidung; also eine einseitige Fehlinterpretation von Leere auschließlich unter dem Blickwinkel Gleichheit und Nichtunterscheidung bei Ignorieren konventioneller Unterschiede. Manchmal (! wenn echt und nicht einfach spitzfindig konstruiert) fällt das unter die Kategorie 'Gestank der Erleuchtung' - aber dann legt sich das auch wieder nach einer Weile ...

    Erspare es dir auf jeden Fall xD

    Ansonsten auch hier Danke für die Einschätzung :)

  • "Aufzeichnung von der Weitergabe der Leuchte"

    Die Leuchte wird weitergegeben und dann müssen die Lichter umgestellt werden.

    Der Empfänger der Leuchte hat keine eigene Leuchte entwickelt, die er weitergeben kann, er muss das Licht der empfangenen Leuchte mit seinem Licht tauschen.

    Findet ein Umstellen der Lichter statt, ist das Licht in der empfangenen Leuchte, gleich dem in dem, der sie empfangen hat. Die Leuchte kann weitergegeben werden. Die Leuchte ist immer dieselbe und das Licht in der Leuchte auch.

    Doch der Empfänger muss zur Weitergabe des Lichtes an die empfangene Leute ausführen können, sonst geht die empfangene Leuchte verloren und die Suche nach dem, der die Leuchte geben kann, geht weiter.

    Auch wenn man weiß, dass der Meister das kann, fehlt noch die Fähigkeit der Weitergabe seines eigenen Lichtes an die vom Meister gegebenen Leuchte. Es bleibt nur das Betteln nach Anerkennung, doch keine Weitergabe des Dhamma findet statt.

    Das Licht in mir, das Licht in meiner Leuchte, in der Leuchte des Meisters, das im Meister sind eins, aber alle sind anders.


    Ein silberner schneebedeckter Eisspiegelsee im silbernen Mondlicht, ein silberner Kranich nur durch sein Bewegen erkennbar.

    Das Silberne von Schnee, Eis, Mond, Kranich ist gleich, doch unterscheiden sie sich in ihrem Einssein.

  • Es ist kein Zufall, dass bei der Stufe, über die wir sprechen, die Metapher des 'Stroms' (sota) bzw. 'Stromeintritts' (sotāpanna) als Begriff benutzt wird. Nach diesem 'Eintritt' trägt der 'Strom' weiter, nicht persönliche Absicht. Der Prozess des Erwachens hat eine unaufhaltsame Dynamik erreicht; die Bedingungen für die Lösung der weiteren saṁyojana sind unumkehrbar gesetzt.


    Nach dem Theravada ist der Strom der Achtpfad der Edlen. Der Pfad wird zum edlen Pfad durch das Erlangen der ersten Stufe der Heiligkeit. Davor ist es der Wurzel- und der vorbereitende Pfad (u.a. mula und pubb(h)a magga).


    Sarah Allan schreibt in The Great One, Water and the Laozi über die, ihrer Meinung nach, ursprüngliche Metapher von dao 道:


    Zitat

    The most important concept in Chinese philosophical discourse is dao, the “Way.” In my argument, the focal meaning of dao is not a roadway, as many scholars have supposed (though roads are a type of dao), but a waterway, and this is the root metaphor of the philosophical concept. Philosophically, dao is a natural course or way, grounded in the imagery of the stream of a river or of the water bubbling up unceasingly from a natural spring. One of the characteristics of water is that it flows in channels and always moves downward. From this idea of the dao, modeled on the image of a stream with a spring as its source, its channel acting as a conduit that guides people in their actions, the concept was extended to encompass a condition in which everything in the world follows its natural course. (S. 282)


    Hier findet sich auch wieder das Bild einer gewissen "Bestimmung". Auf einem Erdweg muss ich Kraft aufwenden, um vorwärts zu kommen. Kann mich auch verlaufen. In einem Wasserweg, falls er sich nicht gabelt, kann ich mich eigentlich nicht verschwimmen, und müsste Kraft aufwenden, um nicht mitgetrieben zu werden. Bin ich erstmal im Strom/Dao, dann fließe ich innerhalb der vorgegeben Bahn - rechte Ansicht und rechtes Tun ist wie von selbst gegeben - in Richtung nach unten, dem Nirvana.