Mitgefühl oder was?

  • Heute morgen bin ich wie üblich mit der Straßenbahn zur Arbeit gefahren. Die Fahrt dauert ca. 25 Minuten und ich nutze seit ein paar Tagen die Zeit um ein wenig zu meditieren. Um nicht Angst zu haben meine Haltestelle zu verpassen klingelt ein Timer auf dem Handy nach 15 Minuten. Die Meditation war gut, ich habe ein paar Minuten angehangen und es bedauert die Augen wieder öffnen zu müssen. Ich packte mein Handy weg, starte vorher noch über Kopfhörer einen Talk von Gil Fronsdal um die restliche Wegzeit zum Büro sinnvoll zu nutzen. Mein Blick fällt auf eine junge Frau neben mir. Sie ist knapp 20 und trug der Witterung gemäß kurze Hosen und ein ärmelloses Top. Mir fällt aus dem Blickwinkel etwas an ihrem Unterarm auf und ich schaue noch mal hin. Ich sehe Narben. Viele feine, helle Striche von ca. 2cm Länge. Eng an eng. Was ist das? Und dann sehe ich mehr davon. Zahllos, von beiden Handgelenken bis über die Schultern. Von beiden Fußgelenken bis zum Ansatz ihrer kurzen Hose. Ich schaue betroffen weg. Sie hat sich geschnitten. Über lange Zeit hinweg. Immer wieder. Inzwischen sind alle Narben verheilt, sehen aus, als ob sie mindestens Monate, wenn nicht Jahre alt sind. Was muss diese Frau mitgemacht haben um sich so etwas an zu tun? Was muss in ihr vorgegangen sein. Ein “Om mani peme hung” murmel ich unhörbar. Es ist das Mantra, was mir auch nach Jahren Hinwendung weg vom Vajrayana zum Theravada immer noch in den Sinn kommt, wenn ich für ein Wesen Mitgefühl empfinde. Ich muss noch einmal hinschauen. In ihr Gesicht blicken. Erkennen wie es ihr geht. Sie bemerkt meinen Blick. Wir schauen uns kurz in die Augen, dann schaue ich betreten weg. Ich fühle mich ertappt. Habe ich gestarrt? Hat sie mich als starrend empfunden? Ich meine Unwohlsein bei ihr zu spüren. Es ist mutig von ihr mit all den Narben gut sichtbar in die Öffentlichkeit zu gehen. Ein gutes Zeichen. Aber sie muss Blicke gewohnt sein. Ich wünsche ihr, dass sie damit souverän umgeht, ich kann es mir aber kaum vorstellen. Habe ich ihr durch meinen Blick Unbehagen bereitet? Ich fühle mich schlecht. Im Spiegelbild des Fensters gegenüber sehe ich, wie sie ein Packung Tabak auspackt und sich mit hektischen Bewegungen eine Zigarette dreht. Ja, sie soll ruhig rauchen denke ich mir. Alles was ihr hilft, was sie beruhigt, ist gut. Aber die Art und Weise wie sie es macht versetzt mir einen Stich. Diese Eile, diese Unruhe dabei. Nein, ich glaube sie hat ihre inneren Kämpfe noch nicht beendet. Äußerlich vielleicht, aber nicht tief in ihrem Inneren. Mir wird immer unwohler. Wenn ich ihr doch irgendwie helfen könnte.Ich wünsche ihr alles nur Gute. Möge sie ihren Frieden finden. Möge sie sich von ihren Dämonen befreien. Gute Wünsche schaden nicht, aber wirklich sichtbar helfen tun sie auch nicht. Und ich möchte so gerne helfen. Aber mir sind die Hände gebunden. Ein fremder Mann, doppelt so alt wie sie. Der sie dumm von der Seite angeblickt hat. Die vielleicht zwei Minuten seit meinem ersten Blick zu ihr sind vergangen. Die Bahn fährt in den Bahnhof ein. Sie nimmt ihre Tasche und steigt genau wie ich aus. Ist schnell die Rolltreppe hoch verschwunden. Geht zügig. Zielstrebig. Ich wünsche ihr alles Gute. Wünsche ihr inneren Frieden. Hoffe, dass Sie Menschen in ihrem Umfeld hat, die sie stützen, mit denen Sie reden kann, denen sie Vertrauen entgegen bringt.


    Mich lässt die Sache nicht los. Ich denke darüber nach, ob ich nicht zu viel interpretieren, zu viel urteile. Diese Hilflosigkeit die ich empfinde, sie tut mir weh. Und jetzt fallen mir meine Töchter ein. Alle in oder kurz nach der Pubertät. Was machen sie mit? Welche Kämpfe fechten sie aus? Helfe ich ihnen? Oder sehe ich jeden Tag zu Hause die Frau aus der Bahn, nur ein paar Jahre früher? Kann ich überhaupt einem anderen Menschen helfen? Immer, wenn er fragt. Oder wenn er Zeichen aussendet, dass er Hilfe braucht und ich den Eindruck habe helfen zu können. Aber wenn er nicht fragt? Kann ich helfen? Darf ich helfen? Mich einmischen in etwas, was mich eigentlich nichts angeht?
    Der Frau habe ich durch meine, objektiv gesehen nicht tatsächlich aufdringlichen Blicke, Unwohlsein bereitet. Meine ich, interpretiere ich. Ich komme dem Kern näher. Meine ich. Meinem Kern. Was genau bereitet mir mein aktuelles Unwohlsein? Das Mitgefühl für ein anderes Wesen oder vielmehr meine Hilflosigkeit? Ist es mein Ego, dass sich meldet? Das gestreichelt werden will? Ich, der gute, gelassene Buddhist - hilflos? Das darf nicht sein. Und warum denke ich jetzt über mich nach? Forsche in meinem Inneren, wo es doch um die Frau geht? Ist es ok, über mich nach zu sinnen? Oder nur wieder ein Ausdruck von Egozentriertheit? Zu starke Worte? Bin ich schon so sehr durch eine selbstgemachte buddhistische Gehirnwäsche gegangen, dass ich das Ich und Regungen desselben per se als schlecht empfinde?


    Vielleicht auf irgend eine Weise eine hilfreiche Begegnung. Für mich. Gab sie doch Gelegenheit mich selber, das Entstehen und die Entwicklung einer Emotion in mir, zu beobachten.


    Der Frau wünsche ich alles Gute. Überhaupt allen Menschen. Und allen Wesen. Und selbst wenn ich mich ein wenig dazu zwingen muss - auch mir selber wünsche ich alles Gute.


    Bambus

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Guten Morgen, lieber Bambus, und vielen Dank für Dein Vertrauen.


    Zitat

    Der Frau habe ich durch meine, objektiv gesehen nicht tatsächlich aufdringlichen Blicke, Unwohlsein bereitet. Meine ich, interpretiere ich. Ich komme dem Kern näher. Meine ich. Meinem Kern. Was genau bereitet mir mein aktuelles Unwohlsein? Das Mitgefühl für ein anderes Wesen oder vielmehr meine Hilflosigkeit? Ist es mein Ego, dass sich meldet? Das gestreichelt werden will? Ich, der gute, gelassene Buddhist - hilflos? Das darf nicht sein. Und warum denke ich jetzt über mich nach? Forsche in meinem Inneren, wo es doch um die Frau geht? Ist es ok, über mich nach zu sinnen? Oder nur wieder ein Ausdruck von Egozentriertheit? Zu starke Worte? Bin ich schon so sehr durch eine selbstgemachte buddhistische Gehirnwäsche gegangen, dass ich das Ich und Regungen desselben per se als schlecht empfinde?


    Ich "meine", dass Deine Reflexion gut ist. Dass Du sie mit uns teilst, halte ich - zumindest für mich - für sehr hilfreich. Ich glaube nicht, dass Du Opfer einer selbstgemachten buddhistischen Gehirnwäsche geworden bist. Du erkennst Dich ja, Du kommst Dir ja auf die Schliche. Und das bringt Dich doch in die Mitte. Ich "meine", die Begegnung mit dieser Frau und ihrem augenscheinlichen Schaffsal hat Dir die Tür geöffnet, falls Du auf dem Wege warst, derartige mitfühlende Regungen total abzutöten. Mögen Du und Deine Familie davon profitieren.


    Möge diese junge Frau frei und glücklich sein. Mögen alle Wesen frei und glücklich sein.
    _()_ Monika

    Ohne mich ist das Leben ganz einfach

    Ayya Khema

    Oder anders ausgedrückt: Die Beherrschung der Gedanken ist der Weg zum Glück (SH Dalai Lama)

  • Willkommen, endlich mal wieder, Bambus. Ich dachte schon, Dich gibt's (hier) gar nicht mehr. :)


    Zu der Frau: aus dem virtuellen Dialog mit ein paar wenigen Borderline-Persönlichkeiten, die sich "ritzen" um ihren inneren Schmerz zu kompensieren, weiß ich, dass ein erster Schritt mit dieser Sache umzugehen für sie ist, sich zu zeigen, es nicht mehr zu verstecken, damit offen umzugehen, um die Mechanismen zu durchbrechen. So habe ich gehört.


    Insofern kannst Du davon ausgehen, wenn sie ihre Narben öffentlich sichtbar trägt, ist ihr klar, dass jemand das anschauen wird. Da brauchst Du kein schlechtes Gewissen zu haben, dass Du hingeschaut hast. Das hat sie billigend in Kauf genommen. Unangenehm war wahrscheinlich für sie eher der innere Prozess dabei, der mit ihr zu tun hat, nicht mit Dir. Dieser Prozess ist aber wichtig für sie. Deine mitfühlenden Gedanken haben ganz sicherlich irgendwas gutes wie auch immer, wo auch immer bewirkt!


    Konkrete Hilfe kann man nur geben, wenn sie erwünscht ist. Gute Wünsche sind eine große Hilfestellung, die bei uns allgemein völlig unterschätzt wird.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Manchmal sind Mitgefühl und Wunschgebete die einzig möglichen Reaktionen - ansonsten steht man psychisch kranken Menschen ziemlich hilflos und ohnmächtig gegenüber. Eine Freundin von mir leidet unter Depressionen, sie hat kein einziges mal gelächelt als wir sie letztes Wochenende trafen.

  • Was die Narben anbelangt...


    Aus eigener Erfahrung weiß ich, dass diese zum einen Hilferuf, zum anderen aber auch durchaus eine Art, naja, Rebellion sein können.
    Sicher hat man viel mit sich selbst zu kämpfen, andererseits kann es aber auch eine Art Protest sein. Man möchte schockieren.
    Und präsentiert sich in der Öffentlichkeit... in aller Pracht.
    Selbst das Ritzen kann zu einem Ritual werden, eine Verbundenheit bekunden.


    Narben können Erinnerungen sein, Notizen an eine andere Zeit vielleicht, zu der du nicht in der Lage warst deinen Dämonen Paroli zu bieten.
    Sie schützen dich vor schlimmeren Dummheiten.


    Bambus
    Et mag ne doofe Frage sein, aber was würde es für deine Überlegungen bedeuten, wenn du der Frau auf den Leim gegangen bist? Wenn sie, durch ihre Art der Selbstdarstellung nun genau das erreicht hat, was sie will? Angesehen, beobachtet, beachtet zu werden?

  • Lollo84de:


    Bambus
    Et mag ne doofe Frage sein, aber was würde es für deine Überlegungen bedeuten, wenn du der Frau auf den Leim gegangen bist? Wenn sie, durch ihre Art der Selbstdarstellung nun genau das erreicht hat, was sie will? Angesehen, beobachtet, beachtet zu werden?


    Doof ist die Frage in keiner Weise.


    Verschiedene Dinge:
    Einmal wäre ich erleichtert, weil nichts wirklich Ernstes dahinter steckt. Das freut mich.
    Dann hätte ich um so mehr, oder besser gesagt auf andere Weise, Mitgefühl mit der Frau. Diese Selbstdarstellung hat sie gewählt. Und wenn man so etwas nötig hat, oder für nötig hält, dann ist das Ego doch recht stark und ich wünsche der Frau alles Gute darüber hinweg zu kommen :D
    Aber ganz sicher bin ich nicht enttäuscht oder bringe ihr gar Widerwille/Zorn/Unmut/... entgegen. Ihre Entscheidung. Lieber habe ich mich zum Deppen gemacht und mir umsonst Sorgen gemacht, als dass wirklich etwas ist...


    Losang Lamo:

    Willkommen, endlich mal wieder, Bambus. Ich dachte schon, Dich gibt's (hier) gar nicht mehr.


    Hier gibt es mich wohl auch nur temporär. ;)
    Das Forum war eine ganze Zeit wichtig für mich. Ich habe viel gelernt und nette Leute kennen gelernt. Irgendwann war die Zeit halt vorbei und mich hat es weiter getrieben. Zurück komme ich, weil ich eine Stelle gesucht habe, an der ich meine Erfahrung von heute Morgen teilen konnte. Möglichst frisch, und zu Augen von Menschen, die das ganze nicht direkt als spinnert abtun.
    Die Frage nach dem Ich und nach der eigen Nichtwertschätzung oder Überwertschätzung stelle ich mir schon eine ganze Weile. Das rumort und ich brauche wohl ein wenig frischen Input um aus festgefahrenen Gedankenspiralen heraus zu finden. Die Begegnung war nur ein Auslöser, keine Ursache, mich wieder im Forum zu äußern.
    Ein wenig Querlesen hat mir gezeigt, das immer die gleichen Fragestellungen und Antworten auftauchen. War natürlich nicht wirklich anders zu erwarten, aber es ist Grundlage für meine nur begrenzte Aktivität hier.
    Zu mir: Weltlich ist viel passiert in den letzten zwei Jahren. Durchaus positiv, auch wenn es im Moment sehr anstrengend und zeitfressend ist. Spirituell bewegt sich wenig. Ich habe die Balance gefunden zwischen Ausfüllen von übernommener weltlichen Verantwortung und nicht vollständiger Aufgabe vom Wunsch nach intensiverer, formalen Praxis. Mein Vorsatz in ein paar Jahren in die Hauslosigkeit zu gehen existiert weiter.

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Wenn mir sowas passiert, dann habe ich mir das interpretieren abgewöhnt. Nach den ersten Betroffenheit und ansehen und bemerken des Ansehens, Lächel ich und bekomme sehr oft ein Lächeln zurück.
    Es geschieht sogar das da aus dem Angesehenen Worte kommen und ein Gespräch entsteht, kurz, einfach so, mein Bekennen des Mitgefühls und das Bekennen des Mitgefühls des Angesehenen.
    Ich bin da und immer so wie es jetzt möglich ist. Ich fühle mich nicht mehr Beklommen oder gehemmt. Da ist ein Mensch, nicht nur Narben.
    _()_

  • Hallo Bambus,


    Zitat

    . Was genau bereitet mir mein aktuelles Unwohlsein? Das Mitgefühl für ein anderes Wesen oder vielmehr meine Hilflosigkeit? Ist es mein Ego, dass sich meldet? Das gestreichelt werden will? Ich, der gute, gelassene Buddhist - hilflos? Das darf nicht sein. Und warum denke ich jetzt über mich nach? Forsche in meinem Inneren, wo es doch um die Frau geht? Ist es ok, über mich nach zu sinnen? Oder nur wieder ein Ausdruck von Egozentriertheit? Zu starke Worte?


    Es scheint mir keinesfalls, dass sich Dein Ego gemeldet hat.
    Deine Achtsamkeit hat Dich eine Leidsituation erkennen lassen.
    Du hast spontan Mitgefühl empfunden. Dieses Mitgefühl hat Dich selbst ein wenig mehr beleuchten lassen, und das ist gut. Wenn wir uns stets von alles Seiten betrachten ohne unseren Blick nur auf unseren Nabel zu richten, sondern uns auch abgleichen mit anderen Lebenswelten, können wir wachsen und entwickeln auch stets mehr Achtsamkeit, schärfen unsere Wahrnehmnung. Das ist eine gelebte und nicht anerzogene Achtsamkeit.


    Andere Leute haben die Situation vielleicht nicht einmal erkannt, aus Sensationslust ihre Blicke haften lassen oder sich angeeckelt abgewendet.


    Wer weiss, wie Deine unschuldigen Blicke nicht vielleicht doch etwas in dieser Frau ausgelöst haben, etwas, was auch durchaus positiv für sie sein könnte.

    Der Horizont existiert nur im Auge des Betrachters, nicht in der Wirklichkeit

  • Tara4U:

    Wer weiss, wie Deine unschuldigen Blicke nicht vielleicht doch etwas in dieser Frau ausgelöst haben, etwas, was auch durchaus positiv für sie sein könnte.


    Interessanter Gesichtspunkt: Mitfühlende Blicke, verbunden mit einem Mantra und dem Wunsch, es möge ihr besser gehen. :)
    Das löst bestimmt etwas aus :)

  • Bei Borderline löst nix was aus, höchstens eine Therapie- und die muß die Betroffene erst mal wollen. Ich finde Dein Mitgefühl ehrenwert, Bambus. Aber jeder ist zunächst für sich selbst verantwortlich. Und bei Suchtkranken z.B. muß man auch oft andere Wege gehen, um zu helfen: Sie bis zum Crash loslassen.
    _()_c.d.

    Tag für Tag ein guter Tag

  • crazy-dragon:

    Aber jeder ist zunächst für sich selbst verantwortlich.


    Das höre ich immer wieder. Trotzdem schließt das ja Mitgefühl und Wunschgebete für die Betroffenen nicht aus. Es schadet jedenfalls nicht.
    Wer weiß schon sicher ob sie nicht doch etwas bewirken.

  • Sherab Yönten:


    Trotzdem schließt das ja Mitgefühl und Wunschgebete für die Betroffenen nicht aus.


    Mitgefühl habe ich sehr wohl, von Wunschgebeten- an wen? halte ich nicht allzuviel. Kannst Du aber gerne machen.
    _()_c.d.

    Tag für Tag ein guter Tag

  • crazy-dragon:
    Sherab Yönten:


    Trotzdem schließt das ja Mitgefühl und Wunschgebete für die Betroffenen nicht aus.


    Mitgefühl habe ich sehr wohl, von Wunschgebeten- an wen? halte ich nicht allzuviel. Kannst Du aber gerne machen. _()_c.d.


    Das sog. Ich und die sog. Welt lassen eben viel zu Wünschen übrig.

  • Bambus:

    Zitat

    Ich habe die Balance gefunden zwischen Ausfüllen von übernommener weltlichen Verantwortung und nicht vollständiger Aufgabe vom Wunsch nach intensiverer, formalen Praxis. Mein Vorsatz in ein paar Jahren in die Hauslosigkeit zu gehen existiert weiter.


    Cooler Satz.


    Das mit dem sich zuviel Sorgen kenn ich.Aber Achtsamkeit genügt.Sorge ist mit Befürchtung und Vorstellung verbunden.Wenn sie, glaube ich, auch ein (unnützer)Spross von Verantwortungsgefühl und Metta ist.




    Viele Grüße
    Hotei

    • Offizieller Beitrag
    Bambus:

    Was genau bereitet mir mein aktuelles Unwohlsein? Das Mitgefühl für ein anderes Wesen oder vielmehr meine Hilflosigkeit? Ist es mein Ego, dass sich meldet?


    Dabei fällt mir meine Bekannte ein. Sie sagte mir mal, dass sie -immer wenn sie entstellte Behinderte sehe- so stark vom Mitgefühl für diese armen Kreaturen gepackt werde. Es wäre schön sagte sie, wenn solche Leute nicht aus dem Haus gehen würden, sondern zuahuse bleiben würden. Das "Gefühl der Hilflosigkeit angesichts des Leids" des anderen war wohl so gross, dass man seine Auslöser lieber weggepackt haben will.


    Sie fühlte wohl einerseits einerseits aufrichtig hilflos, aber andererseits ist das was sie für Mitgefühl ansah auch eher so eine Ungeduld angesichts des Leides. (Das Leid soll weg sein, weil ich es nicht aushalte)


    Von daher fände ich es ganz gut, wenn sie mit sich und ihren inneren Dämonen auseinandersetzt hätte, anstelle Behinderten das Gefühl zu geben, sie dürften nicht so sein, wie sie sind.


    Nach Schätzungen sind von Selbstverletzendes Verhalten in Deutschland 600.000 bis 1,2 Millionen Menschen betroffen.


    Sich zu "ritzen" ist ja eine Sache, die inem Erleichterung bringt. Man fühlt sich innerlich angespannt und konfus und indem man dem inneren Schmerz eine äußere Form gibt, fühlt man sich erleichtert. Und weil Raiserklingen sehr scharf sind, tut es nicht so weh, wie es aussieht. Ich möchte das jetzt nicht verharmlosen. Natürlich ist es eine Sucht. So wie andere sich in Situationen des inneren Leidens Horrorfilm oder Pornos anschauen, rauchen oder sich betrinken.


    Ein selbstdestruktives Verhalten das aber seine innere Logik hat. Während man eine äußere Wunde sehen und zeigen und behandeln kann, sind inenre, seelische Verletzungen oftmals diffus und ungreifbar. Es macht also einen Sinn, aus inneren Wunden äußere zu machen. Sie dann auch wer anstarren kann. Über die man reden kann, statt sie mit sich rumschleppen zu müssen.

  • @ Void @ Alle
    Ich habe da einen Mann, per Chat, kennengelernt. Wir haben Stundenlang am Telefon miteinander gesprochen. Dabei hörte ich auch das er Kinderlähmung hatte. Wir verabredeten uns zu einem Treffen. Ich fuhr zu einem Wochenende zu ihm. Ich stand auf dem Bahnsteig und erkannte ihn. Er stand da leicht auf seinen Stock gestüzt, Weiße Haare und weißer Vollbart. Ein unsicheres Lächeln auf dem Gesicht. "Was willst zu bei diesem Huzelmännchen?" erschien in meinem Denken. "Hal's Maul!" war meine unwirsche Antwort an mich. Wir fuhren zu seinem Zuhause. Er ging sehr "verzogen". Ich hatte den Drang ihm irgendwie zu helfen. "Lass das sein, der kennt sich länger und weiss wie er sich zu bewegen hat!". "Aber der hat doch bestimmt Schmerzen!" "Hal's Maul!". Als ich ihn dann ohne Kleidung sah war ich getroffen von dem was diese Krankheit anrichten kann. Wir berührten uns und der Rest ist, im Januar 2004 haben wir uns gesehen, im Februar haben wir uns die Ringe gekauft, im Mai haben wir das "Aufgebot" gestellt, im September haben wir geheiratet. Wir waren verliebt, vielleicht den Januar über, doch dann erkannte ich das wir und Lieben. Das fing bei mir an, die Liebe, beim ersten "Halt's Maul!" Schon da wusste ich das Mein Mann nicht behindert war! Er war genau so wie er ist perfekt. Ich finde seinen Körper sehr interessant aber nie hat Helmut die Chance gehabt auch nur mit einer seiner Boshaftigkeiten diesen "Behinderten" erniedrigen können. Nun mein Mann ist auch einer der sich nie erlaubt hat sich als "Behinderten" zu sehen. Für ihn war alles ganz normal, für ihn war er Er. Keiner der Gutmenschen hatte je die Chance gehabt ihn zu einem hilflosen Krüppel zu machen, er wusste das er anders war aber nicht so wie Die ihn gern gesehen hätten und er hat sich nie erniedrigt ihre Hilflosigkeit zu seinem Nutzen auszunutzen, er konnte das was er wollte selber erreichen oder eben nicht. Wir sind ein Paar das das Leben nimmt und sieht wie es ist. Wir zerreißen jeden Schleier des Glaubens. Wir sind viel zu frei um mit irgendeiner Gruppe eins sein zu können. Wir sagten uns nie wieder:"Ich liebe dich." als wir erkannten das diese Spruch unserer Liebe schadet. Ab dem Treffen auf dem Bahnsteig gab es für mich keine Behinderten mehr nur Menschen die so waren wie Menschen eben sein können. Den Gutmenschen in mir habe ich mit sehr viel Wut totgeschlagen.
    ()
    Absichtlich ohne Absatz!!!

  • Hallo ihr Lieben,
    vielen Dank für diesen Thread und auch für die vielen Antworten, in deren unterschiedliche beschriebene Gefühle ich mich meine komplett hineinversetzen zu können.


    Ich habe diese Posts gerade mit der Perspektive gelesen, dass es eine gewisse Spanne zwischen einerseits Weisheit (Leerheit) und dem damit verbundenen aufrichtigen Gefühl für die Menschen gibt und andererseits die Methodik bzw. Werkzeuge mit all den Erscheinungen der Wirklichkeit umzugehen.
    Ich denke, dass diese zwei "Pole" (auch wenn Pol eigentlich kein adäquates Wort ist) auch in den Posts gut sichtbar waren und ich habe mich gefreut, dass viele von euch mir einmal mehr gezeigt haben, dass Gefühle für die Menschen sehr wichtig sind. Ich bin ein sehr verkopfter, methodischer (wenig empathischer) Mensch, der sich in seinem Denken derzeit viel hinterfragt und sich vielleicht auch etwas ablehnt. Für mich bedeutet der buddhistische Pfad jedoch auch immer sowohl Gefühl und Methodik zu vereinen (schon allein darin unterscheidet sich für mich Mitleid und Mitgefühl).


    Dieser Thread verkörpert in den unterschiedlichen Meinungen beides (Weisheit und Methodik)

    Fuß spürt Fuß, wenn er Boden spürt.

  • Tendzin:

    Hallo ihr Lieben,
    vielen Dank für diesen Thread und auch für die vielen Antworten, in deren unterschiedliche beschriebene Gefühle ich mich meine komplett hineinversetzen zu können.


    Ich habe diese Posts gerade mit der Perspektive gelesen, dass es eine gewisse Spanne zwischen einerseits Weisheit (Leerheit) und dem damit verbundenen aufrichtigen Gefühl für die Menschen gibt und andererseits die Methodik bzw. Werkzeuge mit all den Erscheinungen der Wirklichkeit umzugehen.
    Ich denke, dass diese zwei "Pole" (auch wenn Pol eigentlich kein adäquates Wort ist) auch in den Posts gut sichtbar waren und ich habe mich gefreut, dass viele von euch mir einmal mehr gezeigt haben, dass Gefühle für die Menschen sehr wichtig sind. Ich bin ein sehr verkopfter, methodischer (wenig empathischer) Mensch, der sich in seinem Denken derzeit viel hinterfragt und sich vielleicht auch etwas ablehnt. Für mich bedeutet der buddhistische Pfad jedoch auch immer sowohl Gefühl und Methodik zu vereinen (schon allein darin unterscheidet sich für mich Mitleid und Mitgefühl).


    Dieser Thread verkörpert in den unterschiedlichen Meinungen beides (Weisheit und Methodik)


    Dieses "Verkopft-sein" habe ich auch einige Zeit als nicht "geerdet" empfunden. Irgendwann habe ich festgestellt das ich super geerdet war das "verkopft sein" hat mich von jeder Gefühlsduselei entfernt. Ja ich war sehr empathisch doch ging überhaupt nicht auf die Gefühlserregungen(Emotionen) meiner Mitmenschen ein. Erst als ich vor 12 Jahren entschieden habe alle "spirituellen Kreise" zu verlassen wurde mir klar das die genau das erreichen wollten was ich schon konnte, einfach so. Doch das scheinbar verkopfte hatte mich so in die Erde verwurzelt das ich fast nicht mehr in der Lage war mein Selbstmitleid zu erkennen. Das Selbstmitleid das ich ja so verkopft bin. Dann bin ich auf den extrem verkopften Buddha gestoßen und der zeigte mir den Weg zu Mitgefühl.


    Sein: "Die Erde bezeugt es!" stellte mich wieder auf die Erde. Was die Erde bezeugt ist jedes Gefühl wert. Wenn eine Person Gefühle bezeugt ist Vorsicht geboten, Mitleid entfernt schnell von Mitgefühl. "Verkopfung" ist ein gutes Mittel gegen Mitleid. Ich kann heute aus Mitgefühl Mitleiden ohne das ich Emotional werde ohne das der Andere merkt das ich nicht mit ihm leide sondern ihm durch seine Illusion des Mitleidens helfe sein Leiden zu erkennen und zu ändern.


    Ich bin weder geliebt noch gehasst, nur unberechenbar verletzend, heilend, Wahrheis-haftig.

  • Na wenn das kein Mitgefuehl, was dann? Toller Typ. hehe - Wenn man die ganzen nicht sichtbaren Narben der anderen Fahrgaeste sehe koennte wuerde man wohl heulend aus dem Bus rennen und die eigenen - grossen oder kleinen - vergraebt man auch zu gerne :D