Wie übt man Vergebung?

  • happygolucky:

    Das ist richtig, mukti. Wenn Du Dir jetzt vorstellst, dass dieser Lehrer Dein Vater gewesen wäre und er Dich jahrelang fast täglich erniedrigt und geschlagen hätte für die kleinsten "Vergehen", nützt Dir das Verständnis für seine Biografie nur wenig. Du kannst mit dem "Kopf" verzeihen, Dein "Herz" bleibt ganz tief verletzt und ist deswegen nicht in der Lage zu vergeben. Das klappt eben nicht so. Ich habe Jahre der Meditation gebraucht um zu akzeptieren dass das so ist. Wenn ich zornig werde weiss ich jetzt woher das kommt und akzeptiere das als mein "Erbe". :sick: Dann wird es meistens besser :)


    Voraussetzung ist erst mal die Bereitschaft zu vergeben. Dann die Zuversicht, dass es möglich ist. Schließlich kann eine solche Verletzung nur durch Vergebung geheilt werden und nicht durch Vergeltung. Man sehnt sich dann ja nach innerem Frieden, und stellt sich vor wie es wäre wenn man von ganzem Herzen vergeben könnte. Mit dieser Einstellung arbeitet man darauf hin.


    Das wird nicht gehen ohne eine gewisse Philosophie, eine Erkenntnis über die Welt und das Leben. Im Buddhismus läuft das hinaus auf die Loslösung oder Befreiung, bzw. Beseitigung der Geistesgifte Gier, Hass und Verblendung. Das ist nicht einfach und oft fällt man bei den Prüfungen die sich da praktisch ergeben durch. Und bestimmt sind manche Prüfungen so hart, dass es schier unmöglich scheint sie zu bestehen. Aber wenn sich die Überzeugung gefestigt hat dass es keinen höheren Wert gibt als den der Befreiung, ist die innere Wandlung nicht mehr aufzuhalten. Auch wenn sie noch so langsam und mit zahllosen Rückschlägen vonstatten geht, man wird sich immer wieder darauf besinnen, darin den Lebenssinn sehen und hier seinen Anker haben.

  • Vergebung ist ein unglaublich schwieriger Vorgang. Gerade dann, wenn die Verletzung sehr tief ist und wenn der Verursacher vielleicht ein Mensch ist, der dir nahe steht. "Vergeben wollen", die Bereitschaft, ist da sicherlich ein erster Schritt, der die Voraussetzung für Vergebung ist. Das aber dann auch zu fühlen, von Kopf zu Herz, ist die große Schwierigkeit.


    Vom Zen-Buddhismus nach Titch Nhat Hanh und im Studium der buddhistischen Psychologie habe ich gelernt, dass zunächst natürlich die Meditation, das Praktizieren wichtig ist. Ziel ist zu erkennen, dass das Festhalten an negativen Emotionen nur dir selbst schadet und nicht dem Menschen, der dich verletzt hat. Wie oben genannt, bietet sich da die Metta-Meditation an um dein inneres Gleichgewicht wiederzufinden und das Mitgefühl zu stärken.


    Zudem solltest du dir vor Augen halten, dass negative Gefühle vor allem dir selbst schaden. Bildlich gesprochen mit einem von Buddhas Gleichnissen: Wenn dich ein Pfeil trifft und du trägst eine Verletzung davon, dann ist das schlimm genug. Dann trifft dich aber ein zweiter Pfeil, der Pfeil der Angst vor erneuter Verletzung, der Rachegefühle und des Hasses. Diesen Pfeil hast du selbst abgeschossen und erst dieser Pfeil bedeutet wahres Leiden.


    Weiterhin ist für die eigene Geistesschulung wichtig, sich mit dem leidverursachenden Menschen und seine Situation, die zu der leidvollen Handlung geführt hat, auseinander zu setzen. Das ist nicht als Entschuldigung gegenüber der anderen Person zu sehen. Verständnis reduziert nur den eigenen Hass und entschuldigt nicht den Verlust der Selbstkontrolle oder das rücksichtslose Handeln des Anderen.


    Ist dieser Mensch noch in deinem Leben? Bereut er seine Tat oder macht er immer weiter in seinen Verletzungen? Wäge ab, ob du an diesem Mensch festhalten willst oder ob es nicht besser ist loszulassen. Manchmal muss man Personen zurück lassen um sich selbst zu schützen. Bleibe aber in einer positiven Haltung. Falls sich dieser Mensch zu einem späteren Zeitpunkt noch ändert, könntet ihr vielleicht wieder zusammen finden.


    Der letzte Tipp: Lass dir Zeit! Verletzungen brauchen Zeit um zu heilen. Verdränge nicht den Schmerz, nimm ihn an. Du kannst ihn nicht aus deinem Leben löschen - er ist jetzt ein Teil von dir! Aber du kannst ihn achtsam betrachten, wenn er in dir aufsteigt und liebevoll betrachten. Atme und kehre ins Hier und Jetzt zurück. Was wichtig ist, ist dass du dein Gleichgewicht wieder findest. Wenn du den Schmerz besser annehmen und ertragen kannst, dann kannst du auch leichter dem vergeben, der dir dieses Leid angetan hat.

  • Vergebung wird geübt indem die Vorstellungen untersucht werden auf ihre reale Existenz. Ist, war das wirklich so wie ich es sehe oder glaube? Wo ist der Hass die Ablehnung oder die Gier zu Verlangen? Haben sie eine Vorstellungsfreie Basis?


    Ich hab sehr viele Briefe geschrieben, hab mir dafür sogar eine Schreibmaschine gekauft. Jahre hab ich geschrieben jeden Tag. Die Briefe gelesen, neu geschrieben, gelesen, neu, bis dann schon mal ein Mehrseitigen Anfangsbrief mit einem Satz endete: Ich liebe Dich.


    Der an den der Brief gerichtet war hat nie etwas davon erfahren, denn der hat nie bemerkt das ich mich änderte. Liegt vielleicht auch daran das ich ihn in seinem von ihm so sicherem Ichbinebenso gelassen habe. Er wusste nicht das ich schon lange nicht mehr das war was er glaubte. War mir aber gleich. Ich liebte. so machte ich das mein Leben lang. Meditation, die erst nach dem nicht mehr schreiben kam, ist die Schreibmaschine geworden. Ohne Schweigen ohne Worte.


    Natürlich schreib ich schon Jahrzehnte nicht mehr das ging dann schnell im Kopf. Zeige ihm das was er sich wünscht und bleibe da wo Du bist: Im Lieben auch wenn Du noch so gierig, hassend Glaubenwollend bist. Mein Zuhause war das Lieben können ohne Bedingungen in allen Winden die aus allen Richtungen kommen und vor allem zeige nie dein Zuhause, die Anderen nicht Liebenden wollen genau da hin.


    Die Sehnsucht nach Zuhause im Hauslosen ist in jedem Menschen erkennbar ja sogar ihr Zuhause ist erkennbar durch all ihre Schichten von Sicher geglaubten Personen und Persönlichkeiten. Weil sie es nicht erkennen wollen gibt es so viel Gier, Hass, Verblendung und Handlungen gegen andere die auch nicht ihr Zuhause erkennen wollen. Das bedeutet nämlich scheinbar Verzicht, nicht haben können, Selbst-los zu sein, auch damit wird das Nicht-erkennen-wollen des einzigen Zieles: Lieben, einfach so alles berühren nichts festhalten nicht ergreifen wollen verblendet. Es ist alles da nimm es und lass es los.


    Wenn das von Wert ist sollte ein Zeichen kommen. Denn Helmut kommt ins Schwitzen und will nicht Absenden drücken. Er wird es löschen. Die Tür ist viel zu weit offen.

  • Man übt Vergebung durch loslassen. Vergebung ist daher eine Befreiung. Und wenn ich das als Befreiung sehe, dann kann ich den Punkt finden, an dem es mir möglich ist zu vergeben.

  • Tychiades:

    Man übt Vergebung durch loslassen. Vergebung ist daher eine Befreiung. Und wenn ich das als Befreiung sehe, dann kann ich den Punkt finden, an dem es mir möglich ist zu vergeben.


    Genau - insbesondere wenn man eigenen Fehler nicht verdrängt
    und die Umstände durch die andere so wurden berücksichtigt.
    Oder auch durch Verzicht auf Rache und eigene Wunschvorstellungen usw.

  • accinca:
    Tychiades:

    Man übt Vergebung durch loslassen. Vergebung ist daher eine Befreiung. Und wenn ich das als Befreiung sehe, dann kann ich den Punkt finden, an dem es mir möglich ist zu vergeben.


    Genau - insbesondere wenn man eigenen Fehler nicht verdrängt
    und die Umstände durch die andere so wurden berücksichtigt.
    Oder auch durch Verzicht auf Rache und eigene Wunschvorstellungen usw.


    Dann seid ihr beiden wohl noch nie mit einem Trauma konfrontiert gewesen. Es ist leider nicht immer so schön einfach und parallel zur eigenen Übung mit einem Psychologen zu reden ist je nach Situation auch kein Fehler. Am besten natürlich Eine(r) mit spirituellem Hintergrund.

  • Mir selbst zu vergeben, dass ich noch nicht vergeben kann war für mich sehr wichtig. Erst da hats geklickt und ich konnte mich langsam davon lösen. Vom früheren Wunsch bedrängt, vergeben zu wollen, bin ich oft und lange in ähnliche Situationen geraten wie in meiner Kindheit. Die Meditation hat sehr dabei geholfen, den unbewussten Teil hervorzukramen. Die Lehre des bedingten Entstehens war ein Augenöffner. Das ist alles richtig was ihr hier schreibt.

  • Das einzige, was verhindern kann zu vergeben, sind die umherkreisenden Gedanken. Sie sind mit der Verurteilung und den Vergleichen beschäftigt, sie spinnen herum "was wäre, wenn mir das nicht passiert wäre", "xy ist schuld, dass es mir so geht".. Es gibt aber nur dieses Jetzt. Vergebung bedeutet, den Fokus weg von der Vergangenheit auf die Gegenwärtigkeit zu lenken. Achtsam gegenüber den Gedanken zu sein. Wenn sie als Erscheinungen des Geistes erkannt werden, als nicht Ich, dann ist Vergebung möglich.


    Oder aber es wird solange versucht Gedanken vom negativen Pol (s.O.) in einen positiven Pol zu wandeln..Diese Perspektive ist jedoch immernoch die Egoperspektive, welche durch Bedingtheit und Dukkha geprägt ist.

    Den Schmetterling des Zen im Netz des Verstandes zu fangen; machen wir uns das klar, dass das nicht geht

  • happygolucky:

    Mir selbst zu vergeben, dass ich noch nicht vergeben kann war für mich sehr wichtig. Erst da hats geklickt und ich konnte mich langsam davon lösen. Vom früheren Wunsch bedrängt, vergeben zu wollen, bin ich oft und lange in ähnliche Situationen geraten wie in meiner Kindheit.


    Den Wunsch jemanden zu vergeben aufzugeben um ihm zu vergeben ist
    sinnlos. Wenn man jemand zu vergeben wünscht und man vergibt ihm,
    dann löst sich der Wunsch sowieso auf, denn man hat ihn ja schon vergeben.
    Gibt man aber nur den Wunsch auf ihn zu vergeben wird man ihn weiter hassen.

  • Holzklotz:
    accinca:


    Genau - insbesondere wenn man eigenen Fehler nicht verdrängt
    und die Umstände durch die andere so wurden berücksichtigt.
    Oder auch durch Verzicht auf Rache und eigene Wunschvorstellungen usw.


    Dann seid ihr beiden wohl noch nie mit einem Trauma konfrontiert gewesen. Es ist leider nicht immer so schön einfach und parallel zur eigenen Übung mit einem Psychologen zu reden ist je nach Situation auch kein Fehler. Am besten natürlich Eine(r) mit spirituellem Hintergrund.


    Ich kenne keinen Menschen, der nicht verletzt wurde und das ist immer traumatisch. Es kann Jahre dauern, vor allem wenn man nicht viel Übung und Erfahrung mit Vergebung hat. Es muss auch eine Heilungsperspektive da sein und Abstand.

  • Ist 'Vergebung' eine Einbahnstraße?
    Ich frage mich, ob Vergebung individuell und vor allem auch gesellschaftlich sinnvoll ist, wenn der, dem vergeben werden soll, nicht zu seiner Schuld steht. Vielleicht ist das individuell egal - wenn ich vergebe, fällt eventuell eine Last von mir ab, an der ich trage. Aber hilft es der Gesellschaft, wenn die Kinder derer, die an der Rampe aussortiert wurden, vergeben, auch wenn der SS-Mann bis heute glaubt, richtig gehandelt zu haben?

  • Axel:

    Ist 'Vergebung' eine Einbahnstraße?
    Ich frage mich, ob Vergebung individuell und vor allem auch gesellschaftlich sinnvoll ist, wenn der, dem vergeben werden soll, nicht zu seiner Schuld steht. Vielleicht ist das individuell egal - wenn ich vergebe, fällt eventuell eine Last von mir ab, an der ich trage. Aber hilft es der Gesellschaft, wenn die Kinder derer, die an der Rampe aussortiert wurden, vergeben, auch wenn der SS-Mann bis heute glaubt, richtig gehandelt zu haben?


    Es ist zunächst eine Entscheidung von dem der vergibt. Die Beziehung ist nur solange gestört, solange der andere nicht bereuen kann und um Vergebung bittet. Es gibt Taten, die können nicht vergeben werden, weil sie wirklich zuerst bereut werden müssen. Dazu zähle ich die Nazi-Verbrechen. Nun sind die Täter tot, aber die Nazis leben immer noch und der Kampf gegen Rechts ist auch eine Form von "Vergebung".

  • accinca:

    Den Wunsch jemanden zu vergeben aufzugeben um ihm zu vergeben ist
    sinnlos. Wenn man jemand zu vergeben wünscht und man vergibt ihm,
    dann löst sich der Wunsch sowieso auf, denn man hat ihn ja schon vergeben.
    Gibt man aber nur den Wunsch auf ihn zu vergeben wird man ihn weiter hassen.


    Da habe ich jetzt lange drüber nachgedacht. Richtig, wenn ich vergeben will und es sich nicht so anfühlt weil bei mir (im Egoding) Reste bleiben und der Vater das Gefühl hat, alles richtig gemacht zu haben und keine Reue erwähnt und ich den Vater in seinem Alter trotzdem nicht alleine lassen will, bleibt der Rest bei mir selbst. Es gibt da schon länger keinen Hass mehr, nur meine unguten Gefühle.

    Axel:

    Aber hilft es der Gesellschaft, wenn die Kinder derer, die an der Rampe aussortiert wurden, vergeben, auch wenn der SS-Mann bis heute glaubt, richtig gehandelt zu haben?


    Ja, ich glaube das hilft Generationen von zukünftigen Menschen wenn einem Einzelnen das gelingt.

  • Vergeben werden kann aus meiner Sicht wohl nur unheilsames Verhalten „Anderer“ und dies ist auch nur dann sinnvoll, bzw. angebracht, wenn der „Andere“ sein unheilsames Verhalten bereut, oder wenigstens bedauert, ansonsten bereitet unüberlegte Vergebung u.U. den Weg zu neuerlichen unheilsamen Handlungen.

    Vergebung kann m.E. nicht direkt geübt werden, allenfalls kann hierzu Mitgefühl, Mitfreude und Gleichmut praktiziert/meditiert werden.

  • Lucy:

    @holzklotz - die Lebenszeit prävalenz für eine traumafolgestörungen liegt bei min 10 % (natürlich nicht bei 100%).
    Ich stimme dir zu, dass es unter solchen Bedingungen sehr schwierig ist und keinesfalls darf es verlangt werden (von wem auch immer), dass verebben wird. Ganz am Ende ist der Prozess dennoch ähnlich, man kann loslassen, was zuvor unmöglich war. Es mag sein, dass man dafür mehrere Leben braucht.


    Ich glaube in spirituellen Kreisen ist die Quote höher, da sich hier ja ohnehin eher die "Sensibleren" zusammen finden. Mir gehts darum, dass manche Leute meinen, ihre Übung sei schlecht oder gar gescheitert, wenn sie sie nicht dazu befähigt zu vergeben - und das ist Quatsch, der nur noch eins oben drauf setzt. Die Übung wird einen dazu zwingen und auch dabei helfen damit umzugehen, anstatt es zu vergraben, aber es sollte nicht das Ziel sein, es los zu werden. Das liegt halt nicht in unserer Hand. Seinen Frieden kann man aber damit machen egal was davon bleibt.

  • happygolucky:
    Axel:

    Aber hilft es der Gesellschaft, wenn die Kinder derer, die an der Rampe aussortiert wurden, vergeben, auch wenn der SS-Mann bis heute glaubt, richtig gehandelt zu haben?


    Ja, ich glaube das hilft Generationen von zukünftigen Menschen wenn einem Einzelnen das gelingt.


    Ich weiß nicht, ob das stimmt. Forschungen aus der Psychologie und aus der Spieltheorie scheinen dem teilweise zu widersprechen, und ich finde es in so einem Fall immer gut, mal zu schauen, ob Ideologie (auch buddhistische) von unabhängigen Quellen bestätigt wird. Vergebung scheint dem 'Vergebenden' zu helfen (und der Buddhismus bietet mit der glühenden Kohle, mit der man nach jemandem wirft, ja ein sehr schönes Bild), ob aber (wie ja meine Frage war) die Gesellschaft davon profitiert, scheint mir etwas anderes zu sein.