Homosexualität und der Dalai Lama...

  • Ich habe jetzt nur die erste Seite des Threads gelesen, aber ich habe das Gefühl, dass diese frühere Antwort von mir auf die Frage zu dem Thema von Schülern einer Religionsklasse noch eine Lücke füllen könnte:


    "Für bestimmte Bereiche des buddhistischen Tantra, in dualen Tantras, gibt es Übungen in denen Sexualität mit einem Partner als Meditationsübung verwendet werden kann. Das setzt sehr viel voraus, so dass diese Einweihungen sehr selten im Westen gegeben werden. In Bezug auf diese Übungen ist es strittig bzw. dazu gibt es verschiedene Meinungen, ob dies mit einem gleichgeschlechtlichen Partner möglich ist. Da es darum geht, die eigenen gegengeschlechtlichen Anteile zu erkennen und mehr zu integrieren, hängt das wohl vom Einzelfall ab, ob das ein Hindernis sein kann oder nicht.


    Manche homosexuelle Paare sind klar aufgeteilt in männliche und weibliche Rollen, bei anderen wechselt es ständig oder beide geniessen eher die Energien der einen oder anderen Seite gemeinsam. Das kann für fortgeschrittene Yogis möglichweise sogar das Potential für Erkenntnis erhöhen, wird die meisten Menschen jedoch zunächst mehr verwirren als dass es nutzt."

  • Dalai:

    Da Hanzze darum gebeten hat, eröffne ich nun also einen separaten Thread.


    Wer weiß, wie der Dalai Lama zur Homosexualität steht, bzw. wie er sich dazu geäußert hat, möge hier schreiben.
    Besonders Japanfan bitte ich, sich dazu zu äußern (da er mit dem Thema angefangen hat. :P )


    Der Dalai Lama hat sich zu dem Thema sehr verschieden geäußert, es hängt immer vom Kontext ab und wie und wer fragt und ob der Fragende nachhakt.


    Wird er nach seiner Meinung gefragt als buddhistische Autorität gibt er in der Regel immer die Antwort, dass sexuelles Fehlverhalten einschließe, Geschlechtsverkehr durch andere "Tore" als die Vagina (d.h. Anus oder Mund). Der Dalai Lama sieht das bei Homosexualität gegeben obwohl diese Texte nicht explizit Zweigeschlechtlichkeit erwähnen. In solchen Fällen sagt er also, dass (theologisch gesehen) Homosexualität sexuelles Fehlverhalten sei. Die Unterteilung in "drei Tore" geht auf Vasubandhu (2. Jh zurück) und wurde auch so von Tsongkhapa (15. Jh) übernommen, dessen Schule der Dalai Lama letztlich vertritt und deren Standpunkt er in solchen Aussagen kund tut. Aber auch Gampopa und Patrul Rinpoche benutzen die Erklärungen Vasubandhus und sie unterscheiden sich nicht von denen Tsongkhapas.


    Einige Medien, wie das Stern Magazin, leiten daraus eine homophobe Grundeinstellung des Dalai Lama ab (andere Medien stellen das gerne ähnlich einseitg dar), um (so sehe ich das) möglichst die Aufmerksamkeit der Leser auf das "unerwartet Spektakuläre" zu ziehen. Letztlich ist das aber einfach nur absurd und zeigt, dass es ihnen nicht um die Erkundung der Sache, sondern Aufmerksamkeit geht. Gegenüber dem MTV Moderator Steve Blame sagte der Dalai Lama zb: "Er fände nichts Schlimmes an Homosexualität, sagte er. Es ginge doch um die Qualität der Liebe, nicht um ihre Orientierung. Außerdem sei es für ihn eine Grundregel, andere Menschen so zu akzeptieren, wie sie sind. Egal, um was es dabei geht." Einestages/Spiegel in »Treffen mit dem Dalai Lama "Er hat die ganze Zeit gekichert"«.


    Das ist irritierend wenn man Medien liest, die sich auf einen anderen Standpunkt konzentrieren, nämlich, dass (nach den oben genannten buddh. Meistern und dem Dalai Lama) Homosexualität sexuelles Fehlverhalten sei. Dazu muss man wissen: der Buddha hat nur Ehebruch als sexuelles Fehlverhalten erklärt, alles andere kam später. In der Tibetisch-Buddhistichen Tradition werden aber Vasubhandu und Tsongkhapa als Autoritäten gesehen.


    Der Dalai Lama hat sich 1997 mit Homosexuellen in San Francisco getroffen, um seinen Standpunkt und der Homosexuellen Befürchtungen/Probleme damit zu diskutieren. Näheres Einschließlich einer Historie und kritischen Reflexion zum Thema erfährt man hier: http://info-buddhismus.de/Budd…ualethik_ueberdenken.html (diese Übersetzung eines Artikels aus dem Jahr 2009, erschien gerade in Tibet und Buddhismus). Am Ende gibt es auch Links zu weiterführenden dt. und engl. sprachigen Artikeln.


    Der Dalai Lama sagte zudem, man dürfe seine Aussagen in Bezug auf was sexuelles Fehlverhalten sei, nicht missbrauchen um andere zu diskriminieren. Er sprach sich gegen jede Art von Diskriminierung gegenüber Schwulen, Lesben, Bisexuellen und Transgenders aus und forderte Respekt, Toleranz und volle Anerkennung der Menschenrechte für sie.


    Obzwar ich WIkipedia nicht als verlässliche Quelle ansehe, erscheint mir nach genauerer Prüfung die Zusammenfassung auf der englischen Wikipedia zu diesem Punkt und auch die verwendeten Quellen ganz ok zu sein: http://en.wikipedia.org/wiki/14th_Dalai_Lama#Sexuality (zumindest mit Datum 28.11.13. Die Dinge ändern sich ja schnell in dieser Enzyklopädie …)

  • Vermutlich muss / kann man das auf verschiedenen Ebenen sehen, ich nehm jetzt mal vereinfacht eine Unterteilung in vier, die nur Möglichkeiten darstellen, die stufenweise auf einander aufbauen, also die nächste Stufe beinhaltet weitestgehend immer die Regeln der vorherigen Stufen. Missverständnisse ergeben sich oft dann, wenn die Ebenen vermischt werden. Wenn also jemand z.B. eine Aussage des Dalai Lama zum Tantra als allgemeine menschliche Vorgabe mit Absolutheitsanspruch auch für Nicht-Buddhisten ansieht, dann wird es schief. Das passiert leider oft gerade Aussenstehenden, die die Unterscheidungen gar nicht kennen und verstehen. Vor allem dann, wenn man von der eigenen Religion auch keine Unterscheidung kennt zwischen praktischen Lebensregeln und spirituellen Anweisungen, oder zwischen Regeln für die eigenen spirituelle Praxis und Regeln, die auch für Nichtgläubige oder Anhänger anderer Religionen gelten sollen. Der Buddhismus ist da sehr viel differenzierter, obwohl sich auch da die Regeln gerne mal vermischt haben.* Allerdings ist die Tendenz, Dinge ungeprüft zu übernehmen im Buddhismus geringer, weil ja schon Buddha selbst die Grundlage dafür gelegt hat, indem er sagte: glaub mir nix einfach so, prüfe ob es mit Deiner Erfahrung übereinstimmt.


    A Menschlich
    B "Buddhistisch"
    C Tantrisch
    D Dzogchen / Mahamudra


    A Menschlich gesehen kommt es auf das tatsächliche Verhalten an, nicht darauf, welche "Tore" man sexuell bevorzugt. Schädliches Verhalten zeichnet sich dann lediglich dadurch aus, dass man den anderen und/oder sich selbst schadet oder gefährdet. Jegliche Art von sexuellem Verhalten, das gegen den Willen des anderen geht, fällt per se schon mal darunter. Auch wenn dieser Wille irgendwie manipuliert oder unterdrückt wird. Dann gibt es noch ein paar gesellschaftliche Grenzen usw. Es gibt keinen Grund für einen Buddhisten, einem Nicht-Buddhisten irgendeine sexuelle Neigung vorzuschreiben. Wenn jemand um Rat bittet und sich um sein Karma sorgt, gibt es ein paar ganz einfach Regeln des gesunden Menschenverstands, die immer zutreffen.


    B Wenn man mit "buddhistisch" meint, dass jemand durch seine Lebensführung auf Erleuchtung abzielt, dann muss man sich anschauen, welches Verhalten möglicherweise ein geistiges Hindernis für die Erleuchtung darstellt. Da kann jedes sexuell übersteigerte Verlangen ein Hindernis sein. Wenn man einen Weg der Vermeidung geht, dann sollte man genauso wenig Partnern des eigenen wie des anderen Geschlechts von morgens bis abends nachgieren und so die eigene Geistesruhe unterwandern.


    C Tantrisch, wo man die geistigen Störungen und Neigungen transformiert und verwandelt, kann auch Begierde umkanalisiert werden. Ob ich als heterosexueller Mann diese Begierde auf die Dakinis richte, oder als homosexueller Mann am liebsten mit Mahakala ins Bett springen würde, ist da aus meiner Sicht nebensächlich. Wichtig ist die Offenheit und das Band, das auf diese Weise entsteht und die Energie beizeiten auf das Buddha-Wesen der Yidams ausrichtet, so dass sich die vordergründige Begierde auflöst, weil der dahinter liegende Mangel aufgelöst wird. Bei Tantra mit einem Partner geht es darum, die gegengeschlechtlichen Anteile (Phawo / Khandro) im Partner als Spiegel des eigenen unterdrückten Anteils zu erkennen und die Projektion zuürckzunehmen, um in sich selbst ganz zu werden. Das kann bei homosexuellen Paaren funktionieren, wenn diese klar ausgerichtet sind mit eindeutigen Rollen, es kann aber auch zu viel kreuz und quer gehen und dann ist vielleicht keine geeignete Grundlage gegeben. Was aber nur heisst, dass man diese spezielle Spielart des buddhistischen Tantra nicht oder noch nicht als effektives Mittel zur Erleuchtung einsetzen kann. Dann muss man halt andere Mittel einsetzen.


    D Wenn man die Sicht halten kann, erübrigen sich die ganzen Diskussionen und Regeln, man weiss in jedem Augenblick spontan und ohne vorgefasste Konzepte, was angemessen und hilfreich für die Wesen ist.



    * Beispiel: In Tibet konnte man sich teilweise als Nomade lange nicht gründlich waschen. Da war es eine Frage der Hygiene, Regeln für sexuelle Praktiken aufzustellen, weil die Menschen teilweise Regeln nur dann respektiert haben, wenn sie als religiöse Regeln aufgestellt wurden. Heute wo man vorher und nachher jederzeit duschen kann, sind diese Regeln aber obsolet. Trotzdem stehen sie vielleicht noch in alten Texten drin. Ähnlich sehe ich z.B. die Regel, kein Schweinefleisch zu essen im Islam: in heissen Ländern ohne Kühlschrank war das hygienisch nicht zu verantworten. So ist eine eigentlich weltliche Regel zu einer heiligen Regel geworden, die aber unter Umständen gar nicht mehr in die heutigen Umstände passt.

  • Zitat

    Du darfst selbstverständlich Deiner sinnlichen Anhaftung frönen,
    unter der Bedingung das dies bereits genannte Konsequenzen nach sich zieht.


    klar, das ist hier aber nicht die Frage, sondern ob 'sinnliche Anhaftungen' homosexueller Art irgendwie doch unheilsamer sind als heterosexuelle. Die Idee kennt man ja aus vielen anderen Religionen. Für den Buddhismus kann man das ganz klar Verneinen. Der Buddha hat sowas nie gesagt; es würde auch innerhalb des Lehrgebäudes keinen Sinn ergeben. Im Gegenteil: Der Buddha betrachtet das Konzept von sexueller Identität als solches als einen tief verwurzelten Punkt von Anhaftung und Verblendung, und verwirft es. Siehe Saññoga Sutta http://www.accesstoinsight.org…n/an07/an07.048.than.html