Posts by Mabli

    Hier zwei interessante Videos, in denen gert scobel über nagarjuna und den catuscoti ein paar einleitende Worte verliert.


    External Content youtu.be
    Content embedded from external sources will not be displayed without your consent.
    Through the activation of external content, you agree that personal data may be transferred to third party platforms. We have provided more information on this in our privacy policy.


    External Content youtu.be
    Content embedded from external sources will not be displayed without your consent.
    Through the activation of external content, you agree that personal data may be transferred to third party platforms. We have provided more information on this in our privacy policy.

    Mit der Wertschätzung des menschlichen Lebens wird uns klar, dass es möglich ist, darauf hinzuwirken, dass wir glücklicher werden. Das verschafft uns die Wertschätzung unserer Fähigkeit, etwas zu tun. Mit anderen Worten: Zunächst müssen wir uns um uns selbst kümmern, uns selbst ernst nehmen – ernst nehmen in Bezug darauf, dass wir existieren und glücklich sein möchten. Daran ist nichts verkehrt. Wir kümmern uns darum, was wir erleben. Das ist ein gesundes Selbstgefühl.

    Berzin spricht von einem gesunden Selbstgefühl, das eine notwendige Basis für Selbstdisziplin, die Übernahme von Verantwortung und Willenskraft darstellt. Zugleich führt er die Unterscheidung vom konventionellen Selbst und dem falschen Selbst ein. Das konventionelle Selbst ist keine feste und stabile Entität, sondern beruht auf der Grundlage der Aggregate. Möglicherweise weist er hier auch schon auf den Unterscheid der konventionellen und der ultimativen Wahrheit hin!?

    Das falsche Selbst, das auch in Größenphantasien oder einem rigiden Über-Ich bestehen kann, ist kein gesundes Selbstgefühl und steht einer Befreiung vom Leiden im Weg. In der buddhistischen Terminologie spricht Berzin von den unmöglichen Existenzweisen des Ich.


    Es fällt auf, dass Berzin "Ich" und "Selbst" weitgehend synonym verwendet. In der Psychoanalyse gibt es Modelle, die hier wesentlich feiner differenzieren.

    Mal interessehalber - schreibt Geldsetzer etwas zur ersten deutschen Übersetzung des Zhong lun von Max Walleser? Offen gesagt hätte ich eine deutsche Übersetzung Nāgārjunas Dvādaśanikāya-śāstra / Shiermen lun für ein größeres Desiderat gehalten als noch eine MMK-Übersetzung ... Okay, Übersetzung mit chinesischem Originaltext ist ein Alleinstellungsmerkmal - aber wer kann damit wirklich etwas anfangen?

    Er schreibt in der Einleitung, dass Walleser sich, wie Bocking auch, bei der Übersetzung am Sanskrittext und der tibetischen Version orientierten, um dem "originalen" Sinn möglichst nahe zu kommen. Geldsetzer sieht die chinesische Version dagegen als selbständige "originäre" Quelle an.

    Übersetzung.


    "Nagarjuna ist die wichtigste philosophische Figur in der buddhistischen Welt nach dem historischen Buddha selbst.


    [...]


    [Mulamadhyamakakarika] ist ein sehr schwer zu lesender und zu interpretierender Text. Moderne Interpreten sind sich genauso wenig einig, was die Lesarten des Textes betrifft, wie kanonische Interpreten. Nagarjuna wurde als ein Idealist (Murti 1960), ein Nihilist (Wood 1994), ein Skeptiker (Garfield 1995), ein Pragmatist (Kalipahana 1986), und als ein Mystiker (Streng 1967) gelesen. Er wurde als ein Kritiker der Logik (Inada 1970), als ein Verteidiger der klassischen Logik (Hayes 1994) und als ein Pionier der parakonsistenten Logik (Garfield and Priest 2003) betrachtet.


    [...]


    Nagarjuna argumentiert, dass diese Doktrin der Leerheit ein mittlerer Pfad zwischen zwei Extremen ist: Verdinglichung und Nihilismus. Phänomene zu verdinglichen bedeutet sie als Phänomene mit Essenz, als unabhängig existierend zu betrachten. Nihilistisch zu sein bedeutet, den Fakt, dass Phänomene keine Essenz haben und bloß abhängig existieren, so zu verstehen, dass sie nicht existieren. also die empirische Realität komplett als falsch zu betrachten."


    Nagarjuna scheint ein wichtiger, wenn nicht der zentrale, Autor für den Mahayana Buddhismus zu sein. Gleichzeitig scheint er schwer einzuordnen zu sein und es gibt vielleicht gerade deswegen viele unterschiedliche Lesarten seiner Philosophie.

    Bei den beiden Extremen Verdinglichung und Nihilismus musste ich sofort an den marxistischen Begriff der Verdinglichung denken wie er von Lukacs geprägt wurde. Ich bin da vorsichtig mit voreiligen Interpretationen, aber vielleicht ist ja der Warenfetisch von Marx ein Paradebeispiel für eine solche Verdinglichung.

    Eine Ware scheint auf den ersten Blick ein selbstverständliches, triviales Ding. Ihre Analyse ergibt, daß sie ein sehr vertracktes Ding ist, voll metaphysischer Spitzfindigkeit und theologischer Mucken. Soweit sie Gebrauchswert, ist nichts Mysteriöses an ihr, ob ich sie nun unter dem Gesichtspunkt betrachte, daß sie durch ihre Eigenschaften menschliche Bedürfnisse befriedigt oder diese Eigenschaften erst als Produkt menschlicher Arbeit erhält. Es ist sinnenklar, daß der Mensch durch seine Tätigkeit die Formen der Naturstoffe in einer ihm nützlichen Weise verändert. Die Form des Holzes z.B. wird verändert, wenn man aus ihm einen Tisch macht. Nichtsdestoweniger bleibt der Tisch Holz, ein ordinäres sinnliches Ding. Aber sobald er als Ware auftritt, verwandelt er sich in ein sinnlich übersinnliches Ding. Er steht nicht nur mit seinen Füßen auf dem Boden, sondern er stellt sich allen andren Waren gegenüber auf den Kopf und entwickelt aus seinem Holzkopf Grillen, viel wunderlicher, als wenn er aus freien Stücken zu tanzen begänne.

    Peirce durfte ich im Studium auch durchkauen. Mochte ich sehr!

    Zur konzeptlosen Wahrnehmung gibt es am 2.April einen Buddha-Talk von der ehrwürdigen Bhikshuni Tenzin Metok: https://www.buddha-talk.de/


    Mir fallen zu konzeptloser Wahrnehmung ja gleich alle möglichen philosophischen Theorien ein. Adornos zentraler Begriff des Nicht-Identischen soll das umschreiben, was nicht im Begriff und der begrifflichen Erkenntnis aufgeht. Fichte und Schelling sprachen von der intellektuellen Anschauung als einer Anschauung jenseits der sinnlichen Wahrnehmung.


    Mit J. G. Fichte und F. W. J. Schelling wird die intellektuelle Anschauung zu einer zentralen Kategorie ihrer philosophischen Systeme. So ist für Fichte die intellektuelle Anschauung „das unmittelbare Bewußtseyn, dass ich handle, und was ich handle“ und so „der einzige feste Standpunkt für die Philosophie“. Sie lässt sich nicht begrifflich ausdrücken, sondern nur erfahren.[2] Für Schelling ist die intellektuelle Anschauung das „Organ alles transcendentalen Denkens“.[3] Für Friedrich Heinrich Jacobi ist die intellektuelle Anschauung „ein Ausdruck, der nicht gerade zu widersinnig und verwerflich ist“ und bezeichnet „die Art des Bewusstseins [...], in welcher sich uns das an sich Wahre, Gute und Schöne vergegenwärtigt und als ein Überschwängliches, in keiner Erscheinung darstellbares Erstes und Oberstes, offenbart“.[4]

    Würde mich ja sehr interessieren, wie das im tibetischen Buddhismus aufgefasst wird.

    (1) Hören, Lernen, Studieren; (2) Kontemplation und (3) Meditation. Der erste Schritt dient dazu, erst einmal etwas zu lernen, zu verstehen. Der zweite Schritt stellt ein vertieftes Nachdenken über das Gelernte dar. Es ist also noch mit begrifflich-analytischen Denken verbunden.

    Der unterschied zwischen Kontemplation (oder Nachdenken) und der analytischen Meditation ist mir noch noch ganz klar geworden. Ich habe deswegen auch nochmal bei Berzin nachgelesen zur analytischen Meditation. Ich versuche das mal wieder zu geben, um es selbst besser zu verstehen. Also das Nachdenken dient dem Nachvollzug der Argumentation, also der Schlussfolgerungen, und dem richtigen Verständnis der Begriffe.

    Für die klar erkennende Meditation benutzen wir den Geistesfaktor des groben Feststellens (tib. rtog) und den der subtilen klaren Erkennungsfähigkeit (tib. dpyod), was in manchen Zusammenhängen Untersuchung und genaue Prüfung bedeutet.

    Die analytische Meditation beruht dann - mit einem westlichen Begriffsrahmen beschrieben - auf den intellektuellen Fähigkeiten des Verstands. Es geht um das Verständnis der Bedeutungen und die Fähigkeit in der Anwendung auf das eigene Leben klare Unterscheidungen zu erkennen, wenn ich das richtig verstehe.

    Quote from Helmut

    Die Meditation dient dann als dritter Schritt dazu, das Gelernte zu vertiefen, zu verinnerlichen. Es geht dabei darum, es vom Kopf ins Herz rutschen zu lassen, so dass man die meditierten Inhalte stets präsent hat.

    Das passiert dann aber so richtig erst in der stabilisierenden Meditation, oder?

    Seien Sie sich bewusst, dass es sich sowohl bei der klar erkennenden als auch der stabilisierenden Meditation immer noch um auf Konzepten beruhende Wahrnehmungen handelt. Sie basieren auf der Vorstellung, was ein kostbares menschliches Leben bedeutet. Die Vorstellung repräsentiert das kostbare menschliche Leben – entweder mit Worten, einem Bild oder einem Gefühl; diese Repräsentation ist jedoch mit einer Bedeutung verbunden.

    Das heißt nach Berzin sind auch die analytische und stabilisierende Meditation noch durch begriffliches Denken und Vorstellungen geprägt. Letztlich beschreibt Berzin das nicht-konzeptuelle, also nicht-begriffliche Verständnis, das nicht mehr auf Vorstellungen beruht, als Ziel, führt das aber leider nicht weiter aus.

    Empfehlenswert ist hingegen die Ausgabe von Weber-Brosamer, die aus dem Sanskrit-Text übersetzt.

    Die war mir ein bisschen zu teuer. Aber ich lese ja den Kommentar dazu, dem eine andere Übersetzung zugrunde liegt. Ich finde es ganz spannend, dass Geldsetzer eine Verbindung zu Aristoteles herstellt. Wie fundiert das jetzt ist, habe ich keine Ahnung.

    Die Widmung einmal in Englisch und in Deutsch. Sie gibt den Inhalt (und den Zweck) der Schrift wieder.


    I prostrate to the perfect Buddha,

    The best of all teachers, who taught that

    That which is dependent origination is

    Without cessation, without arising;

    Without annihilation, without permanence;

    Without coming; without going;

    Without distinction, without identity

    And peaceful—free from fabrication.


    Widmung an den Buddha


    "Derjenige, welcher im Stande war zu erklären, daß weder Entstehen noch Vergehen, weder Beständigkeit (Kontinuität) noch Endlichkeit (Diskontinuität), weder Einheit (Identität) noch Unterschiedlichkeit (Nicht-Identität), weder Herkommen (Vergangenheit) noch Fortgehen (Zukunft) formale Ursachen (yin yuan/hetu) sind und dadurch elegant alle Folgerungen daraus (xi lun/prapanca) widerlegte, vor ihm, dem Buddha neige ich mein Haupt in Verehrung, dem Begründer der Lehrer von der Mitte"

    Das war heute im Briefkasten:


    Please login to see this attachment.


    Ich bin gespannt und freue mich auf die Lektüre, bei der ich wohl noch Kommentare zu Rate ziehen werde. Vielleicht finde ich mit diesem Buch ja die Mitte oder verstehe sogar die Leerheit. Oder wie sagte Alexander Kluge - oder war es Oskar Negt? - einmal: "In Gefahr und größter Not bringt der Mittelweg den Tod." (:

    Man unterscheidet zwischen Praktizierenden mit anfänglichen, mittleren und höchsten Fähigkeiten. Der anfänglich Praktizierende ist jemand, der eine hohe Wiedergeburt als Mensch in der nächsten Existenz anstrebt. Der mittlere Praktizierende ist jemand, der die Befreiung aus Samsara anstrebt, also ein Arhat werden will. Der höchste Praktizierende ist jemand, der den Bodhisattvapfad verwirklichen will, um Buddhaschaft zu erlangen. Entsprechend dieser Zielsetzungen werden die Übungen den Praktizierenden zugeordnet

    Danke für die Erläuterung. Das hilft mir gerade sehr weiter. Ich habe vor einiger Zeit mit Tonglen angefangen, ohne den Stufenweg zu praktizieren. Ich glaube diese Übung ist auf dem Stufenweg eigentlich den höheren Praktizierenden vorbehalten. Ich habe aber auch mal gehört, dass das von manchen nicht so eng gesehen wird. Aber die Voraussetzungen der Übung sind wahrscheinlich schon eher groß - auch meiner Erfahrung nach. Ich kann mir aber auch vorstellen, dass die Übung mit unterschiedlichen Fähigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen hilfreich sein können. Oder wie siehst du das?

    Die hauptsächlichen Meditationen sind auch im tibetischen Buddhismus die analytische und konzentrative Meditation wie wir sie auch aus dem indischen Buddhismus kennen.

    Die analytische Meditation kannte ich bis jetzt eher als Kontemplation. Shamata und Vypashyana fallen dann beide unter konzentrative Meditation nehme ich an, oder ? Gerade hier im Westen bei den säkularen Meditationsangeboten spielt Kontemplation meiner Erfahrung nach in der Regel eine untergeordnete Rolle, wenn sie denn überhaupt eine Rolle spielt. Beim Lamrim scheint sie sehr zentral zu sein. Wird dann die konzentrative Mediation in der Regel vor der analytischen Meditation als Vorbereitung gemacht oder anders herum?

    Für einen Einstieg ist meiner Meinung nach folgendes Buch besser geeignet: Dagyap Rinpoche, Achtsamkeit und Versenkung, München, 2001, ISBN 3-7205-2264-4 .


    Hilfreich finde auch: Die Struktur des Lamrim - Ein Arbeitsheft, zusammengestellt von C. Weishaar-Günter und R. Leisner. Erhältlich ist es im Tibethaus Frankfurt.

    Danke für die Literaturtips. Ich habe mir gerade kürzlich gebraucht ein Buch von Thubten Chodron zu "Guided Meditations on the Stages of the Path" bestellt. Wird die Organisation von Thubten Chodron eigentlich dem Vajrayana zugeordnet?

    Helmut Du scheinst Dich im tibetischen Buddhismus ganz gut auszukennnen.


    Vielleicht darf ich dich hier was zu dem Thema Lamrim fragen. Welche Bücher zu Lamrim würdest du jemandem empfehlen, der zwar schon Meditationserfahrungen hat, für den aber die Praktiken des tibetischen Buddhismus doch eher neu sind?

    Wir müssen hier allerdings ein bisschen vorsichtig sein, denn obgleich wir ein gesundes Gefühl für dieses konventionelle „ich“ aufbauen, um Selbstbeherrschung usw. üben zu können, kann das auch ein übersteigertes Selbstgefühl verstärken. Während wir also unser konventionelles „ich“ aufbauen – und wir haben inzwischen bereits einige Anstrengung darauf verwandt -, können wir nun anfangen, nach einem übersteigerten Selbstgefühl Ausschau zu halten. Das übersteigerte Selbstgefühl bezieht sich auf das Selbstbild, dass „ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“, das Selbst, das diese Kraft der Selbstbeherrschung haben sollte und könnte, und weil ich sie nicht hatte, bin ich schuldig. Das ist ein übersteigertes Gefühl von „ich“ – es entspricht der Art von Person, die sich wie ein Polizist überwacht, um sich zu kontrollieren, und dann vollkommen rigide wird usw. Das ist ungesund. Wenn einem dann ein Ausrutscher passiert und man diese Selbstbeherrschung nicht aufbringt, fühlt man sich total schuldig – „Ich hätte imstande sein sollen, mich zu beherrschen“ – und ohrfeigt sich innerlich.

    Was Berzin hier als übersteigertes Ich beschreibt ist in psychoanalytischer Terminologie nichts anderes als ein rigides Über-Ich.

    Und wenn Berzin von dem Unterschied zwischen "ich" und "mich" spricht, klingt das sehr ähnlich wie die Unterscheidung von "I" und "Me" bei G.H. Mead.


    Wenn Sie Schwierigkeiten mit diesem ganzen Konzept von Zuschreibung haben, versuchen Sie, an sich selbst zu denken. Wir haben dieses Vorgehen gestern schon erwähnt, und wir haben festgestellt, dass man nicht „ich“ denken kann ohne irgendeine Grundlage, ohne irgendetwas, das „mich“ in den Gedanken repräsentiert, sei es einfach der verbale Klang des Wortes „ich“ – wir denken ja: „ich“ – oder ein geistiges Hologramm, wie ich aussehe, oder ein bestimmtes Gefühl oder sonst irgendetwas. Wir bezeichnen das als „ich“ – wir nennen das „ich“ , um es noch einfacher auszudrücken. Aber ich bin nicht das Wort, und ich bin nicht die Grundlage, das geistige Hologramm. Doch es gibt ein „ich“. Das ist es, was geistige Zuschreibung bedeutet: Es wird der Grundlage zugeschrieben, die das „ich“ repräsentiert, wenn ich an mich denke.

    Das "Me" ist eine Selbstrepräsentanz, die in den Aggregaten verkörpert ist. Da trennen sich dann auch Mead und Berzin. Bei Mead ist das "Me" eine Repräsentation von Einstellungen und Erwartungen bedeutsamer Anderer, die durch die Perspektivübernahme internalisert wurden. Die Gemeinsamkeit besteht in der Unterscheidung einer unmittelbar gegenwärtigen, spontanen Instanz und einer Repräsentanz des Ich im "Me".

    Auch in der Psychoanalyse gibt es die Unterscheidung zwischen einem falschen und einem wahren Selbst. Insbesondere Winnicott hat diese Unterscheidung geprägt.


    Besonderes theoretisches Augenmerk richtet Winnicott (1974) auf die Unterscheidung zwischen dem „wahren“ und dem „falschen“ Selbst. Das wahre Selbst entwickelt sich seiner Ansicht nach in einer hinreichend empathischen und fürsorglichen mütterlichen Umwelt. Im Falle eines Versagens dieser empathischen Versorgung entsteht ein falsches Selbst, das das wahre Selbst vor den destruktiven mütterlichen Einflüssen schützen soll. Die Definition des Narzissmus als einer Entfremdung von den authentischen Tiefen des Selbst kann als eine Entfremdung von diesem „wahren Selbst“ konzeptualisiert werden, wie sie von Winnicott beschrieben wurde. Seine Arbeiten wurden zunächst von Melanie Klein beeinflusst, er gelangte aber schließlich zu der Auffassung, dass die Versorgungsfunktionen, die die Mutter in Bezug auf die Bedürfnisse des Babys erfüllt, die wichtigsten Determinanten psychischer Gesundheit darstellen. Das „wahre“ Selbst, das sich auf dieser Grundlage entwickelt, ist das Resultat der Beziehung zu einer „hinreichend guten Mutter“, die nicht nur die Triebbedürfnisse ihres Säuglings wahrnimmt, sondern auch seine Kreativität anerkennt, seine Grenzen respektiert und ein Gleichgewicht zwischen seinen Illusions- und Desillusionserfahrungen herzustellen weiß. Nach Winnicotts Auffassung ist die Einheit der psychischen Entwicklung nicht das Kind, sondern eine intersubjektive Entität, die Mutter-Kind-Einheit. Für Winnicott bringt die Persönlichkeitsspaltung eine Entfremdung mit sich, und zwar weg von einer rudimentären Selbsterfahrung (des wahren Selbst) und hin zu einem willfährigen, nach außen gerichteten Selbstaspekt (dem falschen Selbst). Der letztere Aspekt des Selbst ist das Winnicottsche Äquivalent des schizoiden Persönlichkeitsaspekts, den Fairbairn (1952) und Guntrip (1968) dargestellt haben. Das wahre Selbst ist ein Potential, dessen Ursprünge in den frühesten Körperempfindungen liegen, wie sie im Kontext der Beziehung mit der Mutter als Umwelt wahrgenommen werden: „Das Wahre Selbst kommt von der Lebendigkeit des Zellgewebes und der Tätigkeit der Körperfunktionen, einschließlich Herz- und Atemtätigkeit“ (1974, S. 193). Auch kann nur das wahre Selbst kreativ sein und sich real fühlen, und während „ein wahres Selbst sich real fühlt, führt die Existenz eines falschen Selbst zu einem Gefühl des Unwirklichen oder einem Gefühl der Nichtigkeit“ (1974, S. 193).

    Über das Leib-Seele (oder Körper-Geist)Problem zerbricht sich die (westliche) Philosophie ja seit über 2000 Jahren den Kopf ohne zu einer Lösung des Problems gekommen zu sein. Ich gehe davon aus, dass es im Buddhismus ungeachtet der vielen unterschiedlichen Schulen eine Tendenz in dieser Frage gibt. Man wird da sicher nicht den einen Standpunkt, aber vielleicht ja einige maßgebliche Ansichten der wichtigsten Schulen zu dieser Frage ausmachen können.

    Inwieweit der Monismus als Etikettierung einer philosophischen Position bzw. metaphysisches Grundprinzip jetzt eine westliche Erfindung darstelllt kann man diskutieren. Die Position bzw. das Prinzip scheint mir doch eher universeller Natur zu sein.

    Danke dir für die fundierte Einschätzung zu der Frage der Autorschaft.

    Inhaltlich ist die Kritik (sicher aus der Madhyamaka-Schule stammend) wenig fundiert, was wohl mit etwas Polemik kaschiert werden soll. Grundsätzlich sind solche Texte eher 'Merkverse', die vor allem als Grundlage ausführlicher Kommentierung dienten (wie etwa die MMK auch).

    Gibt es denn auch andere Textsorten in der klassischen buddhistischen Literatur, die eher argumentativ verfahren? Also sind das dann eher die Kommentare zu den in Versen verfassten Werken? Also verstehe ich das richtig, die Mūlamadhyamakakārikā ist auch eher eine Sammlung von Merkversen?


    Aber unabhängig von der Frage der Autorschaft ist für mich der Raum der Auseinandersetzung interessant zwischen einer objektiv idealistischen Weltsicht und einer Sicht der Leerheit, deren Aussage ich aus den wenigen Versen und mit meinem begrenzten Vorwissen nicht so ganz erschließen kann.

    Werder Leerheit noch Geist kann ungeschaffen sein, denn sie werden vom Verstand geschaffen.

    Das klingt auch in Vers 28 an, oder?

    Quote

    Das Benannte, das Abhängige

    und das Vollständige:

    Ihre Essenz ist einzig die der Leerheit,

    ihre Wesensart wird vom Bewusstsein erstellt.

    Wobei ich mich frage, ob mit "Essenz" und "Wesensart" hier zwei verschiedene Dinge gemeint sind oder dasselbe. Das hieße dann bei der ersten Lesart. dass die Leerheit vom Bewusstsein geschaffen wird.

    In der "BODHICITTAVIVARANA - Erläuterung des Erleuchtungsgeistes" schreibt Nagarjuna folgendes über die Nur-Geist-Schule:

    Das heißt er lehnt die Ansicht, dass es so etwas wie einen objektiven Geist gibt, ab. Nach Nagarjuna hat der Buddha dies zwar gelehrt, jedoch aus dem Motiv, sich an seine Zuhörerschaft anzupassen. Seine Sicht scheint zu sein, dass das Wesen der Dinge die Leerheit sei und dass der Geist ungeschaffen (und damit ewig?) sei.


    Nagarjuna lehnt die Möglichkeit, dass sich das Bewusstsein in einer Selbstbezüglichkeit selbst erkennen könnte, ab. Dadurch dass das Bewusstsein - selbst das achte und vermeintlich grundlegende Bewusstsein - immer in Bewegung sei, könne es sich nicht selbst zum Gegenstand werden.


    Mir erscheint diese Argumentation zumindest sehr angreifbar. Man könnte da zum Beispiel die Unterscheidung von "Ich" und "Selbst" einführen, wie das z.B. Mead getan hat. Das Ich als spontane und unmittelbare Gegenwärtigkeit, kann sich des Selbst als vergegenständlichter Form der sozialen Erfahrungen bewusst sein. Oder man könnte die soziale Interaktion in der wechselseitigen Anerkennung zwischen Individuen als Basis der Selbsterkenntnis ansehen, wie das etwa Hegel tat.

    Was Alexander Berzin in dem folgenden Zitat beschreibt, die Unterscheidung eines "falschen" , übertriebenen Ich-Gefühls und einem konventionellen Ich, das einer korrekten Betrachtung entspricht, könnte in der psychoanalytischen Terminologie mit einem unreifen Größenselbst und einer starken Ich-Struktur übersetzt werden.


    Was wir auf jeden Fall tun, ist, das konventionelle „ich“ einer Grundlage zuzuschreiben, die „mich“ repräsentiert. Wir denken daran, und zwar mit der allgemeinen Kategorie „ich“, und wir haben entweder eine korrekte oder eine verkehrte Betrachtungsweise in Bezug darauf, wie „ich“ existiere.

    • Mit der korrekten Betrachtungsweise denken wir im Sinne des konventionellen „ich“.
    • Mit der verkehrten Betrachtungsweise denken wir im Sinne des falschen „ich“ – eines „ich“, das nicht existiert.

    Aber in beiden Fällen schreiben wir die Bezeichnung „ich“ irgendetwas zu, das „mich“ repräsentiert.

    Was wir erörtern werden, ist Folgendes: Wie entwickelt man ein gesundes Ichgefühl, indem man im Sinne des konventionellen „ich“ an sich selbst denkt, und wie werden wir dieses übersteigerte „ich“ los, mit dem wir uns identifizieren und in dessen Sinne wir an uns denken? In den westlichen Ländern sprechen wir von einem gesunden Selbst und einem überdimensionierten Selbst. Ein gesundes Selbst bedeutet, dass man im Sinne des konventionell existenten „ich“ an sich denkt; und ein ungesundes bzw. überdimensioniertes Selbst bedeutet, dass wir im Sinne dieses falschen „ich“ an uns denken, desjenigen, das eigentlich nicht der Realität entspricht.


    Das konventionelle „ich“ kommt in der Einstellung zum Ausdruck: „Ich halte mich nicht für etwas Besonderes. Ich bin einer von sieben Milliarden Menschen. Und wie jeder andere möchte ich glücklich und nicht unglücklich sein.“ Ein gesundes Ichgefühl besteht darin, dass man auf diese Weise von sich denkt. Dass ich für mein Leben und für das, was ich erlebe, Verantwortung übernehme – all das ist im Sinne des konventionellen „ich“, dieses gesunden Ichgefühls. Aber wenn wir von uns denken: „Ich bin das Wichtigste, alle sollten sich nach mir richten“ usw. und uns damit identifizieren – in unserer Terminologie ausgedrückt: uns selbst als diese Art von „ich“ betrachten -, dann ist das ein übertriebenes Ichgefühl. Weil es nicht der Realität entspricht, kann es nie zufrieden gestellt werden. Es ist unmöglich, dass alles immer nach unserem Willen geht und dass jeder uns für etwas ganz Besonderes hält – das geht nicht, oder?

    Der Psychiater und Psychoanalytiker Mentzos hat für die Regulation des Selbstwertgefühls ein Drei-Säulen-Modell entwickelt. Es ist eine Weiterentwicklung eines Modells von zwei "Bankonten", das dann durch die mittlere Säule zum Drei-Säulen-Modell erweitert wurde. Das Modell zeigt, dass das Selbst im psychoanalytischen Sinne eine komplexe Struktur ist. Unser Selbstwertgefühl und unsere psychische Stabilität hängen wesentlich davon ab wie unser Selbst strukturiert ist.



    Please login to see this attachment.



    Die erste Säule (rechts vorne) entspricht dem »Grundkapitalkonto « des alten Modells. In ihrer Basis präsentiert sich das Größen-Selbst, etwas höher darüber die bei allen Menschen mehr oder weniger lebenslang vorhandenen halbbewußten Größenphantasien und schließlich, zur Spitze hin, das reife Ideal-Selbst (die realistisch korrigierte, positive Vorstellung von sich selbst, die uns auch trotz Fehlern, Mißerfolgen, negativer Kritik etc. ein gewisses Maß an unerschütterlichem Selbstvertrauen und einen Puffer - im alten Modell ein ausreichendes »Polster« - garantiert). Die Voraussetzung für eine solche günstige Entwicklung und ein daraus resultierendes selbständiges Funktionieren dieser Säule habe ich schon oben geschildert, als ich das Grundkapital-Konto beschrieb. Allerdings ist ein gewisses Ausmaß von zusätzlicher lebenslanger narzißtischer Zufuhr, Anerkennung und positiver Zuwendung von außen immer erforderlich. Normale Funktionalität des Systems bedeutet nämlich nicht völlige Unabhängigkeit von außen; sie setzt lediglich voraus, daß man über eine genügende eigene »Substanz«, über ein eigenes Polster verfügt und nicht ständig von einer äußeren Zufuhr abhängig ist oder sogar süchtig danach wird.

    Die zweite Säule, die keine Entsprechung im Bankkonto- Modell besitzt, symbolisiert in der Basis die symbiotische Abhängigkeit, dann in ihrem mittleren Teil die anfänglichen, idealisierten Elternimagines. In ihrem oberen Abschnitt stellt sie das reife (assimilierte und nicht nur introjizierte) Idealobjekt dar. Hier spielen zunächst symbiotische und später identifikatorische Prozesse die Hauptrolle. Die gesunde narzißtische Stärkung erfolgt im Kreislauf der normalen Internalisierungen und Externalisierungen. Durch sie wird auch eine zunehmend differenzierte, kritische und realistische Selbsteinschätzung möglich.

    Die dritte Säule schließlich entspricht dem Girokonto des alten Modells, dem Über-Ich-Konto. Sie wird gestärkt durch Leistung, Pflichterfüllung und dadurch erreichte Anerkennung. An der Basis der Säule wird das archaische unreife Über-Ich, in den Mittelabschnitten das ödipale Über-Ich, in dem oberen Drittel das nunmehr reife Gewissen repräsentiert.

    Hallo Mabli ,


    gerne teile ich morgen oder übermorgen meine persönlichen Erfahrungen. Vorher würde mich aber noch interessieren, wo Du persönlich überhaupt ein Problem siehst/erwartest?

    Hey Aravind,


    ein mögliches Problem sehe ich darin, dass die Psychotherapie in seelischen Krisen stabilisieren möchte und dabei auch das Scheinselbst erstmal stützt und darin bestärkt über eine Identifikation mit diesem Scheinselbst das Selbstwertgefühl zu stärken. Es kann ja auch aus psychotherapeutischer Sicht durchaus angezeigt sein, das Ich zu stärken und Ich-Strukturen aufzubauen, wenn dort eine Schwäche besteht. Das steht dann aber oberflächlich betrachtet in einem diametralen Gegensatz zu dem Ziel, die Täuschung, die in diesem Selbst steckt, zu erkennen.


    Eine weitere mögliche Gefahr spricht Welwood in seinem Buch an, wenn er von spiritueller Umgehung schreibt. Dann wird Spiritualität zu einer Vermeidungs- und Abwehrstrategie, um sich nicht mit unfinished buisness, eigenen emotionalen Schwierigkeiten, zu befassen.


    Ein weiterer möglicher Konflikt besteht darin, dass die Psychotherapie sich bemüht weltanschaulich und ethisch neutral zu bleiben. Dagegen hat der Buddhismus eine klare ethische Ausrichtung und hält dazu an, ethisch zu handeln.


    Kannst du nicht einfach klar machen, welche Ziele du verfolgst, wenn du von "Synergien" sprichst? Warum befasst du dich damit? Strebst du die Ziele des Buddhismus an und glaubst mit Hilfe psychotherapeutischer Ideen diese leichter/besser erreichen zu können oder strebst du im 'do-it-yourself' Modus psychotherapeutische Ziele an und glaubst diese mit Hilfe buddhistischer Ideen leichter/besser erreichen zu können?

    Das sind genau die Fragen, auf die ich versuche im Prozess eine Antwort zu finden. Ich würde gerade sagen: sowohl als auch. Auch wenn das für dich unbefriedigend oder als Rumgeeier erscheinen mag.

    Für mich ist das auch keine rein hypothetische Frage, sondern eine praktische und lebensnahe. Ich habe selbst schon therapeutische Prozesse erlebt und praktiziere Meditation - wenn ich auch nicht Mitglied in einer buddhistischen Glaubensgemeinschaft bin.

    Ich bin also gerade selbst dabei herauszufinden inwieweit beides ineinander greifen kann oder eben auch nicht. Aus meiner bisherigen - begrenzten - Erfahrung heraus würde ich sagen, dass sich beides befruchten kann. Das hängt natürlich sehr starkt vom Kontext ab und kann nicht verallgemeinert werden. Aber ich wollte doch erwähnen, dass mich die Frage wirklich beschäftigt.