Merkmale, Definition...Religion

  • Angenommen es wäre in Europa alles anders gelaufen, der Buddhismus wäre eingeführt worden und hätte sich in der vorchristlichen Zeit mit den ursprünglichen abendländischen Religionen, Mythen und Ritualen vermischt, so wie es in Tibet der Fall gewesen ist. Wir hätten kein schlimmes Mittelalter gehabt, keine Beutezüge und Schlachten, in Amerika würden jetzt noch Indianer leben, in Australien Aborigines, Afrika wäre ein blühender, reicher Kontinent, es hätte nie die zwei Weltkriege gegeben und im Nahen Osten würde jetzt Frieden herrschen. Hoffentlich wird es noch für Europa eine Gelegenheit geben, sich in eine bessere Richtung zu entwickeln.


    Ein Paradox ist, dass den Überlieferungen nach genau das der Sinn und das Ziel des frühen Christentums gewesen ist.

  • Yofi:
    Stero:

    Da es zahllose Zielsetzungen gibt, gibt es zahllose Rationalitäten.


    Welches Ziel sollte es darüber hinaus geben, dass Unwissenheit und ihre Folgen aufhören sollen?


    Keine Ahnung was du als "Unwissenheit" definierst, aber deine Ziele kannst nur du alleine setzen.


    Yofi:
    Stero:


    Sagt jemand, dessen Leben ohne die Begriffe und Hypothesen der Wissenschaft ein anderes wäre.


    Sei froh, dass du dir nicht die Sorgen eines Lebens ohne Wissenschaft machen musst.


    Könntest du bitte dafür ein Beispiel nennen - ich verstehe nicht ganz, welches Leben.


    Dein Leben. Dein Leben ist nicht mein Leben. Aber z.B. könntest du an einer Krankheit erkranken, deren Heilung nur durch Wissenschaft möglich ist. Oder du benutzt dieses Forum hier, welches nur durch Wissenschaft existiert. Ohne dieses Forum wäre dein Leben ein anderes.

  • Zu "Darwinismus" und "Vorbild Tibet":


    Dass in der Schule kein Sozialdarwinismus gelehrt wird, hat einmal den Grund, dass die rassistischen Annahmen des Nationalsozialismus falsch waren und unfassbar grauenhafte Folgen hatten. Damit war in Folge der Begriff der „Rasse“ überhaupt vom Tisch.


    Natürlich haben sich die Populationen des Homo Sapiens nicht aufgrund des Evolutionsmechanismus über die Erde verteilt, sondern weil sie Kleidung, Feuer usw. benutzten. Da aber im Durchschnitt jede Generation einige hundert Meter weiter zog, trennten sich die Populationen bald und entwickelten unterschiedliche genetische Veranlagungen, wie an der Pigmentierung der Haut leicht zu erkennen ist.


    Im Unterschied zum Humanismus ist der Sozialdarwinismus der Auffassung, dass eine Vermischung der Populationen Schaden bringt. Diese Ansicht ist längst nicht mehr tabu. Autoren wie Thilo Sarrazin, dessen Bücher wie warme Semmeln weggehen, vertreten sie vehement. Hier zeigt sich die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse.


    Der Fehler solcher Ansichten ist aus meiner Sicht, dass das „soziale Kapital“ einer Gesellschaft, welches durch die Vermischung angeblich Schaden nimmt, in seiner moralischen Dimension nicht verstanden wird. Denn gerade Vertrauen und Hilfsbereitschaft sind es, die auch für die wirtschaftliche Kraft einer Gesellschaft verantwortlich sind. Hier kommt die moderne Interpretation der christlichen Religion ins Spiel, die universelle Nächstenliebe im Zentrum hat und die gegenseitige Achtung stärkt. Dagegen kann der Sozialdarwinismus zur Ansicht einer grundsätzlichen Minderwertigkeit anderer Populationen führen. Besonders wenn viele junge Männer keine ökonomischen Möglichkeiten besitzen, führt der Sozialdarwinismus leicht zu infektiösem Hass. Daher ist es der Sozialdarwinismus, der einer Gesellschaft enormen Schaden zufügen kann, würde ich meinen.


    Tibet, sofern seine Vergangenheit überhaupt als Vorbild dienen kann, zeigt jedoch ebenso, wie ein Volk „demographisch“ überrannt und dessen Kultur zerstört wurde. (Nach meiner Ansicht war es richtig, das Bevölkerungswachstum Chinas totalitär zu bremsen. Der Dalai Lama spricht sich dagegen ausschließlich für freiwillige Familienplanung aus.)

  • gbg:
    Sunu:

    Natürlich mit dem Hinweis, das man das nicht auf Menschen bzw. Gesellschaften anwenden kann ( Warum eigentlich nicht? Fragt man sich da als wissenschaftsgläubiger Jugendlicher)......


    Maturana spricht ja von einer äußeren und einer inneren Welt die nicht miteinander identisch sind. Einer Welt der Möglichkeit und einer Welt der Wirklichkeit. In den Innenwelten ist alles möglich aber nicht veränderlich.


    Wie kann denn in etwas, was nicht veränderlich ist, alles möglich sein ? Wenn sich etwas nicht verändert, ist es doch immer gleich.

  • gbg:


    Maturana spricht ja von einer äußeren und einer inneren Welt die nicht miteinander identisch sind. Einer Welt der Möglichkeit und einer Welt der Wirklichkeit. In den Innenwelten ist alles möglich aber nicht veränderlich.


    Sunu:


    Wie kann denn in etwas, was nicht veränderlich ist, alles möglich sein ? Wenn sich etwas nicht verändert, ist es doch immer gleich.


    Das wirft u.a. die Frage auf, sind die karmischen Ablagen, bzw. karmischen Ursachen (Farben, Aromen usw., begriffliches Konzept und die Handlungen mit ihren mentalen Ergebnissen) während der Existenz des Individuum beständig oder unbeständig.
    Die geistigen Wirkungen dieser Ursachen sind zwar als Unbeständig zu erkennen, bedürfen jedoch neben den karmischen Ursachen noch äußerer Gegebenheiten, um als diese oder jene Wirkung wahrgenommen werden zu können. Demnach könnten die Ursachen durchaus statischer Natur sein.

    Hier kommt die Aussage "Nagarjunas" zur Geltung:
    Erst muss eine Wirkung eintreten bevor die Ursache festgestellt werden kann.


  • Kann man berührt werden ohne zu berühren ?ich denke, wenn etwas berührt wird, dann verändert es sich schon durch die Interaktion die zwischen dem " Berührer und dem Berührten" zustande kommt.

  • Karnataka:

    ....


    Im Unterschied zum Humanismus ist der Sozialdarwinismus der Auffassung, dass eine Vermischung der Populationen Schaden bringt. Diese Ansicht ist längst nicht mehr tabu. Autoren wie Thilo Sarrazin, dessen Bücher wie warme Semmeln weggehen, vertreten sie vehement. Hier zeigt sich die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse.


    Sarrazin vertritt nicht diese Ansicht. Er vertritt aber die Ansicht, dass Zuwanderer aus bestimmten Regionen der Welt ein geringes Bildungsniveau ausweisen und sich dies negativ auf das Land auswirkt, in das sie zuwandern. Das ist nun nicht sehr spekulativ. Manche der Verknüpfungen, die er herstellt zwischen Bildung, Intelligenz und Vererbung sind jedoch zum Teil spekulativer Natur.
    Er selbst sagte

    Zitat

    ... Er sei definitiv nicht der Ansicht, „dass es eine genetische Identität gibt“,


    Karnataka:


    Der Fehler solcher Ansichten ist aus meiner Sicht, dass das „soziale Kapital“ einer Gesellschaft, welches durch die Vermischung angeblich Schaden nimmt, in seiner moralischen Dimension nicht verstanden wird. Denn gerade Vertrauen und Hilfsbereitschaft sind es, die auch für die wirtschaftliche Kraft einer Gesellschaft verantwortlich sind. Hier kommt die moderne Interpretation der christlichen Religion ins Spiel, die universelle Nächstenliebe im Zentrum hat und die gegenseitige Achtung stärkt. Dagegen kann der Sozialdarwinismus zur Ansicht einer grundsätzlichen Minderwertigkeit anderer Populationen führen. Besonders wenn viele junge Männer keine ökonomischen Möglichkeiten besitzen, führt der Sozialdarwinismus leicht zu infektiösem Hass. Daher ist es der Sozialdarwinismus, der einer Gesellschaft enormen Schaden zufügen kann, würde ich meinen.


    Also ich will hier keinesweg die irrationale Position des Sozialdarwinismus vertreten. Aber während es in einem religiösen Forum zwar normal ist, dass religiös motivierte moralische Positionen vertreten werden, so ist die Anwendung dieser moralischen Positionen zur Bewertung gesellschaftspolitischer Phänomene nicht weniger kritisch zu sehen wie die Anwendung sozialdarwinistischer Positionen, weil moralische Positionen als Politik einer Gesellschaft nicht weniger großen Schaden zufügen können.

  • Stero:
    Karnataka:

    ....


    Im Unterschied zum Humanismus ist der Sozialdarwinismus der Auffassung, dass eine Vermischung der Populationen Schaden bringt. Diese Ansicht ist längst nicht mehr tabu. Autoren wie Thilo Sarrazin, dessen Bücher wie warme Semmeln weggehen, vertreten sie vehement. Hier zeigt sich die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse.


    Sarrazin vertritt nicht diese Ansicht. Er vertritt aber die Ansicht, dass Zuwanderer aus bestimmten Regionen der Welt ein geringes Bildungsniveau ausweisen und sich dies negativ auf das Land auswirkt, in das sie zuwandern. Das ist nun nicht sehr spekulativ. Manche der Verknüpfungen, die er herstellt zwischen Bildung, Intelligenz und Vererbung sind jedoch zum Teil spekulativer Natur.
    Er selbst sagte

    Zitat

    ... Er sei definitiv nicht der Ansicht, „dass es eine genetische Identität gibt“,


    Menschliche Identität bildet sich vermutlich aus dem Zusammenspiel von Umwelteinflüssen, vererbten Veranlagungen und freier Entfaltung. Sarrazin argumentiert, dass der Einfluss der Geschichte, selbst derjenigen der letzten Jahrhunderte, bereits genetischen Ausdruck finden würde. Er gewichtet den Einfluss der Genetik als überaus entscheidend.


    Meine Einschätzung zu Thilo Sarrazin stützt sich auf seinen derzeitigen Bestseller „Wunschdenken“. Dazu ein kurzes Zitat aus dem Unterkapitel: Zur Entwicklung des Menschen.

    Wir wissen heute, dass nicht nur die menschliche Intelligenz, sondern auch alle anderen psychischen Eigenschaften überwiegend erblich sind und fortlaufend durch die natürliche Selektion weiter geformt werden. (Es folgen zwei irrelevante Sätze, dann:) Auch sittliches Empfinden kann dem Grad der Funktionsfähigkeit bestimmter Hirnareale zugeordnet werden. In die Politik scheint diese Erkenntnis bis heute nicht vorgedrungen zu sein. Nachdem man die Ideologie des Sozialdarwinismus verworfen und eugenische Überlegungen aus dem Raum der Politik und der Politikberatung gänzlich verbannt hatte, schien Anfang der siebziger Jahre bei dem Thema der natürlichen Evolution allgemein der Konsens zu herrschen, dass die Darwin'sche Entwicklungslehre zwar grundsätzlich gültig sei, für den Menschen aber keine praktische Relevanz habe...


    Liest man die Passage im größeren Kontext, so steht also auch „sittliches Empfinden“ in Verbindung mit der typischen Veranlagung von Populationen. Begründet wird dies allerdings allein mit einer Fußnote. Dort wird auf einen bekannten Fall aus dem Jahr 1848 verwiesen, wo ein Mann namens Phineas Gage ein Frontalhirnsyndrom erlitt und daraufhin plötzlich ein verblüffend unsoziales Verhalten zeigte. Heute weiß die Medizin um eine Vielzahl von kognitiven Defiziten, die aus einer solchen Verletzung folgen.


    Dies gibt aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es zeigt zudem, wie Sarrazins Schriften sich „geschickt“ in einem rechtlichen Graubereich bewegen. Wird nämlich Populationen die Fähigkeit zur Moral in nur geringem Maße zugesprochen, dann werden solche Menschen pauschal dämonisiert, als dauerhaft und unabänderlich minderwertig betrachtet. Das ist dann als Rassismus und Verhetzung zu bezeichnen.

  • Karnataka:
    Stero:


    Sarrazin vertritt nicht diese Ansicht. Er vertritt aber die Ansicht, dass Zuwanderer aus bestimmten Regionen der Welt ein geringes Bildungsniveau ausweisen und sich dies negativ auf das Land auswirkt, in das sie zuwandern. Das ist nun nicht sehr spekulativ. Manche der Verknüpfungen, die er herstellt zwischen Bildung, Intelligenz und Vererbung sind jedoch zum Teil spekulativer Natur.
    Er selbst sagte


    Menschliche Identität bildet sich vermutlich aus dem Zusammenspiel von Umwelteinflüssen, vererbten Veranlagungen und freier Entfaltung.


    Sarrazin's Aussage bezieht sich in dem Kontext des Zitates explizit auf kollektive Identität. Während du ihm Kollektivdenken auf der Grundlage von kollektiven genetischen Merkmalen unterstellst, weißt er dies hier explizit zurück. Es steht also Aussage gegen Aussage.


    Karnataka:


    Sarrazin argumentiert, dass der Einfluss der Geschichte, selbst derjenigen der letzten Jahrhunderte, bereits genetischen Ausdruck finden würde. Er gewichtet den Einfluss der Genetik als überaus entscheidend.



    Meine Einschätzung zu Thilo Sarrazin stützt sich auf seinen derzeitigen Bestseller „Wunschdenken“. Dazu ein kurzes Zitat aus dem Unterkapitel: Zur Entwicklung des Menschen.

    Wir wissen heute, dass nicht nur die menschliche Intelligenz, sondern auch alle anderen psychischen Eigenschaften überwiegend erblich sind und fortlaufend durch die natürliche Selektion weiter geformt werden.


    Dagegen ist erst Mal nichts zu sagen, weil "Intelligenz" nicht notwendigerweise als faktische sich in einem bestimmten Individuum manifestierende Intelligenz verstanden werden muss, sondern durchaus auch als die Kapazität verstanden werden kann, faktische Intelligenz zu manifestieren. Die Körperlichkeit von Gehirnen und die Basisausstattung mit neuronalen Netzen wird ja wohl vermutlich erblich bedingt sein. Letzteres lässt jedoch offen, ob und inwieweit erbliche Defizite vielleicht durch günstige soziale Interaktion, v.a. im Frühkindstadium, kompensiert werden könnten.


    Karnataka:


    (Es folgen zwei irrelevante Sätze, dann:) Auch sittliches Empfinden kann dem Grad der Funktionsfähigkeit bestimmter Hirnareale zugeordnet werden....


    Dagegen ist auch nichts zu sagen. Viele Lebensäußerungen können Gehirnarealen zugeordnet werden und die, die es noch nicht können, sind vermutlich noch nicht genügend neuro-wissenschaftlich erforscht. Dies bedeutet jedoch nicht, dass Ausmaß und Qualität dieser Lebensäußerungen im Erwachsenenalter in diesen Hirnarealen bereits per Geburt und Genen vollständig implementiert sein müssen.


    Karnataka:


    In die Politik scheint diese Erkenntnis bis heute nicht vorgedrungen zu sein. Nachdem man die Ideologie des Sozialdarwinismus verworfen und eugenische Überlegungen aus dem Raum der Politik und der Politikberatung gänzlich verbannt hatte, schien Anfang der siebziger Jahre bei dem Thema der natürlichen Evolution allgemein der Konsens zu herrschen, dass die Darwin'sche Entwicklungslehre zwar grundsätzlich gültig sei, für den Menschen aber keine praktische Relevanz habe...


    Dies ist eine persönliche Einschätzung von Sarrazin hinsichtlich vorherrschender Meinungen im Kollektiv von Politikern zu dem Fachgebiet, das er erörtert hat. Was er an der von ihm behaupteteten vermeintlich vorherrschenden Meinung konkret kritisiert wird aus deinem Zitat nicht ersichtlich und kann zum Gegenstand von Spekulation werden.


    Karnataka:


    Liest man die Passage im größeren Kontext, so steht also auch „sittliches Empfinden“ in Verbindung mit der typischen Veranlagung von Populationen. Begründet wird dies allerdings allein mit einer Fußnote. Dort wird auf einen bekannten Fall aus dem Jahr 1848 verwiesen, wo ein Mann namens Phineas Gage ein Frontalhirnsyndrom erlitt und daraufhin plötzlich ein verblüffend unsoziales Verhalten zeigte. Heute weiß die Medizin um eine Vielzahl von kognitiven Defiziten, die aus einer solchen Verletzung folgen.


    Dies gibt aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es zeigt zudem, wie Sarrazins Schriften sich „geschickt“ in einem rechtlichen Graubereich bewegen. Wird nämlich Populationen die Fähigkeit zur Moral in nur geringem Maße zugesprochen, dann werden solche Menschen pauschal dämonisiert, als dauerhaft und unabänderlich minderwertig betrachtet. Das ist dann als Rassismus und Verhetzung zu bezeichnen.


    Ich teile deine Interpretation nicht, sondern sehe sie selbst als ideologisch vorbelastet, weil sich deine Interpretation nicht notwendigerweise aus dem von dir Zitierten ergibt. Meiner Einschätzung nach führt ein ideologischer Bias bei dir zu einer Bewertung des sprachlichen Ausdruckes von Sarrazin im Kontext von vererbter Kapazität und körperlich zerebral lokalisierbarer Aktivität, welche sich aus dem zitierten sprachlichen Ausdruck Sarrazins alleine nicht notwendigerweise ergibt.


  • Im zuerst zitierten Satz geht es aber nicht nur um Intelligenz, sondern um „alle anderen psychischen Eigenschaften“, die laut Sarrazin überwiegend erblich seien und durch Selektion geformt würden. Diese Behauptung scheint mir wissenschaftlich unseriös, da zwar die Disposition zu bestimmten Affekten wie Wut, Schrecken usw. angelegt ist, der Begriff „psychische Eigenschaften“ jedoch alles Mögliche bedeuten kann. Insbesondere meine ich, eine Behauptung beispielsweise, dass auch die „psychische Eigenschaft“ Ehrlichkeit oder Hilfsbereitschaft genetisch angelegt wäre, wäre schlichtweg Quatsch, da solche Eigenschaften erst in einem komplexen Zusammenspiel entstehen, für das vermutlich besonders frühkindliche Erfahrungen verantwortlich zeichnen. Diese unsaubere Ausdrucksweise ist aber nicht zufällig gewählt, sondern ich verstehe sie im Kontext zu Sarrazins späterer Behauptung vom „sittlichen Empfinden“.


    Ich habe zuvor zwei Sätze als irrelevant bezeichnet und übersprungen. Sie lauten: Selbst der klassische Gegensatz von Leib und Seele kann heute als aufgelöst gelten. Das, was wir als menschliches Bewusstsein empfinden, ist quasi der Spiegel des Körpers im Hirn und existiert in ähnlicher Form auch bei anderen höheren Lebewesen.
    Warum fügt Sarrazin diese Sätze ein? Aus meiner Sicht sind dies typische Sätze, mit denen Neurologen so tun, als hätten sie das große Geheimnis um Körper und Geist gelüftet. Was haben solche Behauptungen aber in diesem Kontext „psychischer Eigenschaften“ zu suchen? Ich denke, Sarrazin möchte damit sehr fein ausdrücken, dass das unterschiedliche Aussehen von Populationen auf ebenso unterschiedliche psychische Eigenschaften schließen ließe. Immerhin folgt nun seine Bemerkung zum „sittlichen Empfinden“.


    Diese Verknüpfungen ergeben sich nicht „notwendigerweise“, da hast du wohl Recht. Sie sind jedoch alles andere als eine bloße Unterstellung. Es folgen reihenweise Aussagen, die sich eben alle in vergleichbarer Hinsicht auslegen lassen. Auf Wikipedia findet sich unter Sarrazins Namen die Auseinandersetzung mit diversen Aussagen sehr detailliert und chronologisch.

  • fotost:

    Ihre Feinde sind sich in ihrem Weltbild einig.


    Im Kontext von Ideologien entwickelt sich Dissenz zwar häufig zu Feindschaft, generell kann man aber nicht von Feindschaft sprechen.
    Ideologien benötigen aber aufgrund der ihnen eigenen selbsterhaltenden Dynamik Lagerbildung und damit auch Feindbilder und da kommen dann natürlich alle Personen recht, die bestimmte Ausdrücke verwenden, die bei Lesern und Hörern eine ideologische Signalwirkung haben.
    Nimmt man z.B. die beiden extremen Lager der "bloß genetischen Bedingtheit" auf der einen Seite und der "bloß sozialen Bedingtheit" auf der anderen Seite, so ist es zur Auslösung feindseliger Angriffe eines Lagers vollkommen ausreichend ausschließlich eine der beiden Sichtweisen explizit zu erörtern, obgleich man vielleicht der anderen ebenso einen Stellenwert einräumt, dies aber nicht explizit machen will, eben weil man z.B. wahrnimmt, dass das Gleichgewicht ("der mittlere Weg") in der öffentlichen Diskussion sich etwas verschoben hat, und man glaubt mit der ausschließlichen Behandlung einer Seite diese wieder "ins richtige Lot" bringen zu können. Die explizite Affirmation einer Seite bei vollkommenem Fehlen der expliziten Negation der anderen Seite ist vollkommen ausreichend um diese reflexhaften ideologischen Angriffe auszulösen. Ideologien tolerieren kein differenziertes "sowohl (und zwar unter diesen und jenen Einschränkungen) als auch (und zwar unter diesen und jenen Einschränkungen)", sondern nur ihre eigene extremistische Position.
    Ganz aussichtslos ist eine Diskussion auch, wenn eine der beiden Seiten sich auf eine moralische Gesinnung stützt. Moral ist das Gift, dass in Deutschland derzeit jede politische Diskussion verunmöglicht.
    In Berlin haben Sarrazin-Gegner eine Lesung von ihm "abgeschossen", indem sie ihn mit Sprechchören zusammengeschrien haben. Die Veranstaltung musste abgebrochen werden, bevor sie richtig begonnen hatte. Die Schreihälse wähnten sich sicher alle im Recht und auf der moralisch richtigen Seite. Politisch war es eine Bankrotterklärung dieser Leute.

  • Karnataka:

    Meine Einschätzung zu Thilo Sarrazin stützt sich auf seinen derzeitigen Bestseller „Wunschdenken“. Dazu ein kurzes Zitat aus dem Unterkapitel: Zur Entwicklung des Menschen.

    Wir wissen heute, dass nicht nur die menschliche Intelligenz, sondern auch alle anderen psychischen Eigenschaften überwiegend erblich sind und fortlaufend durch die natürliche Selektion weiter geformt werden. (Es folgen zwei irrelevante Sätze, dann:) Auch sittliches Empfinden kann dem Grad der Funktionsfähigkeit bestimmter Hirnareale zugeordnet werden. In die Politik scheint diese Erkenntnis bis heute nicht vorgedrungen zu sein. Nachdem man die Ideologie des Sozialdarwinismus verworfen und eugenische Überlegungen aus dem Raum der Politik und der Politikberatung gänzlich verbannt hatte, schien Anfang der siebziger Jahre bei dem Thema der natürlichen Evolution allgemein der Konsens zu herrschen, dass die Darwin'sche Entwicklungslehre zwar grundsätzlich gültig sei, für den Menschen aber keine praktische Relevanz habe...


    Liest man die Passage im größeren Kontext, so steht also auch „sittliches Empfinden“ in Verbindung mit der typischen Veranlagung von Populationen. Begründet wird dies allerdings allein mit einer Fußnote. Dort wird auf einen bekannten Fall aus dem Jahr 1848 verwiesen, wo ein Mann namens Phineas Gage ein Frontalhirnsyndrom erlitt und daraufhin plötzlich ein verblüffend unsoziales Verhalten zeigte. Heute weiß die Medizin um eine Vielzahl von kognitiven Defiziten, die aus einer solchen Verletzung folgen.


    Dies gibt aus meiner Sicht ein gutes Beispiel für die ideologische Interpretation wissenschaftlicher Erkenntnisse. Es zeigt zudem, wie Sarrazins Schriften sich „geschickt“ in einem rechtlichen Graubereich bewegen. Wird nämlich Populationen die Fähigkeit zur Moral in nur geringem Maße zugesprochen, dann werden solche Menschen pauschal dämonisiert, als dauerhaft und unabänderlich minderwertig betrachtet. Das ist dann als Rassismus und Verhetzung zu bezeichnen.


    Die Frage wie diese Aussagen Sarazins verstanden werden, kann sich jeder nur selber beantworten. Es ist allerdings so, dass es in Kombination mit " Survival of the Fittest" und dem Gedanken der "unabänderlichkeit der Gene" in eine gefährliche Richtung gehen wird.....dabei weiß man heute, dass wir alle nur einen Teil unseres Genpools nutzen. Genetische Sequenzen können dabei je nach umwelbedingung aktiviert oder deaktiviert werden (siehe Epigenetik)... Wer sich in der Geschäftswelt als intelligent herausstellt, kann sich im Urwald ziemlich unzulänglich anstellen und umgekehrt. Aber das ist eben kein unabänderlicher Zustand oder ein Zustand der nur durch Mutation der Nachkommenschaft potenziell verändert werden könnte... http://www.spektrum.de/thema/epigenetik/1191602


    Ein ausführlicher und interesanter Artikel ob eine neue Evolutionstheorie benötigt wird oder nicht gibt es hier: http://www.spektrum.de/news/br…evolutionstheorie/1320620


    Ich bin der Meinung wir bräuchten eine Neue, auch wenn sich Darwins Evolutionstheorie immer weiter entwickelt hat und entsprechend überarbeitet wurde. Das Problem ist, dass das Grundgerüst in den Schule gelehrt wird und weniger die relativierenden neuen Erkentnisse der Biologie. Relativierendes wird dann eher dem Sozialunterricht oder sogar dem Religionsunterricht überlassen und bekommt dadurch einen mehr oder weniger unwissenschaftlichen Beigeschmack. Das spricht ja Sarazin mehr oder weniger auch an...mit seiner Behauptung, dass ab Anfang der 70er (Hippiezeit) allgemein der Konsens herrschte die Darwinsche Entwicklungslehre hätte keine gültige Relevanz für den Menschen ( viele werden dann gedanklich hinzufügen: obwohl es wissenschaftlich erwiesen ist, will man es halt nicht haben, nur wg. unserer Nazivergangenheit ect. ect. :roll: ).

  • Stero:
    fotost:

    Ihre Feinde sind sich in ihrem Weltbild einig.


    Im Kontext von Ideologien entwickelt sich Dissenz zwar häufig zu Feindschaft, generell kann man aber nicht von Feindschaft sprechen.
    Ideologien benötigen aber aufgrund der ihnen eigenen selbsterhaltenden Dynamik Lagerbildung und damit auch Feindbilder und da kommen dann natürlich alle Personen recht, die bestimmte Ausdrücke verwenden, die bei Lesern und Hörern eine ideologische Signalwirkung haben.
    Nimmt man z.B. die beiden extremen Lager der "bloß genetischen Bedingtheit" auf der einen Seite und der "bloß sozialen Bedingtheit" auf der anderen Seite, so ist es zur Auslösung feindseliger Angriffe eines Lagers vollkommen ausreichend ausschließlich eine der beiden Sichtweisen explizit zu erörtern, obgleich man vielleicht der anderen ebenso einen Stellenwert einräumt, dies aber nicht explizit machen will, eben weil man z.B. wahrnimmt, dass das Gleichgewicht ("der mittlere Weg") in der öffentlichen Diskussion sich etwas verschoben hat, und man glaubt mit der ausschließlichen Behandlung einer Seite diese wieder "ins richtige Lot" bringen zu können. Die explizite Affirmation einer Seite bei vollkommenem Fehlen der expliziten Negation der anderen Seite ist vollkommen ausreichend um diese reflexhaften ideologischen Angriffe auszulösen. Ideologien tolerieren kein differenziertes "sowohl (und zwar unter diesen und jenen Einschränkungen) als auch (und zwar unter diesen und jenen Einschränkungen)", sondern nur ihre eigene extremistische Position.
    Ganz aussichtslos ist eine Diskussion auch, wenn eine der beiden Seiten sich auf eine moralische Gesinnung stützt. Moral ist das Gift, dass in Deutschland derzeit jede politische Diskussion verunmöglicht.
    In Berlin haben Sarrazin-Gegner eine Lesung von ihm "abgeschossen", indem sie ihn mit Sprechchören zusammengeschrien haben. Die Veranstaltung musste abgebrochen werden, bevor sie richtig begonnen hatte. Die Schreihälse wähnten sich sicher alle im Recht und auf der moralisch richtigen Seite. Politisch war es eine Bankrotterklärung dieser Leute.


    Niklas Luhmann kommt in seiner Kritik der Moral zum Schluss, dass Ethik vor Moral warnen müsste. Denn Moralisieren wäre empirisch nichts anderes als das Verteilen von Achtung/Missachtung und hätte daher immer eine Nähe zum Streit, zur Lagerbildung. Besonders Fragen, die mit zukünftigen Risiken zu tun hätten, müssten abseits von Moral geklärt werden, forderte er. Moralisieren hätte höchstens eine Alarmfunktion, dass etwas Grundsätzliches nicht passt, zumeist würde es den vernünftigen Diskurs aber behindern.


    Ich teile Luhmanns Warnung nur sehr bedingt. Aus Luhmanns absolut wertfreier Perspektive wäre beispielsweise der Islamismus so eine "moralische" Ideologie, die keine vernünftige Auseinandersetzung zulässt. Gerade aufgrund dieser Problematik gesellschaftlicher Moralisierens finde ich jedoch, dass Ethik zentral der Stärkung der gegenseitigen Achtung dienen sollte, wie dies im berühmten Satz der Nächstenliebe eben zum Ausdruck kommt.

    Das Niederschreien erinnert an die Peter-Singer-Debatte vor 30 Jahren. Die Demonstranten wollten keinen rein rationalen Diskurs über Sterbehilfe für schwerstbehinderte Neugeborene, da sie dies als „Dammbruch“ empfanden.

  • fotost:
    Sunu:


    Ein ausführlicher und interesanter Artikel ob eine neue Evolutionstheorie benötigt wird oder nicht gibt es hier: http://www.spektrum.de/news/br…evolutionstheorie/1320620


    Ich bin der Meinung wir bräuchten eine Neue, auch wenn sich Darwins Evolutionstheorie immer weiter entwickelt hat und entsprechend überarbeitet wurde.


    Schreib' einfach eine neue und liefere die erforderlichen Beweise...
    Nobelpreis garantiert! 8)


    Gibt es schon längst


    https://de.wikipedia.org/wiki/Frankfurter_Evolutionstheorie


    Oder die Autopoietische Systemtheorie:


    Zitat

    In einem vielzelligen Organismus schliessen sich die einzelnen Zellen zu einer übergeordneten metazellulären Organisation zusammen und bilden damit eine autopoietische Einheit 2.Ordnung. Die Autonomie, über die sie verfügen, erlaubt ihnen, ihre Anpassung an die Umwelt gewissermassen selbst zu erzeugen. Diese Vorstellung ist eine Kampfansage an diejenige einer Selektion in darwinistischem Stil. Es gibt nicht Lebewesen, die besser oder schlechter angepasst sind, sondern Lebewesen sind im Prinzip, da sie ja leben, angepasst; es gibt nur eine Existenz des Erlaubten. Es sind viele Strukturvarianten möglich, die zu lebensfähigen Organismen führen.88 Das Prinzip der natürlichen Auslese macht einem Prinzip Platz, das die Autoren "natürliches Driften" nennen.89 Dieses beinhaltet, dass eine Art in der Weise zu einer Stammesgeschichte kommt, dass sie selbst ihren evolutiven Weg sucht, wobei dieser nicht vorgezeichnet ist, aber auch nicht beliebig sein kann. In jedem Moment der Evolution gibt es nur eine limitierte Anzahl von möglichen Bahnen, denen die Entwicklung folgen kann. Zur Erklärung verwenden Maturana und Varela die anschauliche Metapher eines Experimentators, der auf einem spitzgipfligen Berg sitzt und immer wieder Wassertropfen in die gleiche Richtung wirft, um dann ihre Abflussbahnen zu verfolgen. Diese werden bei Wiederholung in Abhängigkeit von verschiedenen Faktoren unterschiedlich ausfallen. Mal treffen die Tropfen etwas anders auf, mal treffen sie beim Ablaufen auf ein Hindernis, mal werden sie vom Wind beeinflusst usw.


    http://www.humanecology.ch/ind…spg=71&nav=3&sub=4&scy=21


    Gemeinsam haben diese Theorien, dass sie keine Einbahnstraßen sind...Hier rückt das abhängige Entstehen in den Vordergrund anstelle einer absoluten Instanz die eine Entwicklung vorgibt. Weitergedacht ergibt sich daraus eine ganz andere Sicht auf das Leben und das hat wiederum Konsequenzen was das (zusammen)leben betrifft.


    Niklas Luhmann ist da übrigens ein gutes Stichwort. Er hat ja Maturanas Autopoiesie Konzept auf soziale Systeme übertragen.
    Das hat eben ganz andere Konsequenzen als die Übertragung von Darwins " survival of the fittest" ins Soziale.

  • Sunu:

    Die Frage wie diese Aussagen Sarazins verstanden werden, kann sich jeder nur selber beantworten. Es ist allerdings so, dass es in Kombination mit " Survival of the Fittest" und dem Gedanken der "unabänderlichkeit der Gene" in eine gefährliche Richtung gehen wird.....dabei weiß man heute, dass wir alle nur einen Teil unseres Genpools nutzen. Genetische Sequenzen können dabei je nach umwelbedingung aktiviert oder deaktiviert werden (siehe Epigenetik)... Wer sich in der Geschäftswelt als intelligent herausstellt, kann sich im Urwald ziemlich unzulänglich anstellen und umgekehrt. Aber das ist eben kein unabänderlicher Zustand oder ein Zustand der nur durch Mutation der Nachkommenschaft potenziell verändert werden könnte... http://www.spektrum.de/thema/epigenetik/1191602


    Ein ausführlicher und interesanter Artikel ob eine neue Evolutionstheorie benötigt wird oder nicht gibt es hier: http://www.spektrum.de/news/br…evolutionstheorie/1320620


    Ich bin der Meinung wir bräuchten eine Neue, auch wenn sich Darwins Evolutionstheorie immer weiter entwickelt hat und entsprechend überarbeitet wurde. Das Problem ist, dass das Grundgerüst in den Schule gelehrt wird und weniger die relativierenden neuen Erkentnisse der Biologie. Relativierendes wird dann eher dem Sozialunterricht oder sogar dem Religionsunterricht überlassen und bekommt dadurch einen mehr oder weniger unwissenschaftlichen Beigeschmack. Das spricht ja Sarazin mehr oder weniger auch an...mit seiner Behauptung, dass ab Anfang der 70er (Hippiezeit) allgemein der Konsens herrschte die Darwinsche Entwicklungslehre hätte keine gültige Relevanz für den Menschen ( viele werden dann gedanklich hinzufügen: obwohl es wissenschaftlich erwiesen ist, will man es halt nicht haben, nur wg. unserer Nazivergangenheit ect. ect. :roll: ).


    Danke für den interessanten Artikel, der zeigt, dass alles eigentlich viel komplizierter ist… Wenn mein Hirn ausgeschlafen ist, werde ich nochmal darüber nachdenken… Am Schluss musste ich lachen, wenn es heißt:
    Darwin hatte bereits mehr als 40 Jahre lang Daten gesammelt, bevor er die Behauptung aufstellte, Regenwürmer hätten "in der Geschichte der Welt eine weitaus größere Rolle gespielt als gemeinhin angenommen". Und selbst dann veröffentlichte er dies nur aus der Befürchtung heraus, bald "zu ihnen zu gehören".


    Besonders Darwins Gedanken zum moralischen Empfinden gehören für mich zum Tiefsinnigsten, was je dazu gedacht wurde. Kurz habe ich ihn mal gelesen und war von seiner Sprache sehr beeindruckt.

  • Karnataka:


    Besonders Darwins Gedanken zum moralischen Empfinden gehören für mich zum Tiefsinnigsten, was je dazu gedacht wurde. Kurz habe ich ihn mal gelesen und war von seiner Sprache sehr beeindruckt.


    Übrigens...
    Darwin spricht dabei ja von einer angeborenen Moral. Ich denke im Gegensatz dazu bezieht sich Niklas Luhmann auf eine ideologische Moral. Wie du weiter oben beschrieben hast, geht es dort um das " Moralisieren" ,d.h. um eine Umkonditionierung von eigentlich angeborenen moralischen Verhalten, welches nicht erlernt werden muss.



    Zitat

    Der Biologe Hans Mohr drückt es folgendermaßen aus: „Wir brauchen moralisches Verhalten nicht zu lernen – es ist eine angeborene Disposition, die uns befähigt, das moralisch Richtige zu treffen.“[4] Die konkreten Moralvorstellungen eines Menschen sind jedoch kulturell überprägt: Sie äußern sich etwa in der „goldenen Regel“, in religiösen Handlungsvorschriften (etwa die Zehn Gebote im Christentum, die Fünf Silas im Buddhismus oder die Traumzeit-Mythologie der australischen Aborigines[5]) oder in den Rechtsnormen der modernen Staaten. Trotz der moralischen Veranlagung können Erziehung und ideologische Manipulation selbst destruktive Verhaltensweisen zum angeblich „Guten“ erheben, die den eingangs genannten Eigenschaften komplett widersprechen.


  • Ich unterscheide nicht zwischen Moral und Ethik, weil die Worte von Moralisten/Ethikern austauschbar verwendet werden und zudem sowieso eine semantische Schnittmenge aufweisen. Insofern würde ich auch nicht sagen, "dass Ethik vor Moral warnen müsste". Ich würde aber sagen, dass Rationalität vor Moral und Ethik schützt.


    Karnataka:


    Das Niederschreien erinnert an die Peter-Singer-Debatte vor 30 Jahren. Die Demonstranten wollten keinen rein rationalen Diskurs über Sterbehilfe für schwerstbehinderte Neugeborene, da sie dies als „Dammbruch“ empfanden.


    Aus dieser gedanklichen Verknüpfung könnte man nun eine Rechtfertigung dieses anti-demokratischen und rechtswidrigen Verhaltens rauslesen, eine Rechtfertigung ganz so wie sie unter religiös motivierten Moralisten üblich ist, die ihre Moral/Ethik über das Recht stellen. Der Islamismus ist da mit der Scharia nur besonders prominent, aber Buddhismus und Christentum unterscheiden sich in ihrem politischen Anspruch davon nicht wirklich.

  • Sunu:
    Karnataka:


    Besonders Darwins Gedanken zum moralischen Empfinden gehören für mich zum Tiefsinnigsten, was je dazu gedacht wurde. Kurz habe ich ihn mal gelesen und war von seiner Sprache sehr beeindruckt.


    Übrigens...
    Darwin spricht dabei ja von einer angeborenen Moral. Ich denke im Gegensatz dazu bezieht sich Niklas Luhmann auf eine ideologische Moral. Wie du weiter oben beschrieben hast, geht es dort um das " Moralisieren" ,d.h. um eine Umkonditionierung von eigentlich angeborenen moralischen Verhalten, welches nicht erlernt werden muss.


    Darwin schreibt zur Entwicklung des moralischen Empfindens:

    „Wenn der Mensch in der Kultur fortschreitet und kleinere Stämme zu größeren Gemeinschaften vereinigt werden, so wird das einfachste Nachdenken jedem Individuum sagen, dass es seine sozialen Instinkte und Sympathien auf alle Glieder der Nation auszudehnen hat, selbst wenn sie ihm persönlich unbekannt sind. Ist dieser Punkt einmal erreicht, so besteht dann nur noch eine künstliche Grenze, welche ihn abhält, seine Sympathie auf alle Menschen aller Nationen und Rassen auszudehnen. In der Tat, wenn gewisse Menschen durch große Verschiedenheiten im Äußeren oder in der Lebensweise von ihm getrennt sind, so dauert es, wie uns unglücklicherweise die Erfahrung lehrt, lange, ehe er sie als seine Mitgeschöpfe betrachtet. Sympathie über die Grenzen der Menschheit hinaus, d.h. Humanität gegen die niederen Tiere scheint eine der spätesten moralischen Erwerbungen zu sein…
    Diese Tugend, eine der edelsten, welche dem Menschen eigen ist, scheint als natürliche Folge des Umstands zu entstehen, dass unsere Sympathien immer zarter und weiter ausgedehnt werden, bis sie endlich auf alle fühlenden Wesen sich erstrecken.“


    Nach Jahren des Nachdenkens, was überhaupt das Gebiet der Ethik sein soll, fand ich all dies bei Darwin in einem einzigen Satz ausgedrückt. Er schrieb: Schließlich entsteht unser moralisches Gefühl, oder unser Gewissen; ein äußerst kompliziertes Empfinden, entsprungen den sozialen Instinkten, geleitet von der Anerkennung unserer Mitmenschen, geregelt von Verstand, Eigennutz und, in späteren Zeiten, von tiefen religiösen Gefühlen, und befestigt durch Erziehung und Gewohnheit.


    Darwin hat sogar den Eigennutz in seine Definition eingebunden! Zugleich zeigt dies, wie komplex die Sache ist. Das „Angeborene“ der Moral nenne ich „Fürsorglichkeit“. Gemeint ist ein Empfinden, das beispielsweise eine Mutter motiviert, für ihr Kind zu sorgen.


    Du schreibst von "Umkonditionierung": ich glaube auch, dass etwa die spezifische "Moral der Mafia" eine solche zur Voraussetzung haben muss.


    Luhmann hat den gesellschaftlichen Aspekt der „Anerkennung unserer Mitmenschen“ hervorgehoben. Seine Kritik formulierte er anhand der Auseinandersetzung um die Atomkraft (Wackersdorf). Sie findet sich hier, kurz nach Minute 13 bis Minute 17: https://www.youtube.com/watch?v=qRSCKSPMuDc

  • Stero:


    Ich unterscheide nicht zwischen Moral und Ethik, weil die Worte von Moralisten/Ethikern austauschbar verwendet werden und zudem sowieso eine semantische Schnittmenge aufweisen. Insofern würde ich auch nicht sagen, "dass Ethik vor Moral warnen müsste". Ich würde aber sagen, dass Rationalität vor Moral und Ethik schützt.


    Es gibt keine allgemeingültige Definition dessen, was Moral und Ethik sein sollen. Zumeist zeigen die Erklärungen von Ethikern bloß, woher der weltanschauliche Wind bläst. Gibt es im englischen Sprachgebrauch überhaupt eine Unterscheidung? Werden Übersetzungen dieser Unterscheidung gerecht?


    Sinnvoll scheint mir, mit „Moral“ das zu bezeichnen, was empirisch feststellbar ist, z.B.: In Russland wird Homosexualität überwiegend tabuisiert.


    Ethik meint demgegenüber das Nachdenken über solche Phänomene. Dass Ethik hierin aber eine Wissenschaft sein kann, halte ich für Quatsch.


    In Form von „Tugendethik“ meint Ethik zudem das persönlich und gemeinschaftlich gute Leben. Hier lässt sich die säkulare Ethik des Dalai Lama einordnen, die allerdings auch utilitaristische und religiöse Züge trägt.

    Schließlich gibt es noch den gewöhnlichen Sprachgebrauch, wo das Wort „Moral“ häufig mit überholten Vorstellungen zur Sexualität assoziiert wird, wohingegen Ethik cooler klingt.


    Reine Rationalität motiviert zu gar nichts, würde ich mal sagen. Einen „guten Willen“ braucht es schon. Niklas Luhmann bestreitet dies übrigens, indem er meint, selbstsüchtige Absichten würden in der Wirtschaft zu guten Folgen führen.

  • Karnataka:

    Reine Rationalität motiviert zu gar nichts, würde ich mal sagen. Einen „guten Willen“ braucht es schon. Niklas Luhmann bestreitet dies übrigens, indem er meint, selbstsüchtige Absichten würden in der Wirtschaft zu guten Folgen führen.


    Das würde mich sehr wundern wenn Luhmann das gesagt hätte. Er lieferte nur Methoden die der Beschreibung von Systemen dienten und zwar urteilslos. Ich kann mir nicht vorstellen, dass da ein gut/schlecht hineingepasst hätte....oder gar ein " selbstsüchtig". Vlt. wurde da der Autopoiesis Begriff irgendwie von irgendwem als " Selbstsucht" interpretiert...
    Gibt es dazu Zitate ?