Theorie vs.Praxis

  • O.k., mir war nicht klar, dass der Begriff "Buddhist", ausschließlich nur für die Anhängerschaft der Lehre gilt.


    Da Buddha den 8fachen Pfad nicht nur aufgezeigt, sondern verwirklicht hat, verstand ich ihn als ersten Buddhisten.

    Für mich ist das logisch und auch sprachlich habe ich es für einen lustigen Widerspruch gehalten, wenn ein Buddha nicht zwangsläufig Buddhist ist .


    Ich hatte @voids Text auch gestern so verstanden, dass, wenn jemand behauptet, dass Buddha kein Buddhist wäre, dies als nachvollziehbarer Angriff verstanden werden kann.

    Müssen wir aber hier nicht weiter vertiefen, ist zu theoretisch.


    Zum Thema Praxis und den segensreichen Vorstellungen- da kann ich inzwischen bestätigen, dass sich durch regelmäßige Praxis eine tatsächliche "Entreizung" einstellt, die sich darin äußert, dass thanā weniger auftritt und das ist ziemlich angenehm, manchmal sogar schon bisschen langweilig :angel:

  • Komisch finde ich nur, dass viele aus dem lebendigen Buddhismus – als unmittelbare, lebendige, innige Erfahrung (eher im Sinne von Paul Dahlke) – diese vertrockneten Gebäude einer toten Religion zusammenbasteln.

    Kannst du ein, zwei Beispiele nennen, die verdeutlichen was du für ein vertrocknetes Gebäude des toten Buddhismus hältst?

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Der Titel dieses Threads suggeriert ja einen Gegensatz von Theorie und Praxis. Im Kontext des Dharma sehe ich aber keinen Gegensatz zwischen ihnen. Vielmehr sind beide nötig und sie ergänzen und befördern einander.


    In der Lehrrede von den vier edlen Wahrheiten ist der Zusammenhang deutlich formuliert worden. Zunächst heißt es, dass man etwas erkennen muss und dann wird gesagt, was zu praktizieren ist und als drittes muss man die Erfahrung machen, dass man das zu Praktizierende verwirklicht hat.


    Wenn man sich diesbezüglich die ersten beiden edlen Wahrheiten anschaut, dann heißt es

    1. dass die wahren Leiden zu erkennen sind; es werden acht Arten genannt.
    2. dass die edle Wahrheit vom Leiden vollkommen verstanden werden muss.
    3. dass man die Gewissheit erlangen muss, dass man die wahren Leiden vollkommen verstanden hat.

    ----------------------------

    1. dass man die wahren Ursprünge des Leidens erkennen muss.
    2. dass die wahren Ursprünge der Leiden aufgegeben werden müssen.
    3. dass man die Gewissheit erlangen muss, dass man die Wahrheit von den Ursprüngen des Leidens aufgegeben hat

    Wenn man die wahren Ursprünge des Leidens nicht erkannt hat, dann kann man auch keine Praxis zu ihrer Überwindung durchführen. Erkenntnis und Praxis sind nicht identisch, aber sie bedingen einander und befördern sich gegenseitig.


    Diesen Zusammenhang Erkenntnis und Praxis findet man auch bei den Vollkommenheiten Freigebigkeit, Ethik, Geduld, Tatkraft, Konzentration und Weisheit.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Der Titel dieses Threads suggeriert ja einen Gegensatz von Theorie und Praxis. Im Kontext des Dharma sehe ich aber keinen Gegensatz zwischen ihnen. Vielmehr sind beide nötig und sie ergänzen und befördern einander.

    Da sind wir sicherlich komplett einer Meinung.


    Wenn man die wahren Ursprünge des Leidens nicht erkannt hat, dann kann man auch keine Praxis zu ihrer Überwindung durchführen.

    Das stimmt nach meiner Erfahrung nicht so ganz.


    Man muss die Ursprünge nicht erkannt haben, sondern nur davon wissen, als Anregung für Beobachtung. In der Entwicklung der Praxis erkennt man dann durch Untersuchung, dass sie für das eigene Leben wahr sind.


    Was dann zu einer anderen Praxis führt, so wie Du geschrieben hast:

    Erkenntnis und Praxis sind nicht identisch, aber sie bedingen einander und befördern sich gegenseitig.

    Liebe Grüße,

    Aravind.

  • " 3. dass man die Gewissheit erlangen muss, dass man die Wahrheit von den Ursachen des Leidens aufgegeben hat."


    Helmut ,eine Frage, weil ich über diesen Satz gestern mit meiner Freundin noch länger gesprochen habe, was wohl genau damit gemeint ist und wie dies in die Praxis umzusetzen sei.


    Wenn ich die Ursachen des Leidens aufgebe, dann heißt das doch praktisch, dass ich Einsicht habe in das abhängige Entstehen des Leidens und mittels 8fachen Pfad "aussteige".

    Was meinst du mit "Wahrheit aufgeben" und wie findest du dies in den ersten 2 Wahrheiten?


    Kannst du es bitte erklären? _()_

  • Wenn ich die Ursachen des Leidens aufgebe, dann heißt das doch praktisch, dass ich Einsicht habe in das abhängige Entstehen des Leidens und mittels 8fachen Pfad "aussteige".

    Was meinst du mit "Wahrheit aufgeben" und wie findest du dies in den ersten 2 Wahrheiten?

    Ehrlich gesagt verstehe ich weder den Inhalt noch die grammatische Struktur.


    Wenn ich die rechte Ansicht Pali: sammā-ditth- habe, dann ist sie die notwendige Voraussetzung dafür, das Leiden in der Praxis zu mildern.


    Wenn ich also sage: "Ich gebe die Ursachen des Leidens auf", klingt das eher verwirrend, denn das Leiden bleibt trotzdem bestehen – nur im Nirvana ist es vollständig überwunden.


    Es sollte logisch sein, scheint mir. :? Oder?

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Kannst du ein, zwei Beispiele nennen, die verdeutlichen was du für ein vertrocknetes Gebäude des toten Buddhismus hältst?

    Kann ich:


    Zitat

    Aus dem Mahayâna entwickelte sieh etwa 500 Jahre später, also um die Mitte des ersten Jahrtausends nach Christus, eine weitere Form des Buddhismus, das Vajrayāna, das Diamant- oder Donnerkeil-Fahrzeug. Es besteht in einem verwickelten System von Zaubersprüchen und Zauberriten, durch die man Wunderkräfte in sich zu entfalten glaubte. Von den Anhängern dieser Richtung wurde als höchstes Wesen der Buddha Vairocana verehrt. Der Kultus artete schliesslich aus zu einem rituellen Geschlechtsverkehr. Der Theorie nach soll bei diesem Akt keine sinnliche Lust erstrebt, sondern jenseitige Erkenntnis erweckt werden. Der Handelnde «soll sich seiner Identität mit der ewigen Weltkraft bewusst werden, in welcher alle Zweiheit aufgehoben und die Wonne des All-Einen, Absoluten verwirklicht ist. Indem er die Frau ‚erkennt‘, gewinnt er die übersinnliche Erkenntnis, dass alles individuelle Denken im Schoss der ‚Leere‘ vergeht und dass jedes scheinbare Selbst in einer höheren Einheit aufgehoben wird». (FN 1) Im Vajrayāna hat sich der Buddhismus in sein Gegenteil verkehrt.

    Fußnote (1) Helmut von Glasenapp, Der Buddhismus in Indien und im Fernen Osten, Berlin 1939, Seite 91.

    Als der Buddhismus solche Formen angenommen hatte, ging er in seinem Heimatlande Indien zugrunde, verdrängt durch den Hinduismus, in dem einiges von der Lehre des ursprünglichen Buddhismus in anderer Gestalt fortlebt. In Ostasien und in Tibet breitete sich aber der Buddhismus immer mehr aus, und zwar vorzugsweise in der Form des Mahayāna, das man deshalb, wenn auch nicht ganz zutreffend, als nördlichen Buddhismus bezeichnet.


    Buddhas Lehre Kurt Schmidt

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Railex


    Die vier edlen Wahrheiten haben jeweils drei Aspekte:

    1. Man muss etwas erkennen
    2. Man muss etwas praktizieren
    3. Man muss die Gewissheit erlangen, dass man das Ziel der Praxis verwirklicht hat

    In Bezug auf die zweite edle Wahrheit verstehe ich dies so:

    1. Man muss die Ursachen der Leiden erkennen: Daseinstrieb usw.
    2. Man praktiziert den achtfachen Pfad, um die Leidensursachen zu überwinden
    3. Man macht die Erfahrung, dass man durch seine Praxis dies erreicht hat: Die Leidensursachen sind vollständig überwunden und damit auch die Leiden von denen in der ersten edlen Wahrheit gesprochen wurde.

    Die Einsicht in das abhängige Entstehen ist die Voraussetzung dafür, dass man die Gewissheit erlangen kann, dass die Leidensursachen aufgegeben werden können und dass es deshalb angemessen ist den achtfachen Pfad zu praktizieren.


    Wenn es in SN 56.11 heißt, man müsse die Wahrheit der Leidensursprünge überwinden, dann bedeutet meines Erachtens in diesem Zusammenhang Wahrheit der Leidensursachen, dass man die Leidensursprünge so erkennen muss wie sie von den Heiligen verstanden und erklärt werden.


    Und die Wahrheit der Leidensursprünge überwinden bedeutet dann meines Erachtens, dass man die Leidensursprünge, die von den Heiligen erkannt wurden aufgeben muss.


    Wahrheit bezieht sich darauf, dass es sich jeweils um die Erkenntnisse der Heiligen handelt, nicht um irgendwelche anderen Erkenntnisse bezüglich des Leidens und seiner Ursachen.


    Man gibt nicht die Wahrheiten auf, sondern das was die Heiligen als wahr erkannt haben. Kurz gefasst kann man sagen:

    • In der ersten edlen Wahrheit geht es darum, die Leiden gemäß den Erkenntnissen der Heiligen zu erkennen und vollständig zu durchschauen
    • In der zweiten edlen Wahrheit geht es darum, die Leidensursachen gemäß den Erkenntnissen der Heiligen zu erkennen und dann vollständig zu überwinden.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • danke Helmut , das hatten wir auch so vermutet und so ist es auch klar und wenn du die 3 Aspekte der 4 Wahrheiten auf die 2te Wahrheit beziehst, dann ist natürlich die Praxis des 8fachen Pfades schon inbegriffen und bestenfalls verwirklicht.

    _()_

  • Also meine Frage hat sich geklärt Igor07,


    "Ursachen des Leidens" aufgegeben ist mir wiederum klar, aber frag mich nicht, ob was logisch ist :)

  • Wenn ich die rechte Ansicht Pali: sammā-ditth- habe, dann ist sie die notwendige Voraussetzung dafür, das Leiden in der Praxis zu mildern.


    Wenn ich also sage: "Ich gebe die Ursachen des Leidens auf", klingt das eher verwirrend, denn das Leiden bleibt trotzdem bestehen – nur im Nirvana ist es vollständig überwunden.


    Es sollte logisch sein, scheint mir. :? Oder?

    Die Logik der vier Wahrheiten ist:

    • Sind die Leiden verursacht oder nicht
    • Sie sind verursacht, also können sie überwunden werden
    • Das Mittel mit dem die Ursachen des Leidens überwunden werden ist der achtfache Pfad
    • Hat man mittels des achtfachen Pfades die Leidensursachen ein für alle Male überwunden, hat man die wahren Beendigungen verwirklicht.

    Das Überwinden der Leidensursachen mittels des achtfachen Pfades ist ein langer Prozess. Man kann die Leidensursachen nur schrittweise aufgeben. So lange man in Samsara verweilt und den achtfachen Pfad praktiziert, reduziert man die Leidensursachen nach und nach; sie werden immer schwächer und geringer.


    Erst wenn alle Leidensursachen vollständig überwunden sind, hat man die wahren Beendigungen, also Nirvana verwirklicht. Aber dann gibt es nichts mehr zu verwirklichen.

    Gruß Helmut


    Als Buddhisten schätzen wir das Leben als höchst kostbares Gut.

  • Die Logik der vier Wahrheiten ist:

    Sorry, diese ganze mentale Akrobatik verstehe ich kaum.


    Aber ich lese im Buch Nirvana (Verlag Beyerlein & Steinschulte) auf Seite 21 im Beitrag von Nyanaponika:


    „Die kanonischen Texte, in denen die vier edlen Wahrheiten dargestellt werden, erklären, dass Nibbāna – die dritte Wahrheit – zu verwirklichen ist; sie muss weder verstanden werden (wie die erste Wahrheit), noch muss sie entwickelt werden (wie die vierte Wahrheit).“


    Und das ist, wie mir scheint, sehr klar ausgedrückt. _()_

    Ein Leben ohne Selbsterforschung verdiente gar nicht gelebt zu werden.

    Sokrates

  • Nibbana ist jenseits aller Wahrheiten, der Gegensatz zu Samsara der Ort aller Wahrheiten.

    Menschen haben oft Schwierigkeiten, auf das Wesentliche reduzierte Menschen zu verstehen.

    Ein Mensch, der sich auf das Wesentliche reduziert, hat Schwierigkeiten, sich anderen Menschen verständlich zu machen.

    Ich werde den Weg des mich Reduzierens nicht mehr verlassen, kann ich auch nicht.

    Den gehe ich seit Jahrzehnten.