Buddhismus und das was zwichen den Menschen ist

  • Angeregt von Ji'un Kens Frage nach einem buddhistischen Motto für einen interreligiösen Dialog möchte ich hier eine ganz offene Frage stellen. Offen soll meinen: ich habe schlicht keine Ahnung, meine Frage ist nicht provokant, sondern Durst nach Information:


    Ich bin milde irritiert über die Abwesenheit des Gast-Begriffes (siehe Ji'un Kens Thread). Ich meine, Religionen bilden häufig neben einem mehr oder minder originären spirituellen oder philosophischen Kern oft auch eine Art Regel-Kanon für das Zusammenleben der Gesellschaft, in und aus der sie sich entwickelt haben. Wie fest dieser Kanon ist, wie detailliert und wie er verankert ist sei dahingestellt. Es muss ja nicht einmal ein rigoroses Regelwerk für das ganze Leben sein. Gesellschaft ist ja im kleinsten bereits das, was zwischen zwei Menschen passiert…
    Nun gibt es die Aufforderung, dass der buddhistische Weg im Ende zum Wohle aller dienen soll. Der Begriff des Mitgefühls ist zentral. All dies bezieht sich (zwar nicht nur) aber auch auf das Zusammenleben von Menschen.
    Gleichzeitig erscheint mir die Begrifflichkeit abstrakt. Das ist schön, denn es überlässt dem sich damit auseinandersetzenden die Freiheit, dies für sich zu verstehen und umzusetzen.
    GIbt es aber konkretere Formulierungen zu einem Kodex/Kanon bezüglich des Zusammenlebens der Menschen? Ganz neutral, ob sie nun in unseren Augen gefällig sind oder nicht?
    Hier darf – um das vom Thread »Wahrheit ist der Tod der Kommunikation« abzugrenzen gerne auch Quellenmaterial bzw. Hinweise darauf geliefert werden. Ich bin da »auf Lücke« ;)
    Wenn es um Eure Wahrnehmungen/Umsetzungen buddhistischer Appelle im Kontext meiner Frage geht, auch dies sehr gerne.


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • Naja, wenn Du nach Kodex fragst, da kommt die alte Leier: 5 Silas befolgen, 10 unheilsame Handlungen unterlassen.
    http://www.berzinarchives.com/…=10+unheilsame+handlungen


    Das bezieht sich aber auch auf die Pflege des eigenen Karmas und somit auf das Wohl aller. "Ich und andere", das ist zumindest im Mahayana weniger getrennt.
    Beim buddhistischen Althruismus ist immer auch noch das Streben nach eigener Erleuchtung/Erlösung zwischengeschaltet.


    Ein wichtiger Punkt ist eben auch der Leerheitsgedanke - den gibt es, meine ich, in anderen Religionen so nicht, oder er wird zumindestens nicht so erkannt.
    Wenn der Buddhist also annimmt, es gäbe gar kein festes, eigenständiges Ich, nach dem man greifen könne, warum sollte er sich selbst dann hier als Gast bezeichnen? "Gast" impliziert irgendwie, dass da "etwas festes" ist, oder?
    So stelle ich es mir vor.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Zitat

    Gast" impliziert irgendwie, dass da "etwas festes" ist, oder?


    Nein, das wäre dann ein "Dauergast". :D


    Warum soll der Begriff überhaupt etwas Festes implizieren? Man kann ja "auch Gast" sein, so wie wir alles immer "auch" sind.
    Ich bin Frau, solange ich lebe ist das fest. Soll ich das weglassen, den Begriff nicht mehr verwenden, nur weil es der buddhistischen Vorstellung von der Bedingtheit und Vergänglichkeit, dem nicht inhärenten Festen, scheinbar entgegensteht? Tut es doch gar nicht. Ich bin Frau und dies und das und jenes … alles mögliche und immer mal mehr oder weniger dies oder das oder jenes.


    Der Leerheitsgedanke … Die meisten von uns haben ihn wohl nicht zur Gänze verstanden und solange wir das nicht haben, können wir gar kein Urteil davon abgeben, ob es in anderen religiösen Traditionen das nicht auch gibt. Außerdem bezweifle ich stark, dass die Erkenntnis darüber nur den Buddhisten vorenthalten ist. Dann wäre sie nämlich nichts Universelles und somit kein Gesetz mehr, sondern nur noch eine Vorstellung (was der liebe Gründl vielleicht sogar bestätigen wird). Zudem könnten wir das nur dann wirklich beurteilen, wenn wir in anderen Religionen die "höchsten Weihen" erhalten und realisiert hätten. Aber wir stochern nur im Nebel und stellen Vermutungen an. Übrigens bin ich aufgewachsen mit den Sätzen: "Das eine ergibt das andere." und "Das kannst Du sehen wie Du willst."


    Auch das Streben nach eigener Erkenntnis kenne ich aus anderen Traditionen. Das ist eigentlich eine Binse, dass man vor der eigenen Haustüre kehren, den Pfahl im eigenen Auge sehen sollte.


    Der Buddhismus ist gar nix Besonderes.


    Liebe Grüße
    Doris - Knochensack

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • @LL: ja – da sind Kodizes. Die erscheinen dem einen vage, dem anderen (dazu zähle ich mich eher) faszinierend, weil sie mit eigenem zu bewegen sind, also eher wie eine Plattform, die nur die Grundannahmen und einen Weg anbietet.
    Wenn – ich bin da nur neugiereig – gibt es konkreteres? In nachfolgenden Kommentaren? In Ausprägungen der Schulen und Linien?


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • malsehen:


    GIbt es aber konkretere Formulierungen zu einem Kodex/Kanon bezüglich des Zusammenlebens der Menschen? Ganz neutral, ob sie nun in unseren Augen gefällig sind oder nicht?


    Das wäre der Bereich der Sittlichkeit, eines der Felder des Achtfachen Pfades (immerhin drei Pfadglieder an der Zahl).
    Das ist der komplette Bereich der buddhistischen Ethik, die vorrangig eine Ethik des Nicht-Schadens ist.
    Da gibt es haufenweise konkrete Formulierungen: so auch zum Bereich Rechte Rede.


    http://www.buddhaland.de/viewtopic.php?f=53&t=7027&p=125414


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • malsehen:

    @LL: ja – da sind Kodizes. Die erscheinen dem einen vage, dem anderen (dazu zähle ich mich eher) faszinierend, weil sie mit eigenem zu bewegen sind, also eher wie eine Plattform, die nur die Grundannahmen und einen Weg anbietet.
    Wenn – ich bin da nur neugiereig – gibt es konkreteres? In nachfolgenden Kommentaren? In Ausprägungen der Schulen und Linien?


    Hm, also für den Anfang finde ich "Nicht töten, stehlen, lügen, sexuell fehlverhalten und sich nicht berauschen" schon ziemlich konkret.
    Letztendlich wird es alles konkret, wenn man es in seinen Alltag einbezieht. Diese Einzelfragen: "2000 Blattläuse töten oder einen 100-jährigen Rosenstock kaputt gehen lassen?" Da muss dann jeder für sich selber abwägen, was er meint, was wohl das kleinere Übel sei - aber da ist man dann schon mitten drin, konkret, in der Ethik.


    Viele Themen klingen erstmal wie abstrakte Worthülsen und erhalten erst Substanz und werden "konkret", wenn man sich eingehender darin schult.

    :rainbow: Gute Wünsche für jede und jeden. :tee:


  • Lieber malsehen,


    ein paar Gedanken von mir dazu (Ganz bestimmt ohne Anspruch auf Korrektheit oder gar Allgemeingültigkeit - ganz subjektiv):


    malsehen:

    Ich bin milde irritiert über die Abwesenheit des Gast-Begriffes (siehe Ji'un Kens Thread). Ich meine, Religionen bilden häufig neben einem mehr oder minder originären spirituellen oder philosophischen Kern oft auch eine Art Regel-Kanon für das Zusammenleben der Gesellschaft, in und aus der sie sich entwickelt haben. Wie fest dieser Kanon ist, wie detailliert und wie er verankert ist sei dahingestellt.


    Fett von mir.


    Das mag der Punkt sein. Der Buddhismus ist eben nicht eine gewachsene Religion wie die abrahamitischen. Man kann nicht klare Strukturen erkennen wie sich eine Grundidee aufspaltet und sich Religionen evolutionär entwickeln. Im Buddhismus gab es einen Menschen der ein grundsätzliches neues Konzept ins Spiel bringt. Er bedient sich dabei sehr wohl in seiner Zeit bekannter Bilder, Vorstellungen und Methoden, aber die Grundidee ist neu. Ab diesem Augenblick, ab der Lebzeit des Siddharta Gautama, nimmt der Buddhismus eine ähnliche Entwicklung wie andere Religionen auch. Verschiedene Schulen betonen verschiedene Aspekte der Lehre und entwickeln sich so auseinander. Ab diesem Augenblick fangen sich auch Ideen des Umgangs untereinander an zu entwickeln. Und das hat heute noch nicht aufgehört wie man an den aktuellen Diskussionen um kommunale Arbeit sieht. Da wird die Kirche als Beispiel zitiert mit Kindergärten, Schulen, Krankenhäusern, aber auch Seelsorge in der Gemeinde. Und gefragt warum der Buddhismus so etwas (in dem Umfang) nicht kennt oder macht.


    Die Ursache sehe ich in der im Grunde egoistischen Grundeinstellung des Buddhismus. Gerade den Theravadins wird immer wieder vorgehalten nur für ihr eigenes "Seelenheil" zu arbeiten. Da ist schon irgendwie was dran. Das liegt aber in der Lehre selber tief verwurzelt. Es gibt eben keinen Gott der richtet, der entscheidet ob man in den Himmel oder die Hölle kommt. Es gibt nur sich selber, man ist letztendlich nur sich selber gegenüber verantwortlich. Und das Ziel, Erleuchtung, kann jeder nur für sich allein erreichen. Man kann nicht seinen Nachbarn erwachen lassen oder selber von einem anderen den letzten Schritt abgenommen bekommen. Es gibt keine Gebete für das Heil anderer, keinen Gott den man anrufen kann und der dann einschreiten kann.


    Was man tun kann ist die Lehre anbieten. Hilfe zur Selbsthilfe anbieten. Konkrete Hilfe wie ein Stück Brot für einen Hungernden ist zwar gut, aber nichts im Vergleich zu einer Belehrung eines Buddhas. Letztendliche Hilfe bietet eben nur das Erwachen, alles davor (das Brot, die soziale Arbeit) ist nur Kosmetik im sich drehenden Rad Samsaras. Und somit nicht wirklich wichtig.


    Das Paradox eines solch egoistischen Entwicklungsweges und der Betonung von anatta vermag ich nicht zu lösen: "Ich erwache wenn ich erkenne, dass es kein Ich gibt."


    Liebe Grüße


    Bambus


    P.S.: Beim Gegenlesen sehe ich zig Punkte an denen man meine Darstellung kritisieren kann. Also nur zu, ganz im Sinne meiner Signatur :D

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Bambus,
    deine zusammenraffende Darstellung überstreicht weite Teile meiner Wahrnehmung.
    Die Richterlosigkeit der Gottfreiheit und der daraus folgende Impuls (einer mehr…) sich mit sich selbst zu beschäftigen war mir dabei noch nicht in den Sinn gekommen. Guter Punkt. Ich sammle ;)


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • Zitat

    Außerdem bezweifle ich stark, dass die Erkenntnis darüber nur den Buddhisten vorenthalten ist.


    Ähmmmm … natürlich meinte ich "vorbehalten". Aber ganz ohne ist der Verschreiber auch nicht. :D

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • malsehen:

    Bambus,
    deine zusammenraffende Darstellung überstreicht weite Teile meiner Wahrnehmung.
    Die Richterlosigkeit der Gottfreiheit und der daraus folgende Impuls (einer mehr…) sich mit sich selbst zu beschäftigen war mir dabei noch nicht in den Sinn gekommen. Guter Punkt. Ich sammle ;)


    Hallo malsehen. das stimmt so nicht ganz. Im Buddhismus "beschäftigen" wir uns sowohl mit uns selbst als auch mit allen anderen
    Lebewesen ("Mögen alle Wesen glücklich sein", u.s.w.).


    Was steht zwischen den Menschen ? Häufig ist es das Ego das zwischen den Menschen u.a. steht.


    Liebe Grüße
    Matthias

    • Offizieller Beitrag
    malsehen:

    Ich bin milde irritiert über die Abwesenheit des Gast-Begriffes (siehe Ji'un Kens Thread).


    Es geht um die Art, wie Spiritualität mit der Beziehung zwischen den Menschen veknüpft ist.


    Der Buddhimus ist von seinem Grundgedanken her "nicht-sozial" und wurde von Leuten gegründet, deren bestreben es war sich aus der Welt zurückzuziehen. Deswegen wird auch das "Aufgeben des Ichs" nicht als ein sozialer Akt verstanden sondern als eine Veränderung/Klärung der eigenen Wahrnehmung.


    Im Christentum wird das "Aufgeben des ichs" dagegen sozial verstanden. Als das Aufnehmen von Dialog und das Aufgehen in der engen Beziehung. Das Ego wird verloren, so wie man sich selbst in der Liebe aufgibt. Das ist durch und durch sozial.


    Beide Ansätze haben so ihre Fallstricke.


    • Der Fallstrick im Buddhimus ist, das man zu der Überzeugung gelangen kann, Befreiung wäre etwas Individuelles und man könne sich von der Gesellschaft un dem Leide der anderen abkapseln, in dem man in der Meditation sein privates Glücksüppchen kocht.


    • Der Fallstrick im Chistentum ist der, dass man im sozialen Aufgehen kann. Und auf einmal die sozialen Beziehungen(Gemeinschaft, Vater, Herrscher) ernst nimmt. Und da werden sie bald von Werkrzeugen um Gemeinsamkeit zu betonen zu solchen, die Abschottung fordern. Ausserdem geraten die Herrschaftsstrukturen, die dem Sozialen innenwohnen ( Mann Frau, Herrscher-untertanen, Eltern-Kinder) in der spirituellen Bereich und korrumpieren diesen.


    Dem Begriff des "Gastes" istt eben nicht nur rein positiv, sondern Teil von etwas Grösserem. Im Spannungsfeld zwischen Eignenem und Fremden:


    Information Philosophie:


    Es scheint so, dass sich im Gast, der von draußen kommt, das Fremde par excellence verkörpert. Das Lateinische geht noch einen Schritt weiter. Hier gibt es nicht nur eine sprachliche Verwandtschaft zwischen hostis und hospes, die beide sowohl für den Fremden/die Fremde wie auch (ähnlich wie hôte im Französischen und ospite im Italienischen) für Gast und Gastgeber stehen; denn darüber hinaus weitet sich die Bedeutung von hostis aus bis hin zur Bezeichnung des Feindes oder des Gegners. Es sieht also danach aus, als sei der Fremde ein potentieller Feind. Wer aber hat die Priorität, der Fremde, der Gast oder der Feind? Offensichtlich ist dies keine bloße Frage der Definition; wer darauf antwortet, bezieht Stellung.


    Quelle


    Wenn man das Spielfeld des Sozialen betritt, tauchen also Begriffe wie "Gast", aber auch "Feind" auf. Mit der Gemeinschaft kommt auch der der nicht Teil sein darf.

  • @ Matthias 65:
    Diese Linie der »Beschäftigung mit Was« zu erkennen ist sowohl von innen, als auch von außen sicher eine Aufgabe.
    Der Egoismus-Vorwurf kommt, denke ich daher, dass viele Erkenntnisse nicht zu übernehmen sind (wie in manch anderer Religion), sondern in einer Druchdringung in/mit sich selbst zu erkennen, zu entwickeln.
    Die Idee des Metta steht dem reinen Selbst-Bezug wohl am deutlichsten entgegen.
    Wobei hier dem christlich geprägten Altruisten ja schon der Anfang bei sich selbst Bauchschmerzen bereiten kann.


    Wichtig: Mit ging es im Thread-Titel nicht darum, was zwischen den Menschen (trennend) steht, sondern was der Buddhismus zu Vorgängen/Prozessen/Kommunikation zwischen den Menschen sagt, anbietet, fordert…



    @ Void:
    Guter Punkt, der Rückzugsgedanke.


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen


  • Hallo, malsehen - das war nicht als Vorwurf gemeint. Im Buddhismus geht es ja auch im Wesentlichen darum, "Leerheit zu realisieren", d.h.
    eben das Ego loszulassen, die Tatsache akzeptieren, dass es kein konstantes Ich gibt, das alle Phänomene miteinander verbunden sind (abhängiges Entstehen - Karma), dieser Leerheitsgedanke verbindet alle Menschen vor allem wenn man in der Lage ist Mitgefühl mit jenen Menschen zu entwickeln, die noch dem Ego leidvoll anhaften. LG Matthias - P.S. die 65 kannste weglassen :)

  • Zitat

    Gleichzeitig erscheint mir die Begrifflichkeit abstrakt. Das ist schön, denn es überlässt dem sich damit auseinandersetzenden die Freiheit, dies für sich zu verstehen und umzusetzen.
    GIbt es aber konkretere Formulierungen zu einem Kodex/Kanon bezüglich des Zusammenlebens der Menschen? Ganz neutral, ob sie nun in unseren Augen gefällig sind oder nicht?


    Die Begrifflichkeit ist ebenso abstrakt wie die 10 Gebote. Im Judentum gibt es ein sehr ausgeklügeltes System an Regeln, z.B. darf nur gegessen werden was koscher ist. Ich selbst würde so nicht leben wollen und wenn ich nachdenke, so hat sich Jesus über die enge Auslegung der Regeln hinweggesetzt und z.B. am Sabbath Kranke geheilt. Ich habe das so gelernt: "Die Regeln sind für die Menschen da, nicht umgekehrt." Und das impliziert, dass Regeln nur Hilfestellungen sein sollten, Orientierungshilfen. Dazu gehört eben auch, dass von Fall zu Fall neu entschieden werden muss. Zuoberst bei Jesus stand die Liebe, an der wird alles gemessen. Das kann man auch Mitgefühl oder Mitmenschlichkeit nennen. Für mich ist das ebenfalls die Faustregel im Buddhadharma so wie ich ihn verstehe. Um das Denken und Ergründen komme ich nie drumrum. Weder im Christentum noch im Islam noch im Judentum noch im Buddhismus. Aber natürlich habe ich die Wahl und kann eine fundamentalistische und rigorose Haltung einnehmen, dann wähle ich einmal richtig und schalte einen Teil meines Denkens ab.


    Bambus

    Zitat

    Die Ursache sehe ich in der im Grunde egoistischen Grundeinstellung des Buddhismus.


    Das kann ich nicht so sehen - zum einen weil ich verwurzelt bin in den abrahamitischen Religionen und zum anderen weil ich im Mahayana praktiziere. Für mich ist es selbstverständlich, dass ich nichts für mich alleine tue. Deshalb kaufe ich es den Theravadins, die das behaupten auch nicht ganz ab. In dem Moment, in dem ich auch nur rudimentär erkenne, dass alles mit allem verbunden ist, weiß ich doch, dass ich nicht alleine für mich praktiziere. Ich habe die Vermutung, dass es dort Egos gibt wie woanders auch und die das dann für sich verstärkend verwenden. Womöglich ist es mehr eine kulturelle und charakterliche Eigenschaft als eine der Lehren des Buddha? Es wäre interessant zu wissen, auf welcher Grundlage der Theravada gewachsen ist, dass er heute zum Teil so unsolidarisch daherkommt. Aus dem Palikanon kann das ja nicht abgeleitet sein, man denke an die Sutra, in der Buddha den kranken Mönch pflegte oder wie er niemanden ausgrenzte. Die Frage ist, ob diese Stelle überhaupt wahrgenommen wurde. Jede Kultur hat schließlich einen anderen Blick und selektiert, so dass die Stellen, die den bisherigen Gewohnheiten entsprechen, betont werden, andere vernachlässigt – die Rezeptionsästhetik beschäftigt sich mit diesem Phänomen. Wer weiß, wie die Ausprägung gewesen wäre, wenn der Theravada hier in Europa entstanden wäre bzw. wie er sich gestalten wird im Laufe der europäischen Geschichte.


    Im Mahayana können wir durchaus für das Heil anderer beten. Ebenso kann man um Hilfe bitten. Aber wie ich auch schon von Christen gehört habe, es hilft einen, den Blick, seine Geisteshaltung zu verändern, frei nach dem Motto "Hilf Dir selbst, dann hilft Dir Gott." Ich selbst erlebe das als äußerst effektiv, wobei ich offen lasse, ob da nicht doch wer "von außen" seine Hände im Spiel hat. Ja, und dann gibt es noch die Übertragung … Wer diese Erfahrung nicht selbst gemacht hat, der wird das wahrscheinlich nicht verstehen. Es darf nur nicht so interpretiert werden, als ob es eine Teleportation sei ("Ich übertrage die Armbanduhr auf meiner Linken kraft meiner Gedanken auf Deine Linke"). Aber ein guter Lehrer findet offensichtlich bei seinem Schüler im richtigen Moment die richtigen Worte und - Zack! die Tür geht auf. Das ist schon mehr als die Wirkung eines gelungenen Vortrags.


    Zitat

    Konkrete Hilfe wie ein Stück Brot für einen Hungernden ist zwar gut, aber nichts im Vergleich zu einer Belehrung eines Buddhas.


    So heißt es, ja. Ich selbst betrachte jedoch das Stück Brot als die "fleischgewordene Lehre des Buddha". Buddha hob eine Blume in die Höhe, wir können das Brot reichen. Das eine ist vom anderen nicht unterscheidbar in meinen Augen.


    Liebe Grüße
    Doris - Knochensack

    Der Sinn des Lebens besteht darin, Rudolph, dem Schwurkel, den Schnabel zu kraulen.

  • malsehen:

    Wichtig: Mit ging es im Thread-Titel nicht darum, was zwischen den Menschen (trennend) steht, sondern was der Buddhismus zu Vorgängen/Prozessen/Kommunikation zwischen den Menschen sagt, anbietet, fordert…
    .


    Zum Bsp. Das:
    http://www.buddhaland.de/viewtopic.php?f=53&t=7027&p=125414


    Und alles, was da zum Thema Ethik geschrieben steht.


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Man muss beachten, dass der Buddhismus ein anderes Menschenbild vermittelt als wir uns dies aus abendländischer Sicht (ich denke also bin ich) gewohnt sind.Im Buddhismus sagt man eher "ich denke also bin ich nicht".


    Aus buddhistischer Sicht wäre der Mensch eigentlich absolut perfekt, wenn da nur nicht die drei Geistesgifte (Gier, Hass, Verblendung) seinen Geist permanent trüben würden. Wegen diesen Trübungen entsteht Leid, wobei dieser Begriff (Leid, Dhukka) sehr weit gefasst werden soll (nicht nur Schmerz sondern auch Unvermögen, Unsicherheit etc.)


    Die Aufgabe die sich jedem Buddhisten stellt besteht darin seinen Geist von diesen trübenden Giften zu reinigen und sich so zu verwirklichen. Man spricht vom Freilegen der Buddhanatur, des Thatagathagarba, seines wahren Selbst oder vom vollständigen erblühen der Lotusblüte (@ Doris Knochensack: die der Buddha in die Höhe hielt).


    Unter diesem Aspekt betrachtet ist es leicht verständlich, dass der Buddhismus mit wenig Tugendregeln auskommt, resp. diese nicht unbedingt ins Zentrum stellt. Der Mensch soll aus Eigenverantwortung bemüht sein die ihm innewohnende vollkommene Tugend selber zu verwirklichen und nicht zwanghaft Tugendhaft zu sein um einem Gott oder sonst jemand anderem zu gefallen.
    Aus christlich/abendländischer Sicht wird dies aus Unverständnis zu unrecht als asozial, egoistisch etc ausgelegt.


    Wem es gelingt seinen Geist zu reinigen wird dann eben aus sich heraus Tugendhaft und bildet z.B. die Brahmavihara (= unermessliche Tugenden: Metta/Liebende Güte, Karuna/Mitgefühl, Mudita/Mitfreude, Uppekha/Gleichmut) aus.


    Der Weg hierhin ist im 8 fachen Pfad beschrieben. Hier scheiden sich nun aber, wie schon von meinen Vorpostern erwähnt, die Geister (buddhistische Schulen) bei der Interpretation. Welche Ansicht ist rechte Ansicht? Welche Art Sammlung ist rechte Sammlung ?


    Das alles ist natürlich auch sehr utopisch und erinnert ein wenig an den Marxismus. Der real existierende Buddhist sieht leider (noch) nicht so aus.



    Promi

  • Bambus:


    Die Ursache sehe ich in der im Grunde egoistischen Grundeinstellung des Buddhismus.


    Hallo Bambus,


    worin besteht für dich die egoistische Grundeinstellung des Buddhismus?


    Egoismus und Buddhismus passen in meinen Augen nicht zusammen.
    Vor allem vor dem Hintergrund der anatta-Lehre und der Lehre des Bedingten Entstehens.
    Eine Lehre, die permanent die Allverwobenheit der Phänomene betont - wie kann die egoistisch sein?


    Onda


    P.S. Beim Christentum sehe ich hingegen ganz klar eine Überbetonung des Altruismus.

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Liebe Doris,


    Doris Rasevic-Benz:

    In dem Moment, in dem ich auch nur rudimentär erkenne, dass alles mit allem verbunden ist, weiß ich doch, dass ich nicht alleine für mich praktiziere.


    das erweitert die Problematik noch die ich versucht habe aufzuzeigen. Erwachen ist ein individueller Akt, von einem nicht existenten Individuum, dazu noch verbunden, besser ungetrennt, von allen anderen Wesen (und Dingen).


    Lieber Onda,


    Onda:

    Vor allem vor dem Hintergrund der anatta-Lehre und der Lehre des Bedingten Entstehens.


    siehe oben bzw. hier:


    Bambus:

    Das Paradox eines solch egoistischen Entwicklungsweges und der Betonung von anatta vermag ich nicht zu lösen: "Ich erwache wenn ich erkenne, dass es kein Ich gibt."


    Eine Antwort würde mich auch interessieren. Bis dahin setze ich Individualität und das Streben nach einem individuellen Erwachen mit Egoismus gleich (überspitzt). Oder gibt es Hinweise auf "kollektives" Erwachen in den Schriften?


    Liebe Grüße


    Bambus

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Onda:

    P.S. Beim Christentum sehe ich hingegen ganz klar eine Überbetonung des Altruismus.


    Wenn es denn auch so gelebt würde ist das doch nicht verkehrt. Damit gäbe es keine Kriege mehr. Das Problem ist dort wie hier die Umsetzung von an sich guten Zielen durch uns normale Menschen. Im ganze denkbaren Spektrum von Ignoranz bis Fanatismus.

    Von mehreren Theorien, die die gleichen Sachverhalte erklären, ist die einfachste allen anderen vorzuziehen.


    Die Leute von denen Du am meisten lernen kannst sind die mit denen Du nicht einer Meinung bist.

  • Prometheus:


    Unter diesem Aspekt betrachtet ist es leicht verständlich, dass der Buddhismus mit wenig Tugendregeln auskommt, resp. diese nicht unbedingt ins Zentrum stellt.


    Aber Sila steht doch recht zentral beim achtfachen Pfad?
    Gruß,
    Holger

  • Nur mal zwischendurch: Wenn ich geahnt hätte, wie spannend das wird. Prachtvoll!
    Lob und Dank allen Beitragenden soweit! :D


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • Bambus:

    Bis dahin setze ich (...) das Streben nach einem individuellen Erwachen mit Egoismus gleich (überspitzt).


    Erwachen kann in der Tat nur individuell sein. Aber warum sollte das Streben nach Erwachen egoistisch sein?
    Letztlich ist alles Wollen individuell.


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
    "Dharma books and tapes are valuable, but the true dharma is revealed through our life and practice." (Thich Nhat Hanh)

  • Bambus:
    Onda:

    P.S. Beim Christentum sehe ich hingegen ganz klar eine Überbetonung des Altruismus.


    Wenn es denn auch so gelebt würde ist das doch nicht verkehrt.


    Egoismus und Altruismus sind beides ungesunde Extreme, die jeweils die "andere Seite" ausblenden.
    Der Egoist vernachlässigt die anderen, der Altruist sich selbst.
    Nur wer empfangen kann, kann auch geben.
    Nur wer geben kann, wird empfangen.


    [Hätte doch Pfarrer werden sollen]


    Onda

    "Es gibt nichts Gutes, außer: man tut es." (Erich Kästner)
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  • Ich denke, es geht ein wenig um Eigen- und Fremdwarhnehmung. Das war ja auch in Ji'un Kens Frage zu dem interreligiösen Dialog sehr zentral. Man trifft auf Menschen »anderer Prägung« und ist dadruch aufgefordert, deren Fremdwahrnehmung zu begegnen.
    Ich sag mal aus meiner eher weit außenstehenden Sicht:
    Der Buddhist kreist in seinen nach außen erkennbaren Agieren stark um sich selbst.
    Meditation ist – Gruppenmedi hin oder her – mindestens für den Außenstehenden etwas sehr in sich versenktes, nicht nach Außen kommunizierendes.
    Selbst wenn man ein wenig weiter reinschnuppert, bekommt man gerne einen großen Haufen Ich-Botschaften zu hören.


    Diese Selbstrefrenziertheit kann nun gerne verwechselnd mit Egoismus übertitelt werden.
    Ich denke schon, dass auch die Gefahr, die Bambus beschreibt, besteht: sich aus dieser Referenziertheit ein ganz kleines, immerwährend um sich selbst kreisendes Universum und damit auch letztlich egoitsisches Universum zurechtzuzimmern.


    Spätestens, wenn der Außenstehende hört, dass all die Selbstreferenziertheit das Ziel hat, dieses Selbst auszu-Xen, ist es dann nur noch sehr schwer möglich, da Brücken zu bauen.
    Wenn man nicht eoin einigermaßen abstraktionsfähiges Gegenüber hat.
    Oder vorher mit dem Brückenbau begonnen hat.
    Deswegen find ich Ji'un Kens Dialog-Event in Kiel auch so, wie er es beschreibt, ganz klasse.


    Hochachtungsvoll
    Mal Sehen

  • Zitat

    GIbt es aber konkretere Formulierungen zu einem Kodex/Kanon bezüglich des Zusammenlebens der Menschen ?


    Der Erwachte gab Empfehlungen wie die Menschen zusammen leben sollten - hier einige Beispiele:


    S 55,7 Die Leute von Veludvara
    … wenn es mir nicht lieb und nicht recht ist, dann ist es dem anderen auch nicht lieb und nicht recht …


    D 31 / Singalkos Ermahnung
    ... Sobald ein Heilsgänger die Lust an vier Wirkensverderbtheiten aufgegeben hat , aus vier Herzenszuständen nichts schlechtes wirkt, sich nicht auf 6 genüsse nach Abwärts einlässt dann ist er dadurch 14 Übeln entgangen, hat die sechs Himmelsgegenden als Schutz...


    S55,6
    ...Das Hausleben lebt er mit einem Gemüt das frei ist von der Befleckung durch Engherzigkeit, Kleinlichkeit, Geiz. Loslassen empfindet er als befreiend, ist entgegenkommend, mit offenen Händen, gewinnt Freude am Zurücktreten, ist offen für Bitten und glücklich wenn er teilen kann...


    Liebe Grüsse


    Norbert

    Gier, Hass und Verblendung sind weder in Werken noch in Worten zu überwinden, sondern nur durch wiederholtes weises Erkennen (A.X/23)